Das Wunder vom Licht
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Das Wunder vom Licht

Prädikantin Christina Brudereck

„Tochter Zion“, ein altes Adventslied. Ein Kind wird darin begrüßt. Vielleicht haben Sie dieses Kind eben in der Lesung vermisst?

Die weltberühmten Worte von Jesaja, die noch fehlen: „Denn ein Kind ist uns geboren. Ein Sohn ist uns gegeben. Sein Rufname ist: ›Wunder-Rat‹, ›Gott-ist-stark‹, ›Mein-Vater und-meine-Mutter-auf-immer‹, ›Fürst-des-Friedens‹.“

Vielleicht haben Sie das Kind vermisst... Nicht nur in der Lesung. 

Das Vermissen ist so typisch für den Advent. Der Advent ist sehnsüchtig. Diese Zeit vor dem großen Fest ist voller Erwartung. Der Advent ist ungeduldig.

„Wo bleibt es denn bloß, das Kind... Wo bleibt er bloß − der Friede?“ Unsere alten Lieder und Texte erzählen von einer großen Hoffnung. Aber noch ist es nicht so weit. Noch warten wir auf die vollkommene Erfüllung von Jesajas Traum.

Und doch! Wir feiern schon. Unsere alten Lieder und Texte sind glücklicher als die Wirklichkeit. Auch die Vorfreude ist schon Freude.

Rabbiner Jehoshua Ahrens

Der Text drückt auch für uns die Hoffnung auf den Erlöser, den Messias, aus. Aber wir verstehen Jesajas Bild nicht wortwörtlich. Sie sind für uns eine poetische Vision, dass etwas Neues beginnen wird. So wie ein neugeborenes Kind das ganze Leben einer Familie verändert. Aber wir warten noch auf diese Zeit, denn nach jüdischem Verständnis ist der Messias noch nicht gekommen.

Prädikantin Christina Brudereck

Wir sehen ein bestimmtes Kind in diesem Text. Ein Text, der zuerst Euch gehört, wenn ich das so sagen darf. Wir sehen in diesem Kind Jesus , geboren in Bethlehem, das „Christ – Kind“ , den „Messias“. Das unterscheidet uns. Ich meine, im Warten sind wir uns trotzdem nah. Wir fiebern hin auf dieses Neue. Dass Jesajas Traum vom Frieden für alle wahr wird. Und der Messias mit seinem Licht in alle Dunkelheit kommt.

Rabbiner Jehoshua Ahrens

Im Vermissen und in der Hoffnung sind sich Christen und Juden ja einig. Sicher, manche Texte der Bibel verstehen wir unterschiedlich, andere verbinden uns. Auch mit Menschen anderer Religionen. Viele Menschen suchen nach Gott, und alle suchen nach der Wahrheit. Der Weg mag unterschiedlich sein, aber das Ziel ist letztendlich gleich.

Prädikantin Christina Brudereck

Jesaja erinnert uns alle an die Hoffnung. Dass es mehr gibt als wir jetzt sehen. Damit wir das nicht vergessen, singen wir und bitten Gott:

„Komm doch und gründe nun Dein Friedensreich.“

Rabbiner Jehoshua Ahrens

Advent ist für Christen fast gleichbedeutend mit Warten. Ich nehme das wahr, allerdings eher als ein passives, innerliches Warten. Für uns Juden ist das Warten auf den Erlöser ein aktives Warten. Wir nennen das „Tikkun Olam“, die Welt reparieren, bzw. zu einem besseren Ort machen. Wir Menschen sind im Ebenbild Gottes erschaffen und damit Partner in der Schöpfung Gottes. Das verpflichtet uns auch dazu, aktiv die Welt auf den Messias vorzubereiten. Die Welt verbessern, das können wir Juden allerdings nicht alleine. Das ist die Aufgabe von uns allen.

Heute verläuft die Trennlinie nicht mehr zwischen den Religionen, sondern zwischen denen, die an Gott glauben, die Werte haben, die ihnen heilig sind, einerseits und denen, die keine verbindlichen Werte haben und meinen, sie können selbst entscheiden, was richtig oder falsch ist. Menschen guten Willens gibt es in allen Religionen und Weltanschauungen und wir müssen deutlich zeigen, dass Religionen nicht die Ursache für Konflikte sind, sondern deren Lösung. Das verbindet uns Juden und Christen. Und das ist ein Grund guten Mutes und guter Hoffnung zu sein, und zu feiern. Das tun wir unterschiedlich – aber gleichzeitig.

Prädikantin Christina Brudereck

Das Licht der Liebe. So ein wundervolles Symbol. Wir feiern zeitgleich unsere Lichterfeste Weihnachten und Chanukka. Was ist Dir an Chanukka so wichtig?

Rabbiner Jehoshua Ahrens

Israel stand unter griechischer Herrschaft. Das war vor etwas mehr als 2000 Jahren. Damals wurde das jüdische Volk gezwungen, griechische Götter anzubeten. Sogar im Tempel, dem aller Heiligsten, dem Zentrum unseres jüdischen Glaubens. Doch es rührte sich Widerstand um einen Mann namens Judas Makkabäus. Seine Leute kämpften immer heftiger, bis der Tempel wieder frei war. Allerdings gab es ein Problem: Die Menora, das ewige Licht, wäre beinahe erloschen. Es gab nur noch eine Flasche reines, heiliges Öl für einen einzigen Tag. Und da geschah das Wunder: diese eine Flasche, für den einen Tag, brannte acht Tage lang, bis das neue Öl fertig war.

An dieses Wunder erinnern wir uns zu Chanukka. Darum zünden wir acht Tage lang die Kerzen an der Chanukkia, dem neun-armigen Chanukka-Leuchter an.

Am ersten Tag beginnen wir mit dem ersten Licht, bis wir schließlich am achten Tag alle Kerzen zünden.

Chanukka ist ein fröhliches Familienfest, es wird viel gesungen, gespielt und gegessen. Mit dem Licht geht es bei Euch ja etwas anders …

Prädikantin Christina Brudereck

Ja, wir haben den Adventskranz Jeden Sonntag wird eine Kerze mehr angezündet Ich kenne diese Tradition seit meiner Kindheit.

Es ist wohl kein Zufall, wenn wir zu Weihnachten, zur Geburt des Jesuskindes, an unsere eigene Kindheit denken. Für mich gehört es zur Schönheit dieses Festes, auch als Erwachsene wieder klein sein zu dürfen, erwartungsvoll, staunend. Kindlich sehe ich mich neben dem Gotteskind. In seinem Glanz. Und erlebe, wie mich diese Idee beschenkt mit der Wärme …

… und dem Widerspruch des Glaubens:


Unsere Welt da draußen ist so kalt. Die tiefe Verzweiflung in Aleppo. Ertrinkende im Mittelmeer. Zäune in Europa. Hunger. Gewalt. Gleichgültigkeit. Vorurteile. Hate-Speech. Mobbing. Der Krebs. Wir spüren die Dunkelheit. Jeden Tag und jede Nacht. Wir erzählen mitten in der Dunkelheit fröhlich, trotzig von einem Wunder, das aus der Nacht eine Weih-Nacht, eine Heilige Nacht macht.

Als das Gotteskind geboren wird, kommen die Gegensätze zusammen: Groß und klein. Dunkel und hell. Kindlich und abgeklärt. Alltäglich und feierlich. Der Widerspruch gehört zum Fest unbedingt dazu. So sind unsere alten Texte und Hymnen Widerstandslieder gegen die Dunkelheit: Soldatenmärsche werden zum Tanz. Kein Blutvergießen mehr. Menschen werfen ihre Last ab. Sanft und zuversichtlich singen diese Lieder davon, dass Gott Mensch wird. Aus der Ewigkeit in die Zeit kommt. Aus lichtem Licht geboren für die Welt.

„O nata lux de lumine“ –

Jesus, Heiland der Welt, Du Licht, geboren aus Licht. Wundervolle Worte. Aber ich merke, dass ich nicht sofort zustimmen kann und mitsingen will. Hier, neben dir, in unserer gemeinsamen Predigt eines Juden und einer Christin sträubt sich etwas in mir. Da empfinde ich sie als sehr vollmundig. Ich höre noch andere Töne mit. Aus unserer Geschichte. Als Christen ihr Bekenntnis herrisch gesungen haben und selbstherrlich. Hier, neben dir, in unserer gemeinsamen Predigt eines Juden und einer Christin sträubt sich etwas in mir. Da empfinde ich sie als sehr vollmundig. Ich höre noch andere Töne mit. Aus unserer Geschichte. Als Christen ihr Bekenntnis herrisch gesungen haben und selbstherrlich.

Diese finstere Geschichte macht mich stumm. Besonders der Antisemitismus in meiner christlichen Tradition. Zum Beispiel von Martin Luther. Er hat den jüdischen Glauben wüst beschimpft. Seine Worte haben lange und schäbig nachgewirkt. Mit Luthers Hass haben Nazis und Mitläufer Brandsätze gelegt an Synagogen und Wohnhäuser jüdischer Mitmenschen. Heute höre ich solche Worte wieder. Auf Demonstrationen und in sozialen Netzwerken: Von rechten Hooligans und salafistischen Jugendlichen. Als eine jüdische Mutter mir erzählte, dass sie ihrem kleinen Sohn keine Kippa mehr auf den Kopf setzt, weil das zu gefährlich ist, war ich entsetzt. Dass jüdische Menschen sich nicht sicher fühlen können in diesem Land, schnürt mir die Kehle zu.

„O nata lux“ – Licht der Welt – das kann darum kein triumphales Bekenntnis, sondern nur ein Gebet sein. Ein inniges Gespräch zwischen Jesus Christus und mir. Dann, merke ich, dann lasse ich mir diese großen Worte gefallen. Du Licht, geboren aus Licht.

Wer um seine eigenen Schatten weiß, bittet um Klarheit. Wer die grauen Häuserschluchten sieht, sehnt sich nach diesem Glanz. Wer erlebt, dass unsere Leuchten nicht das Herz wärmen, wünscht sich göttliches Licht. Darum gehen viele Weihnachtslieder aufs Ganze. Sie singen üppig, strahlend hell, reich – aber nicht, weil wir so großartige Lichter sind. Sondern es ist Gott selbst. In Jesu Gesicht strahlt er uns an. Nicht triumphierend, sondern aus Kinderaugen. Nicht herrisch, sondern liebevoll. Ein Licht, das allen Menschen leuchtet.

Allen!

So singe ich gerne.

Weil wir Worte brauchen, die mehr haben: Zukunftsmusik, die über unser Hier und Jetzt hinausklingt. Mit Worten voller Licht. Freiheit. Hoffnung. Wärme. Liebe. Voller Gott.

Rabbiner Jehoshua Ahrens

Diese Wärme, gegenseitige Liebe der Menschen und die Glaubenstoleranz, die Du mit dem Licht verbindest, sind auch für das Chanukka-Fest ganz zentral. Der Aufstand gegen die Griechen entzündete sich damals ja weniger an politischen oder militärischen Fragen. Als die Griechen unsere Religion und unsere Traditionen ganz verbieten wollten, ging das zu weit. Und so hat zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ein Volk nicht für einen König, nicht für Eroberungen, sondern für ein Menschenrecht, die Religionsfreiheit, gekämpft. Diese Freiheit, diese Toleranz muss auch heute noch für uns die Richtschur bleiben. Allzu schnell werten wir den Anderen ab, weil wir natürlich an unsere eigene Wahrheit glauben und das Fremde in Frage stellen. Dabei stehen alle Religionen für Frieden, Nächstenliebe und viele andere Werte, die wir teilen. Chanukka ist für uns daher keine Folklore, keine bloße Erinnerung, sondern auch ein gesellschaftlicher Auftrag, andere Religionen und Menschen zu respektieren. Heute liegt es an den Menschen guten Glaubens und Willens aus allen Religionen gemeinsam für Toleranz und Liebe einzustehen – auch wenn wir uns schwach wähnen, auch wenn der Zeitgeist ein anderer scheint. Chanukka hat es gezeigt.

Und so hoffe ich, dass wir gemeinsam für Toleranz und Freiheit einstehen, auch wenn der Andere nicht die eigene Religion, Kultur oder Nationalität teilt. Chanukka feiern: Das heißt die eigenen Glaubensüberzeugungen beibehalten, sich in die Gesellschaft integrieren und in der Vielfalt gemeinsam leben.