Die Werke der Finsternis und die Helden des Lichts – Predigt zu Epheser 5,8b-14 von Johannes Block
5,8b-14

1. Die Kämpfer des Lichts

Auf´s erste Hören klingt das Wort der Bibel für die Predigt am heutigen Sonntag wie ein Appell in der Journalistenausbildung:

Habt nicht Gemeinschaft mit den Werken der Finsternis; deckt sie vielmehr auf. (V. 11)

Licht ins Dunkel bringen, Skandale aufdecken, der Wahrheit ans Licht verhelfen – das ist die hohe Schule des Enthüllungsjournalismus, des sogenannten Investigativjournalismus. Zwei Klassiker in der Geschichte des Investigativjournalismus sind die Watergate-Affäre um den amerikanischen Präsidenten Richard Nixon und die Waterkant-Affäre um den schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Uwe Barschel. Ohne die Recherche mutiger und hartnäckiger Journalisten wüssten wir nichts über den amerikanischen Nachrichtendienst NSA, nichts über entlarvende Panama-Papiere und nichts vom transatlantischen Freihandelsabkommen TTIPP. In vielen Ländern werden Journalisten bei ihrer Recherchearbeit behindert und bedrängt, manche auch bedroht und getötet – etwa in China, in Saudi-Arabien oder in der Türkei. Organisationen wie „Reporter ohne Grenzen" veröffentlichen Listen mit Journalisten, die aufgrund ihrer Nachforschungen ums Leben gekommen sind. Weltweite Empörung hat die Ermordung der russischen Journalistin Anna Politkowskaja ausgelöst.

Ähnlich wie eine Investigativjournalistin sollen sich die christlichen Freunde in Ephesus verhalten. An sie schreibt der Apostel Paulus einen freundlich auffordernden Brief:

Lebt als Kinder des Lichts. Prüft, was dem Herrn wohlgefällig ist und habt nicht Gemeinschaft mit den Werken der Finsternis; deckt sie vielmehr auf. (V. 8b, 10-11)

Der politische Auftrag der Christen blitzt zuweilen während der Deutschen Evangelischen Kirchentage auf. Dort ist man nicht für sich allein, sondern kann sich verbünden und solidarisieren. Auf den jeweiligen Kirchentagen kam und kommt es zu Protesten und Kundgebungen etwa gegen die Apartheid und Rassentrennung in Südafrika, gegen die Umweltzerstörung durch die Versenkung einer Erdölplattform im Atlantik oder gegen unfaire Wirtschafts- und Besitzverhältnisse in Südamerika.

Jeder Christ und jede Christin ist aufgerufen, ein Kämpfer, eine Kämpferin des Lichts zu sein. Mit den Waffen des Lichts (Römer 13,12) lassen sich die Werke der Finsternis aufdecken. Das biblische Wort aus dem Brief an die Epheser ist voller Lichtmetaphorik:

Lebt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit. (V. 8b-9)

Gegen das Licht steht die Finsternis. Dieser Gegensatz bestimmt die biblische Sprache und das biblische Denken. Bis heute sind die Geschichten und großen Erzählungen geprägt von den gegensätzlichen Mächten des Lichtes und der Finsternis. Die großen Geschichten und Erzählungen in unserer Zeit werden auf den Großbildleinwänden in den Kinos und auf den Bildschirmen in den Wohnstuben erzählt – mit atemberaubenden Bildern und packender Musik. Man denke an erfolgreiche Blockbuster wie „Harry Potter", „Star Wars" oder „Batman". In diesen erfolgreichen Filmen mit einem Millionenpublikum geht es immer auch um den Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Licht und Finsternis. Im Mittelpunkt steht der erwählte Held, der mit dem „Lichtschwert" die Finsternis zerreißt und das Böse bekämpft. Auf den Kinoleinwänden und Bildschirmen sehen wir allerdings ferne Helden, gemalt mit Farben und Fantasie. Im Brief an die Epheser geht es dagegen um uns selbst, um dich und um mich. Wir sind die Helden, wenn es heißt:

Lebt als Kinder des Lichts. Prüft, was dem Herrn wohlgefällig ist und habt nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis. (V. 8b, 10-11a)

Die Werke der Finsternis sind unfruchtbar, weil sie den Fluss des Lebens behindern und zerstören. Wo Finsternis herrscht, kann das Leben nicht gedeihen und stirbt ab. Es gibt viele Werke der Finsternis, die den Fluss des Lebens behindern und zerstören:

Die Demütigung eines Kollegen, das Mobben eines Mitschülers, das Unterschlagen von größeren oder kleineren Steuerbeiträgen, die üble Nachrede, das Ratschen und Tratschen, die Doppelzüngigkeit, die Raffgier und Schnäppchenjagd, das kultivierte Dauerjammern, die Bewegungslosigkeit vor den Bildschirmen, die Überzuckerung in der Ernährung, die Massenproduktion von Billigkleidung, das Leerfischen der Meere, die Vermüllung der Ozeane und der Berggipfel, das massenhafte Schreddern von männlichen Küken, die Quälerei bei Tierversuchen.

Gegen die Werke der Finsternis braucht es die Helden des Lichts, die wie mit einem „Lichtschwert" das Netz der Finsternis zerreißen. Lebt als Kinder des Lichts, fordert der Apostel Paulus im Brief an die Epheser. Ihr seid das Licht der Welt, ruft das Evangelium des heutigen Sonntags in Erinnerung (Matthäus 5,14).

 

2. Die billige und die teure Investigation

Wie ein Lehrbuch für die Journalistenausbildung klingt das biblische Wort für die heutige Predigt:

Habt nicht Gemeinschaft mit den Werken der Finsternis; deckt sie vielmehr auf. (V. 11)

Aufdecken, Licht ins Dunkel bringen, offenlegen: Enthüllungen durch den Investigativjournalismus sind dann besonders interessant, wenn es um andere geht. Wenn man in der Zeitung lesen kann, was sich Politikerinnen, Sportler, Schauspielerinnen, Bischöfe und andere Prominente an Fehltritten geleistet haben.
Das nenne ich die einfache, die billige Investigation. Dabei geht es um andere, teils prominente Personen, die sich bequem von den Fernsehsesseln in den Wohnstuben beobachten und verurteilen lassen.
Einfach und billig ist ein Journalismus, der alles besser weiß, aber keine politische Verantwortung tragen muss.
Einfach und billig ist eine Opposition, die alles Übel und alle Schuld ausschließlich beim politischen Gegner sieht.
Einfach und billig ist ein Reformationsjubiläum, das mit dem Ruf zur Freiheit nicht im eigenen Haus der Kirche beginnt.
Einfach und billig ist eine Investigation, die sich bloß mit der Schuld der anderen beschäftigt.

Schwer und teuer nenne ich demgegenüber eine Investigation, bei der es sich um einen selbst dreht: um dich und um mich. Das Licht, das im Brief an die Epheser aufleuchtet, will die eigene Nase kitzeln wie die frühe Morgensonne. Das biblische Licht leuchtet auf um meinet- und um deinetwillen. Es weckt dich und mich auf mit einem strahlenden Lied:

Wach auf, der du schläfst,
und steh auf von den Toten,
so wird dich Christus erleuchten.
(V. 14)

Wir brauchen den Weckruf, wir brauchen das aufgehende Licht!
Denn im Menschen selbst ist es immer wieder finster. Wie der Tag eine helle und eine dunkle Seite hat, so ringen auch im Menschen zwei Seiten: das Licht und die Finsternis.
„Der Mensch ist ein Reittier", sagt Martin Luther. „Entweder wird er von Gott oder vom Teufel geritten."
Die menschliche Seele ist hin- und hergerissen und das menschliche Leben ist ein bleibender Kampf zwischen den Mächten des Lichts und der Finsternis. Immer wieder wird das eigene Herz von der Finsternis ergriffen, weil einem das Leben eine schwere Prüfung auferlegt, weil man nicht bekommt, was man sich erhofft, weil man sich übersehen und vernachlässigt fühlt, weil einen das Leben zum Einzelkämpfer macht.
Finster ist dann das Herz, wie ein schwarzes Loch. Kein Lichtstrahl, nicht einmal der Stern von Bethlehem, vermag in solch ein Herz hineinzuleuchten. Dann helfen auch keine leuchtend herausgeputzten Fassaden und keine frisch sanierten Straßen. Dann helfen keine strahlend renovierten Gebäude und keine kunstvoll angestrahlten Kirchen mitten in der dunklen Stadt. All das viele Licht dringt in die Augen, aber nicht in die Herzen hinein.

Die Lutherstadt Wittenberg hat sich im Blick auf das Reformationsjubiläum großartig herausgeputzt und tut es weiterhin. Wer aber weiß, wie viele Herzen finster bleiben hinter all den leuchtenden Fassaden? Wer aber weiß, wie viele Herzen kein Licht des Himmels erreicht? Nach Jahren der Straßen- und Gebäudesanierung sollten wir mit dem kommenden Reformationsjubiläum damit beginnen, Jahre der Herzenssanierung auszurufen! Nicht nur die Häuser, auch die Herzen der Wittenberger sollten in neuem Glanz und Licht erstrahlen!

Doch weil sich das eigene Herz nicht selbst wecken und retten kann, braucht es den Weckruf, den Zuruf von außen. Deshalb ermuntert Paulus seine Freunde in Ephesus mit vielen Appellen und Aufrufen und schreibt:

Lebt als Kinder des Lichts. Prüft, was dem Herrn wohlgefällig ist. Habt nicht Gemeinschaft mit den Werken der Finsternis. (V. 8b, 10-11a)

Am Ende singt Paulus geradezu ein Weck- und Morgenlied:

Wach auf, der du schläfst,
und steh auf von den Toten,
so wird dich Christus erleuchten.
(V. 14)

„Rücke deinen Herzensstuhl aus dem Schatten in das Licht!", so könnte man die Worte des Paulus übersetzen. Wie man in den Cafés auf dem Wittenberger Marktplatz dem Licht nachrückt und nachwandert, so soll man auch das eigene Herz in das Licht des Himmels rücken.
Lebt als Kinder des Lichts! Lasst euch vom Licht bescheinen! Lasst euch vom Licht verändern! Stimmt ein in das Weck- und Morgenlied für das eigene Herz:

Herr, laß die Sonne blicken
ins finstere Herze mein,
damit sich's möge schicken,
fröhlich im Geist zu sein
. (EG 501,3)

 

3. Die Früchte des Lichts

Die schwere und teure Investigation beginnt im eigenen Herzen. Es ist geradezu eine Lebensaufgabe, das eigene Herz immer wieder neu vom Licht des Himmels erfassen zu lassen. Mit dieser Lebensaufgabe wird man niemals fertig – und währte das Leben auch hundert Jahre!

Mit dem Licht im Herzen greift man zu den Waffen des Lichts und deckt die Werke der Finsternis auf. Der politische Auftrag der Christen wurzelt im Bewusstsein, dass Christen Kinder des Lichts sind.
Es ist das Licht des Himmels, das die finsteren Dinge aufdeckt, die das Miteinander der Menschen, der Tiere und der Pflanzen stört oder gar zerstört. Deshalb haben Christen einen politischen Auftrag, eine Investigationsaufgabe.

Doch der politische Einfluss der Christen und der Kirche ist keine Lobbyarbeit neben anderen.
In jeder Landeshauptstadt und vor allem in der Bundeshauptstadt gibt es unzählige Lobbyvertreter, die bei Gesetzesvorhaben um Rat gefragt werden und ihre Interessen einbringen. Allein die Gesundheitsindustrie soll mehr als hundert Interessensvertretungen haben. Und auch die Kirche hat bevollmächtigte Vertreter bei der Bundesregierung in Berlin und bei der Europäischen Kommission in Brüssel. Doch die Kirche sollte keine Lobbyvertretung unter anderen sein nach dem Motto: Je mehr Macht, desto mehr Eindruck. Je mehr Druck, desto mehr Einfluss. Dann folgte man den Gesetzen der Macht und des Drucks, aber nicht dem Gesetz des Lichts. Denn das Licht hat eine ihm eigene Macht: Es setzt sich selbst durch!
Der politische Einfluss der Kirche und der Christen steckt im Licht selbst, genauer gesagt in den Gaben des Lichts:

Die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit. (V. 9)

Das Licht des Himmels hat seine eigene Durchsetzungskraft, indem es Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit aufstrahlen lässt. Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit verändern die Welt auf andere Weise als es Macht, Gesetz und Recht vermögen. Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit sind die Lichtstrahlen des Himmels, die in das Leben hineinbrechen.

Wie ein himmlischer Lichtstrahl ist Jesus von Nazareth in die Welt gekommen. An Jesu Worten und Taten zeigen sich die Güte, die Gerechtigkeit und die Wahrheit Gottes. Der korrupte Zöllner Zachäus wird durch die Güte Jesu in der Tiefe seines Herzens verändert. Von den besorgten Bürgern, die aus ihren Wohnstuben die Szene beobachten, kommen Spötteleien und Proteste, als Jesus das Haus des Zöllners betritt. Doch die Begegnung und das Gespräch bringen Licht in das Herz. Davon bewegt bekennt Zachäus:

Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück. (Lukas 19,8)

Als eine Ehebrecherin vor Jesus geführt wird und die Todesstrafe durch Steinigung vollstreckt werden soll, leuchtet durch Jesu Wort die Wahrheit Gottes in den Herzen der Menschen auf:

Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. (Johannes 8,7)

Im Licht der Güte verändern sich die Herzen der Menschen. Im Licht der Güte vermögen Menschen der eigenen ungeschminkten Lebenswahrheit ins Gesicht zu schauen:

Jesus aber richtete sich auf und fragte sie: Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt? Sie antwortete: Niemand, Herr. Und Jesus sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr. (Johannes 8,10f.)

Im Licht des Himmels wärmen und wandeln sich die Herzen. Die Herzen der Menschen wandeln sich durch Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit. Darin besteht der politische Auftrag der Christen, die Früchte des Lichtes aufscheinen zu lassen: Güte, Gerechtigkeit, Wahrheit.

Diesen Auftrag hat der heitere Poet Hanns Dieter Hüsch in folgenden Aufruf gegossen:

Lasst uns Gottes versammelte Großzügigkeiten werden
und seine Artisten sein,
die Welt überwinden,
nicht mit Leichtigkeit gewiss,
aber mit Zuversicht,
Geduld und Freundlichkeit.
Lasst uns Nachsicht üben,
wo andere den Schlussstrich ziehen.
Lasst uns spielerisch auftreten,
wo andere mit dem Fuß aufstampfen.
Lasst uns Feinde in Freunde verwandeln.

 

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Stadtkirchenpfarrer PD Dr. Johannes Block
Jüdenstr. 36
06886 Lutherstadt Wittenberg
block@kirche-wittenberg.de

Perikope
17.07.2016
5,8b-14