„Das versteht kein Mensch!“ – Predigt zu 2. Korinther 13, 11 – 13 von Reiner Kalmbach
13,11-13

„Das versteht kein Mensch!“ – Predigt zu 2. Korinther 13, 11 – 13 von Reiner Kalmbach

Die Gnade Gottes, unseres Vaters, die Liebe Jesu, unseres Herrn und die lebensspendende Kraft des Heiligen Geistes seien mit uns allen. Amen.

 

„Trinitatis“, so heisst der heutige Sonntag. Aber wer, ausser den theologisch Geschulten, kann das verstehen?, lässt sich die Dreieinigkeit überhaupt erklären?

Weihnachten, Karfreitag und Ostern kann man ja schon zum christlichen „Kulturerbe“ zählen. Irgendwie weiss man, um was es da geht. Pfingsten, das wir vor einer Woche feierten, ist da schon etwas schwieriger, der Geist, wie der Wind, nicht greifbar, aber doch spüren wir ihn, schliesslich glauben wir ja.

Der „dreieinige Gott“, ein Gott, drei Personen, ein Gott in dreierlei Gestalt. Um noch eins draufzusetzten: die Lehre von der Dreieinigkeit Gottes steht nicht in der Bibel, und doch erwächst sie sozusagen aus ihr. In anderen Worten, wir lesen die Bibel und wenn wir sie „auslegen“, d. h. interpretieren, formt sich in uns die Vorstellung eines dreieinigen Gottes.

Aber es stimmt schon: verstehen, im Sinne der Vernunft, kann man die Trinität eigentlich nicht.

Und schon sind wir auf der richtigen Fährte: hat Gott überhaupt etwas mit Vernunft zu tun?, handelte Jesus jemals im Sinne der menschlichen Vernunft?, ist etwa die Bergpredigt, die von der Feindesliebe spricht und zur bedingungslosen Liebe einlädt, in unserem Sinne „vernünftig“?

Neulich sagte jemand zu mir: „…wäre Jesus Diplomat gewesen, hätte ihn der Tod im Alter geholt.“

Nein, die Dreieinigkeit Gottes kann man nur „fühlen“, wenn wir versuchen die biblischen Worte zu meditieren.

Und dabei kann uns der Apostel Paulus helfen, vielleicht bringt er etwas Licht ins Dunkel. Hören wir aus dem 2. Brief des Paulus an die Korinther, Kapitel 13, die Verse 11 bis 13

 

Textlesung

 

Plötzliche Windstille

Die Gemeinde in Korinth hat´s ihm angetan, so manche schlaflose Nacht dürfte sie dem Apostel beschert haben. Die von ihm gegründete Gemeinde steht immer wieder in der Gefahr vom wahren Evangelium abzugleiten. Streitigkeiten unter den verschiedenen Fraktionen und geistlichen Strömungen sind an der Tagesordnung. Ja man stellt sogar seine Autorität als Apostel in Frage. Er muss sich rechtfertigen, verteidigen, er erniedrigt sich, nur um die rebellischen Korinther nicht zu verlieren. An manchen Stellen seines Briefes wird seine Sprache hart, er droht sogar, warnt, er schäumt vor Wut.

Seit vielen Jahren begleite ich zwei kleine Gemeinden in Patagonien (Argentinien). Man kennt sich, mit der Zeit sind Freundschaften entstanden, wer zur Gemeinde gehört, nimmt aktiv daran teil. Ich vergleiche die Gemeinden mit einer winzigen Insel im grossen Meer. Eine kleine protestantische Insel, umtost von den Wassern der zahllosen Pfingstkirchen und der allmächtigen katholischen Staatskirche. Bei uns kommt es auf jedes Mitglied an. Verlässt eine Familie die Gemeinde kommt das einer mittleren Katastrohe gleich.

Seit Jahren gab es immer wieder Diskussionen mit einem Gemeindeglied. Mal brachte er mir ein Buch über Reinkarnation, dann wieder bezweifelte er die Wirklichkeit des Kreuzes. Das „Fleisch“ ist nichts, der Geist ist alles. Er war mir mehr, als „nur“ ein Gemeindeglied, fehlte in keinem Gottesdienst, liess sich sogar in den Gemeindevorstand wählen. Aber seine Zweifel wurden immer grösser. Einmal kam er begeistert von einer Reise nach Buenos Aires zurück. Dort besuchte er eine Gruppe die sich „Gnosis“ nennt. Man könnte sie unter dem weiten Himmel des New-Age unterbringen.  „Die Leute dort haben mich überzeugt, deshalb kann ich nicht länger in der Kirche bleiben…“

 

Ja, ich verstehe nur zu gut die Verzweiflung des Apostels, sein Versuch zu retten, wieder aufzurichten. Aber ich muss gestehen, an manchen Stellen gleicht sein Brief einem Sturm in Orkanstärke, der immer mehr zunimmt, und man bekommt es mit der Angst zu tun, versucht sich irgendwo zu verkriechen.

Doch dann, ganz plötzlich, absolute Windstille. Es ist, als ob er auf einmal zur Besinnung käme, kaum zu glauben, diese Wendung: „Liebe Brüder, ich meine es doch nur gut mit euch!“ Aber da müssen wir jetzt aufmerksam zwischen den Zeilen lesen, hören, spüren…, weil Paulus nie etwas dem Zufall überlässt. Seine Wut, seine Unzufriedenheit mit der Gemeinde in Korinth ist ja nicht persönlich begründet, auch wenn es zwischendurch den Anschein hat. Es geht doch um den rechten Glauben, um das eine und wahre Fundament: der Gott der Liebe und des Friedens! Das wäre beinahe untergegangen in seiner harten Kritik. Jetzt, am Schluss seine Briefes schaltet er mehrere Gänge gleichzeitig runter und so wird die Sicht frei auf die Ursache, auf das Eigentliche.

Der Konflikt sitzt so tief, die Fronten scheinen so unüberwindlich, dass Paulus sein Lebenswerk und seine Existenz bedroht sieht. In eine solche Situation hinein ein Friedenskuss, das ist schon stark, da werden die Gefühle durcheinandergewirbelt.

 

Die „Sache mit dem Kuss“

Wieder in Patagonien.  Jede Gemeinde hat ihre eigene Tradition und Geschichte. Dazwischen liegen 500 km. In beiden Gemeinden feiern wir an jedem zweiten Sonntag Abendmahl. Als ich zum ersten Mal den Gottesdienst an einem der Orte hielt, gaben sich die Anwesenden ganz selbstverständlich, vor der Austeilung, den Friedenskuss. Ich war begeistert, das war echt, manche hatten Tränen in den Augen. Da fielen Lasten von den Schultern, da hing so etwas in der Luft: „…trotz allem, wir sind Schwestern und Brüder.“

Also wollte ich den Kuss auch in der anderen Gemeinde einführen. Das war, wie wenn man eine alte verrostete Eisentüre öffnet. Eine kühle, klare Liturgie ist halt auch ein Schutz vor den eigenen Gefühlen, nur nichts an sich heranlassen, und noch weniger heraus…

Mittlerweile wird in beiden Gemeinden geküsst.

Schliesslich spielt der Kuss in der Bibel eine grosse Rolle. Der berühmte „Judaskuss“: wie geht Jesus damit um? Gerade an Judas wird deutlich, wie weitreichend die Gnade Jesu ist, und wie bedingungslos seine Liebe. Er lässt ihn am Abendmahl teilnehmen und spricht ihn sogar, in Gethsemane, als „Freund“ an.

Und im Alten Testament spielt sogar die erotische Version des Kusses eine wichtige Rolle. Das Hohelied mit seiner reichen Auslegungsgeschichte war immer auch ein Sinnbild für die Liebe Gottes zu seinem Volk Israel und später für die Liebe Jesu zu seiner Kirche. Das Bild des Kusses zeigt die Leidenschaft der göttlichen Liebe: Gott mag uns!

Und da können wir durchaus hinzufügen: trotz allem.

Kuss: wir kommen direkt von Pfingsten her. Der Heilige Geist, der mit seiner Flamme der Liebe küsst, schenkt uns wieder Sprache und lässt uns Zeugen sein eines Gottes, der uns zwar keine Konflikte erspart, uns aber mit der Kraft der Gnade und der Liebe und der Kraft zur Gemeinschaft ausstattet.

 

Ein wunderbarer Dreiklang

Der Brief endet mit einem unglaublich schönen Dreiklang, einer Zusammenfassung des Evangeliums, der „Guten Nachricht“. Noch ist nicht klar, wie die drei göttlichen Personen miteinander in Beziehung stehen. Aber es wird deutlich, wie sie interpretiert werden können, sowohl untereinander, als auch in Bezug auf uns Menschen: als Gnade, als Liebe und als Teil dieser Beziehung. Wir hören diesen Dreiklang als Kanzelgruss zu Beginn fast jeder Predigt und vergewissern uns damit unserer Teilhabe an der göttlichen Gemeinschaft, die unsere Gemeinschaft untereinander begründet. Denn, das dürfte wohl klar sein: wir sind hier, weil wir zu Ihm gehören, das ist die einzige Rechtfertigung der Existenz der Kirche.

Der Dreiklang des Paulus ist eine Art Happy End, perfekt nach Drehbuch. Nach Wolkenbruch und Sturm geht über Korinth die Sonne auf.

Aber, wird dieses Happy End uns auch im Alltag tragen?

Dieser Briefschluss kann unser Leben tragen!, das hört sich stark an…, da melden sich schon wieder unsere Zweifel… Dennoch: der Briefschluss kann uns im Leben tragen, wenn er nicht als Schlusspunkt verstanden wird, sondern einen Doppelpunkt setzt: Und genau so hat es Paulus auch gemeint. Schliesslich kündigt er damit ja seinen Besuch an. Es handelt sich also nicht um einen Abschluss (sicherlich hätte Paulus Gründe genug dafür aufführen können), sondern um die Öffnung nach vorne, in die Zukunft.

 

Es ist die Tür die uns einlädt hindurchzugehen – und dort erwarten uns die Gnade Christi, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes.

Damit lässt es sich gut leben.

 

Amen.