Der Glaube hilft - Predigt zu Matthäus 22, 23-33 von Jens Junginger
22,23-33

„Der Glaube hilft“

„Blick in die Ewigkeit...“ lautet der Titel eines mehrere hundert Seiten starken Buches. Geschrieben hat es ein Medizinprofessor an der renommierten amerikanischen Havard- Universität. Er hat darin seine Erfahrungen während eines 7-Tage dauernden Komas festgehalten.[1] Er ist nicht der erste, der über seine Nahtoderfahrungen schreibt.

Die Wissbegierde darüber, worüber wir nichts wissen, über den Tod, ist enorm. Noch viel mehr in einer Zeit wie der unsrigen, in der Zahlen, Daten, Fakten nahezu lebensentscheidend zu sein scheinen. Wir wollen wissen, messen, planen und Risiken und Nebenwirkungen im Griff haben.

Also auch den Tod. Und das, was danach kommt.

Der Mediziner gibt sich in seinem Buch als jemand aus, der nach seiner Nahtoderfahrung als bekehrter, frommer gläubiger Mensch detailgenau beantworten kann, wie es ein wird.

Er hat einen Blick ins Jenseits geworfen.

Sein Werk verkauft sich gut. Ein fantastischer Ausflug in ein mitunter etwas schlichtes kitschiges Wunderland hinter dem Horizont, sagen Leute, die das Buch gelesen haben.

Die Sadduzäer, eine Gruppe gut situierter Gelehrter zurzeit Jesu, hatten ihren – wie sie meinen - begründeten Zweifel an der Auferstehung. Und damit sind sie auch heute nicht die einzigen. Ich lese einen Abschnitt aus dem 22. Kapitel des Matthäusevangeliums (nach der Übersetzung der Basisbibel):

An demselben Tag kamen Sadduzäer zu Jesus. Diese Leute behaupten, dass es keine Auferstehung der Toten gibt. Sie fragten Jesus: 24"Lehrer, Mose hat gesagt: 'Wenn ein Mann stirbt, der keine Kinder hat, dann soll sein Bruder die Frau heiraten und so dem Verstorbenen Nachkommen verschaffen.' 25Nun gab es bei uns sieben Brüder. Der erste heiratete und starb kinderlos. Deshalb heiratete sein Bruder die Witwe. 26Ihm erging es genauso. Auch dem dritten bis hin zum siebten. 27Als Letzte von allen starb auch die Frau. 28Bei der Auferstehung der Toten nun: Mit wem von den Sieben wird die Frau dann verheiratet sein? Alle haben sie ja zur Frau gehabt." 29Jesus antwortete ihnen: "Ihr irrt euch! Ihr kennt weder die Heiligen Schriften, noch wisst ihr, wie groß Gottes Macht ist. 30Wenn die Menschen vom Tod auferstehen, werden sie nicht mehr heiraten und nicht mehr geheiratet werden, sondern sie werden leben wie die Engel im Himmel. 31Was aber die Auferstehung der Toten angeht – wisst ihr nicht, was Gott euch gesagt hat: 32'Ich bin der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs.' Gott ist doch nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden." 33Die Volksmenge hatte Jesus zugehört. Sie war von seiner Lehre tief beeindruckt.

Die Frage nach der Auferstehung der Toten begegnet uns am unmittelbarsten, wenn wir unsere Toten begraben. Auf dem Friedhof.

Im Laufe des heute zu Ende gehenden Kirchenjahres waren einige von ihnen bei Begräbnissen und Beisetzungen auf dem Friedhof. Trauernd, Abschied nehmend.

Langsam geht man von der Trauerhalle in Richtung Grab. Alle schweigen. Der Tod eines Menschen ist bedrückend und stimmt nachdenklich. Er, sie, ist nicht mehr unter uns, ist nicht mehr ansprechbar. Braucht auch einen nicht mehr. Und es wird einem selbst bewusst: „wir alle müssen sterben“, unser eigenes Leben ist begrenzt.

Die Grabsteine sind stille Zeugen. Sie tragen Namen, Jahreszahlen. Sie erinnern an Menschen, die vor uns gelebt haben. Sie säumen den Weg der eigenen Trauer. Viele sind es, unzählige. Vielfach gelebtes Leben.

Es ist beschwerlich dem Tod so unmittelbar nahe zu sein. Jüngere Menschen halten es kaum aus.

Ich erinnere mich an einen solchen Gang zum Grab. Wenige Wochen ist es her: Vereinzelt fallen Blätter von den Bäumen. Auch sie haben ihre Zeit des Grünens und Entfaltens hinter sich. Ihre Lebenskraft ist dahin.

Goldgelbe Blätter winken noch von den Bäumen. Sonnendurchleuchtet schwingen sie an den Ästen. Und die, die zu Boden schweben, die fallen, fallen wie von weit, als welkten in den Himmeln ferne Gärten.[2]

Wärmende Herbstsonne, die goldenen Blätter, ein leiser Windhauch – um uns. Die Dunkelheit des Todes, das Schwarz der Trauernden, die Schwere des Augenblicks – in uns. Zwei gegensätzliche Stimmungen: Tod und Leben, Trauer und Licht in einem. oder: Leuchtet da „Die güld‘ne Sonne, voll Freud und Wonne“? Dem Tod zum Trotz ? Der Liederdichter Paul Gerhardt empfindet in der letzten Strophe zu diesem Lied die güld‘ne Sonne auch als Ausdruck für: Freude die Fülle und selige Stille wird mich erwarten im himmlischen Garten, dahin sind meine Gedanken gericht‘.

Die Sadduzäer – wir haben es gehört - halten jeglichen Gedanken, jegliches Bild, jegliche Vorstellung darüber, was nach dem Tod ist, für gänzlich abwegig. Das illustrieren sie an einem – wie ich finde - etwas bewusst konstruiertes, geradezu absurdes Szenario: An der Beispielgeschichte einer mehrfach verwitweten, wieder verheiratete und dann verstorbene Frau. Die Wiederheirat mit den jeweils Verwandten der verstorbenen Männer diente in der damaligen patriarchalen Welt dazu, dass Frauen existentiell, materiell und sozial geschützt und gesichert bleiben sollten.

Dass man auch alleine auf eigenen Füßen stehen kann, war unvorstellbar und tatsächlich so gut wie nicht möglich.

Wenn alle auferstehen, die Frau und die verstorbenen Ex-ehemänner? Wessen Ehefrau ist sie dann? fragen die Sadduzäer. Jesus zeigt gegenüber solchen Vorstellungen klare Kante: „Ihr irrt“. Ihr habt ein völlig irrige Vorstellung, denn wenn die Menschen vom Tod auferstehen, werden sie nicht mehr heiraten und nicht mehr geheiratet werden. Eine Fortsetzung des gelebten Lebens, einfach eine Weiterführung der Beziehungen, von Partnerschaften, Familienleben von Freundschaften oder Feindschaften, so wie sie gepflegt wurden von Kungeleien und Rivalitäten, von Vetterleswirtschaft und Korruption, von Zoff und Spannungen, von Menschenhandel und Rassismus von Ausbeutung und Erniedrigung einfach unter ein bisschen anderen Bedingungen  – das wird nicht sein.  Gott wird alle Tränen von ihren Augen abwischen, Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen Sie werden leben wie die Engel im Himmel sagt Jesus. Er öffnet einen weiten Raum für schönes, heiteres, verrücktes auch, für einen beflügelnden Glauben für ein gelassenes Vertrauen darauf, dass danach eben nicht alles aus ist. Vielmehr werden da neue Freiräume eröffnet, für Selbsterkenntnisse und Fremderkenntnisse, für Gespräche, für Geselligkeit, für viel Zeit und für ein besseres Verstehen.  

Der Theologe Karl Barth hoffte als Wissenschaftler ganz darauf im Himmel Kollegen treffen zu können, die vor ihm gelehrt hatten, gegen die er sich deutlich abgegrenzt hatte.

Er stellte sich vor, sich mit demjenigen Kollegen ein paar Jahrhunderte lang ausgiebig unterhalten zu können, dessen Ansichten er am meisten widersprach. Und er meinte: „das wird eine sehr ernste Sache, aber wir werden uns aber auch gegenseitig sehr festlich anlachen.“[3]

Mit einer solchen bildhaften Beschreibung füllt Karl Barth den weiten himmlischen Raum für das Leben der Engel, seien es, Theologen, Wissenschaftler und für ganz normale, wie Du und ich.

Entspannt, entschleunigt wirkt so die Begegnung der beiden Gelehrten, die sich im realen Leben nie kennenlernen und nie miteinander reden konnten. Weil der eine 1834 gestorben ist und der Andere 1886 geboren wurde.

Jetzt endlich soll es möglich werden.

Eine schöne Aussicht, auf die Ewigkeit, in die wir keinen Einblick haben, worüber wir einfach nichts wissen. Woran wir nur glauben, worauf wir hoffen können.

Lassen wir es damit genug sein. Wir wollen nämlich unser Herz, unseren Verstand unseren Glauben nicht an einen Gott der Toten verlieren.

Wir, Sie, als diejenigen, die jetzt hier und heute leben, weiter leben, sich erinnern, der Verstorbenen gedenken, sich zugleich sorgen, bangen, um das was sie persönlich umtreibt, was kommt, was auf uns zukommt, was sich ändert, was nicht absehbar ist, wir, Sie, liebe Gemeinde wir sind hier und jetzt auf Gott angewiesen, für unser Leben, für unser Zusammenleben.

Wenn wir unsere Wirklichkeit vor Augen geführt bekommen, dann wollen wir am liebsten oft wegschauen, die unerträglichen Bilder und Zahlen wegklicken.

Weil der herbeigeführte, menschlich verursachte Tod so sehr alltägliche Realität geworden ist. Aber diese unangenehmen Tatsachen werfen unweigerlich die Frage auf:

Haben wir uns willentlich, unwillentlich nicht doch in den Gott der Toten verliebt? Genießen wir nicht auf groteske Weise den tödlichen Eingriff in die göttliche Architektur ?

Der begeisterte Bergsteiger und Fotograph James Balog stellt in einer Szene des Dokumentarfilms „Chasing Ice“ (d.h. „Gejagtes Eis“)bestürzt fest: [4]

Da, wo bei seiner letzten Exkursion noch gigantische Eiszungen in die Landschaft ragten, ist nur noch ein wenig schmuddeliger Matsch und Geröll zu sehen.

Das erinnert mich – so sagt er „… an einen Menschen, der im Sterben liegt.“ Sind die unerhörten, unverschämten rücksichtslos zerstörerischen Eingriffe in die göttliche Architektur nicht doch mehr ein Ausdruck eines Glaubens an den Gott der Toten? So hat es offenbar den Anschein, nicht nur für ihn.

Und doch wollen wir intuitiv diesem Eindruck widersprechen. Aus unserer tiefen Sehnsucht heraus, dass wir alle das Leben in Fülle haben und miteinander teilen können. Dass „nicht aufhör‘n soll Saat und Ernte Frost und Hitze“, im festen Glauben was noch möglich ist. Dass Gott, ein Gott der Lebenden sein möge. Lehre uns, bedenken, Gott, dass wir sterben müssen auf dass wir klug werden. „(Psalm 90)

Auf dem Sterbebett sagte der Vater einer guten Freundin zur Überraschung der Familienangehörigen, die um ihn waren: „Es ist der Glaube, der hilft“.

Liebe Gemeinde,

Es ist mein fester Glaube, dass jener gute Freund, den ich vor 38 Jahren durch einen tödlichen Verkehrsunfall verloren habe, lebt, auch wenn er gestorben ist. Ja, lebt, im himmlischen Garten bei Freude die Fülle. Lebt, in dem was ihm wichtig war und uns verbunden hat: Der Glaube und die Hoffnung, die Sehnsucht dass das Leben auf diesem kleinen blauen Planet gelingen möge, dass es friedlicher und versöhnter zugeht dass wir alle zusammen klüger werden, aus der Freude am Schönen, aus der Freude am Wechsel des Grünens und Verwelkens der Blätter, und am Aufgang der Sonne der Gerechtigkeit.

Gott – so bezeugen es uns die Heiligen Schriften vom Anfang bis Ende - ist ein Gott der Lebenden, aller Arten und vor allem der Unarten des Todes zum Trotz.

Es sind nicht die Nahttoderfahrungen.

Es ist der Glaube, der hilft.

Amen

 

[1] Vgl. DIE ZEIT 29.Mai 2013, Kurzer Trip ins Jenseits

[2] Vgl: Rainer M. Rilke: Herbst

[3] Zit. Nach. Isolde Karle “Erzählen sie mir vom Jenseits“ Ev.Theologie 5/2005, S.346

[4] Süddeutsche Zeitung vom 9./10.November 2013, S.13

 

Perikope
24.11.2013
22,23-33