"Die Freiheit in der Liebe gestalten" - Predigt über Galater 5,1-6 von Maximilian Heßlein
5,1
Reformation 2012 – Galater 5,1-6
 
Die Freiheit in der Liebe gestalten
1 Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen! 2 Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen. 3 Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist. 4 Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen. 5 Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die man hoffen muss. 6 Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.
Liebe Gemeinde,
angesichts der Debatte um die Beschneidung von unmündigen Jungen in Deutschland und die teilweise hysterische Reaktion von allen möglichen Seiten in den letzten Monaten läge es nahe, anhand dieses Textes des Apostels Paulus ein Wort zu diesen Vorgängen in Deutschland zu sagen, läge es vielleicht sogar nahe, ins selbe Horn wie die Kölner Richter zu stoßen und die Beschneidung unter Strafe zu stellen.
Allerdings ging es dem Kölner Gericht nicht um die Freiheit des Glaubens, um die Freiheit von den Werken der Gerechtigkeit, sondern es ging um die Unverletzbarkeit der Person und das Selbstbestimmungsrecht jedes einzelnen Menschen. Ob die Kanzel der richtige Ort ist, um über die schwierige Abwägung von Religionsfreiheit und dem Grundrecht auf Unversehrtheit zu richten? - Zunächst also stelle ich diesen Inhalt der Beschneidungsdebatte einmal hintan.
Gleichwohl haben die Überlegungen des heutigen Abends sehr genau etwas mit der Art und Weise der Debatte zu tun, wie wir Menschen miteinander umgehen und wie wir uns gegenseitig und übereinander aufschwingen, uns die Freiheit nehmen und das Werk Gottes durch Jesus Christus verschmähen und ablegen. Ja, Ihr Lieben, ich glaube, das tun wir an vielen Stellen unseres Lebens. Wir beschneiden uns gegenseitig die Freiheit. Das hat seit den Zeiten des Apostels nicht aufgehört.
 
Dagegen aber sang und singt der Paulus ja ein wunderbares Lied über die Freiheit. Ein Lied des Glaubens ist das. Es singt von Errettung und Versöhnung. Es singt von der Liebe unseres Gottes. Paulus singt ein Lied der Barmherzigkeit.
Vielleicht erinnern Sie sich an die letzten Monate, an die Kämpfe um die Meinungsführerschaft und den Versuch entweder die Herrschaft des Rechts oder die Herrschaft der Religion aufzurichten. Wer ist stärker, geschickter, diskutierfester, leistungsstärker.
Da saßen Menschen übereinander zu Gericht, da wurde verurteilt und belehrt. Aber zugehört haben sich die Diskutanten selten und den Versuch, eine gemeinsame Position zu finden, haben sie auch nicht gemacht.
Es ist ja auch so viel leichter, übereinander zu herrschen als miteinander an der Zukunft zu bauen. Das kostete Kraft und Energie, das brauchte auch viel Phantasie und Geistesgegenwart und nicht die einfachen Rezepte.
Ich kann mich selbst an ein Gespräch mit einem Bekannten erinnern. Er hatte gute Argumente. Ich hatte sie hoffentlich auch. Aber da war kein Bemühen, zusammen zu kommen, sondern nur der Versuch, den jeweils anderen zu beherrschen und bedingungslos auf die eigene Seite zu ziehen.
Aber ist es nicht das, was wir gerade mit diesem Tag besonders feiern, dass hier erst mal niemand mehr über mich zu Gericht sitzt, dass ich nicht ständig in der Auseinandersetzung stehe, dass niemand über meinen Glauben und mein Leben rechten kann, dass ich wirklich frei bin im Denken, im Glauben und Vertrauen, im Lieben, im Hoffen und Bangen? Und dass uns das alles verbindet zu einer wahren, liebenden und freien Gemeinschaft?  Was für ein großes Geschenk, Ihr Lieben.
Was aber mache ich damit? – Was sind das dagegen doch manchmal wirklich für unbarmherzige Zeiten im Leben. Es ist ein gegenseitiges Gängeln und Nasführen, dass es einem manchmal gar schwindlig wird. Von Freiheit ist da nicht viel zu spüren. Überlegen Sie doch mal, wo Sie das selbst erlebt haben in letzter Zeit! Wie oft bleibe ich gefangen in meiner eigenen Pflichterfüllung! Vom Kalender, dem Telefon oder den Emails, von Kollegen oder Familie getrieben.
Und wenn ich dann über den eigenen Tellerrand hinausschaue, dann gilt das auch für die, die aus dem großen Umbruch vor nun bald 500 Jahren hervorgegangen ist. Auch die Kirche, und ich kann da im Moment nur für die evangelische sprechen, gängelt sich selbst mit einer Unmenge an Aufgaben und Pflichterfüllungen, Zielvorgaben und Prognosen für die nächste Zeit, dass es einem manchmal das Arbeiten verleidet und den Atem zum Leben nimmt.
Die Badische Landessynode hat dies gerade eben wieder getan. Es geht um neue strategische Ziele der Landeskirche, als ob wir nicht in der Kirche, sondern auf dem Schlachtfeld wären.
Jedenfalls, so ist meine Beobachtung, stecken wir miteinander in einem engen Korsett von Pflichten und Aufgaben. Das Schlimme aber ist: Der Freiheit und dem Leben, das uns von Jesus Christus und im Geist des Glaubens geboten ist, traue ich dann eben nicht mehr.
Liebe Gemeinde, wenn ich nun den Text aus dem Galaterbrief richtig lese, dann glaube ich, dass das ja alles ganz alte Fragen sind und dass der Reformator Martin Luther an vielen Stellen seines Lebens genau diese Enge und diese unentwegte Pflichterfüllung wieder und wieder erfahren hat. Im Elternhaus mit dem strengen Vater, im Studium der Rechte, bei den Augustinereremiten im Erfurter Kloster, in der stetigen Auseinandersetzung mit der Kirche und besonders eben mit Gott. Die Frage nach dem gnädigen Gott in seinem Leben und die Erfahrung der Gängelung durch diesen haben ihn gefangen und gebunden und in heftigste Konflikte gestoßen. Sie kennen diese Geschichte alle.
Aber gerade in dieser Auseinandersetzung musste er eine neue Erkenntnis und eine neue Sicht auf Gott gewinnen, weil dieser Gott, den solche Menschen wie der Dominikanerpater Tetzel unter die Leute brachten – Sie erinnern sich: „Wenn die Münz im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt!“ – weil also dieser Gott ein allzu menschlicher, nach allzu menschlichen Maßstäben richtender und verurteilender Gott war.
Der hatte überhaupt nichts Heiliges, Befreiendes mehr an sich, sondern er fesselte und band die Gläubigen an die Angst und die Bedrückung, er ermöglichte anderen über mich zu herrschen und war darin – und das ist das Erstaunliche – selbst  gefesselt an diese Welt und an das, was die Kirchenoberen aus ihm gemacht hatten.
Ihr Lieben, da war ein Gott im Himmel, der Pflichten zu erledigen hatte: der musste ins Fegefeuer und in die Hölle stoßen, wen er verworfen hatte. Dieser Gott ließ sich durch Geld bestechen und Seelen abkaufen, damit nichts vergehen sollte. Große Gebäude schmeichelten ihm und die Erfüllung von Plänen und Zielen ließen eine gnadenvolle, gesicherte Zukunft aufscheinen. Und es gab Menschen, die hatte er lieber als die anderen, die waren in einem besseren Stand vor ihm, denen lieh er sein Ohr auf besonders nahe Weise.
Es ist keine Frage, liebe Gemeinde, es bedurfte einer Befreiung, nicht nur der Menschen aus diesem Gottesbild, sondern eben auch Gottes selbst. Denn das Leben Gottes entschwindet uns so. Jedenfalls wollte ich von so einem Gott nichts wissen.
Dann aber braucht es manchmal einen, der einen wach rüttelt, der mit Hammerschlägen an die Kirchentüren donnert und die Menschen zum Nachdenken und Aufstehen bringt, damit niemand Herr über mein Leben und niemand Herr über Ihr Leben, liebe Gemeinde, werde, sondern allein der starke Gott im Himmel darüber wacht.
So einer war Martin Luther. Deswegen sitzen wir heute Abend hier zusammen. So einer war mit Sicherheit auch der Apostel Paulus, der den Menschen die Gerechtigkeit Gottes und damit seine Freiheit für ihr Leben weitergegeben hat. Freiheit für Euer Leben, Ihr Lieben. Freiheit, wie sie Ihnen und mir von Jesus Christus geschenkt ist.
Dabei gehört es zu den Schwierigkeiten und zugleich zu den Schönheiten des Glaubens, dass in Gott mit dem Erstehen des einen, das andere noch nicht vorbei ist, dass Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ineinander verschwimmen und die Erlösung durch Jesus Christus wohl geschehen und in mir angekommen ist, dass ich aber immer noch in einer unerlösten, sündhaften Welt lebe und bleibe.
Deswegen spüre ich auch die Unbarmherzigkeit dieser Welt zu manchen Zeiten so stark, deswegen bin ich so ein unbarmherziges Teil in ihr.
Es sind und bleiben die alten Fragen der Macht und der Herrschaft über den Anderen. Sie bleiben und spielen eine entscheidende Rolle. Es ist wohl leider immer noch nicht so, wie der alte Poet und Kämpfer Bertolt Brecht gedichtet hat:
 
Und weil der Mensch ein Mensch ist, / drum hat er Stiefel im Gesicht nicht gern, / er will unter sich keinen Sklaven sehen / und über sich keinen Herrn.
 
Ich glaube, häufig stimmt nur letzteres. Und wenn ich das auf die Kirche wende, dann halte ich fest: Es ist wohl immer noch nicht so, wie die Barmer Theologische Erklärung in vollkommener Klarheit und evangelischem Selbstbewusstsein festgehalten hat:
 
Die verschiedenen Ämter in der Kirche begründen keine Herrschaft der einen über die anderen, sondern die Ausübung des der ganzen Gemeinde anvertrauten und befohlenen Dienstes.
 
Aber, Ihr Lieben, das Entscheidende ist doch, dass die Freiheit tatsächlich nur dann gewonnen werden kann, wenn die Zusage Gottes gilt: Ihr seid aller Knechtschaft ledig. Sie ist vorbei.
Also, wenn wir uns wirklich gleich zu gleich in die Augen schauen, uns wahrnehmen als Menschen und als Glaubende und allein Gott den Herrn des Lebens sein lassen, dann gelingt die Freiheit auch. Im besten Sinne der Bergpredigt gewähren wir uns als Selige, von Gott angenommene Menschen, gegenseitig das Leben in seiner vollen Gänze.
Und da, Ihr Lieben, da kommt die Liebe ins Spiel, die überlese ich nämlich leicht, wenn ich da auf den Paulus schaue. Und dann lese ich, dass der Glaube und mit ihm meine Freiheit durch die Liebe tätig wird. Die Liebe setzt den Glauben in die Tat.
Was das heißt? -
Dass der Glaube uns in den Stand setzt, miteinander zu arbeiten und zu schaffen, Gemeinschaft zu pflegen, Häuser zu bauen, uns ohne Herrschaft, von gleich zu gleich wahr- und anzunehmen und uns an die Arbeit zu machen, zu singen und zu beten, in gegenseitiger Beratung die Dinge des Lebens entscheiden. Und also die Kirche zu bauen.
In alldem weiß ich mit Paulus, dass Jesus Christus der einzige Herr und Meister unseres Lebens ist und dass wir durch ihn die Freiheit zum Leben und die Ruhe im Sterben haben. Hier ist keine Angst und kein Verzagen, sondern der wahre und liebende Aufbruch im Glauben. Nicht weil Gott das von uns verlangt und weil er es braucht und weil wir da in der Pflicht stehen und seine Pläne ängstlich erfüllen müssen, sondern weil es sein Geschenk an uns ist.
Vielleicht wäre das auch bei aller Pflichterfüllung, die bei den Reformbemühungen der Kirche immer von den Leitungen erwartet wird, vielleicht wäre das die entscheidende Erkenntnis. Brecht doch erst einmal im Glauben, Hoffen und Lieben auf, bevor ihr vor lauter selbst auferlegter Unfreiheit, unter dem Joch der Knechtschaft dieser Welt alles über Bord werft, was Euer Leben als Gemeinde und Kirche ausmacht.  
Also, liebe Gemeinde, wenn wir, wenn die Kirche sich der Liebe Gottes verpflichtet weiß, wenn sie aus ihr lebt und auf sie vertraut, wenn sie die Menschen nicht gängelt, auch nicht ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wenn sie mit Lust und Vertrauen an den Glauben geht und dadurch die Liebe zu denen trägt, die sie brauchen, dann will und werde ich mich auch von Gottes Liebe binden lassen.
Denn die Liebe, die Gott mir mit Jesus Christus geschenkt hat, die Liebe, aus der Martin Luther alle Kraft für die kirchlichen Umwälzungen in Deutschland sog, die Liebe, von der wir alle miteinander seit unserem ersten Atemzug leben, diese Liebe macht fest und hält fest und lässt uns sicher wohnen in der festen Burg unseres Gottes.
Das gilt dann übrigens auch für die Beschneidungsdebatte in Deutschland, zu der weder Verbote noch schnelle Gesetze helfen, sondern die wertschätzende und von der Liebe geleitete Diskussion und Debatte, die nicht den anderen beherrschen will, sondern die Achtung vor dessen Leben bewahrt. Amen.
Perikope
31.10.2012
5,1