„Du selbst bist der Mann.“ (2 Sam 12,7) / Der mutige Mediator und der Weg zur Einsicht
Liebe Glaubende,
unser Leben besteht aus einem Beziehungsnetz. Wir sind mit anderen Menschen gegenseitig verbunden. Dabei haben wir keine neutrale Rolle. Unser Dasein, unsere Einstellungen, Worte und Taten prägen diese Beziehungen. Nicht immer wirken wir aufbauend und konstruktiv, sondern auch verletzend und destruktiv. Es kann uns passieren, dass wir für unser Fehlverhalten gegenüber anderen Menschen blind bleiben – unabsichtlich oder sogar absichtlich.
Solche Probleme sind nicht von heute, sondern durchziehen die Geschichte der Menschheit. Wir entdecken sie wiederholt auch in der Bibel. Die heutige Schriftlesung ist ein Zeugnis dieser Problematik. Vor dem sündigen Verhalten bleiben sogar die Autoritäten des Volkes Israels, zu denen auch der König David zählt, nicht verschont. Denn David begeht Ehebruch und Mord. Er nimmt sich Batseba, die Frau des Urija, der einer seiner Krieger ist, und schickt Urija in den Tod. Das Verhalten Davids gefällt Gott nicht. Er greift in dieses Geschehen ein und schickt seinen Propheten Natan zu Daivd. Dieser tritt als Mediator Gottes auf und verhilft David zur Einsicht in seine falschen und sündigen Taten. Auffällig ist die indirekte Art, auf welche Natan dem David die Augen öffnet. Er erzählt zuerst eine Parabel, die sogenannte Natansparabel. Es geht um die Geschichte zweier Männer, eines Reichen und eines Armen. Der reiche Mann, der viele Schafe und Rinder besitzt, beutet den armen Mann, der nur ein kleines Lamm besitzt, aus. Denn er nimmt für die Bewirtung seines Besuches dieses einzige Lamm des armen Mannes. Auf die Natansparabel äußert sich David sofort und verurteilt den reichen Mann. Nach seiner Meinung verdient dieser den Tod. Ebenso ist für David der Schadenersatz für das Lamm, das an den armen Mann ergehen soll, wichtig.
Nun kommt die entscheidende Wende im Gespräch zwischen Natan und David. Mit Hilfe dieser Parabel eröffnet Natan dem David die Augen:
„Du selbst bist der Mann.“ (2 Sam 12,7)
So bringt Natan den Ehebruch und den Mord, den David begeht, direkt zur Sprache. Im Namen Gottes erweist sich Natan als mutiger Mediator. Wie David auf seine Worte reagieren wird, weiß er vorher nicht. In jedem Fall erfährt David auf dem Höhepunkt seiner Macht auch seine größte persönliche Niederlage (Ehebruch und Mord). Natan gelingt es tatsächlich, die Augen des Königs Davids zu öffnen und ihn zur Einsicht seiner schweren Vergehen und Sünden zu bringen. Demzufolge bekennt David:
„Ich habe gegen den Herrn gesündigt.“ (2 Sam 12,13a)
Natan, der Mediator Gottes, richtet dem David nun noch eine Botschaft aus:
„Der Herr hat dir deine Sünde vergeben; du wirst nicht sterben.
Weil du aber die Feinde des Herrn durch diese Sache zum Lästern veranlasst hast,
muss der Sohn, der dir geboren wird, sterben.“ (2 Sam 12,13b-14)
David, der seine Sünde bereut, ist die Vergebung Gottes geschenkt. Er selbst bleibt am Leben. Sein sündiges Verhalten führt jedoch zu Konsequenzen, nämlich zum Tod des Kindes, das er mit Batseba erwartet. Auch diese schweren Worte des Natan gehen in Erfüllung. Erst das zweite Kind von David und Betseba, nämlich Salomo, bleibt am Leben. Im Namen Gottes nennt Natan dieses Kind auch Jedidja (Liebling des Herrn).
Die Geschichte Davids zeigt uns, wie schwer es ist, zur Einsicht in die eigenen Fehler und Sünden zu kommen, obgleich diese groß und zum Himmel schreiend sind (wie die Kombination von Ehebruch und Mord). Erst mit Hilfe des mutigen Propheten und Mediators Natan ist sich David seines verletzenden und mörderischen Verhaltens bewusst.
Auch im Neuen Testament gibt es Textzeugnisse mit dieser Problematik. Jesus zeigt immer wieder Mut und versucht die Menschen, die für eigene Fehler und Sünden blind sind, zur Einsicht zu bringen. Diesbezüglich finden wir wichtige Worte in der Feldrede Jesu im Lukasevangelium:
„Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders,
aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht?
Wie kannst du zu deinem Bruder sagen:
Bruder, lasse mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen!,
während du den Balken in deinem eigenen Auge nicht siehst?
Du Heuchler!
Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge;
dann kannst du versuchen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen.“ (Lk 6,41-42)
Jesus zeigt auf, dass es leichter ist, die kleinen Hindernisse, den Splitter, bei anderen Menschen zu sehen, und bereit zu sein, ihnen bei der Behebung dieses Hindernisses zu helfen, als das viel größere Hindernis, den Balken, im eignen Auge zu sehen und dieses zu entfernen.
Weiter rettet Jesus eine Frau vor der Steinigung mit dem Hinweis auf die Sünde derjenigen, die sie wegen ihres Ehebruchs verurteilen und steinigen möchten. Es ergeht dieser Frau nach ihrem Ehebruch völlig anders als dem König David nach seinem Ehebruch. Diese Frau befindet sich nun vor dem Todesurteil und der Steinigung, der König David begeht nach dem Ehebruch noch den Mord, um sich selber zu schützen. Das Johannesevangelium berichtet nun über die Intervention Jesu in dieser gespannten Situation:
„Als sie (die Schriftgelehrten und Pharisäer) hartnäckig weiterfragten,
richtete er sich auf und sagte zu ihnen:
Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie.
Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde.
Als sie seine Antwort gehört hatten, ging einer nach dem anderen fort,
zuerst die Ältesten.
Jesus blieb allein zurück mit der Frau, die noch in der Mitte stand.“
(Joh 8,7-9)
Jesus rettet diese Frau, die wegen des Ehebruchs belastet ist, vom Verurteilen und Tod. Sie wird nun von ihm aufgefordert, ihren Weg zu gehen, aber nicht mehr zu sündigen.
Liebe Glaubende, diese Begebenheiten aus der Bibel stellen auch uns vor die Frage, ob wir uns unserer Grenzen wie auch unserer Fehlverhaltens und unserer Sünden bewusst sind. Wenn wir im Familien- und Freundeskreis, auf dem Arbeitsplatz oder in der Öffentlichkeit Konflikte oder sogar Streit und Verletzungen erfahren, geben wir die Hauptverantwortung dafür anderen oder sehen wir uns als Mitverantwortliche/r? Gibt es Mediatoren, die uns die Augen aufmachen und zur Einsicht verhelfen? Oder wirken auch wir als Mediatoren und haben Mut, die Worte der Wahrheit zu sprechen, wo andere nicht mehr ihr Fehlverhalten und die destruktiven Konsequenzen ihrer Worten und Taten sehen? Finden wir dabei die richtige Art, die andere Menschen dabei nicht verletzt?
Der Weg zur Einsicht ist nicht leicht und oft gelingt sie erst durch das Mitwirken der anderen Menschen (wie bei David durch die Mediation von Natan). Er ist jedoch der Weg, der die Wende mit sich bringt, der die Augen öffnet, den Stachel der Sünde und der Gewalt bricht und der das neue Leben uns und unseren Menschen bringt. Bleiben wir aufmerksam darauf, wo Gott uns durch andere Mitmenschen anspricht! Haben wir aber auch Mut, im Namen Gottes aufzutreten, dort wo er uns als seine Mediatoren und Botschafter ruft! Denn unser Leben geschieht in Beziehungen und wir können dabei keine neutrale Rolle spielen.
Der mutige Mediator und der Weg zur Einsicht - Predigt zu 2. Samuel 12,1-10.12-15a von Mira Stare
12,1-10.12-15a
Perikope