"Der Glaube – (k)eine Kosten-Nutzen-Analyse?" - Predigt über Lukas 14, 25-33 von Ruth Conrad
14,25

"Der Glaube – (k)eine Kosten-Nutzen-Analyse?" - Predigt über Lukas 14, 25-33 von Ruth Conrad

Der Glaube – (k)eine Kosten-Nutzen-Analyse?
Warum, liebe Gemeinde,
  warum glauben wir eigentlich an Gott?
  Warum beten wir?
  Warum lesen wir in der Bibel?
  Warum beziehen wir unser Leben auf diese Texte und erhoffen von ihnen Auskunft über dieses unser Leben?
  Warum denken wir über unser Leben nach und versuchen es im Licht des Evangeliums zu deuten?
  Warum also glauben wir?
Gewiss, auf diese Frage mag es viele und hinreichend verschiedene Antworten geben. Aber die meisten Antworten scheinen doch in einem Punkt zusammenzulaufen: Weil wir etwas davon haben. Weil der Glaube uns etwas bringt. Und zwar einen Vorteil. Der Glaube hat einen Nutzen.
  In schwierigen Zeiten fühlen wir uns in den göttlichen Zusagen und Tröstungen geborgen. Wir hören und spüren: Ich bin nicht allein. Eine gute Macht birgt mich und mein brüchiges Leben. Von guten Mächten wunderbar geborgen – mit diesem Gefühl und dieser Erwartung lebt es sich besser. Wir fühlen uns aufgehoben in einer jenseitigen Welt. Das Irdische hat in aller Bedrohlichkeit nicht das letzte Wort.
  Der Glaube bringt also Halt und Trost.
  Das macht das Leben besser, weil erträglicher und weil geborgener.
  Das kann ein guter Grund sein, zu glauben.
Es gibt noch andere.
  Zum Beispiel, weil die Texte, auf die der Glaube sich bezieht, Orientierung geben. Die biblischen Texte legen dar, wer der Mensch nach Gottes Vorstellung ist oder eben sein sollte, wie er ein gutes Leben zu führen habe und wie das Zusammenleben der Menschen besser gelingen kann. Die biblischen Texte weisen in unübersichtlichen Situationen einen möglichen Weg. Einen Weg für mein eigenes Leben. Aber auch einen Weg für die Gemeinschaft.
  Der Glaube bringt also Orientierung.
  Das macht das Leben besser, weil klarer und weil ausgerichteter.
  Das kann ein guter Grund sein, zu glauben.
Es gibt noch andere.
  Zum Beispiel, weil wir uns in der Gemeinschaft der Gemeinde zu Hause fühlen. Die Menschen in dieser Gemeinde, in meiner Umgebung sind nett, sie kümmern sich umeinander und um Schwächere, haben angenehme Umgangsformen, haben ein Anliegen, wollen etwas Gutes für sich und die Anderen. Es tut der eigenen Seele gut, sein Leben in der Gesellschaft solcher Menschen zu verbringen.
  Der Glaube bringt also Gemeinschaft und ein Zuhause.
  Das macht das Leben besser, weil weniger einsam und weil weniger kühl.
  Auch das kann ein guter Grund sein, zu glauben.
Für den Glauben also gibt es gute Gründe. Keiner dieser Gründe ist in irgendeiner Form lächerlich oder kleinbürgerlich oder sentimental. Es sind ernstzunehmende Gründe für den Glauben.
  Doch allen diesen Gründen liegt eben auch ein bestimmtes Muster zugrunde: Wir glauben, weil wir uns einen Nutzen davon versprechen. Der Glaube bringt uns etwas – Halt und Trost, Orientierung und Gemeinschaft.
  Nun wird nirgends in der Bibel wird bestritten, dass der Glaube einen Nutzen hat und dass es für den Glauben gute Gründe wird.
  Nirgends wird bestritten, dass der Glaube eine vorteilhafte Sache ist, eine Sache, die das eigene Leben verbessere.
  Nirgends wird bestritten, dass der Glaube Halt und Trost, Orientierung und Gemeinschaft bietet.
  Doch der heutige Predigttext bestreitet, dass der Glaube darin aufgeht, dass er also nur Nutzen, aber keine Kosten kennt.
  Er bestreitet, dass der Glaube in der maximalen individuellen Gewinnoptimierung besteht.
  Der Text bestreitet, dass es im Glauben nur und ausschließlich um die Verbesserung meiner persönlichen Lage geht, also wahlweise um mein Trost-, Orientierungs- oder Gemeinschaftsbedürfnis.
  Der Text behauptet: Wo ein Nutzen, da auch Kosten. Nichts im Leben ist umsonst. Auch nicht der Glaube.
Wir hören aus dem Lukasevangelium, Kapitel 14, die Verse 25 bis 33:
  Es ging aber eine große Menge mit Jesus; und er wandte sich um und sprach zu ihnen: (26) Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein. (27) Und wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein. (28) Denn wer ist unter euch, der einen Turm bauen will und setzt sich nicht zuvor hin und überschlägt die Kosten, ob er genug habe, um es auszuführen, (29) damit nicht, wenn er den Grund gelegt hat und kann's nicht ausführen, alle, die es sehen, anfangen, über ihn zu spotten, (30) und sagen: Dieser Mensch hat angefangen zu bauen und kann‘s nicht ausführen? (31) Oder welcher König will sich auf einen Krieg einlassen gegen einen andern König und setzt sich nicht zuvor hin und hält Rat, ob er mit zehntausend dem begegnen kann, der über ihn kommt mit zwanzigtausend?
  (32) Wenn nicht, so schickt er eine Gesandtschaft, solange jener noch fern ist, und bittet um Frieden. (33) So auch jeder unter euch, der sich nicht lossagt von allem, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein.
Liebe Gemeinde,
  Wenn wir Menschen uns zwischen zwei Alternativen entscheiden müssen, dann wägen wir Gründe ab und entscheiden uns allermeist für diejenige Alternative, die uns für unser Leben einen Vorteil bringt. Wir wägen Vor- und Nachteile ab und machen eine Kosten-Nutzen-Analyse und dann entscheiden wir. Alles andere wäre fahrlässig.
  Nur der sollte einen Turm, einen Flughafen oder einen Bahnhof bauen, der berechnet und geprüft hat, dass er auch Mittel hat, das Vorhaben zu Ende zu bringen. Sonst gibt er sich selbst der Lächerlichkeit preis und macht sich des Größenwahns verdächtig.
  Nur der sollte einen Krieg, ob im Großen oder Kleinen, anzetteln, der eine realistische Gewinnoption hat. Alles andere wäre fahrlässig und maximal leichtsinnig. Einen solchen Menschen würde man der Unverantwortlichkeit gegenüber sich und gegenüber anderen verdächtigen.
  Wer den Vorteil, den Nutzen will, muss wissen, dass er die nötigen Kosten aufbringen kann oder aufzubringen bereit ist. Wer sich hier verkalkuliert, verliert leicht alles. Die Alltagserfahrung bestätigt diese Einsicht, manchmal auch gerade als Negativbeispiel.
  Warum nun überträgt Jesus diesen Sachverhalt auf den Glauben?
  Weil es im Glauben wohl immer auch um mehr geht als um meinen Seelentrost, meinen Wunsch nach Orientierung im Leben, meine Sehnsucht nach Gemeinschaft.
  Es geht im Glauben immer auch darum, dass etwas als wahr erkannt wird und dass man dann für diese Einsicht einsteht. Die Wahrheit hat einen Preis. Und der ist manchmal sehr hoch. Die Wahrheit verlangt einen Einsatz.
  Gewiss: wir leben in einer Gesellschaft, in der der Glaube eine Möglichkeit unter vielen ist. Und wenn der Preis des Glaubens zu hoch ist, dann wählen Viele womöglich ein billigeres Angebot. Ein Angebot, dass mehr persönlichen Vorteil für geringere Kosten und niedrigeren Einsatz fordert. Aber damit wird diese Einsicht nicht hinfällig. Christen in anderen Ländern erfahren dies tagtäglich. Sie erleben, dass der Glaube nicht nur Nutzen, nicht nur individuelle Seelen-Wellness bietet, sondern zuweilen einen hohen Einsatz verlangt. Weil er für eine Wahrheit steht.
  Wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein.
  Und wer sich nicht lossagt von allem, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein.
Der Text erinnert uns daran, dass die Wahrheit des christlichen Glaubens nicht in seinem Nutzen für unser persönliches Wohlergehen aufgeht. Vielmehr hat die Wahrheit des Glaubens immer auch einen Preis. Und manchmal fordert sie einen Einsatz, wo nicht unmittelbar ein schneller Vorteil winkt.
  Wir können uns das unmittelbar klar machen.
So gewiss der Glaube die Möglichkeit der Orientierung birgt, so gewiss kann Orientierung auch Korrektur des eigenen Verhaltens bedeuten. Wenn die Bibel ein bestimmtes Verhalten als sozial verträglicher als ein anderes beschreibt, dann gilt das eben auch für mich. Beispiel: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten. Das steht, auch wenn manchmal eine gezielte Indiskretion oder eine kleine fiese Intrige näherliegt, weil sie mehr Vorteil verspricht. Man könnte selbst in besserem Licht erscheinen, hätte sich strategisch besser positioniert, hätte den anderen nachhaltig geschwächt. Aber das Wort steht. Sein Wahrheitsgehalt gilt: Der Nächste ist nicht Objekt meiner Profilierungssucht. Er ist Gottes Gabe an mich.
So gewiss der Glaube die Möglichkeit der Gemeinschaft birgt, so gewiss lebt diese Gemeinschaft auch von meiner Uneigennützigkeit, von meinem Einsatz, von meiner barmherzigen Tat, von meinem großmütigen Herzen. Die Gemeinschaft lebt davon, dass ich nicht aus jeder Begegnung eine win-to-win-Situation meine machen zu müssen, dass ich den anderen auch einen Platz in der Sonne gönne. Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. Das Wort steht. Sein Wahrheitsgehalt gilt: Gemeinschaft funktioniert nur, wo nicht jeder sich für deren Zentrum hält, sondern sich mit den anderen verbindet.
Wer diese Kosten, diesen Einsatz des Glaubens nicht berücksichtigt und einkalkuliert, verliert leicht alles  - die Wahrhaftigkeit des Charakters, die Lauterkeit des Herzens, die Überzeugungskraft des Glaubens.
  Wer diese Kosten, diesen Einsatz des Glaubens nicht berücksichtigt und einkalkuliert, gibt sich womöglich der Lächerlichkeit preis, gilt als Windhund, als religiöser Karrierist, der nur den eigenen Vorteil kennt.
  Wer diese Kosten, diesen Einsatz des Glaubens nicht berücksichtigt und einkalkuliert, bringt sich und seine Seele womöglich nicht ans Ziel. Wer aber bis ans Ende beharrt, der wird selig werden.
Liebe Gemeinde,
  dieser Text ist maximal realistisch. Denn er erinnert uns daran: Nichts im Leben ist umsonst. Auch nicht der Glaube. Wer vom Glauben einen Nutzen möchte, der muss auch dessen Kosten in Kauf nehmen. Der Glaube geht nicht darin auf, dass er mein persönliches Glück maximiert. Die Wahrheit des Glaubens, sie kommt als Trost und als Orientierung zu uns und sie schenkt uns die Gemeinschaft wohlwollender Menschen. Sie hat einen Nutzen für unser Lebens. Aber zugleich hat diese Wahrheit des Glaubens immer auch einen Preis. Und wer den Nutzen möchte, der sollte auch den Preis einkalkulieren. Das mag in Zeiten, in denen Geiz geil und das Prinzip der umfassenden Kostendämpfung auch die privaten Umgangsformen und Beziehungen bestimmt, in solchen Zeiten mag diese Einsicht etwas aus der Zeit gefallen wirken. Und in einer Gesellschaft, in der der eigene Vorteil handlungsleitend gesetzt ist, mag eine solche Glaubenseinsicht als knallhartes Argument gegen den Glauben scheinen. Ein Glaube, der Kosten kennt, ein solcher Glaube scheint für Manche kein attraktives Angebot zu sein. Und ganz offensichtlich wurden auch schon die Jünger damals von dieser Frage umgetrieben: Was bringt der Glaube, wenn er zeitweilig mehr kostet als nützt? Einige Kapitel nach dem Predigttext fragt Petrus Jesus (Lk 18,28-30): Siehe, wir haben, was wir hatten, verlassen und sind dir nachgefolgt. Kurz: wir haben einen hohen Preis für die Wahrheit und für den Glauben eingesetzt. Und was bringt’s? Was haben wir davon? Jesus antwortet: Wahrlich, ich sage euch: Es ist niemand, der Haus oder Frau oder Brüder oder Eltern oder Kinder verlässt um des Reiches Gottes willen, der es nicht vielfach wieder empfange in dieser Zeit und in der zukünftigen Welt des ewigen Lebens.
Wer einsetzt, gewinnt.
  Gewinnt Trost und Halt, Orientierung und Gemeinschaft.
  Ja, sogar ewige, seelige Gemeinschaft bei Gott.
  Am Ende hat der Glaube einen Nutzen.
  Er lässt ihn sich eben auch etwas kosten.
  Sonst wäre er ja auch nichts wert.
  Amen