Das Wunder des Friedens. Predigt zu Jesaja 2, 1-5 von Helmut Dopffel
2,1
Dies ist’s, was Jesaja, der Sohn des Amoz, geschaut hat über Juda und Jerusalem: Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des Herrn Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Heiden werden herzulaufen, und viele Völker werden hinaufgehen und sagen: „Kommt, lasst uns auf den Berg des Herrn gehen, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln in seinen Steigen!“ Ja, von Zion wird Weisung ausgehen und des Herrn Wort von Jerusalem. Und er wird richten unter den Heiden und zwischen vielen Völkern schlichten. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Rebmessern machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen Krieg zu führen. Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des Herrn.
„Schwerter zu Pflugscharen!“ Immer noch fasziniert dieser Slogan und erinnert an mehr als an die Friedensbewegung der DDR der 80er Jahre. Doch führt uns dieses Wort heute nicht in erster Linie unsere Rat- und Hilflosigkeit angesichts der unzähligen Kriege, militärischen Konflikte und bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen, all der ethnischen und sozialen und religiösen und kulturellen und familiären Gewalt weltweit vor Augen? Denn es ist ja nicht so, dass sich dies alles weit weg „hinten in der Türkei“, am Hindukusch oder am Horn von Afrika abspielt. Die Gewalt, ihre Folgen, Täter und Opfer sind uns nähergerückt, mit unseren Soldaten in Afghanistan und anderen Ländern, mit jedem Terroranschlag dort und in Europa, aber auch in den Bootsflüchtlingen im Mittelmeer und in den jungen Männern ohne Arbeit und Perspektive. Wir leben in einer globalisierten Welt, die Welt ist ein Dorf geworden. Was tun? Natürlich müssen wir uns verteidigen, unsere Menschen, unsere Werte, unsere Humanität, unsere Grenzen. Wir setzen auf Sicherheit und Abwehr, auf Misstrauen und Überwachung, auf Grenzkontrollen und militärische Stärke. Doch damit erwecken nun wir bei anderen Misstrauen und Angst und ein Gefühl der Bedrohung und verschärfen die Spaltung der Gesellschaft im eigenen Land und weltweit. Es mag ja sein, dass wir unsere Sicherheit am Hindukusch verteidigen, wir müssen aber auch wahrnehmen – und die Soldatinnen und Soldaten dort spüren dies am schmerzlichsten -, dass sie dort zunehmend als eine Bedrohung anderer gelten; jedes zivile Opfer verschärft dieses Gefühl. Militärische Mittel scheinen nicht zu greifen in den Konflikten dieser Welt, sie sind seltsam stumpf und wirkungslos, oft sogar kontraproduktiv. Sie schaffen keinen Frieden – das ist unumstritten; doch inzwischen wird mehr und mehr fraglich, ob sie geeignet sind, wenigstens die Voraussetzungen für eine friedliche Entwicklung zu schaffen. Der Krieg ist wie ein großer Abgrund, der sich nicht mehr schließen will. Aber was sollen wir tun? Schon tut sich das nächste Dilemma auf: Interveniert die Weltgemeinschaft nicht in einem der vielen blutigen Konflikte, so wirft man ihr Gleichgültigkeit vor. Interveniert sie, so trifft sie der Vorwurf der Gewaltanwendung, der Planlosigkeit oder gar eigener unlauterer Absichten. Und so heißt unser Programm: der Frieden soll auf des Schwertes Schneide gebaut werden. Und zugleich wächst, wieder einmal in der Geschichte, die Erkenntnis, dass das nicht gelingen kann.
Es ist ja nicht so, dass wir nicht wüssten – oder wissen könnten -, was weltweit geschieht. Und wir haben wenigstens eine Ahnung, welches die Ursachen sein könnten. Die Ressourcen werden knapp, Wasser, Öl und fruchtbares Land, und die Verteilkämpfe werden härter. Kulturelle und politische Arroganz, vorwiegend des Westens, doch nicht nur, schüren den Hass. Wahrheitsansprüche, oft religiöser oder weltanschaulicher Art, werden ohne Rücksicht auf Andersdenkende durchgesetzt. Privilegien werden verteidigt. Die Weltgesellschaft, aber auch die Gesellschaft in unserem Land, sind tief gespalten in Arme und Reiche. Das liegt vielleicht den Konflikten und Gewaltausbrüchen am tiefsten zugrunde: Das Wissen, benachteiligt zu sein, einfach auf der falschen Seite, im falschen Land, in der falschen Familie geboren zu sein und nie eine Chance zu haben, am Wohlstand, an der Bildung, an der Lebenssicherheit vieler anderer teilzuhaben. Es ist der Mangel an Gerechtigkeit, an dem die Welt zerbricht. Aus ihm erwachsen all die vielen Kriege: große Kriege, schmutzige Kriege, Kleinkriege, Familienkriege, Rosenkriege, Terrorkriege, Straßenkriege, Weltkriege, Religionskriege.
„Es wird zur letzten Zeit“…Wenn heutzutage eine Rede oder einen Beitrag im Internet so beginnt, haben wir nichts Gutes zu erwarten. Dann werden Krisen- oder gar Katastrophenszenarien gemalt, – vielleicht, um endlich einmal die Schuldigen zu entlarven, vielleicht, um der eigenen Lust am Untergang zu frönen, vielleicht um die anderen endlich aufzurütteln, vielleicht, um die eigenen Lösungsvorschläge und Rezepte an die Frau und an den Mann zu bringen. Vielleicht auch – solche Stimmern sind wieder auf dem Markt – um durch die Katastrophe hindurch, nach Beseitigung aller Hindernisse und aller bösen Widersacher, endlich das Reich der Wahrheit aufrichten zu können.
Doch die Bilder des Schreckens, die Katastrophenszenarien, sind gottlos und deshalb unmenschlich, und wenn gar Gott als Drahtzieher proklamiert wird, dann ist es nicht Gott, sondern der Teufel.
„Es wird zur letzten Zeit geschehen…“ Keine Katastrophe wird uns heute angesagt, sondern eine Welt, in der niemand mehr Schwert oder Faust erhebt und keiner mehr etwas weiß von Gewalt. Und das, obwohl die Welt, in der Jesaja lebte, so gewalttätig war wie die unsere, erfüllt vom Gedröhn der Stiefel und vom Geschrei der Armen. In dieser Welt hat er eine Botschaft auszurichten, und unserer Welt heute haben wir eine Botschaft auszurichten. Die Botschaft heißt: Frieden ist möglich. Die Menschen werden kommen, sie wollen kommen zu Gott und sein Wort hören und es wird in ihre Herz und Gewissen dringen. Sie werden ihre Konflikte schlichten und sich zurechtbringen lassen, sie werden ihre Waffen in Handwerkszeug und landwirtschaftliches Gerät verwandeln, und sie werden nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Keiner wird mehr ein Fremder sein, und jedes Gesicht im Meer der Völker wird uns erfreuen wie das Gesicht eines Freundes.
Das ist ein schönes, ermutigendes, tröstliches Bild. Ein Bild des Paradieses, ein Bild des Himmels, könnte man meinen. Das wäre unendlich schön, und genau deshalb wäre es zu billig. Denn die Herausforderung dieser Worte liegt darin, dass „die letzte Zeit“ eine ferne oder vielleicht auch nicht so ferne Zukunft meint, aber auf jeden Fall die Zukunft dieser Welt und dieser Erde. Eine Welt ohne Krieg und Gewalt ist möglich, keine missbrauchten Kinder, keine Wunden an Leib und Seele, keine Waffen.
Es ist wird ja nicht das Paradies gemalt, auch in der Welt des Friedens bleiben harte Arbeit mit Pflug und Rebmesser, es bleiben Konflikte und Meinungsverschiedenheiten und Streit, der geschlichtet werden muss; es bleiben das Lernen und Verlernen und damit die Notwendigkeit von Bildung, es bleiben Völker und die Politik und die Mühen des Kompromisses. Das ist durchaus noch unsere Welt und unsere Wirklichkeit.
Und dennoch balanciert dieses Wort am Rande der Wirklichkeit. Nicht nur, dass sich keiner von uns vorstellen kann, wie unsere Erde zu einer Welt des Friedens werden kann, geschweige denn, was wir dafür tun sollten. Dazu reicht unsere Phantasie nicht aus. Dazu bedarf es eines Wunders. Und ein Wunder ist es, das Jesaja hier schildert: der Zionsberg, in Wirklichkeit nur ein Hügelchen, wird zum Berg über alle anderen Berge; alle Menschen, alle Völker entschließen sich zu Gott zu kommen; sie hören auf ihn, keiner steht mehr dazwischen, und seine Worte sind klar. Sie leben nach seinem Wort und lassen ihre Konflikte von ihm schlichten. Schwerter zu Pflugscharen wird ihrer aller Motto, und keiner übt mehr für den Krieg.
Das ist ein Wunder. Es braucht heilige Dinge, um es zu vollbringen. Aber gibt es etwas Notwendigeres als dieses Wunder? Man könnte die Sache ja mit guten Gründen auch umgekehrt sehen: Warum sollen Gewalt und Krieg „normaler“ und leichter sein als Frieden und Ausgleich und ein Mindestmaß an Gerechtigkeit? Ist das, was Jesaja hier beschreibt, unserem Herzen nicht näher als die gewalttätige Realität? Bestätigt nicht jeder Friedensnobelpreis, jeder Alternative Nobelpreis, jeder Friedenspreis des deutschen Buchhandels diesen Wunsch, diese Hoffnung, die Notwendigkeit dieses Wunder? Sie zeigen doch, dass wir die Hoffnung auf das Wunder nicht aufgegeben haben und nicht aufgeben können.
Schwerter zu Pflugscharen. Frieden ist möglich. Wir können uns ändern, wir sind nicht festgelegt auf die Spirale der Gewalt. Wir sind nicht gezwungen, den Totentanz zu tanzen. Immer wieder hat die Christenheit aus ihrem Glauben an den großen, gütigen und mächtigen Gott die Überzeugung geschöpft, dass die Welt verbesserbar sei. Und diese Verbesserung fängt nicht mit der Technik an, und schon gar nicht an den Finanzmärkten. Sie beginnt im Herzen. Kommt nun, lasst uns wandeln im Licht des Herrn. Doch sie endet in der globalen Politik. Die Völker werden kommen.
Das geschieht, wie immer bei einem Wunder, einerseits, ganz ohne unsere Anstrengung. Gott wird die Menschen und Völker zu sich ziehen. Sie kommen, weil sie bei ihm finden, was sie brauchen. Und bedeutet andrerseits doch harte Arbeit. Kommt nun, lasst uns wandeln im Licht des Herrn.
Von lernen und verlernen spricht Jesaja, also von Bildung. Was müssen wir lernen? Das Allerselbstverständlichste: Achtung voreinander, Gerechtigkeit, Fremde zu lieben. Es geht um die Haltung, mit der wir Menschen begegnen. Ihnen zuhören und ihnen von uns erzählen. So verlieren Menschen ihr Bedrohungspotential und werden zu Freunden. In einem Gespräch sagen Muslime: Verletzend ist für uns nicht, wenn Christen uns von ihrem Glauben, ihren Werten, ihren Erwartungen an uns erzählen. Verletzend ist, wenn sie meinen, besser über uns, unsere Kultur, unsere Religion Bescheid zu wissen als wir selbst.
Unser eigenes Land ist zu einem wunderbaren Lern- und Handlungsfeld für den Frieden geworden. Danken wir Gott für diese Chance. Wir können hier unendlich viel für den Frieden tun.
Was wird noch gelernt? Pflügen, Weinberge kultivieren, Streit schlichten. Streit um die Wahrheit wird es immer geben und muss es immer geben. Auch Streit um das Recht, um Ansprüche. Aber der Streit kann geschlichtet werden, wenn wir Menschen das wollen. Wenn wir bereit sind, die Lebensrechte der anderen genau so hoch zu achten wie unsere eigenen. Das ist nicht nur moralisch und menschlich geboten, es ist einfach auch nur klug. Denn wir teilen diese Welt immer mit anderen. Und wir brauchen immer die anderen. Schwerter zu Pflugscharen: das muss nicht nur in der Politik, für das Militär, für die Rüstungsindustrie gelten, da zuletzt; es kann nur gelingen, wenn es bei uns anfängt: Im Herzen Schwerter zu Pflugscharen; in der Sprache Schwerter zu Pflugscharen, in der Liebe, in der Familie, in jeder Religion. Der Frieden muss ebenso geübt werden wie die Gewalt.
Das ist die eine Seite des Wunders. Die andere aber ist, dass Gott spricht, und die Völker es hören. Der eine Gott, der Gott der Liebe und der Macht, des Rechts und des Friedens, spricht zu uns, auf vielfältige Weise, und am Ende durch seinen Sohn, wie es im Neuen Testament heißt. Das ist Wunder genug. Doch ein noch größeres Wunder ist, wenn die Menschen, viele Menschen, alle Völker, hören, was Gott sagt, ja es hören wollen. Doch warum sollte nicht auch dieses einmal geschehen? Es geht hier ja nicht um die letzte Wahrheit, um göttliche Offenbarung, es geht hier auch nicht um Religion, es geht um etwas sehr irdisches, um die Dinge, die zum Frieden führen, zum Frieden zwischen den Völkern und zum Frieden der Welt. Und hierzu spricht Gott deutlich genug, in den maßgeblichen Texten der Bibel (die Christum treiben!), aber nicht nur in der Bibel, sondern auch in anderen religiösen und ethischen und philosophischen Überlieferungen; in den Gesichtern und verkrümmten Leibern der Gewaltopfer und der Verdammten dieser Erde, aber ebenso in den strahlenden Augen eines geretteten Kindes und in der Schönheit einer Versöhnung, und auf vielen anderen Wegen. Denn was ihr den Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan. Warum sollten die Menschen diese Botschaft nicht hören? Hier finden sie doch, was sie brauchen. Und wir, die Christenheit: Sollten wir nicht alles tun, dass die Menschen diese Botschaft Gottes hören können? Beten und singen wir nicht: Verleih uns Frieden gnädiglich? Kommt nun, lasst uns wandeln im Licht des Herrn!
Im Lichte zu wandeln ist allerdings etwas anderes als Traumtänzer zu sein. Es nützt weder uns noch anderen noch dem Frieden, Illusionen nachzuhängen und die Realität des Bösen, der Gewalt, des Hasses zu leugnen. Wir haben alle einen langen Weg vor uns. Und dieser Weg ist mit Kämpfen und Kompromissen gepflastert. Manche dieser Kompromisse sind angesichts der bestehenden Verhältnisse schrecklich, denn sie lavieren zwischen Krieg und Frieden. Krieg darf nach Gottes Willen nicht sein. Doch das wird erst dann wirklich werden können, wenn Gottes Wille auch auf Erden geschieht. Und wir sind noch immer mittendrin, so viele Jahrhunderte nach Jesaja.
Doch worauf blicken wir, auch wenn wir noch mittendrin stecken? Wo schlägt das Herz, worauf hoffen wir, was erbitten wir, wofür kämpfen wir? Blicken wir auf das Schwert als ein Symbol der Wehrhaftigkeit, des Heldentums, des Stolzes? Oder blicken wir auf Pflugschar und Rebmesser, mit der wir uns und andere ernähren und erfreuen?
Frieden ist möglich, und Wunder gibt es immer wieder: 65 Jahre ohne Krieg in weiten Teilen Europas. Der Wandel Südafrikas ohne Bürgerkrieg. Das friedliche Ende der DDR und die deutsche Vereinigung. Und im Wedding in Berlin betritt eine Frau einen Gemüseladen. Sie schaut den Händler an: Sie sehen müde aus. Ja, sagt er, es ist Ramadan, ich faste. Was möchten Sie? Ich will Gemüse einkaufen für den Sabbat. Ich bin Jüdin. – Kurze Pause. - Noch nie hat eine Jüdin bei mir eingekauft. Friede sei mit dir. – Wer sprach diese Worte? Wer hat hier gehört?
Kommt nun, lasst uns wandeln im Licht des Herrn.
Amen.
„Schwerter zu Pflugscharen!“ Immer noch fasziniert dieser Slogan und erinnert an mehr als an die Friedensbewegung der DDR der 80er Jahre. Doch führt uns dieses Wort heute nicht in erster Linie unsere Rat- und Hilflosigkeit angesichts der unzähligen Kriege, militärischen Konflikte und bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen, all der ethnischen und sozialen und religiösen und kulturellen und familiären Gewalt weltweit vor Augen? Denn es ist ja nicht so, dass sich dies alles weit weg „hinten in der Türkei“, am Hindukusch oder am Horn von Afrika abspielt. Die Gewalt, ihre Folgen, Täter und Opfer sind uns nähergerückt, mit unseren Soldaten in Afghanistan und anderen Ländern, mit jedem Terroranschlag dort und in Europa, aber auch in den Bootsflüchtlingen im Mittelmeer und in den jungen Männern ohne Arbeit und Perspektive. Wir leben in einer globalisierten Welt, die Welt ist ein Dorf geworden. Was tun? Natürlich müssen wir uns verteidigen, unsere Menschen, unsere Werte, unsere Humanität, unsere Grenzen. Wir setzen auf Sicherheit und Abwehr, auf Misstrauen und Überwachung, auf Grenzkontrollen und militärische Stärke. Doch damit erwecken nun wir bei anderen Misstrauen und Angst und ein Gefühl der Bedrohung und verschärfen die Spaltung der Gesellschaft im eigenen Land und weltweit. Es mag ja sein, dass wir unsere Sicherheit am Hindukusch verteidigen, wir müssen aber auch wahrnehmen – und die Soldatinnen und Soldaten dort spüren dies am schmerzlichsten -, dass sie dort zunehmend als eine Bedrohung anderer gelten; jedes zivile Opfer verschärft dieses Gefühl. Militärische Mittel scheinen nicht zu greifen in den Konflikten dieser Welt, sie sind seltsam stumpf und wirkungslos, oft sogar kontraproduktiv. Sie schaffen keinen Frieden – das ist unumstritten; doch inzwischen wird mehr und mehr fraglich, ob sie geeignet sind, wenigstens die Voraussetzungen für eine friedliche Entwicklung zu schaffen. Der Krieg ist wie ein großer Abgrund, der sich nicht mehr schließen will. Aber was sollen wir tun? Schon tut sich das nächste Dilemma auf: Interveniert die Weltgemeinschaft nicht in einem der vielen blutigen Konflikte, so wirft man ihr Gleichgültigkeit vor. Interveniert sie, so trifft sie der Vorwurf der Gewaltanwendung, der Planlosigkeit oder gar eigener unlauterer Absichten. Und so heißt unser Programm: der Frieden soll auf des Schwertes Schneide gebaut werden. Und zugleich wächst, wieder einmal in der Geschichte, die Erkenntnis, dass das nicht gelingen kann.
Es ist ja nicht so, dass wir nicht wüssten – oder wissen könnten -, was weltweit geschieht. Und wir haben wenigstens eine Ahnung, welches die Ursachen sein könnten. Die Ressourcen werden knapp, Wasser, Öl und fruchtbares Land, und die Verteilkämpfe werden härter. Kulturelle und politische Arroganz, vorwiegend des Westens, doch nicht nur, schüren den Hass. Wahrheitsansprüche, oft religiöser oder weltanschaulicher Art, werden ohne Rücksicht auf Andersdenkende durchgesetzt. Privilegien werden verteidigt. Die Weltgesellschaft, aber auch die Gesellschaft in unserem Land, sind tief gespalten in Arme und Reiche. Das liegt vielleicht den Konflikten und Gewaltausbrüchen am tiefsten zugrunde: Das Wissen, benachteiligt zu sein, einfach auf der falschen Seite, im falschen Land, in der falschen Familie geboren zu sein und nie eine Chance zu haben, am Wohlstand, an der Bildung, an der Lebenssicherheit vieler anderer teilzuhaben. Es ist der Mangel an Gerechtigkeit, an dem die Welt zerbricht. Aus ihm erwachsen all die vielen Kriege: große Kriege, schmutzige Kriege, Kleinkriege, Familienkriege, Rosenkriege, Terrorkriege, Straßenkriege, Weltkriege, Religionskriege.
„Es wird zur letzten Zeit“…Wenn heutzutage eine Rede oder einen Beitrag im Internet so beginnt, haben wir nichts Gutes zu erwarten. Dann werden Krisen- oder gar Katastrophenszenarien gemalt, – vielleicht, um endlich einmal die Schuldigen zu entlarven, vielleicht, um der eigenen Lust am Untergang zu frönen, vielleicht um die anderen endlich aufzurütteln, vielleicht, um die eigenen Lösungsvorschläge und Rezepte an die Frau und an den Mann zu bringen. Vielleicht auch – solche Stimmern sind wieder auf dem Markt – um durch die Katastrophe hindurch, nach Beseitigung aller Hindernisse und aller bösen Widersacher, endlich das Reich der Wahrheit aufrichten zu können.
Doch die Bilder des Schreckens, die Katastrophenszenarien, sind gottlos und deshalb unmenschlich, und wenn gar Gott als Drahtzieher proklamiert wird, dann ist es nicht Gott, sondern der Teufel.
„Es wird zur letzten Zeit geschehen…“ Keine Katastrophe wird uns heute angesagt, sondern eine Welt, in der niemand mehr Schwert oder Faust erhebt und keiner mehr etwas weiß von Gewalt. Und das, obwohl die Welt, in der Jesaja lebte, so gewalttätig war wie die unsere, erfüllt vom Gedröhn der Stiefel und vom Geschrei der Armen. In dieser Welt hat er eine Botschaft auszurichten, und unserer Welt heute haben wir eine Botschaft auszurichten. Die Botschaft heißt: Frieden ist möglich. Die Menschen werden kommen, sie wollen kommen zu Gott und sein Wort hören und es wird in ihre Herz und Gewissen dringen. Sie werden ihre Konflikte schlichten und sich zurechtbringen lassen, sie werden ihre Waffen in Handwerkszeug und landwirtschaftliches Gerät verwandeln, und sie werden nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Keiner wird mehr ein Fremder sein, und jedes Gesicht im Meer der Völker wird uns erfreuen wie das Gesicht eines Freundes.
Das ist ein schönes, ermutigendes, tröstliches Bild. Ein Bild des Paradieses, ein Bild des Himmels, könnte man meinen. Das wäre unendlich schön, und genau deshalb wäre es zu billig. Denn die Herausforderung dieser Worte liegt darin, dass „die letzte Zeit“ eine ferne oder vielleicht auch nicht so ferne Zukunft meint, aber auf jeden Fall die Zukunft dieser Welt und dieser Erde. Eine Welt ohne Krieg und Gewalt ist möglich, keine missbrauchten Kinder, keine Wunden an Leib und Seele, keine Waffen.
Es ist wird ja nicht das Paradies gemalt, auch in der Welt des Friedens bleiben harte Arbeit mit Pflug und Rebmesser, es bleiben Konflikte und Meinungsverschiedenheiten und Streit, der geschlichtet werden muss; es bleiben das Lernen und Verlernen und damit die Notwendigkeit von Bildung, es bleiben Völker und die Politik und die Mühen des Kompromisses. Das ist durchaus noch unsere Welt und unsere Wirklichkeit.
Und dennoch balanciert dieses Wort am Rande der Wirklichkeit. Nicht nur, dass sich keiner von uns vorstellen kann, wie unsere Erde zu einer Welt des Friedens werden kann, geschweige denn, was wir dafür tun sollten. Dazu reicht unsere Phantasie nicht aus. Dazu bedarf es eines Wunders. Und ein Wunder ist es, das Jesaja hier schildert: der Zionsberg, in Wirklichkeit nur ein Hügelchen, wird zum Berg über alle anderen Berge; alle Menschen, alle Völker entschließen sich zu Gott zu kommen; sie hören auf ihn, keiner steht mehr dazwischen, und seine Worte sind klar. Sie leben nach seinem Wort und lassen ihre Konflikte von ihm schlichten. Schwerter zu Pflugscharen wird ihrer aller Motto, und keiner übt mehr für den Krieg.
Das ist ein Wunder. Es braucht heilige Dinge, um es zu vollbringen. Aber gibt es etwas Notwendigeres als dieses Wunder? Man könnte die Sache ja mit guten Gründen auch umgekehrt sehen: Warum sollen Gewalt und Krieg „normaler“ und leichter sein als Frieden und Ausgleich und ein Mindestmaß an Gerechtigkeit? Ist das, was Jesaja hier beschreibt, unserem Herzen nicht näher als die gewalttätige Realität? Bestätigt nicht jeder Friedensnobelpreis, jeder Alternative Nobelpreis, jeder Friedenspreis des deutschen Buchhandels diesen Wunsch, diese Hoffnung, die Notwendigkeit dieses Wunder? Sie zeigen doch, dass wir die Hoffnung auf das Wunder nicht aufgegeben haben und nicht aufgeben können.
Schwerter zu Pflugscharen. Frieden ist möglich. Wir können uns ändern, wir sind nicht festgelegt auf die Spirale der Gewalt. Wir sind nicht gezwungen, den Totentanz zu tanzen. Immer wieder hat die Christenheit aus ihrem Glauben an den großen, gütigen und mächtigen Gott die Überzeugung geschöpft, dass die Welt verbesserbar sei. Und diese Verbesserung fängt nicht mit der Technik an, und schon gar nicht an den Finanzmärkten. Sie beginnt im Herzen. Kommt nun, lasst uns wandeln im Licht des Herrn. Doch sie endet in der globalen Politik. Die Völker werden kommen.
Das geschieht, wie immer bei einem Wunder, einerseits, ganz ohne unsere Anstrengung. Gott wird die Menschen und Völker zu sich ziehen. Sie kommen, weil sie bei ihm finden, was sie brauchen. Und bedeutet andrerseits doch harte Arbeit. Kommt nun, lasst uns wandeln im Licht des Herrn.
Von lernen und verlernen spricht Jesaja, also von Bildung. Was müssen wir lernen? Das Allerselbstverständlichste: Achtung voreinander, Gerechtigkeit, Fremde zu lieben. Es geht um die Haltung, mit der wir Menschen begegnen. Ihnen zuhören und ihnen von uns erzählen. So verlieren Menschen ihr Bedrohungspotential und werden zu Freunden. In einem Gespräch sagen Muslime: Verletzend ist für uns nicht, wenn Christen uns von ihrem Glauben, ihren Werten, ihren Erwartungen an uns erzählen. Verletzend ist, wenn sie meinen, besser über uns, unsere Kultur, unsere Religion Bescheid zu wissen als wir selbst.
Unser eigenes Land ist zu einem wunderbaren Lern- und Handlungsfeld für den Frieden geworden. Danken wir Gott für diese Chance. Wir können hier unendlich viel für den Frieden tun.
Was wird noch gelernt? Pflügen, Weinberge kultivieren, Streit schlichten. Streit um die Wahrheit wird es immer geben und muss es immer geben. Auch Streit um das Recht, um Ansprüche. Aber der Streit kann geschlichtet werden, wenn wir Menschen das wollen. Wenn wir bereit sind, die Lebensrechte der anderen genau so hoch zu achten wie unsere eigenen. Das ist nicht nur moralisch und menschlich geboten, es ist einfach auch nur klug. Denn wir teilen diese Welt immer mit anderen. Und wir brauchen immer die anderen. Schwerter zu Pflugscharen: das muss nicht nur in der Politik, für das Militär, für die Rüstungsindustrie gelten, da zuletzt; es kann nur gelingen, wenn es bei uns anfängt: Im Herzen Schwerter zu Pflugscharen; in der Sprache Schwerter zu Pflugscharen, in der Liebe, in der Familie, in jeder Religion. Der Frieden muss ebenso geübt werden wie die Gewalt.
Das ist die eine Seite des Wunders. Die andere aber ist, dass Gott spricht, und die Völker es hören. Der eine Gott, der Gott der Liebe und der Macht, des Rechts und des Friedens, spricht zu uns, auf vielfältige Weise, und am Ende durch seinen Sohn, wie es im Neuen Testament heißt. Das ist Wunder genug. Doch ein noch größeres Wunder ist, wenn die Menschen, viele Menschen, alle Völker, hören, was Gott sagt, ja es hören wollen. Doch warum sollte nicht auch dieses einmal geschehen? Es geht hier ja nicht um die letzte Wahrheit, um göttliche Offenbarung, es geht hier auch nicht um Religion, es geht um etwas sehr irdisches, um die Dinge, die zum Frieden führen, zum Frieden zwischen den Völkern und zum Frieden der Welt. Und hierzu spricht Gott deutlich genug, in den maßgeblichen Texten der Bibel (die Christum treiben!), aber nicht nur in der Bibel, sondern auch in anderen religiösen und ethischen und philosophischen Überlieferungen; in den Gesichtern und verkrümmten Leibern der Gewaltopfer und der Verdammten dieser Erde, aber ebenso in den strahlenden Augen eines geretteten Kindes und in der Schönheit einer Versöhnung, und auf vielen anderen Wegen. Denn was ihr den Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan. Warum sollten die Menschen diese Botschaft nicht hören? Hier finden sie doch, was sie brauchen. Und wir, die Christenheit: Sollten wir nicht alles tun, dass die Menschen diese Botschaft Gottes hören können? Beten und singen wir nicht: Verleih uns Frieden gnädiglich? Kommt nun, lasst uns wandeln im Licht des Herrn!
Im Lichte zu wandeln ist allerdings etwas anderes als Traumtänzer zu sein. Es nützt weder uns noch anderen noch dem Frieden, Illusionen nachzuhängen und die Realität des Bösen, der Gewalt, des Hasses zu leugnen. Wir haben alle einen langen Weg vor uns. Und dieser Weg ist mit Kämpfen und Kompromissen gepflastert. Manche dieser Kompromisse sind angesichts der bestehenden Verhältnisse schrecklich, denn sie lavieren zwischen Krieg und Frieden. Krieg darf nach Gottes Willen nicht sein. Doch das wird erst dann wirklich werden können, wenn Gottes Wille auch auf Erden geschieht. Und wir sind noch immer mittendrin, so viele Jahrhunderte nach Jesaja.
Doch worauf blicken wir, auch wenn wir noch mittendrin stecken? Wo schlägt das Herz, worauf hoffen wir, was erbitten wir, wofür kämpfen wir? Blicken wir auf das Schwert als ein Symbol der Wehrhaftigkeit, des Heldentums, des Stolzes? Oder blicken wir auf Pflugschar und Rebmesser, mit der wir uns und andere ernähren und erfreuen?
Frieden ist möglich, und Wunder gibt es immer wieder: 65 Jahre ohne Krieg in weiten Teilen Europas. Der Wandel Südafrikas ohne Bürgerkrieg. Das friedliche Ende der DDR und die deutsche Vereinigung. Und im Wedding in Berlin betritt eine Frau einen Gemüseladen. Sie schaut den Händler an: Sie sehen müde aus. Ja, sagt er, es ist Ramadan, ich faste. Was möchten Sie? Ich will Gemüse einkaufen für den Sabbat. Ich bin Jüdin. – Kurze Pause. - Noch nie hat eine Jüdin bei mir eingekauft. Friede sei mit dir. – Wer sprach diese Worte? Wer hat hier gehört?
Kommt nun, lasst uns wandeln im Licht des Herrn.
Amen.
Perikope