Christi Himmelfahrt
Vierzig Tage nach Ostern. Heute ist Christi Himmelfahrt. Die Bibel erzählt1, dass es in dieser Zeit nach dem Ostersonntag noch viele Begegnungen gab – zwischen Jesus, dem Auferstandenen, seinen Jüngerinnen und Jüngern. Er war wieder aufgetaucht. Sie haben ihn gesehen, konnten nochmal mit ihm sprechen, und fast war es wie früher. Als wäre er immer noch da.
Aber heute stehen sie und schauen in den Himmel. Recken die Hälse in die Luft. Bis eben war er ganz nah, jetzt ist er – entrückt. In den Himmel gehoben. Wenn die Kinder in der Grundschule ein Bild dazu malen, dann kann man sehen, wie die Gestalt in der Wolke verschwindet – die Füße gucken unten noch ein bisschen raus2. Weil er ja irgendwie bleibt, auch wenn man ihn nicht mehr sieht.
Jesus ist fort, und dennoch halten wir Kontakt. Kaum zu glauben ist das, und gleichzeitig schön. Denn es gibt Spuren seiner Gegenwart. Zusammen mit den Jüngern halten wir Ausschau nach ihm.
Der Blick geht nach oben
Ja, Himmelfahrt ist so ein Tag: Der Blick geht nach oben. In unserem Kirchenkreis geht es wie eh und je hinaus. Gottesdienst im Freien – seit Corona sind wir da Profis geworden. Nehmen mit, was wir brauchen: Regenschirm oder Sonnencreme, Sitzkissen, Strickjacke, Taschentuch, Tee.
Der Blick in den Himmel ist ein Gebet, er ist Hoffnung und Hilferuf. Der Blick in den Himmel richtet mich aus auf eine Wirklichkeit, die mehr ist als das, was vor Augen steht. „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe?“ heißt es im Psalm (Ps 121,1; vgl. auch EG 296). Woher kommen Zuversicht, Trost und neuer Mut in dieser Zeit?
Viele von uns sind „mütend“ (müde und wütend), ungeduldig, ausgelaugt, verzweifelt, erschöpft. Wir sind pandemüde, weil so viel fehlt, seit über einem ganzen Jahr. Der Geburtstag mit Freunden. Der Ausflug ans Meer. Stattdessen in der kleinen Wohnung eingesperrt. Niemand kommt zu Besuch. Fast jede und jeder kennt einen, den es erwischt hat. Die Quarantäne und die Angst. Die Sorge, was passiert, wenn dich die Krankheit wirklich trifft. Wie lange wird das wohl noch gehen?
Komm runter und schau es dir an, Gott. Schick uns Impfstoff, Vernunft, gute Nerven und Hilfe, das alles wird dringend gebraucht. Und nicht nur bei uns, an vielen Orten sieht es richtig finster aus.
Der Blick geht nach oben.
Der Predigttext
Der Verfasser des Epheserbriefs hat einen anderen Blick. Mit etwas Abstand schaut er auf seine Gemeinde und schreibt:
„Darum, nachdem auch ich gehört habe von dem Glauben bei euch an den Herrn Jesus und von eurer Liebe zu allen Heiligen, höre ich nicht auf, zu danken für euch, und gedenke euer in meinem Gebet, dass der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit, euch gebe den Geist der Weisheit und der Offenbarung, ihn zu erkennen. Und er gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, damit ihr erkennt, zu welcher Hoffnung ihr von ihm berufen seid, wie reich die Herrlichkeit seines Erbes für die Heiligen ist und wie überschwänglich groß seine Kraft an uns ist, die wir glauben durch die Wirkung seiner mächtigen Stärke. Mit ihr hat er an Christus gewirkt, als er ihn von den Toten auferweckt hat und eingesetzt zu seiner Rechten im Himmel über alle Reiche, Gewalt, Macht, Herrschaft und jeden Namen, der angerufen wird, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen. Und alles hat er unter seine Füße getan und hat ihn gesetzt der Gemeinde zum Haupt über alles, welche sein Leib ist, nämlich die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt.“ (Epheser 1,15-23)
Das ist ein staunender Blick, voll Dankbarkeit und Freude. Ein Blick voller Liebe und Wertschätzung. Der Apostel hat erkannt, welch starker Glauben in den Menschen wohnt, und er zeichnet ein eigenes Bild. Da ist Christus im Himmel, ganz nahe bei Gott, unserem Vater. Seinem Leib, der Gemeinde, bleibt er verbunden. Und der Briefschreiber wünscht:
„Er gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, damit ihr erkennt, zu welcher Hoffnung ihr von ihm berufen seid, wie reich die Herrlichkeit seines Erbes für die Heiligen ist und wie überschwänglich groß seine Kraft an uns ist, die wir glauben durch die Wirkung seiner mächtigen Stärke.“ (Epheser 1,18-19)
Es ist eine andere Perspektive. Auch wenn wir uns hier unten sehen in all unserer Not und Ratlosigkeit: Wir sind doch Teil eines Großen und Ganzen. Wir gehören zum Christusleib. Wir haben Hoffnung, denn wir sind verbunden mit Gottes Kraft, mit seiner Stärke und Fülle. So sieht es der Epheserbrief.
Gottes Herrlichkeit sehen
Erleuchtete Augen des Herzens. Dass ich die Hoffnung sehen kann, den Reichtum seiner Herrlichkeit, Gottes unbändige Kraft, seine Stärke.
Wenn ich zurückdenke an die vergangenen Monate, dann spüre ich, wie sehr ich mich sehne nach diesen Zeichen seiner Herrlichkeit. Die guten Nachrichten, so unscheinbar sie auch sind. Der Sohn der Freundin: Als er im letzten Jahr mit seiner Schule fertig war, schienen alle Pläne dahin. Keine Reisen, keine Ausbildung, kein erster Job, überall nur Corona. So viele Bewerbungen und keine Rückmeldung, allenfalls mal ein Anruf oder ein Videochat. Dann plötzlich fand er seine Chance. Seit ein paar Wochen hilft er jetzt im Impfzentrum und kommt an jedem Abend fröhlich heim. Die Stimmung ist gut, die Menschen sind freundlich, er hat etwas zu tun und schon manch interessanten Kontakt geknüpft.
Erleuchtete Augen des Herzens. Dass ich die Hoffnung sehen kann. Manchmal, wenn die Sonne scheint und ich mittags etwas Zeit habe, gehe ich zum Gastwirt um die Ecke, kaufe einen Kaffee, und wir halten einen kurzen Plausch. Jaja, die Zeiten sind schlecht, sagt er dann, aber schön, dass du da bist, und irgendwann wird es vorbei sein.
Der Himmel ist weit und trotzdem ganz nah.
Und ich denke an die alte Frau im Krankenhaus, die ich vor Jahren besucht habe. Schon eine ganze Weile lag sie dort, und niemand wusste, wie es mit ihr weiter geht. Wir haben nur kurz miteinander gesprochen, doch ihre Worte haben mich lange begleitet, auf meinem Heimweg und darüber hinaus.
„Ich liege, ich sehe nach oben.“ Ganz ohne Unterton sagte sie das. So viel Vertrauen, viel Ruhe und Gelassenheit. So, wie es kommt, ist es gut.
Amen.
1 I Epistel Apg 1,3-11 und Evangelium Luk 24,(44-49)50-53. Wenn auf die Lesung dieser Texte verzichtet wird, lohnt es vielleicht, an dieser Stelle etwas ausführlicher zu referieren.
2 I Vgl. auch das Bild des Hans Süß von Kulmbach, Christi Himmelfahrt (16. Jh.): https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hans_S%C3%BC%C3%9F_von_Kulmbach…
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Eine muntere Stadtteilgemeinde mit Familien, Jugendlichen, Alleinstehenden, Älteren – die Pandemie hat ihr Leben verändert. Alle sind froh, dass es nun wieder wärmer wird und man sich draußen treffen kann. Der Gottesdienst am Himmelfahrtstag wird vom Posaunenchor begleitet und findet traditionell im Pfarrgarten statt. Sofern die aktuelle Corona-Verordnung es gestattet, kann es ein Kirchen-Café unter freiem Himmel geben.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Der liebevolle Blick, mit dem der Verfasser des Epheserbriefs seine Gemeinde betrachtet, bietet einen starken Kontrast zur Wahrnehmung der aktuellen Situation. Zum klagenden, trotzigen, fordernden Blick in den Himmel gehört daher unbedingt diese andere Perspek-tive: Die erleuchteten Augen des Herzens; das hoffende, starke Vertrauen auf den Vater im Himmel und auf den Sohn, der fern und gleichzeitig nah ist.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Erleuchtete Augen des Herzens zu haben bedeutet: Die vielen kleinen Zeichen zu er-kennen, in denen sich Christi Nähe, seine Kraft und Wirksamkeit zeigen. Die Füße des Auferstandenen, die noch aus den Wolken ragen, sind dafür ein schönes Symbol.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Aus der Fülle der Assoziationen die eine zu wählen, bei der ich verweilen kann, und die anderen „für die nächste Predigt aufsparen“ (so der Rat des Predigtcoachs) – das fällt mir nicht leicht. Umso schöner zu sehen, wie ein Gedanke an Kraft gewinnt, wenn er Platz hat zur freien Entfaltung.