Schwarzsehen lähmt! - Predigt zu 2. Timotheus 1, 7-10 von Lucie Panzer

Schwarzsehen lähmt! - Predigt zu 2. Timotheus 1, 7-10 von Lucie Panzer
1, 7-10

Wer schwarz sieht, kommt nicht voran. Kein Weg ist zu sehen und erst recht kein Ziel, für das es lohnt, sich zu engagieren. Wer schwarz sieht, kann eigentlich nur noch auf der Stelle stehen bleiben und klagen. Oder man versucht es mit Verzweiflungstaten, aus der vermeintlichen Sackgasse heraus zu kommen.

Untergangspropheten und Verschwörungstheoretiker versetzen die Menschen in Panik. In diesen Wochen kann man erleben, wie Präsident Trump in den USA die Angst vor Chaos und Revolution anheizt. Wenn wir uns nicht wehren, werden die anderen uns wegnehmen, was wir hart erarbeitet haben, hämmert er seinen Wählern ein. Hier in Deutschland haben viele Angst vor den vielen Menschen mit ausländischen Wurzeln, die eine neue Heimat und sichere Existenz bei uns suchen. Die deutsche Kultur geht dabei verloren, sagen sie, bald sind wir Fremde im eigenen Land. Und wegen Corona fürchten viele den wirtschaftlichen Totalzusammenbruch und den Verlust demokratischer Rechte in Deutschland.  

Wer so denkt und schwarz sieht, der sucht verzweifelt nach Auswegen. Schwarz sehen macht einen ganz verrückt. In einer kleinen Bemerkung ziemlich am Anfang der Bibel wird erzählt, wie das anscheinend schon immer war.

In der Zeit, als die Israeliten in Ägypten lebten, ging das zunächst anscheinend ganz gut. Sie arbeiteten zusammen, bauten auf, gründeten Familien, das Land prosperierte – auch wegen der hebräischen Arbeiter im Land. Aber dann kam ein neuer Pharao, der sah nicht, wie sehr die Fremden dem Land nützten. Er sah bloß: Sie werden immer mehr. Wenn das so weiter geht, spekuliert er, „wenn ein Krieg ausbräche, könnten sie sich zu unseren Feinden schlagen und gegen uns kämpfen“. Lauter Spekulationen. Befürchtungen. Lauter Konjunktive. Noch gibt es keinen Anlass, aber: „Es könnte, vielleicht womöglich…“ (Ex 1, 10) Und dann die grausame Konsequenz, die der Pharao zieht: Wir wollen sie mit List niederhalten, damit sie nicht noch mehr werden“ – Sie wissen vielleicht, was dann kam: erst harte Sklavenarbeit und als das nichts half, der Befehl, alle ausländischen Jungen zu töten.

Schwarzsehen lähmt. Zur Zeit der ersten Christen war es ein einzelner, der das erlebt hat. Die winzig kleine Schar der Christen hatte kaum Aussichten auf ein gutes Leben im riesigen römischen Reich. Und ausgerechnet ein junger Mann namens Timotheus sollte nun Gemeindeleiter werden. Kein Wunder, dass Timotheus Angst hat, die Leitung einer Gemeinde zu übernehmen.

Ermutigung für Schwarzseher

Da schreibt ihm Paulus oder eher einer seiner Schüler einen Brief:

Aus diesem Grund möchte ich dich an etwas erinnern: Fach doch das Feuer der Gabe Gottes wieder an. Es brennt in dir, seit ich dir die Hände aufgelegt habe. Denn der Geist, den Gott uns geschenkt hat, lässt uns nicht verzagen. Vielmehr weckt er in uns Kraft, Liebe und Besonnenheit. Schäme dich also nicht, als Zeuge für unseren Herrn aufzutreten. Und schäme dich auch nicht für mich, weil ich seinetwegen in Haft bin. Sondern sei bereit, mit mir für die Gute Nachricht zu leiden. Gott gibt dir die Kraft dazu. Er hat uns gerettet, und er hat uns berufen durch seinen heiligen Ruf. Das geschah nicht etwa aufgrund unserer Taten, sondern aus seinem eigenen Entschluss –und aus der Gnade, die er uns schon vor ewigen Zeiten in Christus Jesus geschenkt hat. Aber jetzt wurde diese Gnade offenbardurch das Erscheinen unseres Retters Christus Jesus. Er hat den Tod besiegt. Und er hat durch die Gute Nachricht unvergängliches Leben ans Licht gebracht.

Timotheus war wie gelähmt, weil er sich vor der Aufgabe gefürchtet hat, der vor ihm stand. Da erinnert ihn dieser Brief an das Evangelium: Gott ist stärker, sogar stärker als der Tod. Verlass dich auf seinen Geist. Der bewahrt nicht vor allem Bösen. Aber er begleitet dich. Mit Gottes Geist kannst du tapfer der Zukunft entgegen gehen.

Kraft, Liebe und Besonnenheit – die hast du, verstehe ich. Vertrau darauf. Verlass dich darauf. Dann musst du keine Angst haben vor großen Aufgaben. Timotheus kriegt nicht einfach gesagt: Hab keine Angst. Reiß dich mal zusammen! Sondern: Verlass dich auf Gott und seinen Geist. Der beflügelt dich. Der inspiriert dich. Der gibt dir, was du brauchst. Kraft Liebe und Besonnenheit.

Gottes Geist gibt Kraft

Das griechische Wort, das Paulus benutzt hat, ist Dynamis. Gottes Geist macht dynamisch. Bringt wieder in Bewegung, was vor Angst starr geworden ist. Gottes Geist bringt Bewegung ins Denken. Man kann raus aus den Befürchtungen, die einen einengen. Die Resignation hört auf. Man kann neue Ideen entwickeln, wenn Gottes Geist einen beflügelt. Auf einmal sieht man die Chancen, die da sind. Und man traut sich, mitzuarbeiten an einem neuen Weg. Einer, der das erlebt und danach gehandelt hat, war Dietrich Bonhoeffer. In seinem Tagebuch in der Nazi-Haft hat er geschrieben: „Ich glaube, daß Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. Ich glaube, daß Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandkraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein. …““ (Widerstand und Ergebung, DBW Band 8, Seite 30 f)

Raus aus dem alten Trott, neue Ideen, aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten – das schenkt Gottes Geist. Darauf soll sich der junge Timotheus verlassen. Und ich vertraue darauf bis heute. Das gilt für Ehekrisen, für persönliche Misserfolge, für die großen Probleme, die uns in unserem Land Sorgen machen. Gottes Geist ist nicht der Geist der Furcht. Gottes Geist bringt in Bewegung!

Gottes Geist befeuert die Liebe

Und er hilft, lieben zu können. Wer liebt, stellt nicht sich und seine Ängste, sondern den anderen in den Mittelpunkt. Wer liebt, will, dass es auch dem anderen gut geht. Nicht nur den Familienangehörigen und Freunden, hat Jesus gesagt. Sondern auch den Fremden, ja sogar, denen, die man als Feinde fürchtet. Denen soll es gut gehen. Dann hört nämlich die Feindschaft und das Fremdsein auf. Verstehen, was der andere sagt. Warum er sich verhält, wie er sich verhält. Verstehen, was der andere will. Und vielleicht auch Verständnis aufbringen. Ist es nicht verständlich, dass mein Partner auch Zeit für sich selber braucht und für sein Hobby – obwohl ich mich immer ein bisschen allein gelassen fühle? Ist es nicht verständlich, dass Menschen sich zu uns flüchten, die in ihrer Heimat kein Auskommen finden? Ist es nicht verständlich, dass Menschen gern Fleisch essen oder gern die Welt sehen möchten und deshalb Flugreisen machen?

Wer liebt, schreit den anderen nicht nieder, sondern hört zu. Aber muss man mit allem einverstanden sein? Ich glaube nicht. Aber wenn man den anderen verstanden hat und Verständnis für sein Handeln – dann kann man ganz anders miteinander reden. Dann kann man sein eigenes Denken, seine Befürchtungen daneben setzen. Um Verständnis werben für das, was ich möchte und für gut halte. Und schließlich können wir hoffentlich gemeinsam nach Lösungen suchen. Das ist nicht einfach. Da muss man zu Kompromissen bereit sein. Manchmal tut das weh. Manchmal muss man auch leiden für das, was man denkt und glaubt. Darauf bereitet Paulus den jungen Timotheus vor. Und ich  glaube, das kann man schaffen, wenn Liebe einen antreibt und nicht Hass und nicht Angst. Dass wir das schaffen, das schenke uns Gottes Geist.

Gottes Geist schenkt Besonnenheit

Gottes Geist schenkt auch Besonnenheit. Ich finde schön, dass das Wort „Sonne“ in Besonnenheit steckt. Wo einer besonnen handelt, da kann sich der finstere Hass nicht ausbreiten. Wo eine besonnen redet, da wird es hell. Da kann man sehen, was eigentlich los ist. Da sieht man, was wahr ist und was Lüge. Besonnenheit macht den Kopf klar. Wo andere einen umnebeln wollen mit Panik und Furcht und sagen: „Früher war alles besser!“, da hilft Gottes Geist zur Besonnenheit. Da kann man klar sehen, was los ist. Was besser geworden ist. Vor ein paar Jahren hat ein schwedischer Statistiker (Hans Rosling, factfulness) ein Buch geschrieben über lauter Dinge, die heute besser sind als in der Vergangenheit. Dass anzuerkennen und daraus Mut zu schöpfen, dazu hilft Gottes Geist.

Man wird nicht panisch. Auch nicht hyperaktiv. Sondern man kann besonnen abwägen. Was kann ich tun. Was vielleicht andere? Mit wem sollte ich reden? Ich muss ja nicht alles allein machen. Auch das zeigt Gottes Geist.

Ich denke noch einmal an die Israeliten damals im alten Ägypten. Fast alle haben sich den hasserfüllten Zwangsmaßnahmen des Pharao gebeugt. Haben es hingenommen, auch voller Angst vor Konsequenzen. Nur ein paar wenige blieben besonnen. Und hatten rettende Ideen. Eine Mutter hat ihren neugeborenen Jungen in einem Körbchen aufs Wasser gesetzt, statt ihn gleich zu töten, wie es vorgeschrieben war. Das war ein Akt der Verzweiflung, klar. Aber immerhin – sie hat sich etwas überlegt. Und: Es hat geklappt. Eine ägyptische Frau hat das Kind aus dem Wasser gezogen und Mose genannt.

Und zwei Hebammen damals haben sich dem Befehl des Pharaos auch widersetzt. Sie haben die Jungen bei der Geburt am Leben gelassen und noch dazu mit einer schlauen Ausrede ihr eigenes Leben geschützt.

Genau hinschauen, statt schwarzsehen!

Lauter Menschen, die nicht gedacht haben: Man kann ja doch nichts machen, das hat doch alles keinen Sinn. Menschen, die Ideen hatten, Werte und Hoffnung. Und für das Volk, das damals im Finstern wandelte, ging ein Licht auf. Solche Besonnenheit, meine ich, würde uns auch heute guttun: Ideen und Hoffnung und Optimismus statt Pessimismus für die Zukunft.

Der Geist Gottes kann der Angst und den Sorgen einen Riegel vorschieben. Er bringt in Bewegung und schenkt neue Ideen und Hoffnung. Mit Gottes Geist kann man tapfere Schritte in die Zukunft wagen. Die mutigen Hebammen damals. Der junge Timotheus. Und wir heute. Wahrscheinlich sollten wir öfter bitten: Komm Heiliger Geist. So, glaube ich, kann man auch die gegenwärtigen Krisen durchstehen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Dr. Lucie Panzer

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Die Predigt ist geschrieben mit Blick auf meine Wohngemeinde im Stuttgarter Westen. Städtisches, bürgerlich-intellektuelles Publikum.

2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die aufgeregte, pessimistische Debatte unter den Menschen und in den Medien über die gesellschaftlichen Entwicklungen in unserem Land beunruhigen mich. Dagegen steht für mich der Begriff „Besonnenheit“ im Predigttext.

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die Hoffnung und das Vertrauen auf Gottes Geist, der uns alle Besonnenheit schenken möge und Kraft für ein Verhalten, dass die Zukunft heller macht..

4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die einfühlsame Rückmeldung des Predigtcoaches hat mich bestärkt und mir dazu verholfen, zwei Punkte klarer zu formulieren.

Perikope
27.09.2020
1, 7-10

Getragen im Leid, voller Hoffnung für das, was kommt – Predigt zu 2. Timotheus 1,7-10 von Peter Schuchardt

Getragen im Leid, voller Hoffnung für das, was kommt – Predigt zu 2. Timotheus 1,7-10 von Peter Schuchardt
1,7-10

Liebe Schwestern und Brüder,
das Leben ist wunderbar. Es bietet uns so viel Schönes. Mancher von euch hatte im Urlaub und in den Ferien wieder Zeit, um das Wunderbare und Schöne des Lebens zu genießen. Ein Spaziergang am Meer, eine Wanderung in den Bergen, gemeinsam mit lieben Menschen unterwegs sein und ein neues Land entdecken. Passt gut auf diese schönen Erinnerungen auf, denn man ist ganz schnell wieder im Alltag, in der Arbeit, in der Schule eingebunden. Und passt gut auf, dass ihr euch weiterhin Zeit nehmt für einen Spaziergang, für einen Nachmittag mit Freunden, für das Schöne des Lebens.

Denn das Leben ist eben nicht nur wunderbar. Es gibt den Alltag zu Hause, es gibt Ärger bei der Arbeit und Stress in der Schule. Einer macht sich Sorgen, wie lange er noch seine Arbeit hat, eine andere hat gar kein Geld, um in den Urlaub zu fahren. Und noch einer ist froh, dass die Schule endlich wieder losgeht, weil zuhause nur öde Langeweile war und die Eltern betrunken, wenn sie sich nicht gerade gestritten haben. Mancher von euch quält sich mit einer schlimmen Diagnose. Sie lässt dich nicht schlafen, und auch wenn du dich immer mal wieder kurz ablenken kannst, immer ist das Wort in deinem Kopf, das dein Arzt dir gesagt hat. Wie wird es werden?

Das Leben ist nicht nur wunderbar. Das Leben ist manchmal voller Fragen und voller Leid. Krankheit, Krieg, Menschen auf der Flucht, Hass und Terror. Wir sehen und hören so viel davon. Vor einem Jahr kamen unzählige Menschen zu uns. Sie hatten Krieg, Verfolgung und Terror hinter sich gelassen und suchten Ruhe, Hilfe und Frieden. Eine große Hilfsbereitschaft hat diese Menschen hier empfangen. Inzwischen ist bei einigen die Stimmung umgeschlagen. Natürlich ist es wichtig, dass jeder, der Asyl bei uns sucht, ordnungsgemäß registriert wird. Natürlich gelten weiterhin Toleranz, Religionsfreiheit, die Rechte der Frauen und der Minderheiten. Natürlich darf man nach den Folgen für unser Land fragen. Bei allen Fragen sollten wir aber nicht das Leiden vergessen, das die Menschen erlebt haben, die zu uns gekommen sind. Sie tragen die Erinnerung daran weiter in ihrer Seele und in ihrem Herzen, und das ist nicht leicht. Es ist eine große christliche Tugend, dass wir den Menschen helfen, die Opfer von Krieg und Gewalt sind, die Leid in sich tragen. Darum helfen viele den Geflüchteten aus ihrem christlichen Glauben heraus, weil das Leid sie berührt.

Das Datum heute, der 11. September, ist für viele verbunden mit dem Anschlag auf das World Trade Center in New York. Vor 15 Jahren brachten Islamisten zwei Flugzeuge in ihre Gewalt und steuerten sie in die beiden Hochhaustürme. Damals starben 3000 Menschen. Daraus entwickelte sich ein Krieg zwischen den Islamisten und dem Westen, der Zehntausende Menschenleben gefordert hat und auch heute noch fordert. Der 11. September ist aber zum Inbegriff für Leiden geworden, dass Menschen aus religiösen Gründen anderen Menschen antun. Die islamische Welt gegen den christlichen Westen.

Unsere Welt scheint vom Leid durchzogen zu sein. Und das ist wahr: Es gibt kein Leben ohne Leiden. Doch kein Mensch will leiden. Die Sehnsucht nach dem schönen wunderbaren Leben wird im Leid umso größer. Und wo ist Gott in all dem? Gerade seit dem 11. September 2001 wird von manchen jede Religion sehr kritisch gesehen. Sie fordern, alle Religionen abzuschaffen, egal, ob Islam oder Christentum. Dann, so sagen sie, würde auch das Leid verschwinden. Das ist natürlich Unsinn. Denn Religionen werden missbraucht für politische und wirtschaftliche Zwecke. Gott tötet nicht, es sind Menschen, die einander töten und einander Leid antun.

Für andere ist eine Welt, in der es Leid gibt, nicht mit dem Gedanken an Gott zu verbinden. Sie sagen: Wenn es einen Gott gibt, dann darf es doch eigentlich kein Leid geben! Doch das ist zu einfach gedacht. Die Bibel erzählt am Anfang von der Welt, in der der Menschen in Frieden lebt. Doch weil er mit seiner Freiheit nicht umgehen kann, verliert er diesen Frieden und lebt seitdem in einer leidvollen Welt.

Der Frieden ist Gottes Ziel für unsere Welt. Am Ende werden wir in einer Welt ohne Leid und ohne Schmerz sein. Aber noch sind wir nicht da. Gott sei Dank aber lässt Gott uns in dieser leidvollen und zugleich wunderbaren Welt nicht allein. Gott sei Dank ist er bei uns und begleitet uns durch die Zeit. Sonst würden wir völlig verloren sein und durch das Leben irren, ohne Hoffnung, ohne Ziel, ohne Sinn. Denn das Leid, das Menschen einander antun, kann einem Angst und Schrecken einjagen. Das war zu allen Zeiten so, auch in den Jahren des Apostels Paulus. Der sitzt im Gefängnis, weil der Glaube an Jesus Christus die Mächtigen seiner Zeit stört. Paulus droht der Tod. So werden auch heute viele, viele Christen verfolgt, unterdrückt und getötet. Denn Jesus Christus ist der wahre Herrscher der Welt. Er herrscht nicht mit Gewalt, Unterdrückung, Terror oder Korruption. Er herrscht allein durch seine Liebe. Nein, die Welt ist nicht gottlos. Die Welt, Politik, Wirtschaft, die handeln oft gottlos. Die wollen von Christus und seiner Liebe nichts wissen. Da zählen nicht Barmherzigkeit oder Nächstenliebe, da geht es um Profit und um Macht. Gott aber wirkt trotzdem in dieser Welt mit seinem guten Geist. Von diesem Geist erzählt Paulus seinem Freund Timotheus in einem Brief:

Gott hat uns nicht einen Geist der Ängstlichkeit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Bekenne dich daher ohne Scheu zu unserem Herrn, und schäme dich auch nicht, zu mir zu stehen, nur weil ich ein Gefangener bin – ich bin es ja um seinetwillen! Sei vielmehr auch du bereit, für das Evangelium zu leiden. Gott wird dir die nötige Kraft geben. Er ist es ja auch, der uns gerettet und dazu berufen hat, zu seinem heiligen Volk zu gehören. Und das hat er nicht etwa deshalb getan, weil wir es durch entsprechende Leistungen verdient hätten, sondern aufgrund seiner eigenen freien Entscheidung. Schon vor aller Zeit war es sein Plan gewesen, uns durch Jesus Christus seine Gnade zu schenken, und das ist jetzt, wo Jesus Christus in dieser Welt erschienen ist, Wirklichkeit geworden. Er, unser Retter, hat den Tod entmachtet und hat uns das Leben gebracht, das unvergänglich ist. So sagt es das Evangelium. (2 Tim 1, 7-10, Übersetzung NGÜ)

Liebe Schwestern und Brüder, es ist voller Trost, was Paulus an seinen Freund schreibt. Er zeigt ihm: Wir sind doch so reich beschenkt von Gott. Seinen Geist hat er uns geschenkt, als wir getauft wurden. Und dieser Geist Gottes ist immer in uns. Es ist der Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Dieser Geist hilft uns gegen die Angst zu bestehen. So oft sind wir ängstlich. So oft kriecht die Furcht in uns hoch. Paulus kennt das nur zu gut, auch Timotheus und viele von uns. Doch bevor die Angst uns vollständig gefangen nimmt und lähmt, erzählt Paulus, was der Grund unseres Lebens ist. Es ist Gottes Liebe. Und diese Liebe bringt Jesus Christus in unsere Welt. Gottes Liebe überwindet alle Grenzen. Sie überwindet alle Angst und alle Furcht. Sie überwindet sogar den Tod. Der ist entmachtet. Das heißt: Wir gehen immer ins Leben, sogar durch den Tod hindurch. Den Weg ist Christus ja schon für uns gegangen. Natürlich weiß Paulus: Seine Bewacher werden ihn piesacken, sie werden ihn vielleicht foltern und töten. Doch er gehört ja zu Christus, und darum ist dieses Leiden nicht das Ende. Dietrich Bonhoeffer, der evangelische Pastor, der wegen seines Widerstands gegen Hitler hingerichtet wurde, wusste das genau. Er sagte zu den Soldaten, die ihn hinrichteten: „Das ist das Ende, für mich der Beginn des Lebens.“

Wir Christen sehen im Leid, das wir durchleben, immer schon die größere Liebe Gottes durchscheinen, und das hilft uns, durch das Leiden zu gehen.

Natürlich ist es oft schwer. Natürlich greift oft die Angst nach unserem Herzen. Aber in uns ist doch der Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Der will uns helfen, die Furcht und Ängstlichkeit in den Griff zu bekommen. Nicht immer wird uns das gelingen. Die Angst kann uns gefangen nehmen. Aber da sind dann doch die anderen Christen, unsere Schwestern und Brüder, die für uns beten, die uns gute Worte sagen, die uns trösten und uns helfen. Das brauchen wir oft, und wir sollten uns nicht scheuen, andere um Hilfe, um Trost, um ein Gebet zu bitten. Das wird uns auch helfen, wenn wir wegen unseres Glaubens leiden.

In anderen Ländern ist das leider grausame Wirklichkeit. Christen werden unterdrückt und verfolgt. Und auch wir werden immer kritischer gesehen und belächelt. Das ist nichts im Vergleich mit den Dingen, die unsere Mitchristen in anderen Ländern, in Nordkorea, China, in vielen islamischen Staaten, in Indien aushalten müssen. Aber auch bei uns ist es für manchen nicht leicht. Da brauchen wir den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

Wir brauchen diesen Geist auch für die Menschen, die zu uns geflüchtet sind. Mit Kraft, mit Liebe und mit Besonnenheit werden wir ihnen helfen können, bei uns zur Ruhe zu kommen. Und natürlich dürfen wir ihnen auch davon erzählen, wer uns diesen Geist der Kraft und der Besonnenheit gibt. Wir dürfen ihnen natürlich auch von Christus und seinem Geist der Liebe erzählen. Warum sollten wir ihnen nichts davon sagen, von der Quelle unserer Nächstenliebe?

Es ist genauso wichtig, dass wir einander davon erzählen. Dem Menschen, der unter der schlimmen Diagnose leidet, zuhören und ihn trösten. Diejenige, die verzweifelt und ohne Arbeit ist, durch ihre schwere Zeit begleiten. So geben wir den Geist Gottes, der in uns ist, weiter. Und er wird weiter in uns bleiben und nicht versiegen. Er wird uns durch das Schwere und das Leiden tragen. Dieser Geist wird uns dann auch selbst die Augen und das Herz öffnen für das Wunderbare, das Gott in seiner Welt für uns bereithält. Immer wieder werden wir seine Liebe aufleuchten sehen: In seiner Schöpfung, in dem Trostwort, das der andere uns sagt, in den Menschen, die er an unsere Seite stellt. Immer ist es seine Liebe, die uns hält und trägt an jedem Tag unseres Lebens - und dann in Ewigkeit.
Amen.

Perikope
11.09.2016
1,7-10

Der Heilige Geist als Rückenwind in unserem Leben – Predigt zu 2.Timotheus 1,7-10 von Thomas Volk

Der Heilige Geist als Rückenwind in unserem Leben – Predigt zu 2.Timotheus 1,7-10 von Thomas Volk
1,7-10

Liebe Gemeinde,
wann und wo haben Sie zum letzten Mal Wind ganz bewusst gespürt? Wind, der die Blätter an den Bäumen bewegt. Wind, der die großen Windräder zum Drehen bringt. Wind, der die Drachen der Kinder auf den Feldern steigen lässt.
Vielleicht haben Sie ihn aber auch bei einer Radtour gespürt, als er Ihnen von vorne kräftig entgegengekommen ist und sie fest in die Pedalen treten mussten? Oder im Sommer, als sie in den warmen Nächten das Fenster nachts offen hatten und sie dann am frühen Morgen ganz leise einen kühlen Windhauch gespürt haben? Oder als Sie im Garten oder auf einer Parkbank gesessen sind und der warme Septemberwind der letzten Tage ihr Gesicht angenehm umspielt hat?

Gottes Geist schenkt Rückenwind
Das heutige Schriftwort aus dem 2. Timotheusbrief wird für mich besonders anschaulich, wenn ich mir den Geist Gottes wie einen besonderen Wind vorstelle, von dem man nie zu viel bekommen kann. Ich meine den Rückenwind.
Wenn man ihn beim Fahrradfahren spürt, kann man glatt noch einmal so viele Kilometer zurücklegen. Und beim Wandern kann man erleben, wie die Schritte leichter werden, wenn man von hinten regelrecht angeschoben wird.
Wenn man sich Gottes Geist wie einen angenehmen Rückenwind vorstellt, dann ist das eine schöne Umschreibung, dass man im Leben immer weitergehen kann. In eine neue Woche. In ein neues Schuljahr. In ein weiteres Semester. In ein neues Arbeitsprojekt. In diesen Herbst, der vielleicht nicht nur golden und mild sein wird.

Keinen „Geist der Furcht
Das Schriftwort spricht davon, dass Gott uns nicht einen „Geist der Furcht“ gegeben hat, der wie ein Sturm von vorne uns entgegenkommt und bewirkt, dass wir uns verkriechen oder uns zurückziehen.
Furcht lähmt. Nicht nur beim Kaninchen vor der Schlange, das unfähig ist, sich zu bewegen und wegzulaufen. So geht es auch uns in manchen Situationen.
In der Furcht kommt nichts in Bewegung. Man arrangiert sich mit einer misslichen Situation. Ist bedacht, nur keinen zu Fehler machen. Wartet ab. Ist in der Abwehrhaltung. Muss sich ständig rechtfertigen und sich mit den Widrigkeiten, wie sie gerade sind, abfinden. Redet sich ein: „Ich schaffe das nicht. Ich traue mich nicht. Ich will keine Umstände machen.“

Das Evangelium nicht verwalten
Damals schon, Anfang des zweiten Jahrhunderts, als dieser 2. Timotheusbrief geschrieben wurde, lähmte der „Geist der Furcht“ die Kirche. Die Zeit Jesu und der Aufbruchsgeist lagen fast 100 Jahre zurück. Nun hat die Kirche zum ersten Mal feste Strukturen mit einem Gemeindeleiter, Diakonen und Ältesten. Das war einerseits hilfreich. Andererseits bestand bereits damals die Gefahr, dass das Evangelium in gewisser Weise nur noch verwaltet wurde. Und Gottes Geist, der dem Glauben Rückenwind gibt, kommt nicht mehr durch das Dickicht der kirchlichen Verordnungen und moralischen Bestimmungen.
Der Brief wird an Timotheus, einer der Gemeindeleiter,  geschrieben. Er wird ermuntert, den Gott zu bezeugen, dessen Geist uns Rückenwind schenkt

Heute kann der „Geist der Furcht“ die Kirche lähmen, wenn man meint, dass alles – auch in unseren Gottesdiensten – so sein und bleiben muss, wie es einmal gewesen ist. Und man gar nicht mehr merkt, dass diese Worte und diese Sprache die Menschen nicht mehr berühren und bewegen.
Gottes Geist stelle ich mir deshalb wie einen Rückenwind vor, weil er uns in unserem Leben und in der Kirche anstoßen und uns zu verstehen geben möchte: „Komm, lass dich bewegen. Ich gebe dir Rückenwind! Du kannst mutig nach vorne schauen! Weitergehen! Es auch einmal anders probieren! Du hast noch viel vor dir! Ich helfe dir dabei!“

1. Der „Geist der Kraft
Dazu hat uns Gott den „Geist der Kraft“ gegeben.
Wo brauchen Sie mehr Kraft? Mehr Antrieb? Mehr „langen Atem“? Mehr Durchhaltevermögen? Oder wo geben Sie viel zu schnell auf?
Ich habe eine große Achtung vor der Frau, die sich nach ihrer Hüftoperation jeden Tag regelrecht um den Häuserblock kämpft. Die Bewegung tut ihr gut. Und sie weiß, dass sie sich nicht aus eigenem Vermögen aufmacht, sondern sich von einer großen Kraft ermuntert weiß, jeden Tag neu und bei jedem Wetter.
Oder ich denke an den 60-Jährigen, der sich zur Aufgabe gesetzt hat, einmal in der Woche einen ganzen Nachmittag einen älteren Mann zu betreuen und mit ihm seine Zeit zu teilen. Einkaufen fahren. Spazieren gehen. Zuhören, auch wenn sich die Gespräche immer um das Gleiche drehen. Einfach ist das nicht. Und manchmal möchte er am liebsten absagen. Aber er lässt sich Woche für Woche doch irgendwie gerne auf diese besonderen Stunden ein.
Oder die Eltern, die nicht aufhören, ihren Sohn, der bald 30 wird, zu unterstützen, damit er endlich einmal selbst auf eigenen Beinen stehen kann. Sie sind fest davon überzeugt, dass er es eines Tages schaffen wird.
Dieser „Rückenwind“ Gottes schenkt uns einen langen Atem in einem manchmal anstrengenden und fordernden Leben, in dem nicht immer alles „volle Kraft voraus“ geht.

2. Der „Geist der Liebe
Damit wir uns bei aller Kraftanstrengung nicht verkrampfen oder uns vielleicht zu viel zumuten, ergeht an Timotheus und an uns die Erinnerung: Gott hat uns auch einen „Geist der Liebe“ gegeben.
Es ist wie eine Erinnerung: Wem willst du etwas „Liebes“ sagen? Wo willst du einen Dank endlich mal loswerden? An wen die Karte mit dem großen Herz schreiben und abschicken, die schon so lange in der Schublade liegt? Gegenüber den Personen, die es wirklich verdient haben, mit Komplimenten nicht so geizen?
Der einen Person endlich sagen, was sie dir bedeutet? Oder ihr eine Nachricht schreiben, was du für sie empfindest?
Wer wartet gerade auf dich? Auf deine Nähe? Auf ein aufbauendes Wort von dir? Wer braucht deine Fürsorge? Deine Unterstützung? Deine Zärtlichkeit?
Die Erinnerung geht auch anders herum: Der „Geist der Liebe“ schenkt dir einen wachen Blick und offenes Herz, damit du wahrnimmst, wer alles Mögliche für dich in die Wege leitet. Dich versorgt, in den Arm nimmt, bekocht, für dich betet, dir den Rücken freihält.
Und wer  in den Sommerferien ums Gemeindehaus den Rasen gemäht und die Blumen gegossen hat. Welche Person ist unerlässlich geworden, damit an den Gemeindenachmittagen alle Kaffee und Kuchen haben? Wer sagt auch mal ein ehrliches, kritisches Wort, dort, wo alle nur betreten schweigen?

3. Der „Geist der Besonnenheit
Als drittes, neben dem Geist der Kraft und der Liebe, fügt der Schreiber des Timotheusbriefes den „Geist der Besonnenheit“ hinzu: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit“ (V.7).
Wie stellen Sie sich Besonnenheit vor?
Für mich ist es das Durchschnaufen oder das Überlegen, bevor ich etwas tue.
Bevor der „Geist der Besonnenheit“ uns antreibt, hält er uns erst noch einmal kurz zurück und lässt uns bedenken: „Stopp! Warte! Hast du nicht was vergessen, bevor du wieder loslegst?“
Das kann es geben, dass wir manchmal neben allen Kraftanstrengungen und allem Aktivismus etwas Wichtiges nicht im Blick haben. Und manchmal wollen wir zwar etwas Bestimmtes unbedingt erreichen, aber wir führen es einfach schlecht aus.
Da möchte jemand im Besuchsdienst ganz viele Personen besuchen. Das Anliegen ist ehrenwert, aber dann merkt man, dass man sich völlig überfordert hat. Man kann gar nicht mehr allen zuhören und alle Geschichten aufnehmen. Besuche machen ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die Kraft und Liebe fordert.
Der „Geist der Besonnenheit“ bewirkt, dass das, was wir tun, auch Hand und Fuß hat. Er lässt uns - bevor wir starten - erst einmal durchatmen und fragt uns: „Überlege mal: Hast du an alles gedacht? Wen brauchst du noch? Wissen alle, was sie zu tun haben? Hast du nichts Wesentliches vergessen? Und verkrampfe nicht, wenn es nicht so läuft, wie du es gedacht hast.“
Es ist keinem gedient, wenn alles christliche Tun in Windeseile angestoßen wird. Schnell kommt dann alles wieder zum Stillstand, weil durch irgendeine Unachtsamkeit der Wind aus den Segeln genommen wurde.

Der Dreiklang Kraft, Liebe und Besonnenheit
Gottes Geist gibt uns Rückenwind in diesem Dreiklang von „Kraft, Liebe und Besonnenheit“. Er hilft uns, dass wir nicht müde werden und nicht aufgeben. Er lässt uns in unsere Zukunft aufbrechen, dass wir sie auch gestalten können.
Wir werden dabei bei uns und in unserer Kirchengemeinde vielleicht manche Flaute in Kauf nehmen müssen. Und manchmal werden wir vielleicht den Moment verpassen, wo es gut wäre, wenn wir unsere Segel setzen würden.

Aber wir können darauf vertrauen, dass der Geist Gottes uns immer wieder antreibt, um das Leben mit allem Schönen, aber auch mit allen Herausforderungen zu bewältigen. Es ist uns verheißen, dass wir alle windstillen Zeiten aushalten können. Und alle Stürme, in denen so manche Hoffnung zunichte gemacht wird. Oder wir so manches, was man sich aufgebaut hat, weggeweht wird, durchstehen werden. Durch „Christus Jesus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium“ (V.10). So hat es der Briefschreiber an Timotheus am Schluss noch einmal deutlich betont.
Wenn schon am Anfang der Bibel davon die Rede ist, dass wir Menschen nur dann wirklich lebendig sind, wenn Gottes Geist uns berührt (vgl. 1. Mose 2,7), umso mehr dürfen wir darauf bauen, dass Gottes Geist uns im Leben immer weiter bewegt.
Der „Wolken, Luft und Winden“, gibt Wege Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann (EG 361,1).
Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes (Römer 15,13).

Perikope
11.09.2016
1,7-10

Die Angst in die Luft werfen – Predigt zu 2.Tim 1,7-10 von Daniela Hammelsbeck

Die Angst in die Luft werfen – Predigt zu 2.Tim 1,7-10 von Daniela Hammelsbeck
1,7-10

Liebe Gemeinde,
Statistiker haben nachgezählt und finden den Zuspruch „Fürchte dich nicht!“ genau 365 Mal in der Bibel. Für jeden Tag des Jahres. Wie ein roter Faden zieht er sich durch die ganze Bibel: Abraham hört ihn, als er in hohem Alter in die Fremde aufbricht, genauso wie Hagar, deren Sohn unter einem trockenen Busch im Sterben liegt. Der Engel sagt ihn Maria bei der Ankündigung von Jesu Geburt. Den Hirten auf dem Feld und den Frauen am Grab erklingt er. Und ganz am Ende der Bibel heißt es: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und das Letzte. Offenbar weiß die Bibel ganz genau, dass wir diesen Zuspruch immer wieder nötig haben. Denn Angst gehört zu den Grundbefindlichkeiten der Menschen. Jede und jeder von uns weiß, wie es ist, Angst zu haben.

Der Predigttext ist eine Rede gegen die Furcht – wie ein lautes „Fürchte dich nicht!“ kann man ihn hören. In einer besonders angstvollen Zeit verfasst der Apostel Paulus einen Trostbrief an Timotheus, seinen Mitarbeiter. Wir wissen heute, dass dieser Brief eigentlich gar nicht von Paulus stammt, er ist lange nach dessen Tod geschrieben worden. Da schlüpft aber jemand in die Haut des Apostels, um mit dessen Autorität die Menschen zu stärken und zu ermutigen.
Dieser Paulus sitzt im Gefängnis, er muss mit dem Tod rechnen, und aus dieser Not heraus schreibt er an einen, der den Mut verloren hat. Timotheus verkündigt das Evangelium, aber die Menschen wollen ihn nicht mehr hören. Es gibt viel interessantere Botschaften. Sie kehren sich von ihm ab, sie kritisieren ihn, sie feinden ihn an, verleumden ihn, bedrängen ihn. Er kann nicht mehr. Er hat Angst. Er verzagt. Da kommt dieser Brief und er liest darin:

Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn noch meiner, der ich Gefangener bin, sondern leide mit mir für das Evangelium in der Kraft Gottes.
Er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unseren Werken, sondern nach seinem Ratschluss und nach der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt, jetzt aber offenbart ist durch die Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus, der dem Tode die Macht genommen hat und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium.
(2. Tim 1, 7-10)

Wovor fürchten Sie sich? Wo spüren Sie den Geist der Furcht in Ihrem Leben? Geist der Furcht – das sind nicht die Ängste, mit denen wir in der Regel gut leben können, etwa die Angst vor Hunden oder die Höhenangst.
Geist der Furcht – das sind die Ängste, die uns stark beeinflussen, die uns bestimmen und die uns hilflos machen. Solche Ängste können ganz vielfältig sein: Die Angst vor der Dunkelheit und vor den eigenen Abgründen. Das unerträgliche Herzklopfen beim Warten auf die Diagnose. Die Verzagtheit vor einer Prüfung und die Sorge zu versagen. Die Angst um unsere Lieben und die Angst, sie zu verlieren. Die Angst vor dem Verlust von Position und Arbeitsstelle. Die Angst vor den rasanten Umwälzungen in unserer Gesellschaft und dem globalen Chaos in der Welt. Die Angst, das eigene Leben nicht mehr in der Hand zu haben. Die Angst, das Leben zu verfehlen. Und nicht zuletzt die Angst, alles zu verlieren, das Leben selbst. Die Angst vor dem Tod. Wir haben das Leben nicht ohne die Furcht.
Angst hat mit Enge zu tun. Die Blutgefäße verengen sich. Das Herz pocht und pumpt das Blut fünfmal schneller durch den Körper. Die Muskelspannung nimmt zu. Alles verkrampft sich. Angst kann Menschen die Lebensimpulse nehmen, die Lebendigkeit. Sie kann blind machen und die Handlungsspielräume ganz klein werden lassen. „Angst essen Seele auf“, heißt ein bekannter Film.

Wenn der Timotheusbrief gegen Angst und Furcht anredet und anschreibt, dann geht es nicht darum, die Angst einfach weg zu machen. Das funktioniert ja nicht. Es geht darum, ihr die Grenzen zu zeigen. Ihr den Anspruch auf unser Leben strittig zu machen. Sie nicht überhand nehmen zu lassen. Denn das ist die Gefahr bei der Angst: Dass sie immer noch größer wird, dass man aus lauter Angst vor der Angst noch mehr Angst bekommt. Angst kann wie ein Gefängnis sein, in das wir uns einschließen und in dem wir keinerlei Ausweg mehr sehen können.

Um den Geist der Furcht in die Grenzen zu weisen, braucht es viel. Ein „Hab keine Angst!“ reicht da nicht. Das weiß auch dieser Paulus im Gefängnis und darum setzt er der Furcht eine ganze Theologie entgegen und erinnert an die Grundfesten des Glaubens.
Wenn ich unterzugehen drohe vor lauter Angst, dann kann das helfen: Erinnert zu werden an das, was mich trägt und hält, was da ist und nicht verloren geht. Von Gnade ist da die Rede, vom selig gemacht sein, von Offenbarung und Licht und Evangelium. Theologische Formulierungen – und es mag sein, dass sie mich nicht ganz erreichen. Vielleicht hat auch der verzagte Timotheus mehrmals lesen müssen. „Jesus Christus hat dem Tod die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht.“, steht da. Der Tod hat verloren, heißt das. Ob Timotheus das verstanden hat? Ob ich das verstehen und glauben kann? Wie wäre es wohl, wenn wir so leben würden, dass der Tod keine Macht mehr über uns hätte? Wenn der Angst ihre ärgste Spitze – nämlich die Angst zu sterben – genommen wäre? Was wäre das für ein Lebensgefühl, Gottes Gnade vor und hinter uns zu wissen, und ganz aus der Hoffnung heraus zu leben, dass wir im Letzten nichts zu fürchten haben? Ich bin überzeugt, wir würden zuversichtlicher leben und fröhlicher, wir hätten weniger Angst im Leben.

Ja, ich ginge so gerne mit solchem Mut durch die Tage. Und es gibt sie: Tage und Zeiten, in denen mir das gelingt. Aber dann kommen eben doch auch immer wieder die Zweifel und mit ihnen die Furcht, dem Leben nicht gewachsen zu sein. Dann zaudere ich, dann bin ich verzagt. Und dann brauche ich klare Gegenworte:
„Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“
Was für eine Zusage, was für ein Zutrauen: Wir haben den Geist Gottes in uns, über uns, um uns, er ist uns gegeben. Ohne dass ich dafür irgendetwas leisten muss und obwohl ich oft so kleinmütig bin. Dieser „Mutmach-Geist“ ist schlicht und einfach da.
Und er gibt mir Kraft: Im Griechischen steht da dynamis, das hat mit Bewegung und Dynamik zu tun. Wo alles erstarrt und gebannt ist vor Angst, da kommt Bewegung und Schwung rein. Da sind wieder Schritte möglich, da tun sich neue Wege auf.
Er gibt mir Liebe: Da klingt Gemeinschaft, Verbundenheit, Beziehung an. Ich muss mich nicht zurückziehen, ich soll mich nicht heraus nehmen, sondern ich kann auf andere zugehen, meine Ängste mitteilen, trösten und getröstet werden.
Er gibt mir Besonnenheit: Ich muss mich nicht verrückt machen, ich habe die Fähigkeit, angemessen zu beurteilen, klar zu denken und abzuwägen.
Kraft und Liebe und Besonnenheit, all das wird mir zugetraut, ich bin kompetent im Umgang mit der Angst!
Glauben bedeutet also nicht, keine Angst mehr haben, das wäre naiv. Glauben bedeutet auch nicht, Angst verdrängen und sich stark geben, das wäre nicht nur naiv, sondern auch gefährlich, denn unterdrückte Angst kommt wieder und kann sehr zerstörerisch sein. Aber – das lese ich aus dem Timotheusbrief: Der Glaube kann die Angst verändern. Der Glaube arbeitet an der Angst. Der Glaube schiebt der Angst einen Riegel vor: bis hierher und keinen Schritt weiter!
Gott hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf“, steht da. Was Gott uns wohl zuruft? Ich höre ihn rufen: Du bist nicht alleine, du bist nie alleine, du bist auch im Sterben nicht alleine. Du mit deiner Furcht, du mit deinen Ängsten, ich halte dich, ich trage dich! Vertraue darauf!

Die jüdische Schriftstellerin Rose Ausländer, die den Nazigräuel ausgesetzt war, Angst und Schrecken erlebt hat, beginnt ein Gedicht mit den Worten: „Wirf deine Angst in die Luft“. Da trotzt eine der Furcht mit einer fast schon spielerischen Leichtigkeit. „Wirf deine Angst in die Luft“ – ich finde, das passt gut zum Trotz des Predigttextes. Der behauptet ja auch ganz selbstbewusst gegen den „Geist der Furcht“: Ihr seid darin doch gar nicht gefangen, ihr seid euren Ängsten doch gar nicht ausgeliefert! Ihr seid frei, ihr habt Gottes Geist und Kraft. – Das lässt mich wieder freier atmen, das macht, dass ich einen ersten Schritt heraus treten kann aus der Angst. Wirf deine Angst in die Luft! Es gibt keinen Grund zu verzagen! Fürchte dich nicht!

Perikope
11.09.2016
1,7-10

Nine eleven und die drei guten Geister Gottes – Predigt zu 2. Timotheus 1,7-10 von Jürgen Kaiser

Nine eleven und die drei guten Geister Gottes – Predigt zu 2. Timotheus 1,7-10 von Jürgen Kaiser
1,7-10

Ein Flugzeug fliegt in das Hochhaus. Ein Feuerball, schwarzer Rauch. Ein anderes Flugzeug fliegt in das andere Hochhaus. Ein Feuerball, schwarzer Rauch. Das eine Hochhaus sackt in sich zusammen, das andere Hochhaus sackt in sich zusammen. Wie Schnee legt sich der Staub auf die Straßen Manhattans, doch weniger unschuldig. An den Bildschirmen hält die Welt den Atem an.
An diesem Tag, liebe Gemeinde, begann der Krieg. Ein Krieg mit einer neuen Kriegsführung: Es gibt keine Kriegserklärung und es gibt keine Soldaten. Menschen selbst werden zu Waffen. Sie töten viele andere mit Flugzeugen, mit Lastern, mit Sprengstoff oder noch klassisch mit der Kalaschnikow. Damit das Töten die größten Effekte erzielt, setzen sie sich selbst ein. Menschen töten andere, indem sie sich selbst töten.
Ich spreche von Menschen. Darf man die, die das tun, noch so nennen?

Als die weiße Wand des World Trade Centers vor den Cockpitscheiben von American Airline 11 zum Greifen nahe war, rief Mohammed Atta mit rasendem Herzen, die Finger um den Steuerknüppel verkrampft: „Allahu akbar.“ Als der weiße Laster in Nizza am 14. Juli Fahrt in Richtung Menschenmenge aufnahm – „Allons enfants de la Patrie!“ –vernahm man aus dem Führerhaus: „Allahu akbar.“ Bevor sie sich in die Luft sprengen oder Flugzeuge in Häuser steuern oder Lastwagen in Menschenmengen oder mit den Kalaschnikow zielen, rufen sie: „Allahu akbar“.
Die Reisetasche von Mohammed Atta war nicht im Flugzeug, mit dem er in den Nordturm flog. In ihr fand man einen vierseitigen handgeschriebenen Text auf Arabisch. Fragmente des gleichen Textes fand man in der Maschine, die in Pennsylvania abstürzte. Man nennt den Text: „Geistliche Anleitung.“ Der Text fordert zu innerer Ruhe, Gehorsam und Furchtlosigkeit beim Töten auf, empfiehlt mentale Ablenkung durch intensives Rezitieren religiöser Formeln sowie das Ausrufen der Formel „Allahu akbar“ zur Einschüchterung der Ungläubigen (Wikipedia, Art. „Geistliche Anleitung“)
In diesem Krieg ist der Ruf „Allahu akbar“ ein Schlachtruf geworden, ein Schreckensschrei, die Ankündigung des Todes. „Allahu akbar“ heißt aber nicht: „Jetzt werdet ihr sterben!“ „Allahu akbar“ heißt: „Gott ist groß.“
Das versteht keiner. Dass Menschen denken, Gott zu loben, indem sie viele andere Menschen töten. Man muss zugeben: Auch die, die Gott mit den gleichen arabischen Worten loben, während sie auf kleinen Teppichen knien, verstehen es nicht. Das versteht keiner, außer den wenigen, die es tun. Wann endlich sagt Gott es auch diesen wenigen, dass er sich solch ein Lob verbittet?

Heute, am 11. September, 15 Jahre nach Ausbruch des Terrorkriegs, der inzwischen auch Europa erreicht hat, hören wir einen tröstlichen Satz:
Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
Gott lässt uns in bedrohlichen Zeiten nicht allein. Er gibt seinen Geist. Und da das Leben anstrengend ist, die Lage unübersichtlich und die Zukunft unabsehbar, gibt Gott seinen Geist in vielen Facetten und mit manchen Effekten. Vier nennt der Apostel, aber nur drei sind von Gott: Liebe und Kraft und Besonnenheit. Die Verzagtheit – weiß der Teufel, wo die herkommt!
Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
Mit diesen Geistern leitet Gott uns tagein, tagaus durch die Zeiten. Nicht alle Geister sind von Gott. Aber mit denen, die von ihm sind, überwindet er die anderen Geister, die nicht von ihm sind.

Der Geist der Kraft.
Paulus sitzt im Gefängnis. Berufsrisiko eines berufenen Missionars. Sein Freund Timotheus ist verzweifelt. Ihm schreibt Paulus: Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Schäme dich nicht, Zeugnis abzulegen für unseren Herrn, auch nicht dafür, dass ich für ihn im Gefängnis bin, sondern ertrage für das Evangelium Mühsal und Plage in der Kraft Gottes, der uns errettet und uns berufen hat mit heiligem Ruf, nicht aufgrund unseres Tuns, sondern aufgrund seiner freien Entscheidung und seiner Gnade, die uns in Christus Jesus zugedacht wurde, vor aller Zeit.(2.Tim 1,7-9, Zürcher Bibel)

Die Kraft Gottes: Sie erwählt, sie errettet, sie beruft. Erinnere dich und glaube deiner Erwählung! Nicht die Natur hat uns in die Welt gesetzt, nicht die Gene haben uns geformt, nicht der Zufall hat mit uns gespielt. Gott hat erwählt, er hat uns errettet, er hat uns berufen, er wird uns erhalten. Das hat Gott längst entschieden, ohne abzuwarten, was wir aus uns machen. Die Würfel sind gefallen – aus Gottes Hand: Es ist entschieden: Wir sind gewollt. Wir werden gebraucht.
Nichts baut mehr Selbstbewusstsein auf und nichts mobilisiert mehr Kraft als ein kräftiges Erwählungsbewusstsein. Es produziert die Helden und die Heiligen. Aus dem Bewusstsein ihrer Erwählung ziehen Menschen enorme Kraft. Das ist der Geist der Kraft.
Aber dieser Geist ist schillernd. Die Islamisten haben einen ähnlichen Geist. Auch sie fühlen sich erwählt und berufen. Auch die Terroristen glauben sich von Gott berufen. Aus diesem Erwählungsbewusstsein ziehen sie Kraft. Ungeheure Kraft sogar. Die Kraft, ein großes Flugzeug in ein Hochhaus zu steuern. Die Kraft, sich selbst zu töten und viele andere mit in den Tod zu reißen. Weil sie sich dazu erwählt und berufen glauben, können sie sich auf die Ausführung ebenso grausamer wie komplexer Attentate konzentrieren.
Der Geist der Kraft aus dem Bewusstsein einer Erwählung ist ein schillernder Geist. Er ist zu allem fähig, zu Taten und zu Untaten. Er macht Helden und Heilige ebenso wie Terroristen und Fanatiker.
Deshalb lässt Gott uns mit diesem Geist nicht allein. Der Geist der Kraft braucht eine Schwester, die gut zu ihm ist, die ihn erzieht und zivilisiert. Das ist die Liebe. Die Liebe macht die Kraft menschenfreundlich. Kraft ohne Liebe läuft Gefahr, fanatisch zu werden. Ohne Liebe wird die Kraft blind und verliert das Menschliche aus den Augen. Ohne den Geist der Liebe ist ein Geist der Kraft nicht mehr Gottes Geist. Also gibt Gott uns nicht nur den Geist der Kraft, sondern auch den Geist der Liebe.

Der Geist der Liebe.
Wie dieser Geist wirkt, kann ich nicht besser sagen, als Paulus es gesagt hat. Deshalb lasse ich es ihn sagen: Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. (1.Kor 13,4-7, Lutherbibel)
Die Liebe hält die Kraft im Zaum. Die Liebe impft gegen Fanatismus. Die Liebe wird niemals dulden, dass einer einen anderen tötet, um Gott einen Gefallen zu tun.
Die Geschwister Kraft und Liebe sind beide schnell und impulsiv. Doch Gott denkt, dass auch wir denken sollten. Gerade in unübersichtlichen Lagen und den Zeiten von Krieg und Terror ist es gut, erst nachzudenken und dann zu reagieren. Daher gibt Gott zu Liebe und Kraft noch einen dritten Geist.

Der Geist der Besonnenheit.
Der funkt den Geschwistern Kraft und Liebe oft dazwischen, nimmt die Eile raus, kühlt die Hitze runter. „Erst mal drüber schlafen! Mal sehen, wie die Sache morgen aussieht.“ Der Geist der Besonnenheit ist ein solider, nachdenklicher, geordneter Geist, könnte ein deutscher, gar ein preußischer Geist sein. Aber auch er ist ein Geist von Gott. Seine Vernünftigkeit ärgert die Enthusiasten. Damit könne man einen Staat machen, aber keine Kirche, in der ein Feuer brennt, sagen sie. Der Geist der Besonnenheit sei der Tod der Begeisterung. Doch auch dieser Geist kommt von Gott. „Prüft alles und das Gute behaltet.“ (1.Thess 5,21, Lutherbibel) Von diesem Geist hatte die Bush-Administration nach dem 11. September zu wenig. Mit dem Irakkrieg reagierte sie auf die Anschläge zu schnell und falsch.
Man kann es in Zeiten wie diesen nicht oft genug sagen: Auch die Besonnenheit ist eine Gabe Gottes!

Kraft, Liebe, Besonnenheit – drei Geister, die von Gott kommen. Nichts, was man trainieren könnte. Nichts, was man bei Fortbildungen in Rollenspielen üben könnte. Geister von Gott. Er gibt sie denen, die er erwählt hat. Er gibt sie denen, die er berufen hat. Er gibt sie denen, die hören, was er sagt.
Drei, die sich gegenseitig in Schach halten. Drei gegen den einen, der nicht von Gott ist: die Verzagtheit. Denn die Zeiten sind bedrohlich, die Lage ist unübersichtlich und das Leben ist anstrengend.

An Ground Zero in New York markieren zwei quadratische Bassins die Stelle, an der die Türme standen. Drum herum werden neue Hochhäuser gebaut, noch höher als die alten. Das höchste steht bereits, es heißt „One World Trade Center.“ Dort wird man heute zusammenkommen und gedenken und miteinander beten: Christen, Juden, Muslime.
Es gibt nicht eine Welt der Gläubigen und eine andere der Ungläubigen. Wir leben alle in einer Welt. Sie wird nicht nur durch den Welthandel, sie wird auch durch das Gebet zusammengehalten.
Irgendwann wird auch der Ruf „Allahu akbarseinen Schrecken verlieren und er wird auch in unseren Ohren wieder das sagen, was er sagen soll: „Gott ist groß!“ Dieser große Gott fordert nicht unsere Unterwerfung, sondern er gibt uns seinen Geist. Er gibt ihn allen Menschen, damit wir leben und lieben und den loben, der uns dazu berufen hat mit heiligem Ruf, nicht aufgrund unseres Tuns, sondern aufgrund seiner freien Entscheidung und seiner Gnade, die uns in Christus Jesus zugedacht wurde, vor aller Zeit, jetzt aber sichtbar geworden ist im Erscheinen unseres Retters, Christus Jesus: Er hat den Tod besiegt und hat aufleuchten lassen Leben und Unsterblichkeit, durch das Evangelium.(2.Tim 1,10)
Amen.

Perikope
11.09.2016
1,7-10

Predigt zu 2. Timotheus 2,8 von Martina Janßen

Predigt zu 2. Timotheus 2,8 von Martina Janßen
2,8

I. Ostern ist einfach wunderbar! Nach dem Winter hat die Sonne wieder Kraft. „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche (J. W. v. Goethe).“Alles lebt auf, wird hell und bunt: die Vögel, die Blumen und auch in den Schaufenstern kann man die neuste Frühjahrskollektion bestaunen, mehr noch: Mit dem Kauf eines jeden neuen Rockes gibt es die Chance auf frohe Ostern gleich mit dazu. „Frohe Ostern zu gewinnen – mit jedem Einkauf bei Gerry Weber.“ – so der Werbeslogan einer Bekleidungskette in diesen Tagen. Frühlingsgefühle kommen auf. Wir dekorieren neu – unsere Gärten, unsere Häuser und uns selbst. Alles reizt, lockt und neckt. Bunte Schokohasen in den angesagten Farben der Saison, Ostereier zwischen kulinarischer Extravaganz und altbewährt wie zu Omas Zeiten. Osterbräuche, Ostermarkt, Osterfeuer, Osterbrunch - das Leben regt sich überall, umrahmt von den neusten Oster-Deko-Ideen für Haus und Garten. Wir blühen auf: Zeit für ein langes Frühstück, einen ersten Flirt, einen gemächlichen Osterspaziergang oder einen Ausflug ins Grüne. Ostern ist einfach wunderbar. Auch bei uns hier in der Kirche. Wie bunt unser Altar geschmückt ist! Die ruhigen, gedämpften Töne der Passionszeit sind verklungen; langsam werden unsere Stimmen fester und unsere Lieder fröhlicher, wir triumphieren, jubilieren mit Herz und Mund. Hell und warm legt der Schein der Osterkerze seinen Glanz in unsere Augen. Das Dunkel ist vertrieben, etwas Neues, Lebendiges, Helles beginnt. Darauf freue ich mich immer wieder, Jahr für Jahr. Ich kann mich noch gut an meine Kindheit erinnern. Meine streng katholische Großmutter aus Niederbayern hatte eines Jahres die Idee, mir einen selbstgebastelten Osterkalender zu schenken. Mitten in der Fastenzeit habe ich ihn bekommen. Hinter jeder Tür war ein kleines gemaltes Motiv. 14 Kreuzwegwegstationen, dunkle Bilder in gedeckten Farben, auf denen Szenen aus der Passionsgeschichte zu sehen waren. Jedes Mal, wenn ich eine Tür öffnete, stellte sich für einen Moment eine leichte Traurigkeit ein. Am Ostersonntag durfte ich das letzte Türchen öffnen – es war ein wenig größer als die anderen so wie der 24. Dezember in vielen Adventskalendern. Was für ein Unterschied! Das letzte Bild zeigte Jesus als Auferstandenen in bunten Farben, sogar mit einem Hauch von feinem Goldstaub und mit einem Lächeln auf den Lippen, wenn man die Phantasie spielen ließ und ein wenig genauer hinsah. Wie war ich froh! Endlich Farben und Leichtigkeit! Endlich Leben!

II. Ostern ist wunderbar! Immer wieder in unseren Kirchen, unseren Häusern und Gärten, in unseren Herzen. Die Schwere vergeht, die Welt wird hell und bunt, wir leben auf! Eine runde Sache – auch für Shopping Mals, Gärtnereien und die Gastronomie. Osterzeit ist schließlich auch Schlemmerzeit. Was aber wenn Ostern ins Wasser fällt? Für dieses Jahr ist Regen angesagt! Das korrigiert unsere Erwartungen und durchkreuzt viele Pläne. Die neuen Frühlingskleider ruhen im Schrank, die roten Pumps warten weiterhin ungetragen im Schuhkarton, Ausflug und Brunch auf der Terrasse fallen aus und die Eiersuche findet gezwungenermaßen drinnen statt. Da kann sich schon mal über die langen Feiertage Osterfrust einstellen und auf einmal ist nicht mehr viel übrig von Friede, Freude, Eierkuchen – und das nur, weil das Wetter nicht mitspielt. Mehr noch: Was machen eigentlich die Menschen zu Ostern, denen die süßesten Eier nicht schmecken, weil es zu viel Bitterkeit in ihrem Leben gibt? Wie können diejenigen in den österlichen Jubel einstimmen, denen Angst die Kehle zuschnürt und denen Hass Lippen und Herz verschließt? Nicht für jeden ist Ostern eine runde Sache. Viele sind blind für das bunte Farbenspiel draußen und drinnen; und so manchem steht in diesen Tagen nicht der Sinn nach süßen Leckereien oder angesagten Styling-Ideen für Haus, Garten und Figur - einfach weil es ihm nicht gut geht. Das müssen nicht die großen Katastrophen in unserer Welt sein, auch unter uns sitzt so mancher mit seinem ganz eigenem Kummer im Herzen, der nicht einfach so weggeht, weil das Leben rundherum mit aller Kraft neu erblüht. Was bedeutet der österliche Sieg des Lebens für die, die täglich ihre großen und kleinen Tode sterben? Woran sollen die sich halten in diesen Tagen?

III. „Halt im Gedächtnis Jesus Christus, der auferstanden ist von den Toten, aus dem Geschlecht Davids, nach meinem Evangelium! (2 Tim 2,8)!“ Mitte des zweiten Jahrhunderts bringt jemand unter dem Namen des Paulus mit diesen Worten Ostern auf den Punkt. Das war nötig, denn Jesu Auferstehung war ein Streitpunkt. Ist nur Jesu Seele auferstanden? Ziemt es sich für einen Gott, Angst, Schmerzen, einen geschundenen Leib zu haben? Viele Christen glaubten das und waren überzeugt: Jesu Auferstehung ist eine saubere Sache, so wie es sich für einen Gott gehört. Es ist die reine Seele, der unverwundbare Gottessohn, der aufersteht und im Himmel triumphiert. Jesu Leib, sein Menschsein, die Wunden, die Angst – all das bleibt zurück. Dagegen geht der unbekannte Theologe an. Sollte der auferstehende Gottessohn bei seinem Durchmarsch in den Himmel etwa all das Leiden, all das Menschliche, all uns Menschen mit unserer Not und unserem Schmerz zurücklassen? Das sei ferne! So glatt ist Ostern nicht. So unverwundbar ist Gott nicht. Und darum schreibt der Verfasser des zweiten Timotheusbriefes: Auferstanden ist Jesus Christus, aus dem Geschlecht Davids, der Mensch Jesus aus Nazareth, einer von uns, unser Bruder, einer wie du und ich. Er will damit sagen: Es ist der ganze Mensch, der auferweckt wird, mit Haut und Haaren, mit seinen Ecken und Kanten, mit seinen Wunden und seinen Narben! Wie in dem Osterkalender von meiner Großmutter. Wenn man das bunte, glitzernde Bild des Auferstandenen genau ansah, waren da die Wundmale an seinen Händen, Zeichen seiner Menschlichkeit, seiner Verwundbarkeit und Angst. All das wird nicht abgespalten, verleugnet, kaschiert oder betäubt. Ostern ist kein buntes Trostpflaster, das zudeckt und abdeckt; kein saisonaler Stimmungsaufheller, der für ein paar Tage gute Laune zaubert und der Wirtschaft neuen Schwung gibt; kein buntes, fröhliches Frühlingsfest, das beim ersten Regen ins Wasser fällt. Ostern ist mehr und etwas ganz anderes. Was Ostern ausmacht, das kann man nicht dekorieren, backen, planen oder gar mit einem Einkauf bei Gerry Weber gewinnen. Ostern nimmt den ganzen Menschen ernst, alles – auch das Dunkle und Schwere – alles von uns ist hineingenommen in den Sieg des Lebens, verwandelt und geheilt. Unsere bunt geschmückten Ostersträucher, unsere Fröhlichkeit, unser Trubel - all das ist gut, ein wunderbarer Ausdruck unserer Freude über den Sieg des Lebens. Doch der Grund unserer Freude ist ein anderer. „Halt im Gedächtnis Jesus Christus, der auferstanden ist von den Toten, aus dem Geschlecht Davids, nach meinem Evangelium! (2 Tim 2,8)!“ Was Ostern ausmacht, ist wetterunabhängig und findet nicht nur auf den Sonnenseiten des Lebens statt, sondern durchzieht die dunkelsten Ecken unserer Welt und erreicht die härtesten Herzen unter uns Menschen.

IV. Ostern ist wunderbar - auch fernab unserer heiteren Ostermärke, heilen Familien und Frühlingsgefühle! Jetzt, in diesem Moment, bricht der Morgen an und verwandelt unsere Nacht in neues Leben. Auch da, wo man sich aus Hunger über ein trockenes Stück Brot mehr freut als hierzulande über den raffiniertesten Osterbrunch; auch da, wo man keinen Sinn für die neusten Deko-Ideen hat, weil das Dach über dem Kopf fehlt; auch da, wo die neusten Modetrends nicht wirklich passen, weil die Körper zerschunden und gequält sind – auch da bricht die neue Wirklichkeit an. Unsichtbar, verborgen und subversiv durchdringt sie jeden Winkel und jedes Herz: Unsere kleinen und großen Tode werden im Leben aufgehoben sein, wunderbar verwandelt, geheilt, durch Jesus Christus, auferstanden von den Toten, unsern Bruder und unseren Gott.

Amen.

Perikope

Halt im Gedächtnis Jesus Christus, der auferstanden ist von den Toten - Predigt zu 2. Timotheus 2,8a von Henning Kiene

Halt im Gedächtnis Jesus Christus, der auferstanden ist von den Toten - Predigt zu 2. Timotheus 2,8a von Henning Kiene
2,8

„Halt im Gedächtnis Jesus Christus, der auferstanden ist von den Toten.“

Von meiner Großmutter habe ich einen Kochlöffel geerbt. Der liegt noch heute in der Schublade, gleich neben dem Herd. Meine Großmutter lebt schon lange nicht mehr, aber ich habe sie noch immer vor Augen: Sie steht am Herd, ganz bei der Sache, rührt ebenso kraftvoll wie konzentriert. Der Löffel schabt hörbar über den rauen Boden des eisernen Kochtopfs. Anbrennen ging schnell, der Topf war – natürlich – nicht beschichtet. Jahrzehnte lang hat sie diesen Kochlöffel benutzt und in den alten Töpfen hat sie das, vormals runde, Löffelholz immer schräger gerührt.

Wenn ich diesen alten Löffel zur Hand nehme, dann spüre ich – natürlich auf einem ganz anderen Niveau – was wir in dieser Osternacht feiern. Das warme, vertraute Holz eines alten Löffels liegt warm in meiner Hand und der würzige Duft, der die ganze Küche erfüllte, steigt mir in die Nase. Ihre Haltung, die sich liebevoll und gründlich dem Kochen widmete, hat sich mir tief eingeprägt. Es gibt eine Nähe, die kann einem selbst der Tod nicht nehmen.

Wir tauchen hier, in der von der Dunkelheit umhüllen Kirche, alle in etwas Vergangenes ein und spüren dessen Gegenwart. Da ist, aus der Perspektive vieler Menschen betrachtet, das Leben für immer verloren und in jeder Hinsicht vorbei, wir aber erleben heute dennoch dessen Gegenwart. Die alten Texte, die wir in der Osternacht lesen und hören, fädeln Vergangenes, schon lange verloren Geglaubtes neu in unser Leben ein. Wir haben eben vom Paradies, von Noah, dem Untergang, Neubeginn und Gottes Versprechen, von Saat und Ernte, Frost und Hitze, wir haben von den toten Gebeinen auf dem Felde, die durch das Wort Gottes wieder ins Leben gerufen werden, gehört, von den Frauen am Grab war die Rede, sie haben den toten Jesus bei den Lebenden wiedergefunden. Sein Leben, sein Wort, die Zeichen, die er tat, haben ihre Kraft behalten, obwohl er tot ist. Und mit jedem dieser Worte, die wir in der Osternacht hören, wird greifbarer, wie die Kraft des Wortes Gottes über die Grenzen, die wir sehen und Tag für Tag erleben, hinaus wirkt.

Als hielte ich einen uralten Holzlöffel in der Hand: Hier wird das letzte Wort nicht dem Tod eingeräumt, sondern am Ende lebt mehr weiter, als jemals tatsächlich sterben kann. Ostern schafft keine Illusion, es sorgt in oftmals unvorstellbarer Weise für eine Realität. Manchmal ist es ein warmes, weiches Holz, das leicht und zuverlässig in der Hand liegt, das eine Brücke baut und den hässlich schwarzen Graben überspannt, der sich zwischen uns, den Lebenden und unseren Toten auftut.

So geht mir der Wunsch der Angehörigen der Passagiere des seit Wochen vermissten Fluges MH 370 nach: Sie wollen endlich und verlässlich wissen, was mit den Menschen, die in dem Flugzeug in die Nacht flogen, geschehen ist. Selbst dann, wenn die Hoffnung auf deren Überleben erloschen ist, versprechen erst zuverlässige Informationen, Gepäckstücke, Teile des Flugzeugs etwas mehr Ruhe. Wer den Tod im ursprünglichsten Sinn des Wortes „begreifen“ kann, hofft trotz der furchtbaren Gewissheit zu einem neuen Anfang finden zu können. Manchen reicht ein kleines Erinnerungsstück, um neue Perspektiven zu erkennen.

Ich bin davon überzeugt, dass viele von uns österlich geprägte Momente kennen und erleben: Plötzlich sind sie wieder ganz nah, die Menschen, die wir einst liebten. Ein Mann erzählt, dass er im Urlaub immer noch seinen Eltern eine Postkarte aussucht. Die Eltern wären heute uralt, aber sie sind, auch Jahre nach deren Tod, noch immer „irgendwie da und nicht ganz tot“. Eine Frau berichtet von der Hoffnung, die die vom Sterben schon deutlich gezeichnete Freundin beseelte. Ihr schenkt diese Hoffnung, obwohl die Freundin noch viel zu jung war, als sie starb, mehr Vertrauen, als deren Sterben, das sie auch miterleben musste. Auferstehung wird in unterschiedlich großer Münze an uns ausgezahlt. Jesu Wort gilt. Es überlebt im Leben erheblich mehr den Tod, als mit ihm stirbt.

Meine Großmutter lebte vor hundert Jahren, als der Erste Weltkrieg ausbrach, schon. In den Hungerwintern nach dem Krieg hat sie mit dem Kochen begonnen. Nachdem ich das erfahren hatte, verstand ich sie besser, wusste genau, warum sie aus den dampfenden Töpfen alles penibel gerecht verteilte, jeder sollte genug auf den Teller bekommen und nicht hungrig vom Tisch aufstehen. Sie erwartete von uns, dass kein Essen weggeworfen wird. „Wie viel Hunger gibt es, Kinder?“, fragte Sie verzweifelt. Natürlich eine rhetorische Frage: Die Antwort war immer: „Viel zu viel!“. Später, in ihrem kleinen Altenheimzimmer hing wieder das gestickte alte Spruchband: „Unser tägliches Brot gib uns heute“ über ihrem Bett. Jesu Wort, sie hat es Tag für Tag innig gebetet, trägt durch das Leben und es hält darüber hinaus. Gottes Wort überlebt sogar den Tod.

 

Perikope