Der helle Schein in unseren Herzen - Predigt zu 2Kor 4,3-6 von Christoph Hildebrandt-Ayasse
4,3-6

Der helle Schein in unseren Herzen - Predigt zu 2Kor 4,3-6 von Christoph Hildebrandt-Ayasse

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herr Jesus Christus. Amen.

Der Predigttext zum Epiphaniasfest steht im zweiten Korintherbrief. Dort schreiben der Apostel Paulus und sein Kollege Timotheus an die Gemeinde in Korinth:
3 Ist nun unser Evangelium verdeckt, so ist's denen verdeckt, die verloren werden,
4 den Ungläubigen, denen der Gott dieser Welt den Sinn verblendet hat, dass sie nicht sehen das helle Licht des Evangeliums von der Herrlichkeit Christi, welcher ist das Ebenbild Gottes.
5 Denn wir predigen nicht uns selbst, sondern Jesus Christus, dass er sei der Herr, wir aber eure Knechte um Jesu willen.
6 Denn Gott, der da hieß das Licht aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.

Liebe Gemeinde,

über Verlorene, Ungläubige und Verblendete wird in unseren Kirchen wohl eher selten gepredigt. Es klingt in unseren Ohren eher herabwürdigend und überheblich, so von anderen Christen oder Menschen anderer oder keiner Religion zu sprechen. Die Worte erinnern an Glaubenskriege und religiöse Verfolgungen. Da schwingen Diskriminierungen und Verdächtigungen mit. Alle Religionen habe da eine dunkle und gewalttätige Seite, da, wo sie andere als Verlorene, Ungläubige und Verblendete brandmarken. Das war nicht nur in der Geschichte so. Als „ungläubig“ bezeichnet zu werden stellt bis heute eine Gefahr auch gerade für Christen in aller Welt dar.

In unseren Kirchen rufen wir heute zu religiöser Toleranz auf und zum interreligiösen Dialog. Wenn jemand einen anderen oder gar keinen Glauben hat, so ist das zu akzeptieren. In einer Welt, die immer näher zusammenrückt, gilt: kein Weltfrieden ohne Religionsfrieden. In diese bekannte und einleuchtende Formel fasste der Theologe Hans Küng die Notwendigkeit zum interreligiösen Dialog. Die Religionen müssen sich verständigen und gemeinsam nach Wegen zum Frieden suchen. Im Interreligiösen Dialog kann man entdecken, dass manche Religionen ganz ähnlich klingende Inhalte haben. „Gott und den Nächsten lieben“, das ist eine Aufforderung an die Gläubigen, die sich in unterschiedlichen Formulierungen bei vielen Religionen findet. Aber bei allem, was ähnlich klingt, bleiben doch die Unterschiede zwischen den Religionen bestehen. Wir glauben nicht alle irgendwie an das Gleiche, ein gemeinsames Göttliches. Nein, andere Religionen können sehr anders, sehr fremd sein. Da gibt es sehr verschiedene Vorstellungen und Aussagen über Gott und die Welt, über Leben und Tod. Wichtig ist der Respekt vor der religiösen Überzeugung der anderen, auch wenn sie sehr fremd ist. Das Gespräch mit anderen Religionen kann nicht gelingen, wenn wir andere religiöse Aussagen einfach vereinnahmen und leichthin sagen: Das ist ja bei denen irgendwie auch wie bei uns im Christentum. Mit dieser Einstellung nehmen wir weder andere Religionen noch die eigene Glaubensüberzeugung ernst. Und ist es nicht gerade diese Ist-doch-egal-Haltung, die das Evangelium verdeckt? Verloren, ungläubig und verblendet wären dann wir, da wir weder den eigenen christlichen Glauben noch andere Religionen wirklich ernst nehmen.

Wir als christliche Gemeinden in Deutschland müssen uns ja erst daran gewöhnen, dass die Welt um uns herum immer multireligiöser und auch unreligiöser wird. Wir christlichen Gemeinden werden immer kleiner. Das nehmen wir schmerzhaft wahr. Wir werden zu einer Minderheit. Aber, in der Minderheit zu sein, das trifft für die meisten christlichen Gemeinden in der Welt zu. Und ich denke, es lohnt sich, von Gemeinden in der weltweiten Kirche zu hören, was es bedeutet, als Christen in einem Umfeld zu leben, das mehrheitlich nicht an Christus glaubt.

Ich blicke heute an Epiphanias, dem Fest der Erscheinung des Christus für alle Welt, nach China. Ein Theologe aus der Volksrepublik China berichtet, dass in seiner Kirche andere durchaus als Ungläubige oder Verblendete bezeichnet werden können. Es gibt in China einige christliche Sekten, die den Menschen „den Sinn verblenden“ (v4) und ihnen schaden, wie z.B. die „Kirche des Allmächtigen Gottes“, so erzählt er. Vielleicht haben Sie ja von dieser sogenannten Kirche auch hier in Deutschland schon gehört. Ihre Mitglieder treten als „verfolgte Christen“ in Kirchengemeinden auf und entfalten dann ihre sektenartige und verstörende Missionstätigkeit. Es stimmt: Ihre Mitglieder werden in China verfolgt, weil der Staat dort keine religiösen Aktionen außerhalb der strengen Religionsgesetze gestattet, aber auch aufgrund von Straftaten außerhalb der Religionsgesetze.

Wenn man sich einmal mit den Inhalten dieser „Kirche des Allmächtigen Gottes“ auseinandersetzt, dann stößt man dort auf viel Wirres und wenig Christliches und auf das für solche religiösen Sondergemeinschaften immer typische Erwählungsbewusstsein von der Errettung vor dem Satan und der bösen Welt. Vielleicht gelingt es manchen Kirchengemeinden bei uns, diesen Menschen aus China zu helfen und ihnen eine neue geistliche Heimat zu bieten, wenn sie sich bei ihnen melden.

Die christliche Kirche in China ist seit den 80er Jahren sehr stark gewachsen. Christen werden in China die Protestanten genannt. Die katholische Kirche wird als eine eigene Religion betrachtet. Die christliche Kirche, also die Protestanten, zählt heute weit über 35 Millionen Mitglieder und viele Freunde, die aber nicht offiziell Mitglieder werden wollen und sich als Christen registrieren lassen, weil sie sonst Nachteile durch den Staat befürchten. Zu den registrierten Christen in der offiziellen, staatlich anerkannten Kirche kommen die vielen Millionen Christen aus den nichtoffiziellen Hauskirchen sowie die kleinere katholische Kirche. In der Volksrepublik China sind fünf Religionen offiziell gestattet und werden von der kommunistischen Partei überwacht: Taoismus, Buddhismus, Islam, Katholizismus und das Christentum, also die Protestantische Kirche. Sonntags sind die Gottesdienste in den evangelischen Kirchen voll. An manchen Orten müssen mehrere Gottesdienste hintereinander gehalten werden. Missionarisch setzt man sich ein, dass die Gemeinden noch weiterwachsen. Außerdem werden sonntags Jugendgruppen, Bibelstunden, Chorstunden und andere Aktivitäten angeboten. Für Christen gehört der Sonntag der Kirche und der Gemeinde. Das ist eine bewusste Entscheidung, denn für viele Chinesen ist der Sonntag der einzige freie Tag in der Woche. Und wie könnte man ihn besser verbringen als in der Gegenwart Christi und im hellen Licht des Evangeliums?

Es ist der „Gott der Welt“, der Christen sonntags vom Gottesdienst und von der Gemeinde fernhält, indem er ihnen den Sinn verblendet. So sehen es chinesische Christen. „Geld“ heißt einer dieser Götter der Welt. „Warum nicht sonntags noch zusätzlich Geld verdienen oder einkaufen gehen? Warum sollte man seine wertvolle Zeit Gott Opfern?“, fragen sich manche Christen in China. „Freizeit“ heißt eine andere Göttin der Welt. Ich denke, es lohnt sich darüber nachzudenken, welche „Götter und Göttinnen der Welt“ unsere Aufmerksamkeit und unseren Einsatz verlangen, unseren Sinn verblenden und uns den Blick auf Jesus verstellen. Und wenn ich unsere Christenheit mit Gemeinden in China oder an anderen Orten der Welt vergleiche, dann ist, so denke ich, bei uns die „Gleichgültigkeit“ eine der Göttinnen der Welt. Eine Gleichgültigkeit, die sagt: „Es ist doch egal, was ich oder andere glauben.“ Ich finde es bemerkenswert, welchen hohen Stellenwert der Gottesdienst, das Gebet und die Gemeindeversammlungen in der chinesischen Kirche und in anderen Kirchen weltweit noch haben als die Orte, an denen das Evangelium verkündigt wird und aufleuchtet.

Als die Weisen aus dem Morgenland, unsere traditionellen „Heiligen Drei Könige“ unterwegs waren, da gab es noch einen anderen „Gott der Welt“, den König Herodes. Er sah in dem Kind in der Krippe, in Jesus Christus, dem Ebenbild Gottes die direkte Konkurrenz zu seiner Macht. „Macht“ ist auch eine „Göttin der Welt“. Die Weisen aus dem Morgenland aber vertrauten ihr nicht, der Macht des Herodes, sondern ließen sich von Gott vor seinen dunklen Absichten warnen. Das Licht, dieser helle Schein in ihren Herzen, der ihnen an der Krippe im Stall zu Bethlehem entzündet wurde, war stärker und wärmer als die kalte Macht des Herrschers. Dort, an der Krippe, war alles licht und warm und gut. Ein Zustand, den wir in unserer Welt so oft vermissen. Licht und warm und gut, obwohl es im Stall zu Bethlehem dunkel und kalt und erbärmlich war. „Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt“, so heißt in dem Lied „Die Nacht ist vorgedrungen“ von Jochen Klepper. „Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt“, dies haben auch die Christen in China in den Zeiten der Verfolgung erlebt, als die Gemeinden im Untergrund wuchsen, weil sie das Licht des Evangeliums als Hoffnung in schwerer Zeit weitergaben. Und das erleben sie bis heute.

Die Weisen aus dem Morgenland haben in ihren Herzen diesen hellen Schein mit in ihre Heimat genommen. In der kirchlichen Tradition gelten sie daher als die ersten Missionare außerhalb des Heiligen Landes. Diese Tradition enthält eine sehr stimmige und freundliche Wahrheit: Freude steckt an. Wer sich von Herzen freut, der strahlt Freude aus. Unsere Bibelstelle heute ist ja wie eine Lichterkette. Zuerst entzündet Gott sein Licht in der Finsternis wie am ersten Tag der Schöpfung. Weiter leuchtet Gottes Licht in Jesus Christus, seinem Ebenbild. Und dieser Schein leuchtet in den Herzen der Menschen, die sich ihm zuwenden. Und sie geben das Licht weiter, so dass auch andere Gott in Jesus Christus erkennen. Angefangen hat es mit den Weisen aus dem Morgenland, so erzählt es die Tradition. Und weiter geht es heute mit uns. Also: Frohe Weihnachten! Und: Viel Freude im Herzen!

Amen

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pfarrer Christoph Hildebrandt-Ayasse: 

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Die Gottesdienste am Epiphaniasfest werden in der Württembergischen Landeskirche meist gemeindeverbindend als Distriktgottesdienste gefeiert. Anwesend sind überwiegend die „Treuen“ und zum Hören und Nachdenken Bereiten. Manche Gemeinden feiern Epiphanias als Tag der Weltmission und setzen internationale Akzente aus der weltweiten Kirche. Erwartet wird meiner Erfahrung nach, dass der Gottesdienst am Anfang des neuen Jahres stärkt und den Blick in und für die Welt öffnet.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Beflügelt haben mich die Predigtgespräche mit Prediger Huang, dem Ökumenischen Mitarbeiter aus China in unserem Dienst (https://www.dimoe.de/aktiv-werden/gottesdienst-und-unterricht) und die biblische, gemeindebezogene und pragmatische chinesische Theologie. Dazu kommen Überlegungen meiner Landeskirche, Gemeindearbeit zu internationalisieren, d.h.: wahrzunehmen, dass das „helle Licht des Evangeliums“ (2. Kor. 4,4) nicht nur in unseren Gemeinden brennt, sondern an vielen Orten. Wo lassen wir es leuchten?

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
„Wir predigen nicht uns selbst…“ wieder ganz neu entdeckt als persönliche, kritische Anfrage.
„Wie sehen Christen aus Deutschland deiner Meinung nach den „Gott dieser Welt“?“ Eine Anfrage aus der weltweiten Ökumene.
Den „hellen Schein“ im eigenen und in anderen Herzen entdecken und weitergeben.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Es war hilfreich, dass die Predigtcoach den Anfang der Predigt infrage stellte. Darf eine Predigt „negativ“ beginnen? Ich denke, einer Epiphaniasgemeinde kann man das zumuten. Dass Paulus von den „Ungläubigen“ etc. spricht, ist der Diasporasituation der kleinen Christengemeinden geschuldet – damit umzugehen, müssen wir Landeskirchen gerade schmerzhaft erlernen. Trotzdem bleibt die Anfrage: Verdeckt der negative Klang den „hellen Schein“? „Positiv, konstruktiv-predigen“ als Aufgabe.

Perikope
Datum 06.01.2023
Bibelbuch: 2. Korinther
Kapitel / Verse: 4,3-6