Die Eine Welt im Licht Gottes - Predigt zu Epheserbrief 3,2-3a.5-6 von Friedrich Hauschildt
3,2-6

Die Eine Welt im Licht Gottes - Predigt zu Epheserbrief 3,2-3a.5-6 von Friedrich Hauschildt

Die Eine Welt im Licht Gottes

Liebe Gemeinde,

(1) das Jahr 2016 steht in den evangelischen Kirchen in unserem Lande unter dem Motto „Reformation und die Eine Welt“. Dabei wird das schlichte Zahlwort „eine“ in diesem Motto programmatisch mit einem großen Anfangsbuchstaben geschrieben.  Dass alle Völker auf dieser Erde zu der Einen Welt gehören, einen – hoffentlich  friedlichen - Gesamtzusammenhang bilden, ist eine schöne und faszinierende  Vorstellung,  ein erstrebenswertes Ziel -  auch wenn wir einräumen müssen, dass wir in der Realität davon noch weit entfernt sind.

Dass wir Menschen auf diesem gefährdeten blauen Planeten an einem Strang ziehen sollen, ist in der Gegenwart nicht nur eine schöne Vorstellung, ein wünschenswertes Ideal, sondern eine Notwendigkeit, ja eine Überlebens-Notwendigkeit.

Früher ahnten wir nicht, was auf der anderen Seite des Globus geschah, es hatte für uns im Alltag auch kaum eine Bedeutung. Heute ist das anders. Die wirtschaftliche und politische Lage im Sudan oder in Äthiopien hat für uns in Europa spürbare  Auswirkungen. Menschen von dort wissen sich keinen anderen Ausweg, als bei uns Zuflucht zu suchen. Unser aufwändiger Lebensstil hat Konsequenzen anderswo. Ob in Afrika oder Südamerika Kleinbauernfamilien überleben können, hängt auch von unserem Verhalten ab. Die Welt braucht es, dass wir an einem Strang ziehen. Dass wir Erdbewohner ohne Unterschied und gemeinsam Kinder Gottes sind, denen diese Erde gemeinsam auf Zeit anvertraut ist: diese Sicht des Lebens erweist sich auf überraschende Weise als immer bedeutsamer. Die herkömmliche Aufteilung in eine erste, eine zweite, eine dritte und gar eine vierte Welt, die sich gegeneinander abgrenzen, wird der Realität immer weniger gerecht. Aber: Wir sind noch ziemlich weit davon entfernt, die Eine Welt Gottes auch wirklich in der Praxis zu leben.

(2) Das Festhalten an Unterschieden und sich daraus ergebende Konflikte kennzeichnen diese Erde schon von Anfang an. Schon Adam – noch im Paradies - schiebt, als er von Gott gefragt wird, die Schuld auf seine Frau Eva, grenzt sich gegen sie ab, weil er meint, dass ihm das einen Vorteil bei Gott verschaffen könnte (vgl. 1. Mose 3, 9-12). Und bei ihren Kindern Kain und Abel kommt es bereits zum ersten Mord in der Menschheitsgeschichte (1. Mose 4). Die beiden sind zwar Brüder, aber sie sind trotzdem sehr verschieden, und aus Verschiedenheit und Vergleichen entstehen schnell Neid, Haß und Aggression. Unterschiede und Abgrenzungen begleiten anscheinend unvermeidlich die Geschichte der Menschheit im Privaten wie zwischen Gruppen und Nationen. Der Andere, der Fremde löst Ängste, löst das Bedürfnis sich abzugrenzen, ja Aggression aus. In unserem Land werden immer wieder Unterkünfte für Asylanten angezündet. Unterschiede werden für unvereinbare Interessensgegensätze gehalten. Die, denen es gut geht, fühlen sich bedroht.  Dabei könnten die Unterschiede doch auch eine ungeheure Bereicherung sein – auch das erleben Menschen in unserm Land. Aber häufig werden die Unterschiede wie Waffen gegeneinander missbraucht.

Was Fremdheit bedeutet und welche Folgen sie mit sich bringt, kann man sich am Schicksal des Volkes Israel klar machen. Es war in seiner Geschichte ständig von schweren Konflikten bedroht. Die Zeiträume, in denen es in Freiheit und im Frieden mit seinen Nachbarn leben konnte, waren nur kurz. Noch heute lebt Israel in einer schier unlösbaren Konfliktsituation. Wie steht es bei uns mit der Einen Welt?

Gewiss: Es gibt heute viele gute Bemühungen, z.B. in der UNO, zu gemeinschaftlichen Absprachen, zur Rücksichtnahme und zu tragfähigen Konfliktregelungen zu kommen. So hofften wir in den letzten Jahrzehnten, Krieg und Terror könnten endlich überwunden werden. Aber die geradezu teuflische Macht des Hasses zeigt zu unserem Erstaunen in letzter Zeit immer wieder ihr hässliches Gesicht. Sie hat nach wie vor und scheinbar neu einen überraschend starken Einfluss auf menschliche Herzen sowohl bei Tätern wie bei Opfern. Wir scheinen von der Einen Welt weit entfernt zu sein.

Warum haben die Bemühungen um Frieden und Entwicklung in Freiheit so wenig Erfolg? Warum bewirkt der Hinweis auf die Menschenrechte so wenig? Warum erweist es sich als so schwierig, so ein bescheidenes Ziel wie das eines Interessenausgleiches zu erreichen? Die Argumente für friedliche Regelungen liegen auf dem Tisch. Aber von woher kommt die Kraft, das, was wir im Kleinen  wie im Großen als richtig und notwendig erkannt haben, auch zu tun, in die Wirklichkeit umzusetzen?

(3) „Die Heiden, die Ungläubigen sind Miterben, sie gehören mit zum Leib Christi, sie sind Mitgenossen der Verheißung“: mit diesem erstaunlichen, provokativen Satz  bezieht der Verfasser der Epheserbriefes, wahrscheinlich ein Schüler des Apostels Paulus,  eine klare Position.  Gleich dreimal fällt das kurze und unscheinbare Wörtchen „mit“: die Heiden sie sind Miterben, sie gehören mit zum Leib Christi, sie sind Mitgenossen.  Ein solcher Satz ist brisant, kann Ärger und Empörung bei denen auslösen, die sich in ihren Vorrechten eingerichtet haben. Man denke nur an die Debatte, die sich an dem Satz „der Islam gehört zu Deutschland“ entzündet hat.

Wie sind solche Sätze richtig zu verstehen? Wie lässt sich solche Zusammengehörigkeit begründen, so plausibel machen, dass sie nicht mehr Angst und Abwehr auslöst? In der Politik gibt es immer wieder zwei typische Begründungen. Die eine beruft sich auf die Vernunft: „Wir müssen schon aus eigenem Interesse um des Friedens willen zu einem Ausgleich der Interessen kommen, zu einem Kompromiss. Beide Seiten müssen zurückstecken, es muss ein mittlerer Weg gefunden werden. Das nützt allen Beteiligten.“ Niemand verachte die Bereitschaft zum Kompromiss. Kompromisse stehen zwar oft im Geruch, Ausdruck von Schwäche zu sein. Aber nicht selten erfordert es eher Mut, Kompromisse einzugehen.

Eine andere Spielart der Begründung lautet so: „Keinem Menschen darf die angeborene  Würde des Menschseins abgesprochen oder verweigert werden. Es gibt über alle Unterschiede hinweg eine tiefe Gemeinsamkeit aller menschlicher Wesen.“ Und wer sich von einem Fremden dessen ganz persönliches Schicksal erzählen lässt, der kann  von solcher Gemeinsamkeit ganz konkret auf herzbewegende Weise ergriffen werden.

(4) Worin sieht der Verfasser diese tiefe Zusammengehörigkeit aller Menschen begründet? Er widerspricht den vernünftigen Begründungen nicht. Aber er geht über die Gedanken des Interessensausgleichs oder der angeborenen Menschenwürde noch hinaus. Der Grund unserer Zusammengehörigkeit liegt noch tiefer als in der Natur des Menschen, seiner Vernunft oder in Nützlichkeitserwägungen. Der Grund liegt im Geheimnis aller Wirklichkeit selbst, in Gott.

Gott hat schon von altersher durch seinen Propheten angekündigt, dass am Ende der Zeiten „alle Heiden“ zum Berg Gottes „herzulaufen“ werden (Jesaja 2,2). Die Heiden, so heißt es beim Propheten Jesaja, werden zu Gottes Licht ziehen (Jesaja 60,3). Das ist mehr als eine Überzeugung aus menschlicher Vernunft. Gott selbst hat dieses Geheimnis uns „in einer Offenbarung kundgemacht“ (Eph. 3, 3). Es ist eine Überzeugung, die sich uns nicht aus uns selbst erschließt, sondern durch den Geist offenbart werden muss (V. 5.), so drückt sich Paulus aus.

Warum ist das so? Wir sind dazu aufgerufen, auf Blindheit, auf Überlegenheitsgefühle, auf Hartherzigkeit zu verzichten, sie abzutun. Dass Gott allen Menschen nahe sein will, muss sich erst gegen unseren menschlichen Egoismus durchsetzen. Wir sollen uns dazu innerlich überwinden lassen. Wir müssen lernen, uns in die Anderen hineinzuversetzen, weil sie genauso Kinder Gottes sind wie wir. Wir sollen unseren Nächsten lieben wie uns selbst.

(5) Der Apostel Paulus und seine Schüler sind  – wie kann es anders sein - Kinder ihrer Zeit mit deren Herausforderungen. Sie stehen vor der Aufgabe zu zeigen, dass innerhalb der christlichen Gemeinde ehemalige Juden und frühere Heiden über die alten tiefgreifenden  Unterschiede hinweg nun eine Gemeinde, den einen Leib Christi bilden. Das war für die damalige Zeit unerhört. Unsere Zeit steht vor einer neuen Herausforderung. Gibt es eine Gemeinsamkeit über alle religiösen Grenzen und Unterschiede hinweg? In der Gegenwart gibt es anscheinend unlösbare Konflikte zwischen ethnisch und religiös unterschiedlichen  Gruppen. Wie sollen Juden und Palästinenser in Palästina friedlich zusammenleben können – niemand weiß eine praktikable Antwort.

Wo ist die Kraft, die Verfeindete zu Mitgenossen, ja zu Sympathisanten macht, also zu Menschen, die miteinander fühlen, bereit sind, sich in den anderen einzufühlen. Das ist uns offensichtlich aus eigener Kraft verborgen, ein Geheimnis. „Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker“ (Jesaja 60, 2). Wir brauchen das Licht, das über uns aufgeht, und unsere Blindheit überwindet.

Gott wurde Mensch in dem kleinen Städtchen Bethlehem. Die dort verkündigte Botschaft gilt nicht nur den Hirten von Bethlehem. Das dort aufgegangene Licht lässt sich nicht auf einen verborgenen Winkel der großen Welt begrenzen. Die Menschenfreundlichkeit Gottes will die ganze Welt erleuchten, das Leben aller Menschen soll in diesen hellen Schein geraten. Gottes Menschenfreundlichkeit  strahlt heller als menschliche Vorzüge, menschliche Macht und Vernunft. Sie erscheint über aller Welt. Nun liegt dieser Glanz auf aller Welt, auf der Einen Welt Gottes. Amen.