Der Tod, der Versöhnung schenkt - Predigt zu 2. Korinther 5,19-21 von Peter Schuchardt
5,19-21

Der Tod, der Versöhnung schenkt - Predigt zu 2. Korinther 5,19-21 von Peter Schuchardt

Der Tod, der Versöhnung schenkt

Liebe Schwestern und Brüder,

heute, am Karfreitag, geht es um Leben und Tod. Und es geht um mehr. Jesus stirbt am Kreuz. „Es ist vollbracht!“, das sind seine letzten Worte nach dem Evangelisten Johannes. Jesus ist am Ziel. Und mit seinem Tod geht sein Weg zu Ende. Aber sind das die passenden Worte angesichts des Todes? Hätte er nicht doch noch laut „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ schreien sollen? Kann denn so mit dem Tod sein Lebensweg wirklich enden? Jesus ist jung in unseren Augen, Anfang 30. Macht sein junges Alter seinen Tod nicht sinnlos, wie so viele jungen Menschen ohne sinn sterben, vor der Zeit, wie die Bibel sagt? Ist der Tod Jesu denn sinnlos? Wäre es nicht besser gewesen, er hätte länger gelebt, uns noch mehr von Gott erzählt, mehr Menschen geheilt, Traurige getröstet und Verlorenen wiedergefunden? Dann, ja dann, wenn er alt und lebenssatt wie Hiob von dieser Erde gegangen wäre, dann hätte das „Es ist vollbracht!“ gut gepasst. Aber so? Sollten wir nicht einfach der Trauer Raum geben, das „es ist vollbracht“ vergessen und gemeinsam: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!“ rufen?

Die Trauer nimmt heute einen großen Raum ein in unserem Gottesdienst. Der schwarz verhängte Altar ist ungeschmückt. Die Kerzen und die Blumen fehlen. Am Ende werden die Glocken schweigen. Die Lieder, die wir heute singen, bringen die Trauer zum Ausdruck. Denn Jesus wird hingerichtet wie ein Verbrecher. Er hat entsetzlich gelitten unter den Qualen der Folter. „Und wir dachten, er würde Israel erlösen“, sagen seine Jünger. Aber erklärt das schon den Sinn des Karfreitags, die Trauer um einen besonderen Menschen? Dann müssten wir oft in unserer Kirche zusammenkommen, weil so viele bedeutende Menschen, bedeutend für die Welt und für unser Leben, sterben. Es gibt Menschen, auch Theologen, die sehen in Jesus ein Vorbild der Mitmenschlichkeit. Sein Tod ist dann das Ende, das viel zu frühe Ende dieses vorbildlichen Lebens. Der Karfreitag wird dann ein Trauertag für ein Lebensvorbild. Aber wenn da so wäre, dann ist es doch absurd, wenn Jesus sagt: „Es ist vollbracht!“. Schade, dass es schon vorbei ist, das hätte besser gepasst. Was soll der Tod am Kreuz? Was will Gott mit diesem Tod? Oder ist er ganz außen vor, interessiert ihn das Leiden Jesu gar nicht, hat er ihn voll und ganz verlassen? Stirbt Jesus als gottverlassener Mensch, ja noch mehr: Stirbt er als gottverlassener Sohn Gottes? Das wäre gräuslich und lieblos und schrecklich und sinnlos. Denn wenn Jesus, der Sohn Gottes, ohne Gott stirbt, dann doch auch wir! Dann sind doch all die, die vor uns gegangen sind, ob alt, ob jung, ohne Gott gestorben, verloren, einsam, gottverlassen. Und das soll dann die zentrale Botschaft unseres Glaubens sein: Ihr lebt ohne Gott und ihr sterbt ohne Gott? Das wäre das, was ich Woche für Woche, bei allen Beerdigungen, den Taufen, im Konfirmandenunterricht sagen sollte? Dann würde ich den Beruf aufgeben. Denn dann wäre ich ja der Verkünder einer gräuslichen und lieblose, einen schrecklichen und trostlosen, einer sinnlosen Botschaft.

Immer wieder aber haben Menschen nach dem Sinn des Todes Jesu gesucht. Wer den Sinn nur im Leben, in der Mitmenschlichkeit Jesu finden will, scheitert ganz schnell. Denn sein Leben ist ohne seinen Tod nicht zu verstehen, genauso wie sein Tod nur mit seinem Leben zu verstehen ist! Darum lasst uns seinen Tod nun näher besehen, damit wir ihn verstehen, liebe Schwestern und Brüder. Dabei helfen uns Worte aus dem 2.Korintherbrief des Apostels Paulus. Paulus hat sich immer wieder intensiv mit dem Leben und Sterben Jesu beschäftigt. Denn das sind ja die Fragen der Menschen damals wie heute: Warum geht Jesus, dieser Mensch, dieser Sohn Gottes, in den Tod? Warum leidet er, wenn Gott doch die Liebe ist? Was hat sein Tod vollbracht? Paulus schriebt dazu: Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt. (2 Kor 5, 19-21)

Zwei Worte stehen für Paulus im Mittelpunkt, liebe Schwestern und Brüder: Versöhnung und Gerechtigkeit. Wir kennen das nur zu gut aus unserem Leben. Ich habe mich mit jemandem gestritten. Du warst nicht einig mit mir in einem wichtigen Punkt. Aber wir hängen doch aneinander. Darum gehen wir aufeinander zu und versöhnen uns wieder. Das kennt ihr, liebe Schwestern und Brüder, aus der Familie, aus der Nachbarschaft, aus der Schule. Sich mit dem anderen zu versöhnen ist lebenswichtig. Denn die Versöhnung heilt die zerbrochene Beziehung und stellt den Frieden wieder her. Und Gerechtigkeit ist das zentrale Wort für unser Leben: Gerecht sein heißt, möglichst allen das Gleiche zukommen zu lassen, die vorhandenen Dinge genau abgemessen zu teilen und zu verteilen. Wehe, einer kriegt weniger, als er verdient hat! Das ist in unseren Augen un-gerecht. Was aber ist, wenn einer mehr kriegt, als er verdient hat? Ist das dann auch un-gerecht? Irgendwie schon, sagen meine Konfirmanden.

Hier bei Paulus geht es nun aber um die Versöhnung Gottes und um seine Gerechtigkeit. Das ist weit mehr als die Versöhnung zwischen zwei menschlichen Streithähnen. Denn Gott versöhnt sich mit uns, und Gott macht uns gerecht. Wenn Gott  sich versöhnen will, dann ist die Beziehung zwischen ihm und uns gestört oder gar ganz kaputt. Und wenn wir uns ansehen, heute am Karfreitag, dann müssen wir sagen: Ja, es ist so. Die Bibel hat dafür ein Wort: Sünde. Ich weiß, heute wird davon – außer bei Verkehrssündern und Essensünden – kaum mehr davon gesprochen. Auch nicht in der Kirche. Aber das nimmt dem Wort ja nicht die Wahrheit, die es sagen will. Sünde im Sinn der Bibel meint: Wir lassen Gott, unseren Herrn, nicht Gott sein. Wir nehmen ihn nicht ernst. Wir holen ihn ab und zu, zu Weihnachten und bei Katastrophen, heraus aus der Ecke, in die wir ihn gestellt haben. Aber wir lassen ihn nicht den Herrn unseres Lebens sein. Wir gehen mit seiner Schöpfung um, als könnten wir eine neue im  Supermarkt kaufen. Wir treten die Rechte von Kindern mit Füßen. Kümmern uns mehr um herrenlose Tiere als um unsere Alten in den Pflegeheimen, die auf einen Besuch, auf ein Gespräch warten. Anderes bestimmt unser Denken und Fühlen und Handeln. Möglichst viel bekommen, danach streben wir, und zwar möglichst viel Geld. Darum dreht sich das Denken viel zu vieler. Jesus warnt uns in seinem Leben davor:  Wenn wir Gott nicht ernst nehmen, nehmen wir auch uns selbst und unseren  Nächsten nicht ernst. Da reicht ein Blick in die Zeitung um zu sehen, wie wahr das leider ist. Da kann man schon zornig werde angesichts dessen, was Menschen einander antun, weil sie Gott vergessen haben. Gott aber möchte, dass wir ihn ernst nehmen. Denn nur so können wir leben, miteinander und mit uns selbst. Nur so können wir lieben. Nun haben einige Theologen aus Gott einen zornigen Gott-Vater gemacht. Der muss seinen eigenen Sohn opfern, damit sein Zorn besänftigt wird. Das ist aber völlig falsch. Denn, so sagt es uns Paulus, Gott fordert doch kein Opfer. Es ist ganz anders: Er gibt sich selbst hin, damit Versöhnung zwischen ihm und uns geschehen kann. Denn Gott sieht: Die Sünde, die Schuld, unser ständiges Drehen nur um uns selbst, das alles hält uns gefangen. Wir sind nicht frei. Wir verheddern uns im Gestrüpp und kommen allein nicht mehr heraus. Gott aber will ja, dass wir frei leben. Darum geht er einen neuen Weg, den Paulus so beschreibt: Gott versöhnte die Welt mit sich selber. Gott verändert die gestörte Beziehung zwischen ihm und uns. Er allein macht es, nicht wir. Gott schließt Frieden mit uns, ohne dass wir auf ihn zugehen. Er geht allein den Weg zu uns. Und der führt ihn in die tiefsten Tiefen der menschlichen Abgründe. Gottlos ist diese Welt manchmal, weil wir Gott nicht die Ehre geben. Sie ist nicht gottlos, weil Gott sich aus ihr verabschiedet hätte. Ganz im Gegenteil! Er geht ja in seinem Sohn zu uns und kommt uns so nah wie nur möglich. Denn er will sich versöhnen mit uns. Gott will uns ja herausholen aus allem, was uns gefangen hält. Er will uns herausholen aus aller Verlorenheit. So lässt Jesus die Menschen, die ihm begegnen, die Versöhnung Gottes erfahren: Du bist geheilt. Du darfst leben. Du gehörst dazu. So sehr liegen wir Gott am Herzen, dass sein Sohn für uns in den Tod geht. Es kostet Gott sehr viel, damit wir leben. Es kostet ihn sein Leben.

Karfreitag geht es um Leben und Tods, das ist richtig. Christus geht in den Tod für uns. So kommt zu der Trauer über seine  Tod die Trauer über unser Leben hinzu: So sind wir. Verloren und unwürdig, weil wir Gott nicht ernst nehmen. Er aber nimmt uns ernst, nimmt unser Leben ernst und unser Verlorensein. Wir leben ja gerne an der Oberfläche und  tun so, als ob uns das alles nichts ausmacht. Aber diese Oberfläche bekommt immer mehr Risse. Und was, wenn wir dann in unsere Abgründe blicken? Oft verzweifeln wir dann und wissen keinen Ausweg. Gott aber nimmt auch unsere Sünde und unsere Schuld ernst. Es würde doch nichts bringen, würde Gott sagen: „Das ist schon in Ordnung, Schwamm drüber, ich lieb dich ja trotzdem.“ Wenn wir andauernd nicht das tun, was Gott von uns möchte, kann er nicht einfach darüber hinwegsehen. Das führt zwischen zwei Menschen in die Irre, und bei Gott und uns natürlich erst recht. Vertuschen und verschweigen bringt nix. Nur die Wahrheit wird euch frei machen, sagt uns Jesus. Und so ändert Gott die Beziehung zu uns. Er allein. Er nimmt die Unwürdigkeit von uns mit in den Tod am Kreuz. So werden wir frei davon und würdig, vor Gott zu treten. Würden wir selbst es versuchen, wir würden immer wieder scheitern. Wir scheitern tagaus, tagein in unseren Beziehungen, uns selbst gerecht und würdig zu machen. Weil Gott uns trotz allem liebt, nur darum geht er diesen schweren Weg. Nur die Wahrheit macht uns frei. Aber die Wahrheit über uns ist nicht leicht. Wir sind nicht so toll, so edelmütig, so überlegen, so frei, wie wir es gerne sein wollen. Wir wollen ernstgenommen werden, aber bitteschön nur mit unseren guten Seiten und Erfolgen. Wenn es aber um Leben und Tod geht, dann muss alles gesagt werden, die ganze Wahrheit über uns. Wir alle sind Sünder. Da ist niemand, der besser ist, sagt die Bibel. Wir alle leben getrennt von Gott. Aber nun steht das Kreuz da. Es ist unser Erkennungszeichen als Christen. Es zeigt uns, wie Jesus stirbt. Aber da Kreuz ist doch mehr als das Zeichen des Todes. Denn Gott hängt unsere Sünde, alle Gottesferne ans Kreuz. Jesus nimmt sie mit in den Tod. Gott räumt weg, was wir aufhäufen an Schuld und Versagen, damit er ungehindert zu uns kommen kann. Damit wird das Kreuz zum Zeichen des Todes der Sünde. Es wird uns zum Zeichen der Versöhnung. Gott macht uns gerecht. Er tut das, so selbstgerecht wir auch sein mögen. Wir scheitern aber immer wieder mit unseren Versuchen, uns selbst gerecht und gut zu machen. Gott macht uns nun gerecht und würdig. So können wir zu ihm kommen. Oder noch besser: Gott macht uns würdig und gerecht und gut, indem er zu uns kommt. Und damit bekommen wir alle mehr, als wir verdient haben. Das ist die Gerechtigkeit Gottes. Sie ist das Geschenk des Lebens. Und das, liebe Schwestern und Brüder, dürfen wir am Kreuz sehen. Mit Golgatha, mit Jesu Tod, hat Gott es aufgerichtet in der Welt als sein Versöhnungszeichen für alle. Das ist das Wort, das Paulus sagt und das ich heute gern an euch weitersage: Lasst euch versöhnen mit Gott! Blickt weg von euren Fehlern hin zu dem, der alle unsere Fehler und Lasten trägt. Nehmt Gottes Angebot der Versöhnung und des Lebens an. Und versucht, euch miteinander zu versöhnen, wo immer es möglich ist.

Dieses Wort ist der Grund unserer Kirche. Karfreitag geht es um Leben und Tod. Und es geht um mehr. Wir blicken am Kreuz auf den, der uns den Frieden bringt. Christus stirbt am, Kreuz, damit wir leben. Das ist vollbracht! Darum lasst uns immer, wenn wir das Kreuz sehen, daran denken: Gott macht uns diese wunderbare Lebensangebot. Lasst uns das zu Herzen nehmen. Und lasst uns dieses Wort der Versöhnung in unsere Welt bringen. Sie lebt zu oft unversöhnt und ohne Frieden. Doch nur durch Gott wird unsere Welt frei. Auch wir, liebe Schwestern und Brüder. Amen