Der müde König und das Kind - Predigt zu Jesaja 7, 10-14 von Kathrin Oxen
7,10-14

Der müde König und das Kind - Predigt zu Jesaja 7, 10-14 von Kathrin Oxen

Präfamen zur Lesung des Predigttextes:

Der Predigttext stammt aus dem alten Testament aus dem Buch des Propheten Jesaja und kann einem konkreten geschichtlichen Ereignis zugeordnet werden. Der König von Israel, Ahas, ist in einer politischen Zwickmühle, er wird von den Königen der Nachbarstaaten aufgefordert, sich mit ihnen gegen die feindliche Großmacht Assur zu verbünden. Der Prophet Jesaja warnt Ahas vor diesem Bündnis und fordert ihn auf, sein Vertrauen auch angesichts der schwierigen äußeren Situation auf Gott zu setzen.

 

Und der HERR redete abermals zu Ahas und sprach: Fordere dir ein Zeichen vom HERRN, deinem Gott, es sei drunten in der Tiefe oder droben in der Höhe! Aber Ahas sprach: Ich will's nicht fordern, damit ich den HERRN nicht versuche. Da sprach Jesaja: Wohlan, so hört, ihr vom Hause David:  Ist's euch zu wenig, daß ihr Menschen müde macht? Müßt ihr auch meinen Gott müde machen? Darum wird euch der HERR selbst ein Zeichen geben: Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel.

 

Liebe Gemeinde,

die Geburt eines Kindes als Zeichen. Ein Kind als Zeichen.

Wer von Ihnen eigene Kinder oder die Ankunft von Kindern aus der Nähe erlebt hat, weiß, welche verändernde Kraft ein Kind mit sich bringt. Schon Monate vor der Geburt, zunächst ganz unbemerkt von der Umgebung, gibt es kleine, aber unmissverständliche Zeichen, dass bald nichts mehr sein wird, wie es einmal gewesen ist.

Jede Schwangerschaft ist voller Zeichen: Was gewohnt, vertraut ist, bleibt aus. Später gibt das Kind mit seinen ersten Bewegungen selbst deutliche Zeichen seiner Gegenwart. Die Zeichen der Schwangerschaft werden deutlicher, für alle sichtbar. Und dann wartet die Schwangere auf Zeichen. Wann ist es endlich soweit? Wann kommt das Kind zur Welt?

Die größte Veränderung aber ist die Geburt des Kindes. Nichts ist danach mehr, wie es vorher war. Mit meinem Kind ist jemand in der Welt angekommen, der klein und verletzlich, aber gleichzeitlich von überwältigender Kraft ist. Ein Kind, das absolut auf mich angewiesen ist, dem ich mich hingeben muss in einer Weise, die ich vorher nicht gekannt habe. Seinen Forderungen kann ich mich nicht entziehen kann.

Ein Kind, durch das ich aber auch Anteil bekomme an einer Freude und Dankbarkeit, wie ich sie vorher nicht kannte. Ein Kind, das die Zukunft im Sinne des Wortes „verkörpert“, mit dessen Wachsen und Großwerden ich spüre, dass das Leben weitergeht und nicht bei mir stehen geblieben ist. Ein Kind, mit dem ich neu erfahre, was ich selbst schon fast vergessen hatte. Was für mich selbstverständlich ist, bringt mein Kind zum Staunen, was ich schon nicht mehr wahrnehme, sehe ich in seinen Augen leuchtend gespiegelt.

Ein Kind, jedes Kind ist ein Zeichen. Gerade zu Weihnachten wird uns das bewusst, an der Freude der Erwachsenen über die Freude der Kinder. „Weihnachten ist mit Kindern doch am schönsten“, das habe ich in der Vorweihnachtszeit oft gehört. Fast immer klang darin eine leise Wehmut mit: Die Kinder werden schnell groß und dann fehlen sie uns als Zeichen für Erwartung und Leben, Hoffnung und Zukunft, Dankbarkeit und Freude, Geheimnis und Wunder. Sie fehlen uns nicht nur zu Weihnachten.

Ein Kind als Zeichen. Ein Zeichen für Ahas, den König von Juda, der mitten in einem schwierigen politischen Konflikt steckt. Ahas sieht die Bedrohung, die von zwei Seiten auf ihn zukommt, sie droht ihm alle Hoffnung auf die Zukunft zu nehmen.

Wenn ich mir Ahas ansehe, dann ist er mir über die Jahrtausende hinweg unangenehm vertraut: Ahas, der König, ist unzweifelhaft erwachsen, eingespannt in die Anforderungen des Lebens. Er steht unter dem Zwang, sich entscheiden zu müssen. Worauf soll er setzen? Auf die unmissverständlichen Anforderungen, die die Wirklichkeit in Gestalt der möglichen politischen Verbündeten an in stellt? Oder soll er sich an Gott wenden?

Worauf soll ich setzen, woran soll ich mich halten, an Tatsachen, an die Realität, an das, was schon immer so gewesen ist, an das ewige „allens bliwt bi’n ollen“? Oder kann ich an eine Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit glauben?

Ahas hat den Vorschlag abgelehnt, von Gott ein Zeichen zu fordern,  Er will Gott nicht versuchen. Das soll man ja auch nicht, aber in seinem Fall ist das nichts als eine Ausrede. Auch das kenne ich aus meiner eigenen Erfahrung:

Wie müde man werden kann in einer Beziehung, in der Beziehung zu anderen Menschen, aber auch in der Beziehung zu Gott. So müde, so hoffnungslos, so realistisch, das man es nicht mehr für möglich hält, dass da noch etwas anderes sein könnte, etwas, das ich nicht erwarte. So müde, dass man den anderen Menschen oder eben auch Gott nicht einmal mehr ansprechen mag. „Der ändert sich ja doch nicht“, „Glaubst du denn, dass da plötzlich ein Wunder passiert?“

Von dieser großen Müdigkeit habe ich schon viel gesehen, auch bei mir selbst. Die Spuren dieser großen Müdigkeit zeichnen sich in unseren Gesichtern ab, in den angestrengten Gesichtern der Erwachsenen, in den Augen, in die auch viele Weihnachtskerzen keinen Glanz mehr bringen können. Wir spüren sie, aber wir müssen sie nicht als gegeben hinnehmen

Denn der erwachsene Ahas bekommt ein Zeichen, dieser müde König, der sich und andere müde gemacht hat und nicht einmal mehr bitten mag, „Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel.“

Das Zeichen, das von Gott kommt, ist ein Kind. Es ist das Zeichen der größten Lebendigkeit, die wir uns vorstellen können, das Zeichen von Erwartung und Leben, Hoffnung und Zukunft, Dankbarkeit und Freude, Geheimnis und Wunder. Dieses Kind hat einen Namen: Immanuel, „Gott mit uns“.

Für Ahas, den erwachsenen, müden König heißt das: Du bist nicht alleine, Ahas, Gott kommt zu dir und ist mit dir. Zu dir kommt in diesem Kind alles, was dir fehlt. Erwartung und Leben in deine Hoffnungslosigkeit und tödliche Müdigkeit, Hoffnung wider den Augenschein und Zukunft in einer schwer zu überblickenden Wirklichkeit, Dankbarkeit und Freude anstatt Verbitterung und Resignation, Geheimnis und Wunder gegen alle Alltäglichkeit und Vorhersehbarkeit.

Dieses Kind kommt, die Jungfrau ist schwanger, das Kind ist schon verborgen da im Leib seiner Mutter. So verborgen, aber an untrüglichen Zeichen erkennbar, kommt Gott in unsere Welt. So wie zu Ahas kommt Gott mit diesem Kind zu uns erwachsenen, oft so müden und einsamen Menschen. Obwohl wir von Gott gar nichts mehr erwarten oder noch nie erwartet haben, kommt er zu uns, hinein in den Alltag mit seinen schwierigen Entscheidungen. Unsere Wirklichkeit und Gottes Wirklichkeit gehören zusammen.

Oft verbauen wir uns selbst den Zugang zu der Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit, indem wir uns zum Beispiel mit der Frage müde machen, was es mit der Jungfrau auf sich hat und ob man das glauben kann oder nicht. Auf hebräisch ist eindeutig von einer jungen Frau die Rede und erst die griechische Übersetzung des Alten Testaments hat daraus eine Jungfrau im biologischen Sinne gemacht.

Aber an diesem Kind sollen uns nicht die Umstände seiner Geburt interessieren, die Frage, ob seine Mutter eine Jungfrau oder eine junge Frau ist. Das soll uns nicht davon abhalten, das Zeichen Gottes zu sehen. Das Zeichen ist das Kind, dessen Name Immanuel ist, Gott mit uns.

Auch in der Weihnachtsgeschichte des Lukas ist von einem Kind als Zeichen die Rede: „Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen“.

An Jesus können wir sehen, wie Gott ist und wo wir ihn suchen sollen. Gott kommt als Kind in unsere Welt, klein und verletzlich, geboren in Dürftigkeit in einem entlegenen Winkel der Welt. Eine Geburt, die alle Vorstellungen davon, wie Gott in die Welt kommen könnte, über den Haufen wirft.

Auch das Kind in der Krippe wird erwachsen, aber es wird nie müde. Jesus von Nazareth behält auch als Erwachsener alle Zeichen des Kindes:

Jesus hat andauernd getan, was „man“ nicht tut, er hat Gott einfach Vater genannt, er hat sich mit Prostituierten und Kleinganoven an einen Tisch gesetzt, er hat die Armen glücklich gepriesen und den Reichen gedroht. Er hat Kranke geheilt und Hungrige satt gemacht und damit die Wirklichkeit seiner Welt so verändert, dass sie Gottes Wirklichkeit ähnlicher geworden ist.

Jesus hat alles infrage gestellt, was wichtig für uns ist, Beziehungen, Besitz, Macht, all die Wirklichkeiten, die unser Leben bestimmen wollen. Er fordert, dass sich unser Leben verändert. Er fordert bedingungslose Hingabe, wie ein Kind sie von uns fordert.

Jesus von Nazareth hat sein Leben lang bestehende Ordnungen außer Kraft gesetzt, wie Kinder das tun. Nichts ist so geblieben wie es vorher war. Auch die eine große Ordnung,

dass mit dem Tod alles vorbei ist, hat er in der Auferstehung außer Kraft gesetzt.

An Jesus sehen wir, wie Gott uns erwachsene Menschen haben will. Gott will uns nicht als müde Könige, die sich abmühen, ihr Reich zusammenzuhalten, die sich bedingungslos unterwerfen, die tun, was man tut, die nichts infrage stellen und die Ordnungen, die sie selbst gemacht haben, einhalten. Gott fordert uns auf, nicht müde Erwachsene zu bleiben, sondern wie die Kinder zu werden, die Erwartung und Leben, Hoffnung und Zukunft, Dankbarkeit und Freude, Geheimnis und Wunder noch spüren und weitergeben können. Deswegen kommt er selbst als Kind.

Ein Kind als Zeichen für uns. Wer noch keine Kinder hat, wessen Kinder groß sind, wer keine Kinder haben kann, wer vergessen hat, was es heißt, ein Kind zu haben, wer auch mit Kindern müde geworden ist in der Welt der Erwachsenen, der kommt doch heute Abend hierher. In dieser Nacht stehen wir um die Krippe. Wir sehen das Kind und sehen, mit welcher Liebe Gott uns liebt, wie er zu uns kommt und mit uns ist. Wie er sich uns zeigt in Zartheit und überwältigender Kraft. Weihnachten haben wir alle ein Kind. Und werden selbst wieder Kinder. Wir lieben, wir hoffen, wir glauben.

Amen.