Der Heilige Geist als Rückenwind in unserem Leben – Predigt zu 2.Timotheus 1,7-10 von Thomas Volk
1,7-10

Liebe Gemeinde,
wann und wo haben Sie zum letzten Mal Wind ganz bewusst gespürt? Wind, der die Blätter an den Bäumen bewegt. Wind, der die großen Windräder zum Drehen bringt. Wind, der die Drachen der Kinder auf den Feldern steigen lässt.
Vielleicht haben Sie ihn aber auch bei einer Radtour gespürt, als er Ihnen von vorne kräftig entgegengekommen ist und sie fest in die Pedalen treten mussten? Oder im Sommer, als sie in den warmen Nächten das Fenster nachts offen hatten und sie dann am frühen Morgen ganz leise einen kühlen Windhauch gespürt haben? Oder als Sie im Garten oder auf einer Parkbank gesessen sind und der warme Septemberwind der letzten Tage ihr Gesicht angenehm umspielt hat?

Gottes Geist schenkt Rückenwind
Das heutige Schriftwort aus dem 2. Timotheusbrief wird für mich besonders anschaulich, wenn ich mir den Geist Gottes wie einen besonderen Wind vorstelle, von dem man nie zu viel bekommen kann. Ich meine den Rückenwind.
Wenn man ihn beim Fahrradfahren spürt, kann man glatt noch einmal so viele Kilometer zurücklegen. Und beim Wandern kann man erleben, wie die Schritte leichter werden, wenn man von hinten regelrecht angeschoben wird.
Wenn man sich Gottes Geist wie einen angenehmen Rückenwind vorstellt, dann ist das eine schöne Umschreibung, dass man im Leben immer weitergehen kann. In eine neue Woche. In ein neues Schuljahr. In ein weiteres Semester. In ein neues Arbeitsprojekt. In diesen Herbst, der vielleicht nicht nur golden und mild sein wird.

Keinen „Geist der Furcht
Das Schriftwort spricht davon, dass Gott uns nicht einen „Geist der Furcht“ gegeben hat, der wie ein Sturm von vorne uns entgegenkommt und bewirkt, dass wir uns verkriechen oder uns zurückziehen.
Furcht lähmt. Nicht nur beim Kaninchen vor der Schlange, das unfähig ist, sich zu bewegen und wegzulaufen. So geht es auch uns in manchen Situationen.
In der Furcht kommt nichts in Bewegung. Man arrangiert sich mit einer misslichen Situation. Ist bedacht, nur keinen zu Fehler machen. Wartet ab. Ist in der Abwehrhaltung. Muss sich ständig rechtfertigen und sich mit den Widrigkeiten, wie sie gerade sind, abfinden. Redet sich ein: „Ich schaffe das nicht. Ich traue mich nicht. Ich will keine Umstände machen.“

Das Evangelium nicht verwalten
Damals schon, Anfang des zweiten Jahrhunderts, als dieser 2. Timotheusbrief geschrieben wurde, lähmte der „Geist der Furcht“ die Kirche. Die Zeit Jesu und der Aufbruchsgeist lagen fast 100 Jahre zurück. Nun hat die Kirche zum ersten Mal feste Strukturen mit einem Gemeindeleiter, Diakonen und Ältesten. Das war einerseits hilfreich. Andererseits bestand bereits damals die Gefahr, dass das Evangelium in gewisser Weise nur noch verwaltet wurde. Und Gottes Geist, der dem Glauben Rückenwind gibt, kommt nicht mehr durch das Dickicht der kirchlichen Verordnungen und moralischen Bestimmungen.
Der Brief wird an Timotheus, einer der Gemeindeleiter,  geschrieben. Er wird ermuntert, den Gott zu bezeugen, dessen Geist uns Rückenwind schenkt

Heute kann der „Geist der Furcht“ die Kirche lähmen, wenn man meint, dass alles – auch in unseren Gottesdiensten – so sein und bleiben muss, wie es einmal gewesen ist. Und man gar nicht mehr merkt, dass diese Worte und diese Sprache die Menschen nicht mehr berühren und bewegen.
Gottes Geist stelle ich mir deshalb wie einen Rückenwind vor, weil er uns in unserem Leben und in der Kirche anstoßen und uns zu verstehen geben möchte: „Komm, lass dich bewegen. Ich gebe dir Rückenwind! Du kannst mutig nach vorne schauen! Weitergehen! Es auch einmal anders probieren! Du hast noch viel vor dir! Ich helfe dir dabei!“

1. Der „Geist der Kraft
Dazu hat uns Gott den „Geist der Kraft“ gegeben.
Wo brauchen Sie mehr Kraft? Mehr Antrieb? Mehr „langen Atem“? Mehr Durchhaltevermögen? Oder wo geben Sie viel zu schnell auf?
Ich habe eine große Achtung vor der Frau, die sich nach ihrer Hüftoperation jeden Tag regelrecht um den Häuserblock kämpft. Die Bewegung tut ihr gut. Und sie weiß, dass sie sich nicht aus eigenem Vermögen aufmacht, sondern sich von einer großen Kraft ermuntert weiß, jeden Tag neu und bei jedem Wetter.
Oder ich denke an den 60-Jährigen, der sich zur Aufgabe gesetzt hat, einmal in der Woche einen ganzen Nachmittag einen älteren Mann zu betreuen und mit ihm seine Zeit zu teilen. Einkaufen fahren. Spazieren gehen. Zuhören, auch wenn sich die Gespräche immer um das Gleiche drehen. Einfach ist das nicht. Und manchmal möchte er am liebsten absagen. Aber er lässt sich Woche für Woche doch irgendwie gerne auf diese besonderen Stunden ein.
Oder die Eltern, die nicht aufhören, ihren Sohn, der bald 30 wird, zu unterstützen, damit er endlich einmal selbst auf eigenen Beinen stehen kann. Sie sind fest davon überzeugt, dass er es eines Tages schaffen wird.
Dieser „Rückenwind“ Gottes schenkt uns einen langen Atem in einem manchmal anstrengenden und fordernden Leben, in dem nicht immer alles „volle Kraft voraus“ geht.

2. Der „Geist der Liebe
Damit wir uns bei aller Kraftanstrengung nicht verkrampfen oder uns vielleicht zu viel zumuten, ergeht an Timotheus und an uns die Erinnerung: Gott hat uns auch einen „Geist der Liebe“ gegeben.
Es ist wie eine Erinnerung: Wem willst du etwas „Liebes“ sagen? Wo willst du einen Dank endlich mal loswerden? An wen die Karte mit dem großen Herz schreiben und abschicken, die schon so lange in der Schublade liegt? Gegenüber den Personen, die es wirklich verdient haben, mit Komplimenten nicht so geizen?
Der einen Person endlich sagen, was sie dir bedeutet? Oder ihr eine Nachricht schreiben, was du für sie empfindest?
Wer wartet gerade auf dich? Auf deine Nähe? Auf ein aufbauendes Wort von dir? Wer braucht deine Fürsorge? Deine Unterstützung? Deine Zärtlichkeit?
Die Erinnerung geht auch anders herum: Der „Geist der Liebe“ schenkt dir einen wachen Blick und offenes Herz, damit du wahrnimmst, wer alles Mögliche für dich in die Wege leitet. Dich versorgt, in den Arm nimmt, bekocht, für dich betet, dir den Rücken freihält.
Und wer  in den Sommerferien ums Gemeindehaus den Rasen gemäht und die Blumen gegossen hat. Welche Person ist unerlässlich geworden, damit an den Gemeindenachmittagen alle Kaffee und Kuchen haben? Wer sagt auch mal ein ehrliches, kritisches Wort, dort, wo alle nur betreten schweigen?

3. Der „Geist der Besonnenheit
Als drittes, neben dem Geist der Kraft und der Liebe, fügt der Schreiber des Timotheusbriefes den „Geist der Besonnenheit“ hinzu: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit“ (V.7).
Wie stellen Sie sich Besonnenheit vor?
Für mich ist es das Durchschnaufen oder das Überlegen, bevor ich etwas tue.
Bevor der „Geist der Besonnenheit“ uns antreibt, hält er uns erst noch einmal kurz zurück und lässt uns bedenken: „Stopp! Warte! Hast du nicht was vergessen, bevor du wieder loslegst?“
Das kann es geben, dass wir manchmal neben allen Kraftanstrengungen und allem Aktivismus etwas Wichtiges nicht im Blick haben. Und manchmal wollen wir zwar etwas Bestimmtes unbedingt erreichen, aber wir führen es einfach schlecht aus.
Da möchte jemand im Besuchsdienst ganz viele Personen besuchen. Das Anliegen ist ehrenwert, aber dann merkt man, dass man sich völlig überfordert hat. Man kann gar nicht mehr allen zuhören und alle Geschichten aufnehmen. Besuche machen ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die Kraft und Liebe fordert.
Der „Geist der Besonnenheit“ bewirkt, dass das, was wir tun, auch Hand und Fuß hat. Er lässt uns - bevor wir starten - erst einmal durchatmen und fragt uns: „Überlege mal: Hast du an alles gedacht? Wen brauchst du noch? Wissen alle, was sie zu tun haben? Hast du nichts Wesentliches vergessen? Und verkrampfe nicht, wenn es nicht so läuft, wie du es gedacht hast.“
Es ist keinem gedient, wenn alles christliche Tun in Windeseile angestoßen wird. Schnell kommt dann alles wieder zum Stillstand, weil durch irgendeine Unachtsamkeit der Wind aus den Segeln genommen wurde.

Der Dreiklang Kraft, Liebe und Besonnenheit
Gottes Geist gibt uns Rückenwind in diesem Dreiklang von „Kraft, Liebe und Besonnenheit“. Er hilft uns, dass wir nicht müde werden und nicht aufgeben. Er lässt uns in unsere Zukunft aufbrechen, dass wir sie auch gestalten können.
Wir werden dabei bei uns und in unserer Kirchengemeinde vielleicht manche Flaute in Kauf nehmen müssen. Und manchmal werden wir vielleicht den Moment verpassen, wo es gut wäre, wenn wir unsere Segel setzen würden.

Aber wir können darauf vertrauen, dass der Geist Gottes uns immer wieder antreibt, um das Leben mit allem Schönen, aber auch mit allen Herausforderungen zu bewältigen. Es ist uns verheißen, dass wir alle windstillen Zeiten aushalten können. Und alle Stürme, in denen so manche Hoffnung zunichte gemacht wird. Oder wir so manches, was man sich aufgebaut hat, weggeweht wird, durchstehen werden. Durch „Christus Jesus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium“ (V.10). So hat es der Briefschreiber an Timotheus am Schluss noch einmal deutlich betont.
Wenn schon am Anfang der Bibel davon die Rede ist, dass wir Menschen nur dann wirklich lebendig sind, wenn Gottes Geist uns berührt (vgl. 1. Mose 2,7), umso mehr dürfen wir darauf bauen, dass Gottes Geist uns im Leben immer weiter bewegt.
Der „Wolken, Luft und Winden“, gibt Wege Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann (EG 361,1).
Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes (Römer 15,13).

Perikope
11.09.2016
1,7-10