"Die Last der Freiheit" - Predigt zu 4. Mose 21, 4-9 von Ruth Conrad
21,4
Die Last der Freiheit
Lesung:
Da brachen die Israeliten auf von dem Berge Hor in Richtung auf das Schilfmeer, um das Land der Edomiter zu umgehen. Und das Volk wurde verdrossen auf dem Wege 5 und redete wider Gott und wider Mose: Warum hast du uns aus Ägypten geführt, dass wir sterben in der Wüste? Denn es ist kein Brot noch Wasser hier und uns ekelt vor dieser mageren Speise.
6 Da sandte der HERR feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, dass viele aus Israel starben. 7 Da kamen sie zu Mose und sprachen: Wir haben gesündigt, dass wir wider den HERRN und wider dich geredet haben. Bitte den HERRN, dass er die Schlangen von uns nehme. Und Mose bat für das Volk. 8 Da sprach der HERR zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben. 9 Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biss, so sah er die eherne Schlange an und blieb leben.
Freiheit,
liebe Gemeinde,
Freiheit kann verdrossen machen.
Das ist traurig, aber wahr.
Freiheit kann verdrossen machen, weil Freiheit Arbeit bedeutet.
Freiheit bedeutet mühseliges Unterwegssein.
Freiheit bedeutet Selber-Denken-Müssen:
Wohin wollen wir?
Wie kommen wir dort hin?
Wie geht der Weg weiter?
Müssen wir zur Not einen Umweg nehmen?
Finden wir genügend Unterstützung auf dem Weg?
Können wir uns alle auf diesen Weg verständigen?
Freiheit bedeutet also Verantwortung zu übernehmen und sich in die Verantwortung nehmen zu lassen: Für sich selbst, für die Nächsten, für die Gemeinschaft.
Und das Geschäft der Freiheit will jeden Tag neu in Angriff genommen werden. Es erledigt sich nie. Es kommt an kein Ende.
Freiheit ist eine Aufgabe, die um ihrer selbst willen da ist und da bleibt. Sie ist der berühmte Weg, von dem es heißt, er sei das Ziel.
Und da kann man schon mal verdrossen werden.
Man kann der ewigen Gestaltungsaufgabe der Freiheit überdrüssig werden.
Immer diese Kompromisse …!
Immer dieses Selber-Denken …!
Kann sich da nicht mal einer richtig zuständig fühlen und das für alle, besonders für mich, in die Hand nehmen und erledigen?
Immer dieses Unterwegs-Sein …!
Können wir es nicht einfach mal gut sein lassen?
Freiheit kann verdrossen machen, auch weil sie ein gewisses Maß an Flexibilität erfordert, eben weil es eine Aufgabe ist, die nie an ihr Ziel kommt.
Da kann man sich schon mal mit unlustigem Gemüt und innerem Grimm sich zurücksehnen an die Fleischtöpfe der Gefangenschaft.
Freiheit gegen Sicherheit,
der Konflikt scheint so alt wie die Menschheit.
Ein Konflikt, den jeder Einzelne in seinem Leben und viele Gesellschaften in ihrem Dasein auszutragen haben.
Jeder Einzelne unter uns steht in seinem Leben vor der Aufgabe aufzubrechen in die Selbstständigkeit, sich freizumachen von Abhängigkeiten, Ohnmacht und Ängsten. Wir müssen aufbrechen aus unseren inneren Programmen und Zwängen, die uns von außen, seit Kindheitstagen eingespielt wurden.
Du darfst das nicht …!
Lass das ….!
Das macht man nicht …!
Wie kannst Du nur? Was sollen die anderen denken?
Die Führung unseres Lebens liegt in seinen Anfängen in den Händen anderer. Und die Aufgabe unseres Lebens liegt darin, diese Führung in die eigenen Hände zu übernehmen, für uns selbst und dann auch für andere Verantwortung zu übernehmen. Die Aufgabe unseres Lebens liegt darin, von der Fremdherrschaft in das Land der Freiheit zu finden, in das Land, in dem ich für mein Tun und mein Denken die Verantwortung vor Gott und den anderen übernehme.
So gesehen ist der Pharao, die Knechtschaft in Ägypten, die Fremdherrschaft ein Bild für all die Zwänge, Ängste, Schuldgefühle, Verhaltensmuster, die uns gefangen halten können, die uns aber auch Sicherheit geben. Denn sie sagen uns, wie was zu tun ist, was verboten ist und was erlaubt. So gesehen ist Sicherheit nicht von vornherein eine schlechte Option, denn sie gibt Orientierung. Sie verortet den Einzelnen, mich in einem System von Werten, Pflichten und Aufgaben. Da kenne ich meinen Platz in der Welt, auch wenn er mir von anderen zugewiesen wird.
Aber Sicherheit um den Preis der Freiheit – das ist ein Problem. Manche wollen das nicht. Sie ertragen die fremden Regeln nicht länger. Sie wollen selber Herr im eigenen Hause sein, auch wenn das eigene Haus zunächst nur ein Zelt auf langer Wüstenwanderung ist. Sie brechen auf, wagen die Flucht aus einem sicheren Leben. Denn zu stark ist der Ruf der Freiheit, zu mächtig lockt die Selbstständigkeit, zu hart ist der Druck des „Nie-sich-selber-sein-Könnens“.
Ich will Ich sein, und nicht das Produkt fremder Zwänge und Zuschreibungen.
Liebe Gemeinde,
was für den Einzelnen gilt,
das gilt auch für Gesellschaften.
Auch hier gibt es Zwänge und Herrscher, die die Freiheit nehmen und dafür Sicherheit gewähren. So vermisst man erst einmal nichts, denn der Bauch ist ja versorgt, das Leben in einem System sicher verankert. Was will man mehr? Alles regelt sich von außen. Sicherheit ist oft auch Wohlbehagen.
Doch die Geschichte lehrt: Immer gibt es Menschen, die mehr wollen. Sie wollen frei sein, um mitzuentscheiden und um sie selbst zu sein, und nicht das, was andere aus ihnen machen und von ihnen verlangen. So brechen auch ganze Gesellschaften immer wieder auf in die Freiheit, erledigen sich unterdrückender Herrscher.
Doch auch hier gilt: die Freiheit ist und bleibt ein Weg, eine Aufgabe. Wir sind noch nicht am Ziel. Das gelobte Land steht noch aus.
Und der Weg der Freiheit führt durch oft auch durch Wüsten.
Man muss es erst lernen und immer wieder neu erproben – wie es ist, sich selbst zu orientieren, frei zu sein, auch um den Preis des Mangels, Sicherheiten zu verlieren und ganz auf sich geworfen zu sein.
Man muss es erst einüben, aufzuhören, nach Anweisungen zu leben, die fertigen Formen aufzugeben, die Offenheit zu ertragen, Kompromisse auszuhandeln.
Das ist mühsam, manchmal steinig, oft öde wie die Wüste. Manchem wird der Weg zu lange, die Aufgabe zu steinig. Was soll’s?
Der Weg der Freiheit, er führt auch dazu, dass manche gerne auf die Freiheit verzichten wollen: Sicherheit iss‘ mir lieber. Freiheit nervt. Zuviel Arbeit. Das Brot der Knechtschaft wird jetzt zur wahren Wonne. Man könnte mit Siegmund Freud geneigt sein zu glauben: das Lustprinzip ist das Einzige, das der Befriedigung bedarf.
Der Einzelne denkt dann: So schlecht waren meine früheren Orientierungen auch nicht. Meine Ängste, meine Kontrollen, mein Über-Ich – da war ich wenigstens in Obhut. Muss ich immer aus der Reihe tanzen?
Viele sagen: Früher gab es wenigstens Arbeitsplätze, Recht und Ordnung. Den Preis, den sie für diese gezahlt haben, vergessen sie.
Freiheit kann verdrossen machen.
Freiheit kann undankbar machen.
Und vielleicht, liebe Gemeinde,
vielleicht ist deshalb der Einspruch, den Gott hier erhebt, so ungeheuer brutal und kann nicht ohne feurige Schlangenwunden abgehen. Weil der, der gegen die Freiheit aufbegehrt und nach versklavenden Sicherheiten verlangt, der rebelliert gegen den Schöpferwillen. Er macht sich mit der Schlange, der großen Widersacherin gemein. Er trägt den Biss der Schlange an sich,
das tödliche Gift der Sünde in sich.
Das nämlich ist die Sünde, die den Schöpfer erbost:Wenn der Mensch nicht der sein will und nicht der sein kann und nicht der sein darf, zu dem er, Gott ihn geschaffen hat: das freie, aufrechte Gegenüber Gottes, das eben nur ihm, Gott verpflichtet ist.
Das also ist die Sünde: sich unter fremde Herrscher begeben, sich nach ihnen sehnen, ihnen ein gutes Leben zutrauen, die Verantwortung für das eigene Leben anderen Kräften und Mächten zu schieben, anstatt sie von Gott in die eigenen Hände zu empfangen und dann zu gestalten.
Doch es scheint, als ließe sich die Sünde wider die Freiheit nicht vermeiden. Als gehöre sie zum Menschsein. Der freie Mensch – er ist von Anfang an ein gefährdetes Projekt. Das Gift der Schlange ist schon im Paradies dabei. Wir können uns nicht selbst davor schützen. Zu groß und auch zu berechtigt sind die Verlockungen der Sicherheit. Zu anstrengend und zu zermürbend kann der Weg zum Eigenen, Selbstständigen sein, ob als Einzelner oder als Volk.
Zur Freiheit müssen wir befreit, ermächtigt werden. Auf dem Weg der Freiheit, auf dem Weg ins gelobte Land, bedürfen wir der Erlösung. Wir bedürfen des Erlösers. Für diese Einsicht steht das Kreuz – die aufgerichtete, die hingerichtete Schlange. Das Kreuz erinnert uns an die Einsicht des Paulus: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit.“ Die Strafe für unsere Unfreiheit, sie ist die Erlösung zur Freiheit. Denn sie bringt uns zu dem, was wir wollen: zu einem selbstbestimmten Leben. Sie erinnert uns daran, wer wir nach Gottes willen sein sollen: freie, selbstbestimmte Menschen. Frei von Ängsten, Zwängen und Unterdrückungen und zugleich frei zum Guten, frei für den Nächsten. Darum fährt Paulus auch fort: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auferlegen!“
Gott also ist nicht die Grenze die Freiheit. Nein, er ermöglicht diese. Weil er die Unfreiheit gefangen setzt, die tödliche Schlange hinrichtet, deshalb können, sollen und dürfen wir, ja wir dürfen den mühsamen Weg der Freiheit gehen. Das wir ab und an verdrossen werden, wird nicht ausbleiben – Sünder bleibt Sünder – , aber dass wir deshalb der Freiheit überdrüssig werden, das verhindere Gott.
Amen
Lied: EG 93, 1-4 Nun gehören unsre Herzen
Anregungen fand ich bei: Siegfried Zimmer: Von einem, der auszog, das Leben zu lernen, in: Georg Schützler/Siegfried Zimmer: Wohin gehen »Nachteulen«? Argumente, Geschichten und Phantasien für Gottsucher und solche, die es werden könnten, Stuttgart 1998, S.19-43 sowie bei Eugen Drewermann: Den eigenen Weg gehen. Predigten zu den Büchern Exodus bis Richter, München 21995.
Lesung:
Da brachen die Israeliten auf von dem Berge Hor in Richtung auf das Schilfmeer, um das Land der Edomiter zu umgehen. Und das Volk wurde verdrossen auf dem Wege 5 und redete wider Gott und wider Mose: Warum hast du uns aus Ägypten geführt, dass wir sterben in der Wüste? Denn es ist kein Brot noch Wasser hier und uns ekelt vor dieser mageren Speise.
6 Da sandte der HERR feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, dass viele aus Israel starben. 7 Da kamen sie zu Mose und sprachen: Wir haben gesündigt, dass wir wider den HERRN und wider dich geredet haben. Bitte den HERRN, dass er die Schlangen von uns nehme. Und Mose bat für das Volk. 8 Da sprach der HERR zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben. 9 Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biss, so sah er die eherne Schlange an und blieb leben.
Freiheit,
liebe Gemeinde,
Freiheit kann verdrossen machen.
Das ist traurig, aber wahr.
Freiheit kann verdrossen machen, weil Freiheit Arbeit bedeutet.
Freiheit bedeutet mühseliges Unterwegssein.
Freiheit bedeutet Selber-Denken-Müssen:
Wohin wollen wir?
Wie kommen wir dort hin?
Wie geht der Weg weiter?
Müssen wir zur Not einen Umweg nehmen?
Finden wir genügend Unterstützung auf dem Weg?
Können wir uns alle auf diesen Weg verständigen?
Freiheit bedeutet also Verantwortung zu übernehmen und sich in die Verantwortung nehmen zu lassen: Für sich selbst, für die Nächsten, für die Gemeinschaft.
Und das Geschäft der Freiheit will jeden Tag neu in Angriff genommen werden. Es erledigt sich nie. Es kommt an kein Ende.
Freiheit ist eine Aufgabe, die um ihrer selbst willen da ist und da bleibt. Sie ist der berühmte Weg, von dem es heißt, er sei das Ziel.
Und da kann man schon mal verdrossen werden.
Man kann der ewigen Gestaltungsaufgabe der Freiheit überdrüssig werden.
Immer diese Kompromisse …!
Immer dieses Selber-Denken …!
Kann sich da nicht mal einer richtig zuständig fühlen und das für alle, besonders für mich, in die Hand nehmen und erledigen?
Immer dieses Unterwegs-Sein …!
Können wir es nicht einfach mal gut sein lassen?
Freiheit kann verdrossen machen, auch weil sie ein gewisses Maß an Flexibilität erfordert, eben weil es eine Aufgabe ist, die nie an ihr Ziel kommt.
Da kann man sich schon mal mit unlustigem Gemüt und innerem Grimm sich zurücksehnen an die Fleischtöpfe der Gefangenschaft.
Freiheit gegen Sicherheit,
der Konflikt scheint so alt wie die Menschheit.
Ein Konflikt, den jeder Einzelne in seinem Leben und viele Gesellschaften in ihrem Dasein auszutragen haben.
Jeder Einzelne unter uns steht in seinem Leben vor der Aufgabe aufzubrechen in die Selbstständigkeit, sich freizumachen von Abhängigkeiten, Ohnmacht und Ängsten. Wir müssen aufbrechen aus unseren inneren Programmen und Zwängen, die uns von außen, seit Kindheitstagen eingespielt wurden.
Du darfst das nicht …!
Lass das ….!
Das macht man nicht …!
Wie kannst Du nur? Was sollen die anderen denken?
Die Führung unseres Lebens liegt in seinen Anfängen in den Händen anderer. Und die Aufgabe unseres Lebens liegt darin, diese Führung in die eigenen Hände zu übernehmen, für uns selbst und dann auch für andere Verantwortung zu übernehmen. Die Aufgabe unseres Lebens liegt darin, von der Fremdherrschaft in das Land der Freiheit zu finden, in das Land, in dem ich für mein Tun und mein Denken die Verantwortung vor Gott und den anderen übernehme.
So gesehen ist der Pharao, die Knechtschaft in Ägypten, die Fremdherrschaft ein Bild für all die Zwänge, Ängste, Schuldgefühle, Verhaltensmuster, die uns gefangen halten können, die uns aber auch Sicherheit geben. Denn sie sagen uns, wie was zu tun ist, was verboten ist und was erlaubt. So gesehen ist Sicherheit nicht von vornherein eine schlechte Option, denn sie gibt Orientierung. Sie verortet den Einzelnen, mich in einem System von Werten, Pflichten und Aufgaben. Da kenne ich meinen Platz in der Welt, auch wenn er mir von anderen zugewiesen wird.
Aber Sicherheit um den Preis der Freiheit – das ist ein Problem. Manche wollen das nicht. Sie ertragen die fremden Regeln nicht länger. Sie wollen selber Herr im eigenen Hause sein, auch wenn das eigene Haus zunächst nur ein Zelt auf langer Wüstenwanderung ist. Sie brechen auf, wagen die Flucht aus einem sicheren Leben. Denn zu stark ist der Ruf der Freiheit, zu mächtig lockt die Selbstständigkeit, zu hart ist der Druck des „Nie-sich-selber-sein-Könnens“.
Ich will Ich sein, und nicht das Produkt fremder Zwänge und Zuschreibungen.
Liebe Gemeinde,
was für den Einzelnen gilt,
das gilt auch für Gesellschaften.
Auch hier gibt es Zwänge und Herrscher, die die Freiheit nehmen und dafür Sicherheit gewähren. So vermisst man erst einmal nichts, denn der Bauch ist ja versorgt, das Leben in einem System sicher verankert. Was will man mehr? Alles regelt sich von außen. Sicherheit ist oft auch Wohlbehagen.
Doch die Geschichte lehrt: Immer gibt es Menschen, die mehr wollen. Sie wollen frei sein, um mitzuentscheiden und um sie selbst zu sein, und nicht das, was andere aus ihnen machen und von ihnen verlangen. So brechen auch ganze Gesellschaften immer wieder auf in die Freiheit, erledigen sich unterdrückender Herrscher.
Doch auch hier gilt: die Freiheit ist und bleibt ein Weg, eine Aufgabe. Wir sind noch nicht am Ziel. Das gelobte Land steht noch aus.
Und der Weg der Freiheit führt durch oft auch durch Wüsten.
Man muss es erst lernen und immer wieder neu erproben – wie es ist, sich selbst zu orientieren, frei zu sein, auch um den Preis des Mangels, Sicherheiten zu verlieren und ganz auf sich geworfen zu sein.
Man muss es erst einüben, aufzuhören, nach Anweisungen zu leben, die fertigen Formen aufzugeben, die Offenheit zu ertragen, Kompromisse auszuhandeln.
Das ist mühsam, manchmal steinig, oft öde wie die Wüste. Manchem wird der Weg zu lange, die Aufgabe zu steinig. Was soll’s?
Der Weg der Freiheit, er führt auch dazu, dass manche gerne auf die Freiheit verzichten wollen: Sicherheit iss‘ mir lieber. Freiheit nervt. Zuviel Arbeit. Das Brot der Knechtschaft wird jetzt zur wahren Wonne. Man könnte mit Siegmund Freud geneigt sein zu glauben: das Lustprinzip ist das Einzige, das der Befriedigung bedarf.
Der Einzelne denkt dann: So schlecht waren meine früheren Orientierungen auch nicht. Meine Ängste, meine Kontrollen, mein Über-Ich – da war ich wenigstens in Obhut. Muss ich immer aus der Reihe tanzen?
Viele sagen: Früher gab es wenigstens Arbeitsplätze, Recht und Ordnung. Den Preis, den sie für diese gezahlt haben, vergessen sie.
Freiheit kann verdrossen machen.
Freiheit kann undankbar machen.
Und vielleicht, liebe Gemeinde,
vielleicht ist deshalb der Einspruch, den Gott hier erhebt, so ungeheuer brutal und kann nicht ohne feurige Schlangenwunden abgehen. Weil der, der gegen die Freiheit aufbegehrt und nach versklavenden Sicherheiten verlangt, der rebelliert gegen den Schöpferwillen. Er macht sich mit der Schlange, der großen Widersacherin gemein. Er trägt den Biss der Schlange an sich,
das tödliche Gift der Sünde in sich.
Das nämlich ist die Sünde, die den Schöpfer erbost:Wenn der Mensch nicht der sein will und nicht der sein kann und nicht der sein darf, zu dem er, Gott ihn geschaffen hat: das freie, aufrechte Gegenüber Gottes, das eben nur ihm, Gott verpflichtet ist.
Das also ist die Sünde: sich unter fremde Herrscher begeben, sich nach ihnen sehnen, ihnen ein gutes Leben zutrauen, die Verantwortung für das eigene Leben anderen Kräften und Mächten zu schieben, anstatt sie von Gott in die eigenen Hände zu empfangen und dann zu gestalten.
Doch es scheint, als ließe sich die Sünde wider die Freiheit nicht vermeiden. Als gehöre sie zum Menschsein. Der freie Mensch – er ist von Anfang an ein gefährdetes Projekt. Das Gift der Schlange ist schon im Paradies dabei. Wir können uns nicht selbst davor schützen. Zu groß und auch zu berechtigt sind die Verlockungen der Sicherheit. Zu anstrengend und zu zermürbend kann der Weg zum Eigenen, Selbstständigen sein, ob als Einzelner oder als Volk.
Zur Freiheit müssen wir befreit, ermächtigt werden. Auf dem Weg der Freiheit, auf dem Weg ins gelobte Land, bedürfen wir der Erlösung. Wir bedürfen des Erlösers. Für diese Einsicht steht das Kreuz – die aufgerichtete, die hingerichtete Schlange. Das Kreuz erinnert uns an die Einsicht des Paulus: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit.“ Die Strafe für unsere Unfreiheit, sie ist die Erlösung zur Freiheit. Denn sie bringt uns zu dem, was wir wollen: zu einem selbstbestimmten Leben. Sie erinnert uns daran, wer wir nach Gottes willen sein sollen: freie, selbstbestimmte Menschen. Frei von Ängsten, Zwängen und Unterdrückungen und zugleich frei zum Guten, frei für den Nächsten. Darum fährt Paulus auch fort: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auferlegen!“
Gott also ist nicht die Grenze die Freiheit. Nein, er ermöglicht diese. Weil er die Unfreiheit gefangen setzt, die tödliche Schlange hinrichtet, deshalb können, sollen und dürfen wir, ja wir dürfen den mühsamen Weg der Freiheit gehen. Das wir ab und an verdrossen werden, wird nicht ausbleiben – Sünder bleibt Sünder – , aber dass wir deshalb der Freiheit überdrüssig werden, das verhindere Gott.
Amen
Lied: EG 93, 1-4 Nun gehören unsre Herzen
Anregungen fand ich bei: Siegfried Zimmer: Von einem, der auszog, das Leben zu lernen, in: Georg Schützler/Siegfried Zimmer: Wohin gehen »Nachteulen«? Argumente, Geschichten und Phantasien für Gottsucher und solche, die es werden könnten, Stuttgart 1998, S.19-43 sowie bei Eugen Drewermann: Den eigenen Weg gehen. Predigten zu den Büchern Exodus bis Richter, München 21995.
Perikope