I
‚Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn…‘(Jer 9,22-23/2 Kor 10,17) – bevor du Ihn ansiehst, hat Er dich längst angesehen … Er, der am Kreuze starb.
II
Kinderstreit. ‚Mein Vater ist älter als deiner‘, sagt Julia. Darauf Britta keck: ‚Unser Auto ist viel größer als eures.‘ Julia: ‚Wir fliegen mit dem Flugzeug, Papa bezahlt alles‘. Britta kontert: ‚Wir fahren viel weiter…soooo weit‘. ‚Mein Vater kann einen Handstand, baut Häuser und kauft mir ein Eis‘… Julia versucht es wieder. Britta – nun fast schluchzend: ‚Mein Papa ist der beste auf der Welt …‘ – Hätten die so Hochgelobten gelauscht, so gewiss mit roten Ohren!
III
Was im Kinderwettbewerb komische oder tragikomische Züge trägt, das kann im Leben einer Gemeinde ziemlich dramatisch oder zerstörerisch ausfallen. Paulus hat von rivalisierenden ‚Parteiungen‘ in Korinth gehört, jener Gemeinde, die er selbst wohl gegründet hatte. Er hörte von Spannungen, ja in gewisser Weise auch von einem ‚Väter-Wettbewerb‘. Väter einer besonderen Art allerdings. ‚Ich gehöre zu Paulus, denn der hat mich getauft‘. ‚Ich gehöre zu Kephas , dem Jünger des Herrn‘. ‚Ich wurde von Apollos getauft‘, sagten die dritten, ‚einem ganz besonderen, weisen und lebensklugem Missionar und Prediger‘. So rühmte man in Korinth und bestand darauf: Zwischen dem Täufer und dem Täufling besteht eine tiefe Verbindung. Und man darf folgern – denn in Korinth ging es ja menschlich zu - : Je höher der Täufer geschätzt wurde, je weiter oben er im ranking stand, desto höher stand oder fühlte sich zumindest der Täufling. So ganz fern ist uns das ja nicht: ‚Ich wurde noch von Pfarrer X konfirmiert. Er nannte uns seinen besten Jahrgang.‘
IV
Mancher hätte vielleicht den Rat gegeben, darüber hinweg zu sehen. So sind die Menschen. Aber der sensible Apostel witterte ein Problem. Ein persönliches Problem. Aber besonders eines der Gemeinde und ihrer Auf-Erbauung: Würde in diesem Prestigekampf um den besten Täufer diese in Christus geeinte, in sich so prekäre, so unterschiedliche Gemeinschaft nicht zerrissen werden und heillos in Streit, Machtgezerre und Bevormundung auseinanderbrechen? Alle Vertrauenspotentiale sozusagen verspielt?
In Christus geeint: Ohne ihn gäbe es keinen Täufer und keinen Täufling und beider Beziehung zueinander ist ja in Christus gegründet. Was ist im Vergleich mit ihm ein Täufer? Paulus spricht mit einem gewissen Achselzucken und erstaunlicher Lässigkeit, um seine eigene Taufpraxis zu relativieren: ‚Ja, ich weiß es zwar nicht mehr so genau, aber auch ich habe einige von euch getauft. Aber seid ihr deshalb auf meinen Namen getauft? Mag Apollos weise und klug und unter euch sehr geschätzt sein, ist er etwa für uns gekreuzigt worden? Am Kreuz auf Golgatha hat Gott die Klugheit der Welt, die Machtansprüche der Lehrer und Autoritäten zuschanden gemacht. In Christus, dem gekreuzigten Messias, ist alles menschliche Rühmen ausgeschlossen worden. Wir verkünden das Wort vom Kreuz, ‚eine Torheit denen, die verloren gehen; uns aber, die wir selig werden, ist es eine Gotteskraft‘(V. 18). Aber eben das muss man immer neu lernen: Wie gerade das Kreuz eine Gemeinde formt und stabilisiert – eine Gemeinde und ihren ‚Apostel‘.
V
Mein Vater. Dein Vater. Was Julia und Britta auf ihre kindliche Weise vorspielen, ist ja ein bekanntes Ritual im Kampf um gesellschaftliches Ansehen: Ein potenter Vater macht auch mich mächtig. Selbstbehauptung durch Prestige. Zu wem gehöre ich? Wer schützt mich? Auf welcher Stufe der sozialen Rangordnung stehen meine Eltern, meine Schule, meine Lehrer? Mit der Marke der Stars, ihrem ‚label‘, haben Jugendliche im Rahmen der Kleiderordnung teil am ‚Größeren‘. Indem ich den Therapeuten rühme und den anderen abwerte, zeige ich meine gesellschaftliche Position an. Zu dem Arzt aber gehen nur arme Leute und was den Kindern der Welt recht ist, ist den Gotteskindern sozusagen billig. Paulus versucht, eben diese Normalität zu ‚brechen‘ und unseren Kampf um Anerkennung in die Perspektive des Gekreuzigten zu stellen.
Gewiss, auch der Apostel sieht das oder wird es im Verlauf der Auseinandersetzungen mit den Korinthern lernen: Menschen brauchen Anleitung, Vorbilder, zu denen sie aufsehen können, ja, vielleicht auch ‚weise Führer‘, die eine gewisse Anhänglichkeit zulassen und gestalten. Aber eben: Dieses ‚Dienst-Verhältnis‘ (1.Kor. 3,5) eines Täufers, Missionars, einer Seelsorgerin oder eines Pfarrers oder einer Gruppenleiterin darf nie ‚ungebrochen‘ und darin distanzlos werden oder gar Beziehungen für eigene Wünsche oder Machtansprüche ausnutzen. Ein Täufer dient darin, dass er einen jeden zu seiner Klage und Bitte, seiner Selbstbestimmung vor Gott im Namen Christi anleitet: ‚Zur Freiheit hat uns Christus befreit‘ (Gal 5,1-6).
VI
‚Wir aber predigen den gekreuzigten Christus…‘ (V. 23) Ich sagte es schon: Paulus ist selbst betroffen, hat sozusagen rote Ohren. Sein Name wurde im Zusammenhang des Väter-Wettbewerbs von Korinth ja mit genannt – auch er der ‚Vater der Gemeinde‘, plötzlich der Guru oder Anführer einer Gemeinde-Partei?! Man ahnt die Kränkung, man sieht aber auch, wie Paulus sie verarbeitet. Durch eine starke provokative Beschreibung seines Auftrags – in gewisser Weise durch eine theologisch riskante Flucht nach vorn. ‚Mag Kephas dem Herrn besonders nahe stehen, mag Apollos eine weise, ja: wirklich charismatische Erscheinung sein…und mag ich daneben blass und grau wirken, so will ich doch dies sagen: Nicht kluge Worte machen die Verkündigung aus, sondern die Gabe und die Fähigkeit, vom gekreuzigten Christus zu erzählen, sein Wort zu entfalten und zu verstehen, wie Gott in ihm ,dem Gefolterten und Gemarterten, uns gleich geworden ist. Die Weisheit der Welt, die Sätze der Wissenschaft, die Sprachspiele der Experten beschreiben und erklären und sichern euch die Welt. Wundertäter, Heiler, Mystagogen faszinieren euch. Sie gründen Vereine und Verehrungszirkel .Das Kreuz Christi aber erschreckt und tut weh und das Besondere seiner Gemeinde ist: Eben diesen Gottes-Schrecken lassen wir uns gefallen und verkündigen ihn. Wir erzählen ‚von der Kreuzigung und den Kreuzigungen, von der Gewalt im Alltag der Gesellschaft.‘*
VII
‚Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn …‘ (Jer 9,22-23/2 Kor 10,17) Bevor du Ihn ansiehst, hat Er dich längst angesehen … Er, der am Kreuze starb. Was für ein ‚Prestige‘, welches Ansehen gewinnt denn der, der sich von IHM angesehen weiß? Der erkennt, dass er erkannt wurde? Paulus wird die gesamte Korrespondenz mit den Korinthern dieser Frage widmen: Wie in Christus die Gemeinde eins wird, ohne dass ihre soziale Differenziertheit geleugnet wird und ohne dass die einen Machtansprüche gegenüber den anderen erheben. Er wird um Vertrauen zueinander werben, indem er Probleme und Streitsituationen durchspielt, Rücksicht und Selbstzurücknahme lehrt und schließlich das Hohe Lied der Liebe singt, jener Gottes-Macht, die die Gemeindewirklichkeit nicht verklärt, sondern sie schöpferisch zu gestalten erlaubt. Und: Er wird dies alles an sich selbst ‚demonstrieren‘: Das Wort vom Kreuz zeichnet ja den, der es ausrichtet. Jeder Verkündiger steht neben anderen. Alle stehen gewollt oder ungewollt im Wettbewerb. Julia und Britta mögen das und genießen den Streit der Autoritäten. Aber der ‚Vater‘, der Verkündiger selbst, sein Weg zur Selbstklärung, sein Leid, sein Risiko und sein Dank, sein Schutz und seine Vertrauenswürdigkeit liegen im Inhalt seiner Predigt: Christus, der Gekreuzigte.
VIII
So wie Er, der Gekreuzigte, uns ansieht, so wie Er mit Gottes Augen uns ansieht – gleichsam ohne den Schutzmantel unserer gesellschaftlichen Positionen, unserer Leistungen und Ängste-, so wie er uns erschreckt: ‚Sehet den Menschen!‘ (Joh 19,5), so dürfen wir im Erschrecken zugleich Gottes Solidarität und Liebe erblicken. Ja, diesen Menschen will Gott, sein Geschöpf. Dich will er und in seinen Blick gehüllt darfst du auf deine schwache Weise, ungeniert ob aller anderen Blicke, Gottes Kraft bezeugen – ‚in Furcht und mit Zittern‘ (1.Kor 2,3) und in ‚langmütiger und freundlicher Liebe‘(1.Kor 13,4).
*s. L. Schottroff , Der Erste Brief an die Gemeinde in Korinth (Theol. Kommentar zum NT Bd.7) , 2013, S.33