"Die Treue Gottes" - Predigt über Jesaja 43, 1-7 von Matthias Wolfes
43,1
Die Treue Gottes
„Und nun spricht der HERR, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! Denn so du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, daß dich die Ströme nicht sollen ersäufen; und so du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen. Denn ich bin der HERR, dein Gott, der Heilige in Israel, dein Heiland [Westermann: Retter]. Ich habe Ägypten für dich als Lösegeld gegeben, Mohren und Seba an deine Statt. Weil du so wert geachtet bist vor meinen Augen, mußt du auch herrlich sein, und ich habe dich lieb; darum gebe ich Menschen an deine Statt und Völker für deine Seele. So fürchte dich nun nicht; denn ich bin bei dir. Ich will vom Morgen deinen Samen bringen und will dich vom Abend sammeln und will sagen gegen Mitternacht: Gib her! und gegen Mittag: Wehre nicht! Bringe meine Söhne von ferneher und meine Töchter von der Welt Ende, alle, die mit meinem Namen genannt sind, die ich geschaffen habe zu meiner Herrlichkeit und zubereitet und gemacht“ [Stuttgarter Jubiläumsbibel 1912].
Liebe Gemeinde,
diese prophetischen Worte werden offenkundig an ein bedrängtes Volk gesprochen. Da möchte man gerne wissen, ob uns näheres über die Umstände bekannt ist, und was der Grund für diese Situation sein kann. Darauf gehe ich gleich ein. Zuvor aber möchte ich den Abschnitt ganz einfach lesen, als gäbe es keinen geschichtlichen Rahmen. Ich sehe von der konkreten Adressierung ab und beziehe die Worte auf jeden, der sich in schwieriger Lage befindet und hilfesuchend an Gott wendet. Ich hebe heraus, was mir für alle Zeiten gesprochen zu sein scheint.
I.
– Gott ruft die Erinnerung daran wach, daß er der Schöpfer ist, der Schöpfer und Urheber nicht allein der Welt im ganzen, sondern auch jedes einzelnen im besonderen;
– er ermahnt dazu, sich aufrecht zu halten, furchtlos und frei;
– bei ihm sind alle einzelnen gegenwärtig, deshalb ruft er uns zu: Ich bin dein Gott; ich bin bei dir.
In diesen Motiven erkennen wir wieder den einen Grundtext des Glaubens: Gott ist treu. Die Heilige Schrift betont das immer erneut an vielen Stellen. Fast möchte ich sagen (in Anlehnung an ein bekanntes Wort des Rabbi Hillel): „Gott ist treu“, darum geht es in der Bibel von der ersten bis zur letzten Seite, im ganzen der Schrift wie auch in allen ihren Einzelheiten – „Gott ist treu“, alles andere ist Kommentar.
Auch das Neue Testament steht in dieser Linie, so etwa, wenn der Apostel Paulus erklärt „Gott ist treu“ (1. Kor 1, 9). Man könnte dieses Wort über alle anderen stellen, genau so wie den Beginn des 23. Psalms „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln“. Und hier heißt es nun eben „Fürchte dich nun nicht; denn ich bin bei dir“.
Überall ist es der gleiche Gedanke: Gott ist bei mir; er trägt mich. Darin besteht der „Glaube an Gott“ ja im Kern: „Glaube“ meint das Grundgefühl, den Horizont, die „Stimmung“ in allem anderen. Und dieses Gefühl läßt mich eben leben im Vertrauen und in der Zuversicht auf Gottes Beistand. Mein Leben ist in seiner Hand. Das ist das Grundgefühl des Glaubens und sein wesentlicher Inhalt. So sehr wir in dieser Passage des Jesaja-Buches ein Zeugnis jüdischer Frömmigkeit vor uns haben: Es ist dies genau so auch der Inhalt des christlichen Glaubens in seinem wesentlichen Sinn.
Nun ist es aber sehr wichtig, daß man sich diesem Gefühl nicht einfach hingibt. So steht es bei aller Verankerung und inneren Sicherheit wiederum auch nicht. Viel zu stark sind wir ja eingebunden in die Welt des Wirklichen, die eine ganz andere Sprache zu sprechen scheint. Es gehört eine Menge Standhaftigkeit und gute Erfahrung dazu, wenn man in diesem Vertrauen fest bleibt. Der Glaube hat auch etwas mit dem Willen, zu glauben, zu tun. Zwar kann man nicht glauben wollen anstatt es wirklich zu tun. Einen „Glauben als ob“ („als ob es Gott gäbe“, „als ob ich an ihn glauben würde“) gibt es nicht. Sehr wohl aber ist im Glauben selbst ein solches Moment des bewußten Wollens des Glaubens enthalten. Die Botschaft von Gottes Treue trifft einen nicht irgendwann, und von dem Moment an wäre dann alles ganz leicht. Vielmehr hält man sich für sie offen, erwirbt sie sich und eignet sie sich zu.
Man tut etwas, wenn man glaubt; man muß es wollen. Standhaftigkeit im Glauben könnte keiner weiteren Rede wert sein, wenn sich alles von selbst ergäbe. Das Vertrauen auf Gott hat seinen Ort innerhalb meines Selbstseins. Ich bin nicht zweigeteilt: einmal als der, der seine Zuversicht auf Gott setzt, und dann als ein weiterer, der eben in allen anderen Bezügen seines Lebens da ist. Sondern als eine und dieselbe Person will ich mein Leben aus und in Gott führen, mit ihm und durch ihn, ebenso aber auch meinen Arbeitstag bestehen, die Freuden der Stunde, der Ruhe und natürlich auch der Anspannung.
Und da weiß jeder, daß es keine ganz einfache Sache ist mit dem Vertrauen, diesem „Gefühl“ und dieser „Stimmung“. Es wird oft auf die Probe gestellt. Nicht zuletzt ist eine derartige Probe auch, daß ich mir Gottes oft gar nicht bewußt bin. In vielen Situationen handele ich so, als würde ich eben doch allein auf mich selbst bauen. Das ist das wahre Problem des „Als ob“. Wirkliches Vertrauen auf Gott ist aber eines, das auch wirklich alles durchzieht, so wie ja Gott eben immer gegenwärtig ist.
In der heutigen Passage stehen die Worte:„Ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“ Das Ausrufezeichen in unseren Bibelausgaben könnte einen hier irreleiten. Man ist vielleicht versucht, den Satz in einem befehlsartigen Ton zu hören, zumal die Sache mit dem „Namen“ einen zusätzlich stutzig machen könnte. Als würde etwa gesagt sein: Ich – Gott – erkläre Dich hiermit zu meinem Eigentum; ich habe Dich herausbefohlen aus der Menge, mir zueigen zu sein. In Wahrheit aber geht es um etwas ganz anderes: Es handelt sich um eine Erläuterung des Vorhergehenden: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst.“
II.
Der Prophet – „Deuterojesaja“, der zweite Jesaja (Kap. 40-55) – verfolgt ein klar erkennbares Ziel. In den Jahrzehnten des Babylonischen Exils wurde die Gefahr immer größer, daß sich das nunmehr in fremden Regionen verstreut lebende Volk dort inmitten der bereits ansässigen Bevölkerung verlor. Die erste Eroberung Jerusalems durch die Babylonier unter König Nebukadnezzar war im Frühjahr 597 v. Chr. erfolgt, die noch fatalere zweite im Sommer 587. Mit ihr hingen dann auch die Verwüstung der Stadt und die Zerstörung des Tempels zusammen. Dadurch hatte sich eine Lage ergeben, die von unabsehbaren Folgen sein konnte. Der Prophet erkennt das sehr genau.
Seine Worte haben einen bestimmten Zweck, und auf ihn kommt es an, nicht so sehr darauf, ob das Bild, das er von den Lebensumständen der Exilierten zeichnet, historisch zuverlässig ist. Wohl gab es zu Zeiten den Zwang, an Bauprojekten des Königs mitzuwirken. Dies war in der Tat „Fronarbeit“, von der in den biblischen Texten aus dieser Zeit oft die Rede ist. Für den Propheten aber geht es darum, das Bewußtsein für die Auserwähltheit als Gottes Volk und vor allem für die Einzigkeit Gottes auch unter den Umständen des Exils wachzuhalten. Er setzte sich damit einer Interpretation der Geschehnisse entgegen, wonach für viele Israeliten der Zusammenbruch, die Tempelzerstörung und das Ende der David-Dynastie auch das Ende des Wirkens Jahwes für sein Volk bedeutete. Er erklärt, daß Gott die Gefangenschaft vorhergesehen habe. Zugleich aber gibt er auch die Vorhersage, das verschleppte Volk werde aus ihr befreit werden. Diese Zusage der Treue Gottes wird mit der Auserwähltheit des Volkes und der Einzigkeit Gottes verbunden.
Man darf sich nun die Lage während der Exilszeit nicht zu dramatisch vorstellen. Im ganzen sind maximal zehntausend Personen, vielleicht sogar erheblich weniger, deportiert worden (vgl. 2. Kön 24, 14 und Jer 52, 28–30), hauptsächlich Angehörige der Oberschicht und der Handwerkerschaft. Nach 597 tauchen hebräische Namen in babylonischen Urkunden auf, und es läßt sich der privilegierte Status dieser Exilanten erkennen. Die neuen Lebensverhältnisse waren nicht so bedrückend, wie es der verbreiteten Vorstellung entsprechen will. Die Herrschaftspraxis der Babylonier in ihrem weitausgedehnten Vielvölkerstaat ließ Selbstverwaltung und Fortführung der religiösen und kulturellen Traditionen zu. Auch die Rückkehr erfolgte nicht ganz so, wie die biblischen Texte es darstellen.
Von erheblicher Bedeutung war jedoch der Einfluß, den der Zwang, sich mit den ungewohnten Verhältnissen zu arrangieren, auf die Entwicklung der Religion nahm. Historisch gesehen, ist dies die Situation, in der aus dem älteren israelitischen Kultwesen mit seinen Überlieferungen von einem lokalen Gott das Judentum entsteht. Die Abhängigkeit von der Verrichtung des Kultes im Jerusalemer Tempel wird theologisch und praktisch gelöst. Ich glaube nicht, daß es einer besonderen Sensibilität für geschichtliche Entwicklungen bedarf, um nachvollziehen zu können, von wie einschneidender Bedeutung gerade dieser Schritt gewesen ist. In den Mittelpunkt des Lebens tritt die Torah, deren Pflege und Befolgung an allen Orten möglich ist. In den entstehenden Synagogen bildet sich eine Form des Gottesdienstes heraus, die sich erheblich von der überkommenen zeremoniellen unterscheidet.
Der Prophet, dessen Stimme wir hier hören, eben Deuterojesaja, hat in der Schlußphase der Exilszeit gewirkt, als sich der Untergang des Babylonischen Reiches ankündigte. Deuterojesaja hat eine klare Botschaft. Im Mittelpunkt steht bei ihm überall die Zusage des künftigen Heils, gestützt auf die Betonung der Treue Gottes.
Das nun ist der Punkt, der den Text bedeutsam macht über die geschichtliche Situation mit seiner Verankerung in einer entscheidenden Stunde der israelitisch-jüdischen Religionsgeschichte hinaus. Der Prophet spricht aus, was im Zentrum jedes Vertrauens auf Gott steht. Auch unsere Zuversicht auf die Treue Gottes können wir in diesen Worten finden.
So ist es kein Zufall, daß eine wörtlich fast gleiche Zusage des Beistandes Gottes an anderer biblischer Stelle und ebenfalls in bedrängter Situation gegeben wird. Als der Apostel Paulus während der zweiten Missionsreise bei seinem Aufenthalt in Korinth vor der Aufgabe stand, die neue Botschaft den dortigen Menschen – „Juden und Griechen“ – zu verkündigen und er angesichts der ablehnenden Haltung vieler Zuhörer nicht wußte, wie er vorgehen soll, da „sprach der Herr durch ein Gesicht in der Nacht zu ihm: Fürchte dich nicht, sondern rede, und schweige nicht, denn ich bin mit dir, und niemand soll sich unterstehen, dir zu schaden“ (Apg 18, 9-10a). Auch hier also heißt es: „Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir“.
III.
Wir dürfen uns darauf verlassen, daß Gott mit uns ist. Es kommt nicht darauf an, genaue Vorstellungen darüber zu haben, wie das geschieht. Jeder, der sich der Nähe Gottes bewußt ist, wird in seinem eigenen Erleben und Empfinden wissen, was es heißt. Darüber lassen sich die richtigen Worte kaum finden. Wollen wir dennoch ein Zeugnis geben, so bleiben alle Versuche nur hilfsweise Annäherungen. Viel zu stark ist das Gefühl der Verbundenheit mit Gott in unserem innersten Selbst gegründet, als daß es möglich wäre, davon wie von einem gegenständlich vorweisbaren Sachverhalt zu sprechen. Wir sind uns der Wirklichkeit Gottes in und bei uns bewußt, das genügt.
Worauf es aber ankommt und worauf es auch dem Propheten ankommt, das ist, daß wir an diesem Vertrauen und dieser Zuversicht auch dann festhalten, wenn die Widerfahrnisse, denen wir ausgesetzt sind, ihnen allzu offenkundig entgegenzustehen scheinen. Man muß eben Gott nicht nur vertrauen, sondern ihm auch vertrauen wollen. In der Stunde der Bedrängnis ist das das Entscheidende. Ein Glaube, dem diese innere Stärke und Entschiedenheit fehlt, wird wanken, und ob er dann wirklich Bestand hat, bleibt fraglich.
Der Glaube hat etwas mit Widerstand zu tun. Der Prophet ist eine Art geistlicher Widerstandskämpfer. In gewisser Weise ist das jeder von uns, denn der Glaube selbst, das Vertrauen auf Gott, beugt sich nicht der „Wirklichkeit“ der Tatsachen. Er widersetzt sich ihr und beharrt auf seiner Einsicht.
Diese Einsicht besagt: Gott waltet über allem. Wir wissen nicht, worauf er es mit uns hinführt. Aber die Erfahrung sagt uns, daß er es gut meint auch mit unserem eigenen Schicksal. Gottes Herrschaft bedeutet Herrschaft des Guten. Das Böse aber ist ohne Gott.
Man muß nicht unbedingt immer zu so überschwenglichem Jubel aufgelegt sein, wie der Prophet es in unserem Abschnitt ist. Vielleicht wirkt aber auch in seine Worte ein Stück von der Arbeit des Geistes hinein, die zu jedem prophetischen Wort gehört. Ich sehe darin kein Problem. Er will ja etwas erreichen, indem er sagt: „Der Heiland (Retter) Israels ist der Herr der Völker“.
Was der Prophet so dringlich seinen Adressaten einprägt, das lassen auch wir uns von ihm gesagt sein. Sein Ziel ist auch das unsrige: Wir wollen festhalten an der Zuversicht. Und dazu gehört, daß wir uns immer wieder klar vor Augen stellen: „Gott ist treu“.
Amen.
Herangezogene Medien:
Claus Westermann: Das Buch Jesaja. Kap. 40 – 66. Übersetzt und erklärt (Das Alte Testament Deutsch. Teilband 19), Göttingen 1966.
Hans-Christoph Schmitt: Erlösung und Gericht. Jes 43, 1-7 und sein literarischer und theologischer Kontext, in: Ders.: Theologie in Pentateuch und Prophetie. Gesammelte Schriften. Herausgegeben von Ulrike Schorn und Matthias Büttner (Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft. Band 310), Berlin / New York 2001, S. 74-86.
„Und nun spricht der HERR, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! Denn so du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, daß dich die Ströme nicht sollen ersäufen; und so du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen. Denn ich bin der HERR, dein Gott, der Heilige in Israel, dein Heiland [Westermann: Retter]. Ich habe Ägypten für dich als Lösegeld gegeben, Mohren und Seba an deine Statt. Weil du so wert geachtet bist vor meinen Augen, mußt du auch herrlich sein, und ich habe dich lieb; darum gebe ich Menschen an deine Statt und Völker für deine Seele. So fürchte dich nun nicht; denn ich bin bei dir. Ich will vom Morgen deinen Samen bringen und will dich vom Abend sammeln und will sagen gegen Mitternacht: Gib her! und gegen Mittag: Wehre nicht! Bringe meine Söhne von ferneher und meine Töchter von der Welt Ende, alle, die mit meinem Namen genannt sind, die ich geschaffen habe zu meiner Herrlichkeit und zubereitet und gemacht“ [Stuttgarter Jubiläumsbibel 1912].
Liebe Gemeinde,
diese prophetischen Worte werden offenkundig an ein bedrängtes Volk gesprochen. Da möchte man gerne wissen, ob uns näheres über die Umstände bekannt ist, und was der Grund für diese Situation sein kann. Darauf gehe ich gleich ein. Zuvor aber möchte ich den Abschnitt ganz einfach lesen, als gäbe es keinen geschichtlichen Rahmen. Ich sehe von der konkreten Adressierung ab und beziehe die Worte auf jeden, der sich in schwieriger Lage befindet und hilfesuchend an Gott wendet. Ich hebe heraus, was mir für alle Zeiten gesprochen zu sein scheint.
I.
– Gott ruft die Erinnerung daran wach, daß er der Schöpfer ist, der Schöpfer und Urheber nicht allein der Welt im ganzen, sondern auch jedes einzelnen im besonderen;
– er ermahnt dazu, sich aufrecht zu halten, furchtlos und frei;
– bei ihm sind alle einzelnen gegenwärtig, deshalb ruft er uns zu: Ich bin dein Gott; ich bin bei dir.
In diesen Motiven erkennen wir wieder den einen Grundtext des Glaubens: Gott ist treu. Die Heilige Schrift betont das immer erneut an vielen Stellen. Fast möchte ich sagen (in Anlehnung an ein bekanntes Wort des Rabbi Hillel): „Gott ist treu“, darum geht es in der Bibel von der ersten bis zur letzten Seite, im ganzen der Schrift wie auch in allen ihren Einzelheiten – „Gott ist treu“, alles andere ist Kommentar.
Auch das Neue Testament steht in dieser Linie, so etwa, wenn der Apostel Paulus erklärt „Gott ist treu“ (1. Kor 1, 9). Man könnte dieses Wort über alle anderen stellen, genau so wie den Beginn des 23. Psalms „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln“. Und hier heißt es nun eben „Fürchte dich nun nicht; denn ich bin bei dir“.
Überall ist es der gleiche Gedanke: Gott ist bei mir; er trägt mich. Darin besteht der „Glaube an Gott“ ja im Kern: „Glaube“ meint das Grundgefühl, den Horizont, die „Stimmung“ in allem anderen. Und dieses Gefühl läßt mich eben leben im Vertrauen und in der Zuversicht auf Gottes Beistand. Mein Leben ist in seiner Hand. Das ist das Grundgefühl des Glaubens und sein wesentlicher Inhalt. So sehr wir in dieser Passage des Jesaja-Buches ein Zeugnis jüdischer Frömmigkeit vor uns haben: Es ist dies genau so auch der Inhalt des christlichen Glaubens in seinem wesentlichen Sinn.
Nun ist es aber sehr wichtig, daß man sich diesem Gefühl nicht einfach hingibt. So steht es bei aller Verankerung und inneren Sicherheit wiederum auch nicht. Viel zu stark sind wir ja eingebunden in die Welt des Wirklichen, die eine ganz andere Sprache zu sprechen scheint. Es gehört eine Menge Standhaftigkeit und gute Erfahrung dazu, wenn man in diesem Vertrauen fest bleibt. Der Glaube hat auch etwas mit dem Willen, zu glauben, zu tun. Zwar kann man nicht glauben wollen anstatt es wirklich zu tun. Einen „Glauben als ob“ („als ob es Gott gäbe“, „als ob ich an ihn glauben würde“) gibt es nicht. Sehr wohl aber ist im Glauben selbst ein solches Moment des bewußten Wollens des Glaubens enthalten. Die Botschaft von Gottes Treue trifft einen nicht irgendwann, und von dem Moment an wäre dann alles ganz leicht. Vielmehr hält man sich für sie offen, erwirbt sie sich und eignet sie sich zu.
Man tut etwas, wenn man glaubt; man muß es wollen. Standhaftigkeit im Glauben könnte keiner weiteren Rede wert sein, wenn sich alles von selbst ergäbe. Das Vertrauen auf Gott hat seinen Ort innerhalb meines Selbstseins. Ich bin nicht zweigeteilt: einmal als der, der seine Zuversicht auf Gott setzt, und dann als ein weiterer, der eben in allen anderen Bezügen seines Lebens da ist. Sondern als eine und dieselbe Person will ich mein Leben aus und in Gott führen, mit ihm und durch ihn, ebenso aber auch meinen Arbeitstag bestehen, die Freuden der Stunde, der Ruhe und natürlich auch der Anspannung.
Und da weiß jeder, daß es keine ganz einfache Sache ist mit dem Vertrauen, diesem „Gefühl“ und dieser „Stimmung“. Es wird oft auf die Probe gestellt. Nicht zuletzt ist eine derartige Probe auch, daß ich mir Gottes oft gar nicht bewußt bin. In vielen Situationen handele ich so, als würde ich eben doch allein auf mich selbst bauen. Das ist das wahre Problem des „Als ob“. Wirkliches Vertrauen auf Gott ist aber eines, das auch wirklich alles durchzieht, so wie ja Gott eben immer gegenwärtig ist.
In der heutigen Passage stehen die Worte:„Ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“ Das Ausrufezeichen in unseren Bibelausgaben könnte einen hier irreleiten. Man ist vielleicht versucht, den Satz in einem befehlsartigen Ton zu hören, zumal die Sache mit dem „Namen“ einen zusätzlich stutzig machen könnte. Als würde etwa gesagt sein: Ich – Gott – erkläre Dich hiermit zu meinem Eigentum; ich habe Dich herausbefohlen aus der Menge, mir zueigen zu sein. In Wahrheit aber geht es um etwas ganz anderes: Es handelt sich um eine Erläuterung des Vorhergehenden: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst.“
II.
Der Prophet – „Deuterojesaja“, der zweite Jesaja (Kap. 40-55) – verfolgt ein klar erkennbares Ziel. In den Jahrzehnten des Babylonischen Exils wurde die Gefahr immer größer, daß sich das nunmehr in fremden Regionen verstreut lebende Volk dort inmitten der bereits ansässigen Bevölkerung verlor. Die erste Eroberung Jerusalems durch die Babylonier unter König Nebukadnezzar war im Frühjahr 597 v. Chr. erfolgt, die noch fatalere zweite im Sommer 587. Mit ihr hingen dann auch die Verwüstung der Stadt und die Zerstörung des Tempels zusammen. Dadurch hatte sich eine Lage ergeben, die von unabsehbaren Folgen sein konnte. Der Prophet erkennt das sehr genau.
Seine Worte haben einen bestimmten Zweck, und auf ihn kommt es an, nicht so sehr darauf, ob das Bild, das er von den Lebensumständen der Exilierten zeichnet, historisch zuverlässig ist. Wohl gab es zu Zeiten den Zwang, an Bauprojekten des Königs mitzuwirken. Dies war in der Tat „Fronarbeit“, von der in den biblischen Texten aus dieser Zeit oft die Rede ist. Für den Propheten aber geht es darum, das Bewußtsein für die Auserwähltheit als Gottes Volk und vor allem für die Einzigkeit Gottes auch unter den Umständen des Exils wachzuhalten. Er setzte sich damit einer Interpretation der Geschehnisse entgegen, wonach für viele Israeliten der Zusammenbruch, die Tempelzerstörung und das Ende der David-Dynastie auch das Ende des Wirkens Jahwes für sein Volk bedeutete. Er erklärt, daß Gott die Gefangenschaft vorhergesehen habe. Zugleich aber gibt er auch die Vorhersage, das verschleppte Volk werde aus ihr befreit werden. Diese Zusage der Treue Gottes wird mit der Auserwähltheit des Volkes und der Einzigkeit Gottes verbunden.
Man darf sich nun die Lage während der Exilszeit nicht zu dramatisch vorstellen. Im ganzen sind maximal zehntausend Personen, vielleicht sogar erheblich weniger, deportiert worden (vgl. 2. Kön 24, 14 und Jer 52, 28–30), hauptsächlich Angehörige der Oberschicht und der Handwerkerschaft. Nach 597 tauchen hebräische Namen in babylonischen Urkunden auf, und es läßt sich der privilegierte Status dieser Exilanten erkennen. Die neuen Lebensverhältnisse waren nicht so bedrückend, wie es der verbreiteten Vorstellung entsprechen will. Die Herrschaftspraxis der Babylonier in ihrem weitausgedehnten Vielvölkerstaat ließ Selbstverwaltung und Fortführung der religiösen und kulturellen Traditionen zu. Auch die Rückkehr erfolgte nicht ganz so, wie die biblischen Texte es darstellen.
Von erheblicher Bedeutung war jedoch der Einfluß, den der Zwang, sich mit den ungewohnten Verhältnissen zu arrangieren, auf die Entwicklung der Religion nahm. Historisch gesehen, ist dies die Situation, in der aus dem älteren israelitischen Kultwesen mit seinen Überlieferungen von einem lokalen Gott das Judentum entsteht. Die Abhängigkeit von der Verrichtung des Kultes im Jerusalemer Tempel wird theologisch und praktisch gelöst. Ich glaube nicht, daß es einer besonderen Sensibilität für geschichtliche Entwicklungen bedarf, um nachvollziehen zu können, von wie einschneidender Bedeutung gerade dieser Schritt gewesen ist. In den Mittelpunkt des Lebens tritt die Torah, deren Pflege und Befolgung an allen Orten möglich ist. In den entstehenden Synagogen bildet sich eine Form des Gottesdienstes heraus, die sich erheblich von der überkommenen zeremoniellen unterscheidet.
Der Prophet, dessen Stimme wir hier hören, eben Deuterojesaja, hat in der Schlußphase der Exilszeit gewirkt, als sich der Untergang des Babylonischen Reiches ankündigte. Deuterojesaja hat eine klare Botschaft. Im Mittelpunkt steht bei ihm überall die Zusage des künftigen Heils, gestützt auf die Betonung der Treue Gottes.
Das nun ist der Punkt, der den Text bedeutsam macht über die geschichtliche Situation mit seiner Verankerung in einer entscheidenden Stunde der israelitisch-jüdischen Religionsgeschichte hinaus. Der Prophet spricht aus, was im Zentrum jedes Vertrauens auf Gott steht. Auch unsere Zuversicht auf die Treue Gottes können wir in diesen Worten finden.
So ist es kein Zufall, daß eine wörtlich fast gleiche Zusage des Beistandes Gottes an anderer biblischer Stelle und ebenfalls in bedrängter Situation gegeben wird. Als der Apostel Paulus während der zweiten Missionsreise bei seinem Aufenthalt in Korinth vor der Aufgabe stand, die neue Botschaft den dortigen Menschen – „Juden und Griechen“ – zu verkündigen und er angesichts der ablehnenden Haltung vieler Zuhörer nicht wußte, wie er vorgehen soll, da „sprach der Herr durch ein Gesicht in der Nacht zu ihm: Fürchte dich nicht, sondern rede, und schweige nicht, denn ich bin mit dir, und niemand soll sich unterstehen, dir zu schaden“ (Apg 18, 9-10a). Auch hier also heißt es: „Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir“.
III.
Wir dürfen uns darauf verlassen, daß Gott mit uns ist. Es kommt nicht darauf an, genaue Vorstellungen darüber zu haben, wie das geschieht. Jeder, der sich der Nähe Gottes bewußt ist, wird in seinem eigenen Erleben und Empfinden wissen, was es heißt. Darüber lassen sich die richtigen Worte kaum finden. Wollen wir dennoch ein Zeugnis geben, so bleiben alle Versuche nur hilfsweise Annäherungen. Viel zu stark ist das Gefühl der Verbundenheit mit Gott in unserem innersten Selbst gegründet, als daß es möglich wäre, davon wie von einem gegenständlich vorweisbaren Sachverhalt zu sprechen. Wir sind uns der Wirklichkeit Gottes in und bei uns bewußt, das genügt.
Worauf es aber ankommt und worauf es auch dem Propheten ankommt, das ist, daß wir an diesem Vertrauen und dieser Zuversicht auch dann festhalten, wenn die Widerfahrnisse, denen wir ausgesetzt sind, ihnen allzu offenkundig entgegenzustehen scheinen. Man muß eben Gott nicht nur vertrauen, sondern ihm auch vertrauen wollen. In der Stunde der Bedrängnis ist das das Entscheidende. Ein Glaube, dem diese innere Stärke und Entschiedenheit fehlt, wird wanken, und ob er dann wirklich Bestand hat, bleibt fraglich.
Der Glaube hat etwas mit Widerstand zu tun. Der Prophet ist eine Art geistlicher Widerstandskämpfer. In gewisser Weise ist das jeder von uns, denn der Glaube selbst, das Vertrauen auf Gott, beugt sich nicht der „Wirklichkeit“ der Tatsachen. Er widersetzt sich ihr und beharrt auf seiner Einsicht.
Diese Einsicht besagt: Gott waltet über allem. Wir wissen nicht, worauf er es mit uns hinführt. Aber die Erfahrung sagt uns, daß er es gut meint auch mit unserem eigenen Schicksal. Gottes Herrschaft bedeutet Herrschaft des Guten. Das Böse aber ist ohne Gott.
Man muß nicht unbedingt immer zu so überschwenglichem Jubel aufgelegt sein, wie der Prophet es in unserem Abschnitt ist. Vielleicht wirkt aber auch in seine Worte ein Stück von der Arbeit des Geistes hinein, die zu jedem prophetischen Wort gehört. Ich sehe darin kein Problem. Er will ja etwas erreichen, indem er sagt: „Der Heiland (Retter) Israels ist der Herr der Völker“.
Was der Prophet so dringlich seinen Adressaten einprägt, das lassen auch wir uns von ihm gesagt sein. Sein Ziel ist auch das unsrige: Wir wollen festhalten an der Zuversicht. Und dazu gehört, daß wir uns immer wieder klar vor Augen stellen: „Gott ist treu“.
Amen.
Herangezogene Medien:
Claus Westermann: Das Buch Jesaja. Kap. 40 – 66. Übersetzt und erklärt (Das Alte Testament Deutsch. Teilband 19), Göttingen 1966.
Hans-Christoph Schmitt: Erlösung und Gericht. Jes 43, 1-7 und sein literarischer und theologischer Kontext, in: Ders.: Theologie in Pentateuch und Prophetie. Gesammelte Schriften. Herausgegeben von Ulrike Schorn und Matthias Büttner (Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft. Band 310), Berlin / New York 2001, S. 74-86.
Perikope