Liebe Gemeinde!
Als Franz Müntefering 2005 zum SPD-Vorsitzenden gewählt wurde, wurde er gefragt, wie er denn sein neues Amt bewerte. „Das schönste Amt nach Papst“, gab er zur Antwort. Da wusste er natürlich noch nicht, dass er nur ein Jahr später von ebendiesem Amt zurücktreten würde, ebenso wenig, wie viele Vorsitzende seine Partei in den kommenden Jahren verschleißen würde. Genauso wenig konnte er wissen, dass etwa zehn Jahre später ein Papst zurücktreten und als papa emeritus im Vatikan neben dem amtierenden Papst leben würde. Auch die Tatsache, dass beide unter schlimmem Beschuss stehen würden, konnte er unmöglich geahnt haben.
Aber selbst, wenn man ihm damals zugestimmt hätte, dass die schönste Aufgabe, die auf Erden zu vergeben ist, das Amt des Papstes ist, würde das heute vermutlich kein Mensch mehr sagen. Der eine – Benedikt XVI. – wird kritisiert, weil er in seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising einem Priester, der des sexuellen Missbrauchs beschuldigt wurde, erlaubte, weiterhin Priester in seiner Diözese zu sein. Der andere, Papst Franziskus, bekommt heftig Prügel, weil er die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare und die Priesterweihe von Frauen ablehnt. Wenn er dagegen beides zuließe, würde es heftige Kritik von der anderen Seite geben.
Selten hat die katholische Kirche sich so zerrissen gezeigt wie heute. Vielleicht wäre es leichter, wenn die Macht und damit die Entscheidungskompetenz sich nicht in dem einen Mann an der Spitze bündeln würde. Fragt sich nur, mit wie vielen Stimmen Kirche dann sprechen würde und ob sie überhaupt noch Weltkirche sein könnte.
Aber gehen wir noch einmal zurück. Zu den Anfängen des Papsttums. So genau weiß man nicht, wann das angefangen hat. Im vierten oder fünften Jahrhundert vermutlich und dann auch im Schatten vieler dogmatischer Kämpfe, die auf Konzilien im Osten des Reiches ausgetragen wurden, an denen sich der Westen kaum beteiligte. Er hatte ja auch genug mit der eigenen Einigung zu tun. Dass es der Bischof von Rom war, der den Anspruch auf das höchste Herrscheramt in der Kirche erhob, war natürlich kein Zufall. Rom war die Hauptstadt des römischen Weltreichs und so sollte dann auch die Kirche organisiert sein.
Hinzu kam aber noch etwas anderes. Petrus war so etwas wie der erste Bischof von Rom gewesen und er war in der Stadt den Märtyrertod gestorben. Was den Anspruch des Bischofs von Rom auf die Oberherrschaft der Kirche natürlich weit mehr legitimierte als es der Titel der Welthauptstadt tat. In den folgenden Jahrhunderten setzte sich das Papstamt zumindest im Westen des römischen Reiches denn auch ohne große Widerstände durch, während sich im Osten eine eigene Kirche mit eigenen Traditionen etablierte, nämlich die orthodoxe Kirche. Man mag es erstaunlich nennen, aber das Amt des Papstes als Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche hat sich gehalten, trotz der Zeit der Gegenpäpste in Avignon im Mittelalter und trotz der Kirchenspaltung im 16. Jahrhundert, als sich in Deutschland, der Schweiz und den skandinavischen Ländern die Reformation entwickelte. Aber die Sehnsucht nach einer Kirche, die mit einer Stimme sprach, war wohl groß genug.
Und doch: Von der Geschichte her lässt dich das Amt des Papstes wohl kaum rechtfertigen. Vielleicht sind ja auch unsere Erwartungen an dieses Amt zu hoch.
Fragen wir doch einmal nach. Der Text für heute scheint zumindest Bezug zu nehmen auf das Amt des Hirten, wie Jesus es nennt. Und damit kann nicht nur das Amt des Papstes gemeint sein.
Wie soll man dieses Gespräch benennen?
Da wird jemand ins Gebet genommen. Und zwar richtig. Und alle aus der Familie sind dabei.
Oder man könnte es ein Prüfungsgespräch nennen. Wobei es bei der Prüfung nicht um erworbenes Wissen geht. Sondern um Loyalität. Dreimal erklingt dieselbe Frage: „Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb?“ Wobei auch das immer noch nicht ganz richtig ist. Denn die erste Frage heißt ja: „Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieber als die anderen mich haben?
Zumindest nach meinem Geschmack geht es hier hart an die Grenze. Wie soll Petrus denn in Gegenwart der Anderen darauf antworten? Wenn er „Ja“ sagt, werden sie ihn in der Luft zerreißen. Oder ihn zumindest eifersüchtig beobachten. Aber „nein“ kann er ja auch schlecht sagen, denn er hat Jesus ja wirklich lieb. Also sagt er, was aus tiefstem Herzen kommt: „Du weißt, dass ich dich liebhabe.“ Und Jesus erwidert etwas Seltsames: „Weide meine Lämmer.“
Damit könnte es nun zu Ende sein. Jesus weiß, dass Petrus ihn liebhat und er hat ihm einen Auftrag erteilt. Aber merkwürdigerweise geht die Befragung weiter. Jesus fragt noch einmal und fast mit den gleichen Worten: „Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb?“ Was soll Petrus darauf antworten? Im Grunde kann er nur das sagen, was er schon einmal gesagt hat: „Herr, du weißt, dass ich dich liebhabe.“
Und dann kommt die Frage zum dritten Mal und man merkt, das ist kein normales Gespräch unter Freunden. Es ist irgendetwas zwischen einem Bewerbungsgespräch, einem Prüfungsgespräch und einer Therapie und ich kann beim besten Willen nicht sagen, was. Selten ist einer so in die Mangel genommen worden, der später ein so hohes Amt bekleiden wird. Denn dass Petrus die neu entstehende Kirche führen soll, daran lässt Jesus ja keinen Zweifel. „Weide meine Schafe“ trägt er ihm auf und fügt gleich hinzu, damit der Kandidat weiß, was Sache ist: „Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wohin du wolltest, wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und führen, wohin du nicht willst.“
Eine seltsame Autorität, die Petrus da zugesprochen bekommt. Fast möchte man meinen, Jesus verleihe sie ihm und nehme sie im nächsten Augenblick wieder ab. Wer nur diese Geschichte kennt, der kann sie wohl nicht verstehen. Aber nun wissen wir ja auch um die Vorgeschichte. Am Anfang hat Petrus als erster das Bekenntnis zu Jesus als dem Messias ausgesprochen und Jesus hat ihm dafür den Beinamen „Petrus“, der Fels gegeben und gesagt, auf diesem Felsen werde er seine Kirche bauen. Aber manchmal kommt es anders und so verleugnet ebendieser felsenstarke Petrus im Hof des Hohepriesters seinen Freund und das nicht nur einmal, sondern dreimal. „Ich kenne den Menschen nicht“, sagt er, als er gefragt wird, ob er nicht auch zu diesem Jesus gehöre. So schnell kann es gehen, wenn die Angst stärker ist als die Freundschaft. Wie oft mag Petrus hinterher diese Worte bereut haben. Allein, sie sind gesprochen und er kann sie nicht mehr einfangen. Aus diesem Grund fragt Jesus drei Mal, ob Petrus ihn liebhabe. Und aus ebendiesem Grund soll Petrus sich auch nicht auf die eigene Stärke verlassen, sondern es wird ihm gesagt, dass ein anderer ihn führen wird. Dieser andere kann kein anderer sein als Jesus selbst. Petrus soll die Kirche führen, aber dabei soll er sich unter die Autorität Jesu stellen.
Aber vielleicht kann ich das Ganze auch noch einmal von einer anderen Seite betrachten. Ich gebe zu, lange war ich irritiert von dieser Szene. Von der Unerbittlichkeit, mit der Jesus fragt: „Hast du mich lieber als alle anderen“ bzw. „Hast du mich lieb?“ Selbst wenn er die Frage drei Mal stellen wollte, musste er das in aller Öffentlichkeit tun?
Ich habe mir vorgestellt, wie peinlich das für Petrus gewesen sein muss, drei Mal so gefragt zu werden. Und zwar im Beisein all seiner Freunde. Aber dann habe ich mir sagen lassen, dass nur so Vergebung und Neuanfang möglich ist. Petrus hatte Jesus in der Öffentlichkeit verleugnet. Also muss er wohl auch in der Öffentlichkeit gefragt werden. Und dann vergibt der, den er verleugnet hat, ihm auch öffentlich. Petrus bekommt eine neue Chance. Er weiß, dass er fehlbar ist, aber er wird nicht aus dem Dienst entlassen. Er wird beauftragt, die neu entstehende Gemeinde zu führen. Und dazu wird ihm ausdrücklich das Vertrauen ausgesprochen.
Vielleicht kann ich nun doch die Antwort geben: Jesus wollte eine klare Führung für seine Kirche, aber er wollte sie anders, als sie sich dann entwickelt hat. Nicht mit einem Mann an der Spitze, der kraft seiner eigenen Autorität allein entscheidet. Er sollte – wie Martin Niemöller es einmal ausgedrückt hat – sich immer fragen: Was würde Jesus dazu sagen?
Wie gesagt: Es ist ein widersprüchliches Gespräch, das eigentlich in den Beichtstuhl gehört und dennoch öffentlich geführt wird, in dem einer zum Leiter ernannt und seine Autorität doch dabei so sehr in die Mangel genommen wird. Er bekommt eine hohe Autorität und doch wird sie rückgebunden an die Autorität eines anderen. Führen kann er nur, wenn er sich unter die Autorität eines anderen stellt. Von weltlicher Macht und weltlichem Glanz kann jedenfalls keine Rede sein.
Am Ende hat Franz Müntefering sich wohl getäuscht. Sowohl was das Amt des Papstes angeht, als auch was das eigene Amt betrifft. Vermutlich hat er sich die Autorität des Papstes für die eigene Funktion gewünscht. Dabei hätte er doch wissen können, wie die Menschen und vor allem die eigenen Untergebenen mit Autorität umgehen. Dass sie ziemlich schnell revoltieren, wenn ihnen wichtige Entscheidungen nicht passen. Aus der Geschichte der eigenen Partei hätte er es wissen können. Und auch in der Geschichte des Papstamtes hätte er Lehren ziehen können.
Ob er an die Unfehlbarkeit des Papstamtes glaubte? Ob er selbst sich eine solche Unfehlbarkeit wünschte? Vielleicht hätte er sich das Gespräch Jesu mit Petrus ansehen sollen. Hier wird Petrus ganz gewiss keine Unfehlbarkeit zugesprochen. Petrus wird gesagt: Du kannst schlimme Fehler machen, aber dennoch sollst du die anderen führen. Und der, der nach dir kommt, wird vielleicht auch schlimme Fehler machen, aber wenn er nach meinem Willen handelt, wird er der richtige sein. Wichtig ist, dass er im Gebet und im Hören auf mein Wort bleibt.