DER KLEINE WASSERTROPFEN UND ANDERE WASSERGESCHICHTEN
Platsch! Der kleine Wassertropfen ließ sich erschöpft und zufrieden in die große Welle sinken. Dort schaukelte Noahs Schiff. Kaum zu glauben, wie schwer diese Arche war. Der kleine Wassertropfen hatte sich alle Mühe gegeben, sie über die Sintflut zu retten und sie sicher und sanft ans Ufer zu tragen. Und kaum zu glauben, was jetzt alles aus ihrem Bauch über den Steg an Land trabte: Nicht nur Noahs Frau und Kinder, sondern auch unzählige Tiere und Vögel, ja sogar zwei Kamele und Elefanten waren dabei. Sie alle waren erleichtert, nach so vielen Wochen des Schreckens und der Angst wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.
Noah baute einen Altar und dankte Gott. Die Menschen benehmen sich rücksichtslos, seufzte Gott. Sie unterdrücken die Schwachen und beuten die Erde aus. Die Erde sollte ein Paradies sein, so habe ich mir das jedenfalls gedacht. Aber – Gott hob die Stimme und blickte Noah direkt in die Augen – ich will die Erde nicht mehr zerstören um der Menschen willen. Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.
Der kleine Wassertropfen gluckerte erleichtert. Von Gott würde so eine Naturkatastrophe also nicht mehr kommen. Gleichzeitig regten sich so seine Zweifel, was die Menschen betraf. Ob sie sich wohl nicht gegenseitig das Wasser abgraben würden? Oder riesige Staudämme bauen, während ringsherum alles vertrocknet und verdorrt? Ihren Schmutz einfach in die Bäche werfen? Oder gefährliche Mühlen direkt ans Meer bauen, die in alle Ewigkeit strahlen?
Inzwischen redete Gott schon weiter. Siehst du den Regenbogen, Noah? Der soll mein Zeichen sein. Ich verspreche, die Erde zu bewahren, von meiner Seite aus. Der Regenbogen steht für dieses Bündnis.
Was für ein schönes Zeichen, dachte der Wassertropfen. Mit dem letzten Plätschern der Welle spritzte er nach oben und blieb auch richtig am Rand des Regenbogens hängen. Er rutschte noch ein Stückchen höher. Hier glitzerte und schillerte alles in vielen Farben. Von hier aus würde er gut beobachten können, was sich auf der Erde im und am Wasser tat.
Er sah eine schwangere Frau, die in den Tod ging. Hagar, die Sklavin von Abraham und Sarah, floh in die Wüste, weil sie es nicht mehr aushielt. Ein Engel rettete sie und zeigte ihr eine Quelle, mitten in der Wüste. Hagar gab Gott sogar einen Namen: Du bist ein Gott, der mich anschaut (Gen 16,13).
Rebekka und Rahel sah er, die Urmütter Israels, wie sie abends zu den Brunnen zogen, um ihre Herden zu tränken, und dort auf ihre zukünftigen Liebsten trafen. Überhaupt entspann sich manche Liebesgeschichte am Brunnenrand, wenn die Frauen mit Krügen auf dem Kopf zum Wasserschöpfen kamen.
Als der Wassertropfen eines Tages von der gleißenden Sonne Ägyptens geblendet wurde, mußte er gleich dreimal blinzeln. Da schwamm doch ein Kind auf dem Nil! Ein Baby, kaum ein Vierteljahr alt, und kein Mensch in der Nähe. Vor Schreck wäre er fast abgerutscht und am Regenbogen hinabgekullert. Gerade noch bekam er mit, wie eine junge Frau durchs Schilf gewatet kam und das Kind herauszog. Das menschenleere Ufer belebte sich: eine Prinzessin mit Gefolge, ein Mädchen, das eine Frau anschleppte, die dem Kind die Brust gab und es schließlich auf Geheiß der Prinzessin forttrug. Mose, sagte die Prinzessin zu dem Baby, denn ich habe ihn aus dem Wasser gezogen. Mose, diesen Namen muß ich mir merken, murmelte der Wassertropfen.
Es dauerte auch nur ein paar Jahrzehnte, jedenfalls ein winziger Moment für einen Wassertropfen, als dieser Mose wieder auftauchte. Seine zornige Stimme brachte nämlich den ganzen Regenbogen zum Vibrieren und versetzte alle Tropfen in Aufregung und Erstaunen: Er streitet sich mit dem mächtigen Pharao herum.
Der Wassertropfen bewunderte ihn noch, als sich ein paar Wochen später schon eine riesige Menschenmenge in Richtung Rotes Meer wälzte, mit Mose und Miriam an der Spitze. Das müssen die flüchtenden Israeliten sein, überlegte der Wassertropfen. Sie haben zu Gott geschrien und Gott hat ihnen geantwortet: Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen, ich habe ihr Geschrei über ihre Peiniger gehört, ich habe ihr Leiden erkannt. Und ich bin heruntergekommen und will sie retten von der Gewalt Ägyptens. Ich will sie aus diesem Staat hinausbringen in ein gutes und weites Land.
Aber wo wollen die Leute denn hin, wunderte sich der Wassertropfen, am Roten Meer kommen sie nicht weiter. Da hob Mose seine Hand. Das Meer teilte sich, und die Menschen wanderten auf dem Meeresgrund bis zum anderen Ufer. Als alle auf der anderen Seite waren, kehrte das Wasser zurück.
Sie sind frei, jubelte der kleine Wassertropfen. Sie waren rechtlose Fremde, versklavt und ausgebeutet. Aber Gott hat sie in die Freiheit geführt. Gott unterstützt Menschen auf dem Weg zur Freiheit. Der kleine Wassertropfen hüpfte begeistert auf dem Regenbogen hin und her und pladderte , so laut er konnte, zu den Trommelklängen von Miriam und den Frauen, die zu ihm hochdrangen mit, genau im Rhythmus ihrer Pauken.
Einen Augenblick später – also nach genau 40 Jahren nach unseren Begriffen – entdeckte er die Israeliten wieder. Diesmal zogen sie über einen Fluß, den Jordan. Das also war das Land, das Gott ihnen versprochen hatte, das gelobte Land. Endlich kommen sie an, freute sich der kleine Wassertropfen, und gleichzeitig seufzte er : Wieso nur denken die Leute ans Sterben, wenn sie sagen: Jemand geht über den Jordan? Es war doch das gelobte Land, das jenseits des Jordans auf sie wartete, das Ziel ihrer Träume.
Sicher, Wasser kann gefährlich sein und Tod bringen. Der Wassertropfen schluckte, als er an all die überfüllten Schiffe und Boote dachte, in denen Menschen über die Weltmeere aufbrachen, voll Verzweiflung die einen, voll Hoffnung die anderen. Wasser trägt und Wasser verschlingt. Es wäscht rein und sauber, es stillt den Durst. Die Kinder plantschen und spritzen darin. Und überhaupt: wird nicht alles Leben aus dem Wasser geboren? Nicht nur am Anfang der Zeiten, sondern selbst bei den Menschen, wenn sie neun Monate im Leib ihrer Mutter getragen werden? Gleichen die Mütter nicht dem Ur-Ozean, der alles Leben umgibt und trägt und gebärt?
Solche komplizierten Gedanken verwirrten dem kleinen Wassertropfen die Sinne. Die Gedanken verhedderten sich in ihm und drehten sich immer schneller. Er geriet ins Strudeln und mußte sich mehrere Jahre am Regenbogen anlehnen und ausruhen. Dadurch verpaßte er, was sich an den Brunnen und Flüssen der Erde tat. Manchmal wäre er wohl vor Schreck gar zum Eisklumpen erstarrt.
Als verarmte Leute für ein paar Schuhe in die Sklaverei verkauft wurden, spritzte er vor Wut in alle Himmelsrichtungen und begann vor Zorn sogar zu dampfen. Umso erstaunlicher, er war nicht der einzige, der sich empörte. Ein Prophet schäumte ebenso wie er. Er wetterte über den Hochmut der Mächtigen, über Gier und Ausbeutung und den Luxus der Reichen, während das Land ächzte und stöhnte. Der Prophet ließ sich auch nicht den Mund verbieten, als er verjagt wurde. Tauet, Himmel, den Gerechten, Wolken, regnet ihn herab*, rief er noch, als sie ihn wegzerrten.
Tauet, Himmel, den Gerechten, Wolken regnet ihn herab – das ist es, rief der kleine Regenbogen. Das habe ich schon lange gewollt: Teil der Wolke sein, die Gerechtigkeit herabregnet und Tau zu den Menschen bringt. Dafür möchte ich zur Erde fallen. Dafür möchte ich mich vergießen. Der Prophet hat meinen Herzenswunsch in Worte gefaßt!
Tauet, Himmel, den Gerechten, Wolken, regnet ihn herab. Der kleine Wassertropfen rückte sich ehrfürchtig und erwartungsvoll auf dem Regenbogen zurecht. Dann begann er zu warten. Wenn der Himmel auf die Erde kommt, da wollte er dabei sein.
* Jes 45,8 in der Fassung des Liedes GL 802
Weitere Elemente im Taufgottesdienst: Galater 3,26-28 und Offenbarung 21 und 22, jeweils mit Hinführung
Hinführung zu Galater 3,26-28 (im Anschluß an denTaufbefehl Matthäus 28,18-20)
Die Menschen um Jesus wußten, was es heißt, ausgeschlossen zu sein, abhängig, deklassiert, benachteiligt. Die Welt, in der sie lebten, war tief gespalten, in Reiche und Bettelarme, in freie Männer mit Bürgerrechten und Sklavinnen und Sklaven, in Männer und Frauen, Freie und Abhänge.
In den ersten Gemeinden bedeutete Taufe: Die krassen Unterschiede werden außer Kraft gesetzt. In der Gemeinde probierten die Menschen ein neues Miteinander aus. Sie ließen die alten Rollen, in denen Menschen durch Besitz, Herkunft oder Geschlecht definiert werden, hinter sich. Bei der Taufe bekamen sie ein neues Gewand, und dieses Kleid symbolisierte, daß sie in eine neue Existenz schlüpften jenseits von Hierarchie und Ausgrenzung.
Ihr alle seid Gottes Kinder in Christus Jesus durch den Glauben. Denn alle, die ihr in Christus hineingetauft seid, habt Christus angezogen wie ein Kleid. Da ist nicht jüdisch noch griechisch, da ist nicht versklavt noch frei, da ist nicht männlich und weiblich, denn alle seid ihr einzig-einig in Christus Jesus. (Gal. 3, 26-28, Übersetzung: Bibel in gerechter Sprache)
Hinführung zu Offenbarung 21 und 22 als biblische Lesung des Gottesdienstes
Das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung des Johannes, entstand in einer Zeit brutaler Unterdrückung. Das Militär plünderte die Völker aus. Bis in den hintersten Winkel des römischen Reiches mußten sie der Staatsideologie huldigen, dem Kaiserkult. Das System erstickte jede Kritik mit eiserner Faust. So verschlüsselten die Gemeinden in Bildern, was sie erlebten: Gewalt und Unterdrückung, aber auch ihre Sehnsucht nach Veränderung, nach einer anderen Welt. Sie entwickelten Gegenbilder zu den Schreckensbildern um sie herum. Ihre Visionen gaben ihnen Kraft zu überleben. Indem sie solche Hoffnungsbilder schufen, gaben sie jener neuen Welt schon eine Gestalt.
Die Bilder, in die sie ihren Widerstand und ihre Sehnsucht kleideten, haben die Menschen über Jahrhunderte fasziniert und verwirrt, zu Spekulationen angeregt, zu Kunstwerken und dazu, diese Visionen weiterzuträumen.
Die Johannesoffenbarung mündet in ein letztes Bild. Es ist sozusagen das Ziel, die letzte Vision: eine Stadt für die Völker. Die Stadt der Zukunft. Eine Stadt, in der alle sicher wohnen können, eine Stadt aus Licht und Edelsteinen, in der lebendige Quellen sprudeln. Die Stadt der offenen Tore und Grenzen, die keine Waffen braucht und in der Gewalt und Tod überwunden sind. In ihren Mauern wohnen nicht Bosheit oder Gewalt, sondern ein Lamm regiert. Ein offener Raum für Gott und die Menschen.
Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde. Denn der erste Himmel und die erste Erde vergingen. Das Meer ist nicht mehr. Die heilige Stadt Jerusalem, die neue, sah ich aus dem Himmel herabsteigen, von Gott bereitet wie eine Braut, geschmückt für ihren Mann.
Ich hörte eine laute Stimme vom Thron: »Da! die Behausung Gottes bei den Menschen. Gott wird bei ihnen wohnen und bei ihnen sein. Gott wird jede Träne von ihren Augen abwischen. Der Tod wird nicht mehr sein. Auch Trauer, Wehgeschrei und Schmerz wird nicht mehr sein. Das Erste ist vergangen.« Die Gestalt, die auf dem Thron saß, sagte: »Seht! Ich mache alles neu! Ich werde den Dürstenden aus der Quelle des Lebenswassers umsonst geben.«
Ein Bote führte mich auf einen hohen Berg und zeigte mir die heilige Stadt: aus dem Himmel herabsteigend mit dem Glanz Gottes. Sie hatte eine große und hohe Mauer und zwölf Tore. Die zwölf Tore waren zwölf Perlen und der Marktplatz war aus reinem Gold wie durchscheinendes Glas. Die Stadt braucht weder Sonne noch Mond zu ihrer Beleuchtung, denn der Glanz Gottes hat sie erleuchtet. Die Völker wandeln durch das Licht der Stadt. Ihre Tore werden nicht geschlossen. Nicht in sie hineingehen wird alles Unreine, was Gräuel und Lüge tut.
Und er zeigte mir einen Fluss lebendigen Wassers, herrlich wie Kristall, aus dem Thron Gottes und des Lammes hervorströmend. Mitten auf dem Platz und auf beiden Seiten des Stroms: Bäume des Lebens, die tragen zwölfmal Früchte, jeden Monat, und die Blätter der Bäume dienen zur Heilung der Völker.
Und er sprach zu mir: Wer Unrecht tut, tue weiter Unrecht, wer befleckt ist, lasse sich weiter beflecken, wer Gerechtigkeit bewirkt, wirke weiter Gerechtigkeit. Selig, die ihre Gewänder waschen, damit sie teilhaben an dem Baum des Lebens und durch die Tore in die Stadt hineingehen.
Die Geistkraft und die Braut sagen: Komm! Wer Durst hat, komme, und wer will, empfange lebendiges Wasser umsonst.
(Offb 21,1-5a.6b.10.12a.21.23.24a.25a.27a Offb 22,1-2.11.14.17, Übersetzung zusammengestellt aus Luther und Bibel in gerechter Sprache)