Der Acker am Waldrand – Predigt zu Matthäus 21,28-32 von Gerlinde Feine
21,28-32

Zuständigkeiten

Es ist Sommer. Alles blüht, die Felder reifen, die Bäume sind voller Obst. Am Ende des Tages machen der Bauer und der Pfarrer einen Spaziergang durchs Dorf, vorbei an den Brombeerhecken, hinaus aufs Feld.

Sie kommen an ein Weizenfeld, reif zur Ernte. Die Ähren wiegen sich im Abendwind. „Schau mal“, sagt der Pfarrer, „wie wunderbar Gott doch das Korn hat reifen lassen, damit wir Brot haben.“ Der Bauer sagt nichts.

Dann erreichen sie die Weinberge, die sich rund um den Ort an die Hänge schmiegen. „Sieh doch nur“, schwärmt der Pfarrer: „All die herrlichen Reben, die Gott hat werden lassen, damit wir Wein haben!“ Wieder schweigt der Bauer.

Schließlich kommen sie ganz ans Ende der Markung, nahe an den Waldrand. Dort, auf dem letzten Feld des Ortes, schaut es aus wie Kraut und Rüben. Disteln und Dornen, soweit das Auge reicht. Erschrocken fragt der Pfarrer: „Was hast du denn mit diesem schönen Acker gemacht?“ – „Moment!“ wehrt der Bauer ab. „Hier war ich gar nicht zuständig. Das hat der liebe Gott ganz allein gemacht!“

Es hatte ein Mann zwei Söhne und ging zu dem ersten und sprach: Mein Sohn, geh hin und arbeite heute im Weinberg.

Geh. Kümmere dich. Es ist dein Land. Dein Erbe. Schau, dass es ihm gut geht. Jäte das Unkraut und schneide die Dornen. Lichte die Sträucher, damit die Sonne die Blätter kitzeln kann.

Er antwortete aber und sprach: Nein, ich will nicht.

Ich habe gar keine Zeit mehr dafür. Und keine Ahnung. Was soll ich in deinem Weinberg? Ich bin nicht zuständig. Und ich kann auch nicht alles machen. Lass mich in Ruhe. „Ich kann mich nicht um alles kümmern.“ sagt der Bauer.

„Ich bin nicht zuständig.“ sage ich zu dem Mann an meiner Tür, der mir gerade eine traurige Geschichte erzählt hat und Geld von mir haben will. Ich gebe ihm einen Gutschein für den Tafelladen und schicke ihn weiter zur Beratungsstelle. Im Briefkasten war ein Flyer: Eine Bürgerinitiative will meine Unterstützung. Es geht um etwas Wichtiges – aber ich kann mich nicht um alles kümmern! Der Kollege bittet um Mithilfe bei der Notfallseelsorge. Nein. Ich will nicht. Ich kann nicht. Ich bin doch schon so eingespannt und kümmere mich um so viel! Schau auf die vielen Dinge, für die ich schon Sorge trage! Es geht nicht mehr.

Unkraut jäten

Und der Vater ging zum zweiten Sohn und sagte dasselbe: Mein Sohn, geh hin und arbeite heute im Weinberg.

Sorg dafür, dass die Ähren geradestehen und die Reben genügend Wasser bekommen. Halte die Füchse fern, die an den jungen Trieben knabbern wollen. Schütze die Saat vor Schädlingen. Und kümmere dich nicht nur um die Felder, an denen du oft vorbeikommst. Oder den Weinberg dort am Hang, der den Ort schmückt. Sorge auch für die Flächen am Waldrand.

Schau nach den Kindern, die nach der Schule herumtrödeln, weil zuhause niemand auf sie wartet. Setz dich zu der alten Frau im Pflegeheim, die dir ihre Geschichte erzählen will. Sprich mit dem Mann, der im Stehcafé auf die Politik schimpft. Schick das Brautpaar nicht weg, das nicht weiß, zu welcher Gemeinde es gehört und welche Formulare es braucht. Ich weiß, dass du für Strukturen gesorgt und viel Geld gegeben hast. Aber es reicht nicht. Kümmere dich um den Weinberg. Schau nach den Leuten.

Mein Kind, geh hin und arbeite heute im Weinberg.  Und der Sohn antwortete und sprach: Ja, Herr!, und ging nicht hin.

Der Pfarrer und der Bauer besehen sich den Acker am Waldrand näher. Anscheinend ist ihm übel mitgespielt worden. Die Spuren da hinten, die könnten von einer Rotte Schwarzwild stammen. Dort, unter den Dornen, das sieht nach Müllsäcken aus und Flaschen, die hier jemand entsorgt hat.

„Wie ist das eigentlich?“ fragt der Bauer. „Gott gibt Sonne und Wärme, Regen und Wind. Er lässt die Felder reifen und schickt im Herbst letzte Süße in den schweren Wein. Nichts können wir dazu tun. Nichts gelingt ohne ihn. Und doch braucht er uns. Zum Säen, Jäten und Ernten, da nimmt er uns in die Pflicht…“ – „Und nie hört die Arbeit auf“, seufzt der Pfarrer. „wo es keine Äcker gibt, da stehen heute Fabriken. Die geben auch Arbeit und Brot, aber es hängt auch an uns, ob sie gedeihen können. Ob die Menschen von dem leben können, was da erwirtschaftet wird. Ob sie gesund bleiben und noch Zeit haben für sich und ihre Lieben.“

Inzwischen hat der Bauer ein paar Steine weggeräumt. „Sieh nur,“ sagt er. „Das ist ein ganz seltenes Kraut. Es wächst nicht überall. Aber wo man es entdeckt, da ist der Boden kostbar! Man muss es freilich pflegen. Sonst geht es ein und verliert seine Heilkraft.“

Der Pfarrer bückt sich. „Vielleicht machen wir es uns zu leicht mit unseren Vereinbarungen und Regelungen, mit den Formularen und Zuständigkeiten. Wir brauchen sie, weil wir sonst gar nicht mehr wissen, wohin vor lauter Arbeit. Aber wer weiß, wie viele von diesen kostbaren Pflanzen wir übersehen, wenn wir nicht losgehen und nachschauen?“ 

Gemeinsam geht es leichter

Mein Kind, geh hin und arbeite heute im Weinberg. Der Sohn antwortete und sprach: Nein, ich will nicht. Danach reute es ihn und er ging hin.

Er spürt die Verantwortung und nimmt sie an. Denn der Weinberg soll wachsen und Frucht bringen, Wein bringen für das Fest und Ertrag für die Familie. Er hat nicht „Ja“ gesagt zu dieser Arbeit. Aber er tut sie.

„Der andere Sohn antwortete und sprach: Ja, Herr! Aber er ging nicht hin.“

Er bleibt im Haus. Ganz in der Nähe des Vaters. Er weiß genau, was getan werden müsste. Aber er bekommt seinen Fuß nicht vor die Tür.

Der Bauer und der Pfarrer haben angefangen, den verlassenen Acker aufzuräumen. Zu zweit kommen sie gut voran.  

„Wie ist das eigentlich mit dir, Pfarrer?!?“ fragt der Bauer nach einer Weile. „Den ganzen Weg über hast du mir erklärt, wie ich das Land bewirtschaften soll. Dabei kannst du doch auch etwas dafür tun!“ – „Und du siehst bei vielen Dingen tiefer und genauer hin ich.“ lacht der Pfarrer. „Du kennst alle Kräuter und weißt viel besser als ich, was dieser Acker wert ist!“ – „Aber du kannst mir helfen, ihn wieder in Ordnung zu bringen. Vielleicht nicht mehr heute Abend. Aber im Lauf der Zeit?!?“

„Wer von den beiden hat des Vaters Willen getan?“ fragt Jesus.

Dass der eine sein „Nein“ zurückgenommen hat und aktiv geworden ist, war nicht einfach Gehorsam. Er tat es, weil es ihn reute. Weil er Mitleid hatte und Liebe zu diesem besonderen Weinberg und zu dem, der ihn dort haben wollte.

Darum dreht sich alles. Denn auch der zweite Sohn wollte dem Vater recht sein. Doch es reicht eben nicht, wenn einer „Ja“ sagt und nicht dabei bleibt. Wenn nur die Form gewahrt wird, aber die Folgen ausbleiben, weil Liebe fehlt. Und Mitleid. Und der achtsame Blick auf das, was unter den Dornen liegt.

Es muss ja nicht so bleiben, dass der eine Sohn „Nein“ sagt und „Ja“ tut – und der andere bleibt zuhause und tut nur so, als ob. Und es kann auch nicht sein, dass der eine vor lauter Arbeit nicht mehr weiß, wo anfangen und wann aufhören – und der andere delegiert und fordert am Ende den Ertrag. „Ja“ sagen – und es auch tun, gemeinsam und voller Dankbarkeit über Gottes Weinberg – das wäre wirklich im Sinne Jesu. Da käme das Reich Gottes zum Vorschein mitten unter uns, so wie die seltenen Kräuter auf dem Acker am Waldrand. Und dann ist es keinem zu viel und doch nicht zu wenig.

„Was meint ihr aber? Wer hat des Vaters Willen getan?“

Das Fest auf der Wiese

Es ist Sommer. Alles blüht, die Felder reifen, die Bäume sind voller Obst.

Und Gott geht durch seine Welt und sieht nach seinen Menschen.

In den Fabriken ist Feierabend. Die Geschäfte machen Ladenschluss. Die Tiere im Stall sind versorgt und die Felder bestellt. Die Kinder sind mit den Schularbeiten fertig und auch in der Kirche gibt es nichts mehr zu tun.

Draußen auf der Wiese haben sie ein Feuer gemacht. Gemüse, Käse und Wurst liegen auf dem Grill. Jemand hat ein paar Decken gebracht für das große Picknick. Frisches Brot geht von Hand zu Hand. Schwer lässt es sich reißen und duftet so wunderbar! Krüge mit Wein und Traubensaft machen die Runde. Schmeckt und seht, was uns geschenkt ist.

Amen.

 

Diese Predigt ist auch erschienen bei "Der Prediger und Katechet" http://www.schwabenverlag-online.de/der-prediger-und-katechet-p-481.html?cPath=33

Perikope
27.08.2017
21,28-32