Der Herr wird kommen – Predigt zu Lukas 12, 35-40 von Søren Schwesig
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Der Herr wird kommen – Predigt zu Lukas 12, 35-40 von Søren Schwesig

Liebe Brüder und Schwestern,

wie die Zeit verrinnt! Das merken wir besonders am Altjahrabend. Wir blicken zurück aufs alte Jahr und schauen voraus auf das neue, das kommt.

Die Zeit verrinnt wie bei einer Sanduhr. Die Sanduhr als Symbol für die verrinnende Lebenszeit. Sekunde für Sekunde rieselt ein Sandkorn nach dem andern von der oberen in die untere Hälfte der Sanduhr. Kindern mag es so vorkommen, als sei die obere Hälfte der Sanduhr gefüllt mit endlich viel Sandkörnern, und damit unendlich viel Zeit. Für uns Erwachsene dagegen scheinen, je älter wir werden, die Sandkörner immer schneller zu rinnen. Unsere Tage und Jahre scheinen zu verfliegen. Was, schon wieder Silvester? Schon wieder ein Jahr vergangen?

An diesem Abend wird uns das Vergehen der Zeit bewusst. Wir blicken aufs vergangene Jahr zurück. Fragen uns, ob es ein gutes, glückliches Jahr war? Weltpolitisch war 2017 ein unruhiges Jahr. So viele Konflikte, so viel Gewalt und Hass: im Irak und Syrien, im ukrainischen Donbas, in Israel und Palästina. Wir erinnern uns an die barbarische Verfolgung des Volkes der Rohingya in Burma, an das Sterben im Jemen und und und. Für 2018 wünschen wir uns, es möge ein friedlicheres Jahr werden. Dass es gute Erfahrungen und reiche Erlebnisse für uns bereithält. Möge es so werden.

Heute Abend lenkt unser Predigtwort unseren Blick auf eine andere Dimension von Zeit. Jesus redet davon, dass er eines Tages wiederkehren wird. So heißt es in Lukas 12:

Haltet euch bereit und sorgt dafür, dass eure Öllampen brennen! Seid wie Leute, die darauf warten, dass ihr Herr von einem Hochzeitsfest zurückkehrt. Wenn er dann kommt und anklopft, können sie ihm sofort aufmachen. Glückselig sind die Diener, die der Herr wach vorfindet, wenn er nach Hause kommt! Amen, ich sage euch: Er wird sich eine Schürze umbinden und sie zu Tisch bitten. Dann wird er hinzutreten und sie bewirten. Und wenn der Herr erst in der zweiten oder dritten Nachtwache kommt und seine Diener wach vorfindet gilt erst recht: Glückselig sind sie!

Macht euch bewusst: Wenn der Hausherr wüsste, zu welcher Stunde der Dieb kommt – er würde es nicht zulassen, dass in sein Haus eingebrochen wird. Und auch ihr sollt jederzeit bereit sein. Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet.

Gleich nach Jesu Tod und Auferstehung rechnen die ersten Christen mit seinem baldigen Wiederkommen. Es wird nur Tage dauern, denken sie, höchstens Monate. Aber der Herr kommt nicht. Jahr für Jahr warten sie. Vergeblich, bis die Erwartung auf seine Wiederkehr immer schwächer wird.

Wir Heutige sind daran gewöhnt, dass unser Herr abwesend ist. Wir kennen es nicht anders. Wir erinnern uns in unseren Gottesdiensten an seine Worte und Taten, besingen ihn in unseren Liedern und feiern seine Gegenwart im Abendmahl. Aber der Herr ist nicht da. Das ist der Zustand, mit dem wir leben und an den wir gewöhnt sind. Dass der Herr eines Tages zurückkehren wird, ist irgendwie schwer vorstellbar. Wir haben uns an seine Abwesenheit gewöhnt.

Auch von Gott haben Menschen immer wieder das Gefühl, er sei in ihrem Leben abwesend. „Wo ist Gott?“ fragen Menschen, wenn das Leben Wunden schlägt. Da stirbt ein geliebter Mensch, und der Partner steht plötzlich leer und verloren da. „Es ist kalt geworden in meiner Wohnung“, sagt mir jemand, „kalt auch in meinem Leben“. Oder da bringt ein unvermuteter Unfall die gewohnten Abläufe durcheinander. Da wendet eine Krankheitsdiagnose alle Zuversicht und endet gemeinsam geschmiedete Pläne. Da schneidet der Tod hart und grausam ins Leben. „Wo ist Gott“, fragen Menschen dann.

Dieses Gefühl, dass Gott zu bestimmten Zeiten des Lebens abwesend ist, gehört zu den Grunderfahrungen des christlichen Glaubens. Jeder von uns macht diese Erfahrung in seinem Leben. Diese Erfahrung kennt auch die Bibel. Sie erzählt von Menschen, denen Gott begegnet, aber auch von denen, die zu bestimmten Zeiten das Gefühl haben, Gott sei abwesend, habe sich abgewandt, sei ferne.

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Unser heutiges Predigtwort erinnert uns daran, dass Christus seine Wiederkunft versprochen hat. Das ist für Christen ein wichtiges Versprechen. Denn die Aussicht, dass Jesus eines Tages wiederkehren wird, bedeutet, dass es in dieser Welt nicht immer so weitergehen wird wie bisher.

Würden wir nicht mit Jesu Wiederkehr rechnen, müssten wir einstimmen in den Chor derer, die sagen, dass es mit dieser Welt immer so weitergehen wird wie bisher. Dass es immer Kriege geben wird, weil Gewalt und Gegengewalt nun mal zur Natur des Menschen gehören. Dass es normal sei, wenn die Schere zwischen den Reichen und den Armen auch in unserer Gesellschaft immer weiter aufgeht – weil so eben der Lauf der Welt ist.

Christen aber, die wissen, dass Christus wiederkommt, rechnen mit dem Ende dieser Welt und erwarten das Aufscheinen einer neuen Welt. Eine Welt, in der die alten Spielregeln der Gewalt außer Kraft gesetzt sind. Diese alten Spielregeln, nach denen es immer Menschen geben wird, denen alles zufliegt, während die anderen auch noch das letzte verlieren können, was sie haben – „das sei halt so“. Diese Spielregeln werden außer Kraft gesetzt. Weil die kommende Welt so sein wird, wie sie von Gott von Anfang an ausersehen war: „Sehr gut“.

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Gebt den Traum auf die kommende Welt nicht auf! Haltet den Traum fest! Oder in den Worten Jesu: „Seid wachsam und rechnet mit der Wiederkunft des Herrn“. So fordert Jesus seine Jünger auf. Und erzählt dazu von einem Hausherrn, der nach Hause zurückkehrt. Wann er kommt, steht nicht fest. Vor Mitternacht? Danach? Aber wenn er kommt, müssen seine Knechte wach sein und ihm aufschließen, sonst muss er draußen in der Kälte bleiben. Wenn der Hausherr seine Knechte wach antrifft, wird er ihnen dankbar sein. So dankbar, dass er die Rollen vertauscht. Dann wird er sich die Schürze umbinden und die Knechte zu Tisch bitten und sie bedienen!

„Er wird ein Knecht und ich ein Herr, das mag ein Wechsel sein …“

Spätestens an dieser Stelle werden die antiken Hörer ungläubig geschaut haben. In ihrer Welt gibt es ganz selbstverständlich Herren und ihre Sklaven. Dass nun ein Herr den Knecht bedient, bedeutet die Umkehrung aller Verhältnisse. Ja, wenn Christus kommt, werden die Verhältnisse umgekehrt. Dann werden die Spielregeln der alten Welt außer Kraft gesetzt und die Spielregeln der neuen Welt gelten.

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Uns, die wir am Altjahrabend danach fragen, wie das neue Jahr werden und was zu tun sein wird - uns wird diese Geschichte erzählt. Damit wir die Ankunft des Herrn erwarten. Damit wir wachsam sind. Damit ist nicht gemeint, in einem ständigen Zustand der Erwartung zu leben. Wer stets wachsam ist, ist irgendwann nur noch müde. Aber bis der Herr wiederkommt, ist uns eine Aufgabe übertragen. Dass wir von unseren Träumen reden; dass wir von der neuen Welt erzählen; dass wir von den Spielregeln der neuen Welt erzählen, und dass deshalb die alten Spielregeln jetzt schon außer Kraft gesetzt sind. Für uns gelten die Spielregeln der neuen Welt.

Ist das nicht tröstlich? Mitten in einer Welt, die gezeichnet ist durch Katastrophen, überträgt Jesus uns die Aufgabe, acht zu haben auf diese Welt und die Menschen. In einer Menschengeschichte, die so viele Trümmer und Opfer kennt, sollen wir unsere Hoffnung weitergeben.  Unsere Hoffnung auf eine Welt, in der Menschen aller Sprachen, Hautfarben und politischer Überzeugungen miteinander in Frieden leben. Eine Welt, in der Menschen trotz ihrer Unterschiede respektvoll und achtsam miteinander umgehen. In der kein Mensch wegen seiner Religion angefeindet wird. Eine Welt, in der jede Frau und jeder Mann, jedes Kind und jeder Jugendlicher den Respekt erfährt, der ihm zusteht. Eine Welt, in der Menschen, die es vergessen oder verlernt haben, auf das Gute zu vertrauen, wieder neu lernen, an das Gute zu glauben und sich für das Gute einzusetzen.

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Ich finde, das ist eine wunderbare Aussicht. Mit dem Kommen des Herrn wird die alte Welt an ihr Ende kommen und eine neue, seine Welt aufscheinen. Seine Welt, in der seine Spielregeln gelten.

Auf diese Welt warten wir. Mit Geduld. Aber nicht mit einer Geduld, die die Hände in den Schoß legt. Mit einer aktiven Geduld, die ändern will, was in unseren Kräften ist. Denn wir, die wir auf die neue Welt warten, finden uns nicht ab mit der Welt, die ist.

So feiern wir heute den Jahreswechsel. Dankbar, wie Gott uns im Ende zu Ende gehenden Jahr geführt hat. Hoffnungsvoll, dass auch das neue Jahr unter seiner Führung stehen wird. Ob wir im kommenden Jahr sein Kommen erleben werden?

Amen.