Dein Gott regiert - Predigt zu Jesaja 52,7-10 von Agnes Schmidt-Köber
52,7-10

Dein Gott regiert

Jesaja 52

7 Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen, Gutes predigen, Heil verkündigen, die da sagen zu Zion: Dein Gott ist König!

8 Deine Wächter rufen mit lauter Stimme und rühmen miteinander; denn alle Augen werden es sehen, wenn der HERR nach Zion zurückkehrt.

9 Seid fröhlich und rühmt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems; denn der HERR hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst.

10 Der HERR hat offenbart seinen heiligen Arm vor den Augen aller Völker, dass aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes.

Liebe Gemeinde!

Hören Sie den Jubel, der aus diesen Zeilen dringt? Teilen Sie die Begeisterung, die den Schreiber dieser Verse antreibt? Nein?

Das gemalte Bild wirkt auf den ersten Blick etwas, naja, aufgedreht: liebliche Füße, die von den Bergen um Jerusalem herunter tänzeln, mit einer frohen Botschaft. Angesichts der Lage vor Ort zu schön, um wahr zu sein. Die Trümmer der Stadt sollen jubeln und jauchzen. Etwas viel verlangt von der Personifizierung der Katastrophe, die die Stadt 50 Jahre zuvor ereilte.

Eine geballte Ladung Stoff zum nachdenken und verarbeiten.

Wir haben es hier mit Worten zu tun, die um das Jahr 540-538 vor Christi Geburt entstanden sein dürften. Ein beachtlicher Teil des jüdischen Volkes lebt seit  40-50 Jahren in Babylonien, im Exil. Sie waren deportiert worden, nachdem Nebukadnezar seinem Vasallen König Jojachin berechtigterweise nicht mehr über den Weg traute und seine Macht demonstrierte, indem er Jerusalem eroberte. Die Deportation der oberen Gesellschaftsschicht war ein taktisch geschickter Schachzug. Zur Abschreckung und um sicher zu gehen, dass in Juda keinerlei  Verschwörungen und Ränkespiele getätigt wurden, ließ Nebukadnezar Jerusalem zerstören, bes. den Tempel.

Für gläubige Juden war dies eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes: der Tempel war das Haus Gottes, seine Zerstörung mußte unweigerlich bedeuten, dass Gott nicht mehr in der Mitte seines Volkes wohnte, dass er sein Volk aufgegeben hatte.

Möglicherweise haben sich sowohl die Deportierten, als auch die in Jerusalem Verbliebenen, mit der Zeit an diese Situation gewöhnt – aber es ist kaum anzunehmen, dass ihnen diese Erfahrung gleichgültig geworden wäre.

In dieser Situation geschieht etwas Großes: das Babylonische Reich wird erobert und geht unter. Die neuen Machthaber sind die Perser, die wollen die Restauration. So wird die Rückwanderung der Deportierten in ihre Heimat ermöglicht. Mehr noch: der Jerusalemer Tempel soll wieder aufgerichtet werden, der neue König Kyrus gibt den Tempelschatz frei, den die Babylonier mitgeführt hatten.

Für jeden gläubigen Juden dürfte diese Wendung der Geschichte Grund zum Jubeln sein: Gott hat sich seinem Volk sichtbar wieder zugewandt. Diese Nachricht musste natürlich auch in Jerusalem verkündet werden.

Und nun setzt unser heutiger Bibelabschnitt ein – diesmal mit den Worten aus der neuesten Bibelübersetzung in sog. „gerechter“ Sprache

7 Wie schön sind auf den Bergen die Füße derjenigen,
die Freude verkünden, die °Frieden ansagen, Gutes verkünden,
Rettung ansagen, die zu Zion sprechen: »Dein Gott regiert!« (Im O-Ton: Deine Gottheit regiert.)

Auf diesem Hintergrund klingen diese Worte schon etwas weniger „aufgedreht“, die Freude ist verständlich: nach Jahrzehnten der Trauer und der Orientierungslosigkeit ein neuer Aufbruch, ein Neustart, ermöglicht durch Gott, von dem sich die Israeliten verlassen gefühlt hatten.

Die lieblich-schönen Füße  stehen für einen Menschen, der eine gute Nachricht überbringt. Der wird allgemein als „schön“ empfunden, auch wenn er nicht gerade den gängigen Schönheitsidealen entspricht. Die Schönheit kommt von dem her, was seine Nachricht für den Empfänger bedeutet. Und diese Nachricht ist mehr als schön, sie ist wunderbar und unfassbar, Gott ist König, er regiert, er lenkt die Geschichte und Geschicke. Sie erfahren das auf gänsehauterregende Weise: er greift in die Geschichte seines Volkes ein, für alle sichtbar.
8 Horch! Deine Wachposten erheben die Stimme, jubeln gemeinsam!
Ja, Auge in Auge sehen sie, wie Gott °zurückkehrt zu Zion.
9 Brecht in Jubel aus, alle gemeinsam, ihr Trümmerreste Jerusalems,
denn getröstet hat Gott das °Gottesvolk, hat Jerusalem befreit.

Den Jubel stimmen die Wächter an, sie teilen die erfahrene Botschaft und gleichzeitig auch ihre Freude darüber mit und so vervielfältigt sich der Jubel.

Ein schönes Bild malen diese Worte vor unseren Augen: die Menschen, die in den Trümmern Jerusalems leben, drücken ihre Freude aus über die Nachricht, dass ein Neustart möglich wird – ich stelle mir den Jubel ähnlich vor, wie in der Fankurve eines Stadions, nachdem der ausgemachte Verlierer des Spiels doch noch ausgleicht oder gar das Spiel gewinnt.

Die weinende, trauernde Tochter Zion zieht den Schleier vom Gesicht und winkt damit dem Überbringer mit den lieblichen Füßen zu.  Die Trümmer beginnen zu leben.

10 Entblößt hat Gott den heiligen Arm vor den Augen aller °fremden Völker:
Es sehen alle Enden der Erde das °Heil unserer Gottheit.

Das Blatt hat sich gewendet. Nicht nur die Bewohner Jerusalems sondern alle Enden der Erde sollen Gottes Heilshandeln sehen und Anteil daran haben. Nun scheint der Jubel übermütig zu werden: Gott zeigt seine Macht vor den anderen Völkern. Auseinandersetzungen mit Nachbarvölkern hatten eine beachtliche theologische Dimension. Hier geht es aber nicht um Machtdemonstration, sondern Gott lässt auch die anderen Völker Anteil haben. Angesichts der Wendung, die die Geschichte des Gottesvolkes genommen hat, angesichts dessen, dass Gott sich den heidnischen Perserkönig als Werkzeug auserwählt hat, um seinem Volk die Tränen abzuwischen, einleuchtend.

Einzelne Bilder aus diesem Bibelabschnitt sind nach wie vor gültig, auch im Advent 2013.

Nehmen wir den Einstieg: die lieblichen, schönen Füße der Freudenboten der Überbringer einer guten Botschaft, eines schönen Geschenkes wird als schön/angenehm/sympathisch empfunden. Jemand, der Hilfe bringt, kann zum „Engel“ (angelos-Bote) werden. Je beklemmender die Lage, in der man sich befindet, umso schöner derjenige, der daraus heraushilft. Daran hat sich nicht viel geändert. Man gerät in Not, oft ohne selbst etwas dafür zu können, und ist auf Hilfe von außen angewiesen. Wie dankbar und glücklich ist man über abgewendete Not und Schmach, daraus erwächst Jubel – in den Psalmen regelmäßig anzutreffen.

Dann bleibe ich am Bild der Trümmer hängen:

Im Gespräch mit meiner Studienfreundin über diese Verse kam zutage, dass die Trümmer auch als Trümmer noch zu etwas gut sind, dass sie auch in ihrem beklagenswerten Zustand eine Funktion haben. In jedem Menschenleben gibt es ein Trümmerfeld: Träume, Hoffnungen, Lebensentwürfe liegen darauf… Die singenden Trümmer des Bibelwortes zeigen an, dass sie sich mit ihrer scheinbaren Nutzlosigkeit nicht abgefunden haben, dass auch sie sich verändern können… Im Klartext: Mit den Trümmern im eigenen Leben kann man auf verschiede Art und Weise umgehen: man kann darüber gebeugt Gott (an)klagen, man kann sie liegen lassen und so tun, als gäbe es sie nicht und dann immer wieder aufs Neue darüber stolpern und sich dabei verletzen. Oder man räumt sie nach angemessener Trauerzeit weg und baut daraus mit Gottes Hilfe etwas Neues. Er, Gott, kann aus dem kleinsten Trümmerteil etwas Neues schaffen. Er hat die Regie, er hat das Drehbuch. Was vordergründig nach Katastrophe aussieht, ist auf den zweiten Blick Ausgangspunkt/Kehrtwende für etwas Neues.

Ein drittes und letztes Bild: Gott als König

Der Gott Israels ist als König im AT häufig anzutreffen. Er ist ein König, der zuverlässig treu ist, der keine Machtspielchen treibt, bei denen seine Untertanen zu Schaden kommen. In frommem Verständnis eine Veranschaulichung des Gottesattributes „Allmächtig“.

Mächtig in jeder Hinsicht – nach irdischen Vorstellungen waren das lange Zeit die Monarchen. Aus der prophetischen Literatur  der Bibel ist zu vernehmen, dass das Gottesvolk Könige hatte, die dem Volk geschadet haben – das menschliche Königtum wird ab einem gewissen Zeitpunkt überaus kritisch beurteilt.

Der einzig wirklich mächtige König, dessen Regierung seinen „Untertanen“ keine Abgaben für den Lebensunterhalt verlangt, der wahrhaft weise und gerecht ist, der keine Huldigungen für sein angeknackstes Ego braucht, ist Gott.

Gott unterscheidet sich von den gekrönten Häuptern menschlichen Geblüts dadurch, dass er sich „unters Volk“ mischt, ohne seine Würde zu verlieren. Dass er selbst sich seiner Majestät entledigt und Mensch wird.  Er wählt einen anderen Weg. Er muss nicht konfliktträchtige Koalitionen schmieden, er muss keine Kompromisse eingehen, er muss sich nicht dem Druck der Öffentlichkeit beugen, aus Angst abgeschafft zu werden. Er ist und bleibt der Höchste. Auch wenn noch so viel über seine Existenz geschrieben, gestritten und gespottet wird. Er ist völlig frei in seinen Entscheidungen. Daran (ver)zweifeln Menschen zu allen Zeiten.

Jetzt kann ich die Freude der Jerusalemer nachvollziehen und teilen: Gott wird Mensch, das angekündigte Heil ist da.

Georg Friedrich Händel hat sie in seinem grandiosen Oratorium „Der Messias“, im „Halleluja“, auf überschäumende Weise eingefangen. Die Freude über das Königtum Gottes wird fühlbar, stärkt Hoffnung und Zuversicht:  http://www.youtube.com/watch?v=6iCk9fqNNt0

Wie lieblich ist der Boten Schritt, die uns verkünden den Frieden; sie bringen frohe Botschaft vom Heil, das ewig ist.

Ihr Schall gehet aus in jedes Land, und ihr Wort an alle Enden der Welt.

(…)

Halleluja, denn Gott der Herr regieret allmächtig. Das Königreich der Welt ist fortan das Königreich des Herrn und seines Christ, und er regiert auf immer und ewig, Herr der Herrn, der Welten Gott, Halleluja!

Möge diese Freude in Ihren Herzen dauerhaft Einzug halten.

Amen

Perikope
22.12.2013
52,7-10