"Die Auferstehung – eine bleibende Provokation" - Predigt über Markus 16, 9-15 von Wilhelm v. der Recke
16,9

"Die Auferstehung – eine bleibende Provokation" - Predigt über Markus 16, 9-15 von Wilhelm v. der Recke

Die Auferstehung – eine bleibende Provokation
I.          In der Tagesschau am Ostersonntag wurde ausführlich über die Feierlichkeiten zum Fest in aller Welt berichtet. Der Sprecher erinnerte an den Anlass und sagte, dass Jesus wieder auferstanden sei. Das war kein Versprecher, so wird das heute meistens ausgedrückt.
Wieder auferstanden!? Kein einigermaßen bibelkundiger Mensch sagt das so. Wieso denn wieder? Das könnte man von einigen Wundertaten sagen, die Jesus getan hat. Der Jüngling von Nain, die Tochter des Jaïrus oder Lazarus aus Bethanien – sie alle hat Jesus wieder auferweckt. Zum Erstaunen, zum Entsetzen, zur Freude der Beteiligten. Gegen allen Augenschein sind sie nicht gestorben an ihrer schweren Krankheit. Jesus hat sie reanimiert, würden wir heute sagen. Für sie geht das Leben weiter, sie haben 20, 30 oder 40 zusätzliche Jahre geschenkt bekommen, ehe sie endgültig ins Grab gelegt werden.
Davon kann bei Jesus selbst keine Rede sein. Es gibt für ihn keine Fortsetzung. Bei ihm handelt es sich um eine ganz andere, eine neue Form von Leben, die vom Tod nicht beendet wird. Das ist ein Qualitätssprung. Ein paar Mal taucht er noch unversehens auf und verschwindet wieder. Dann sind die Jünger endgültig auf sich selbst gestellt. Jesus greift nicht mehr sichtbar oder hörbar ein. Aber sie wissen, sie spüren es, dass er da ist. Er gehört nicht der Vergangenheit, er lebt, und er wirkt unter uns.
Mit allem hatten die Anhänger Jesu gerechnet, damit nicht. Das war, das ist unvorstellbar. Als das Gerücht Er lebt die Runde machte, waren sie nicht erleichtert, nicht einmal seine langjährigen Weggefährten. Ja, Jesus hatte sie zu Lebzeiten darauf vorbereitet, aber das hatten sie nicht ernst genommen. Auferstehung? – So etwas gibt es nicht, das ist Weibergeschwätz, das sind Wahnvorstellungen von überhitzten Gemütern. – Nein, das konnten, das wollten sie nicht glauben.
Sie begreifen nicht, dass die Kreuzigung, dieser Justizmord, ein überraschend positives Ende gefunden hat. Die Geschichte Jesu geht weiter. Ja, sie geht erst richtig los. Und es nicht eine etwas ungewöhnliche Fortsetzung, sondern ein Neubeginn. Es handelt sich nicht um ein paar Jahre oder Jahrzehnte mehr, sondern um eine neue Epoche der Weltgeschichte. – Aber das geht den Jüngern erst mit der Zeit auf. Zunächst überwiegt der Schock.
II.         Der älteste Auferstehungsbericht in den Evangelien steht bei Markus: Am Ostermorgen gehen die Frauen zum Grab. Zu ihrer Überraschung finden sie es geöffnet. Sie treffen auf einen jungen Mann im weißen Gewand, also einen Engel, einen Boten Gottes. Er zeigt auf das leere Grab mit den Worten: Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Und dann gibt er ihnen einen Auftrag für die Jünger mit. Sie würden Jesus in Galiläa wiedertreffen. – In dieser Situation sind die Frauen völlig überfordert. Die alte Ostergeschichte von Markus endet mit den Worten: Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemandem etwas; denn sie fürchteten sich (16, 8).
Der Schock macht die Frauen sprachlos. Aber das ist natürlich nicht das Ende der Geschichte. Dieses Wunder lässt sich nicht verschweigen oder verheimlichen. Was sich nun ereignet ist ein kleines Feuerwerk. Jesus taucht hier und dort auf – in Galiläa, in Jerusalem und in seiner Umgebung. Die einen erkennen ihn sofort, den anderen müssen erst die Augen geöffnet werden. Er sind nur wenige, seltsame Worte, die er gesagt haben soll und die in Windeseile weiter getragen werden. Schließlich sitzt er mit seinen alten Weggefährten zu Tisch, und sie dürfen ihre Finger in seine Wunden legen.
Jede dieser Begegnungen ist völlig real, aber sie sind überwältigend, weil sie alle Erfahrungen sprengen, weil dem gesunden Menschenverstand widersprechen. Nach und nach zeigen sie Wirkung. Die Anhänger Jesus fassen Mut. Sie bestärken sich gegenseitig. Sie schauen wieder nach vorn. Das Evangelium wird wieder und nun ganz neu verkündigt. Es sind nicht mehr die erstaunlichen Worte Jesu allein, die weitergesagt werden. Jetzt gehört auch die Person Jesu in das Evangelium, sein unfassbares Schicksal – sein Leiden, sein Sterben, sein neues Leben.
Von dieser Entwicklung, von den ganz unterschiedlichen Begegnungen mit dem Auferstandenen berichten alle Evangelien und der Apostel Paulus. Manchmal sprechen sie von ein und demselben Ereignis mit je ihren eigenen Worten. Manchmal sind es unterschiedliche Ereignisse, die die anderen nicht zu kennen scheinen. Irgendjemand hat sich schließlich daran gemacht, an das verstörend offene Ende bei Markus eine Ergänzung hinzuzufügen. Sie gereift auf die anderen Evangelien zurück und fasst mit wenigen Worten das Bekannte zusammen. Am Schluss erscheint Jesus allen seinen Jüngern, und das klingt ganz ähnlich wie bei Matthäus.
III.        Das ist der Bibelabschnitt, der für die heutige Predigt vorgesehen ist (16, 9 – 15):[1]
Dieser später angefügte Schluss verfolgt ein besonderes Anliegen. Er setzt sich mit der Frage auseinander, warum sich selbst die Jünger Jesu so schwer damit tun und nicht glauben können, dass er auferstanden ist. Die Frage klingt merkwürdig modern, sie lässt sich auch nicht ein für alle Mal beantworten. Jede Generation muss sich neu damit auseinandersetzten. Und offensichtlich fällt uns das schwerer als noch unseren Eltern und Großeltern – vielleicht weil uns eine einseitig naturwissenschaftliche Sicht der Dinge völlig beherrscht.
Natürlich befinden wir uns in einer anderen Lage als die ersten Christen. Sie kannten den Menschen Jesus, sie waren seine Schüler gewesen und er ihr Meister. Alles hatten die Jünger aufgegeben und waren Jesus gefolgt. Nun kommen sie sich vor wie Waisen. Schlimmer noch, sie fühlen sich verraten und verkauft. Jesus hat nicht gehalten, was er versprochen hat. Für sie ist er ein Versager. Sie sind nicht nur aufgeschmissen und mutlos, sie sind wütend. Sie können und wollen es nicht glauben. Nicht das, was diese Maria aus Magdala angeblich erlebt hat. Nicht was die Emmausjünger berichten, noch was sonst an Gerüchten herumschwirrt.
Um die Härte ihres Herzens aufzuweichen – wie Jesus es nennt, muss er schon selber einschreiten. Und das tut er. Er nimmt sie zur Brust. Er bemitleidet sie nicht. Er wirbt nicht um ihr Verständnis, sondern er wird deutlich. Er nimmt sie in die Pflicht, er gibt ihnen einen neuen Auftrag. Statt hinter verschlossenen Türen herumzuhocken, sollen sie sich endlich auf den Weg machen und die Botschaft Jesu unter die Leute bringen. Predigt das Evangelium aller Kreatur, trägt ihnen Jesus auf. Und dieses Evangelium endet nicht mit Karfreitag, sondern mit Ostern. Es umschließt nicht nur, was Jesus gesagt und getan hat, sondern nun auch, was ihm widerfahren ist. Was er von Menschen erlitten hat und was Gott schließlich mit ihm getan hat. Dadurch hat das Evangelium eine ganz neue Tiefe, eine ganz neue Schubkraft gewonnen.
Predigt das Evangelium aller Kreatur! Das ist mit einer unglaublichen Dynamik geschehen und geschieht bis heute. Schon wenn man es alleine in Zahlen ausdrücken will, ist der Erfolg unvorstellbar groß. Fast ein Drittel aller Menschen sind heute Christen. – Nur im sog. christlichen Europa und dort, wohin Westeuropäer ausgewandert sind, ist dieser Prozess ins Stocken geraten. Der christliche Glaube ist bei uns auf dem Rückzug, das erleben wir seit Jahrzehnten.
Gehet hin in alle Welt, hat Jesus gesagt. Das haben wir auch getan, mit großem Eifer und mit beachtlichem Erfolg. Nun halten uns Christen aus Afrika, Asien und Südamerika vor: Fangt erst einmal bei euch selber an, lebt und bezeugt das Evangelium. Doch wir sind weitgehend verstummt. Das betrifft nicht nur Pfarrer und Lehrer – die tun es schließlich, wenn auch im geschützten Raum von Kirche und Schule. Aber was geschieht auf unseren Straßen, auf dem Arbeitsplatz und in der Nachbarschaft, ja selbst in unseren eigenen Familien? Was tun die Gläubigen, wir tun wir – die normalen Christen?
IV.       Warum sind wir verstummt? Es gibt keine wirklich neuen Argumente gegen unseren Glauben. Die Botschaft von der Auferstehung Jesu Christi, ja schon die Botschaft von dem lebendigen Gott war schon immer eine Zumutung für den gesunden Menschenverstand. Doch die Zumutung ist nicht nur intellektuell. Ein religiöser Ritus mag beruhigen. Aber wenn wir es mit einem Gott zu tun bekommen, der auf uns eindringt, der etwas von uns will, so ist das höchst beunruhigend. Er stört unsere Kreise, er gefährdet unsere eingefahrenen Wege, er bringt unser Leben durcheinander – selbst wenn er nur Gutes für uns im Sinne hat.
Das alles ist nicht neu. Wir haben heute zwar mehr Wissen angehäuft als je zuvor. Klüger sind wir nicht geworden. Manchmal scheint eher das Gegenteil der Fall zu sein. Wir sind nicht wirklich klüger geworden, aber manche halten sich für klüger – gerade in Sachen Religion. Darüber sind sie erhaben. Das ist etwas für Exoten und für die ewig Gestrigen, meinen sie. Kein vernünftiger Mensch glaubt heute noch so etwas. Von sich selbst meinen sie, auf dem Weg zum Gipfel der Erkenntnis zu sein und die Niederungen des Aberglaubens weit hinter sich gelassen zu haben. Und sie merken nicht, dass sie nur dem Zeitgeist folgen, einer modischen Stimmung, die kommt und sicher auch wieder geht. Das was heute so plausibel klingt, muss morgen keineswegs mehr selbstverständlich sein.
Der Unglaube ist heute das Normale – der gedankenlose, der überhebliche Unglaube. Er bestimmt das öffentliche Klima, er gibt den Ton an. Mit Atheisten kann man sich auseinandersetzen. Mit Zweifelnden kann man reden. Dem schwachen Glauben kann man sich zuwenden – er braucht ja in der Regel mehr als gute Worte.
Aber wie verhält man sich gegenüber dem so selbstsicher, so anmaßend auftretenden Unglauben? Er ist immun gegen alle Argumente – so immun wie eine Seuche gegen Antibiotika. Ja, der Unglaube ist ansteckend, hochansteckend. Und wenn er uns nicht vergiftet, so schwächt er uns doch. Unser Glaube verliert an Überzeugungskraft. Er gerät ins Schlingern, ins Schwimmen. Wir sind bereit, mehr und mehr Positionen preiszugeben. Wir klammern uns an vermeintliche Grundwahrheiten, aber der Zahn der Zeit nagt auch daran. Wir spüren, wie wir auf dem Rückzug sind. Selbst wenn wir den Unglauben durchschauen als eine Zeiterscheinung – er setzt uns mächtig zu.
V.        Bonhoeffer hat während der Nazidiktatur notiert: Es gebe Zeiten, in denen sich Christen in der Öffentlichkeit darauf beschränken müssten, das Gerechte zu tun und zu beten. Wo also Worte nicht mehr laut werden dürfen oder nicht mehr gehört werden können. Gilt das auch für unsere Zeit? Von äußerem Druck kann man heute kaum reden, aber der innere ist vielleicht ähnlich wirksam – das schleichende Gift, das uns lähmt.
Drei Ratschläge würde ich geben, die über diese Bonhoefferworte hinausgehen – auch wenn er ihnen kaum widersprechen würde: Wir müssen uns erstens zusammenschließen – wir, denen es mit dem Glauben ernst ist. Und zwar nicht nur in den Gemeinden, sondern auch im Alltag, im Freundeskreis, wo immer wir es mit Gleichgesinnten zu tun haben. Wir brauchen uns gegenseitig.
Zweitens – zum täglichen Brot gehören auch die spirituellen Kalorien und Vitamine, aus denen wir Kraft für den Glauben gewinnen. Wir brauchen die kleinen Rituale des Alltags: z. B. das Gebet am Anfang und am Ende des Tages, auch das gemeinsame zu den Mahlzeiten. Wir brauchen ein paar stille Momente, in denen wir die Bibel aufschlagen und uns innerlich sammeln.
Drittens – wir können nicht immer und überall öffentlich Position beziehen, aber gelegentlich sollten wir den Widerspruch üben. Nicht nur in der Defensive, auch in der Form, dass wir die anderen herausfordern. Wenn sie sich zum Beispiel lustig machen, über das, was uns heilig ist, müssen wir das ihnen nicht immer durchgehen lassen. Auch sie sollen ihr Verhalten rechtfertigen, und zwar mit guten Argumenten – wenn sie denn welche haben. Wir wollen als Christen ernst genommen, wir wollen respektiert werden. Das ist in einer freien Gesellschaft, die sich das Grundgesetz gegeben hat, nicht zu viel verlangt. Mit anderen Worten – wir sollen selbstbewusster auftreten, und wir haben allen Grund dazu.
Jesus kam zu den Elf, als sie zu Tische saßen. Er schalt sie wegen ihres Unglaubens und wegen ihres Herzens Härte, weil sie der Nachricht von seiner Auferstehung nicht glauben wollten. Damals meinte er seine verzagten Jünger. Heute meint er vermutlich uns, die wir uns doch nach ihm Christen nennen.                                                                           

  
  
    [1] Hier folgt die Lesung. Der Vers 15 ist bewusst dazu genommen, aus der Predigt wird ersichtlich, warum.
Perikope
Datum 07.04.2013
Bibelbuch: Markus
Kapitel / Verse: 16,9
Wochenlied: 102
Wochenspruch: 1 Petr 1,3