"Die Worte Jesu an Dürstende", Johannes 7, 37-39, Mira Stare
7,37
Liebe Glaubende!
Ohne Wasser gibt es kein Leben. Alle Lebewesen – sowohl Pflanzen und Tiere als auch Menschen – brauchen das Wasser um existieren zu können. Wenn Wasser fehlt, dann vertrocknet die Erde und bleibt unfruchtbar. Lebewesen samt Menschen verspüren Durst. Je länger der Wassermangel dauert, desto quälender wird der Durst und desto lauter der Schrei nach Leben.
Im heutigen Evangelium spricht auch Jesus vom Durst. Er redet die Dürstenden an. Dabei sorgt bereits die Situation, in der er redet, für eine Überraschung. Denn die Worte Jesu an die Dürstenden geschehen nicht in der Wüste oder in einer Situation der äußeren Trockenheit, sondern in Jerusalem im Rahmen eines Festes. Kann Durst an einem Fest spürbar sein? Wie kann man feiern, wenn man gleichzeitig Durst hat? Mag diese Situation noch so paradox klingen, sie zeigt, dass Jesus die Menschen zutiefst kennt und dass ihm ihr Durst sogar am Fest nicht verborgen bleibt.
Das Fest, das Jesus in Jerusalem in diesem Kontext feiert, ist das Laubhüttenfest. Es wird eine Woche gefeiert. Es fällt auf, dass die Worte Jesu am letzten und zugleich dem großen Tag des Festes erfolgen. Zum Höhepunkt zählt dabei gewiss ein Wasserritus. Priester schöpfen Wasser aus der Gihonquelle, die in den Schiloachteich mündet. In einer Prozession wird das Wasser zum Tempel getragen und am Altar vergossen. Dieser Ritus hat mehrere Bedeutungen. Wasser ist bereits ein natürliches Symbol für das Leben. Weiter werden bei diesem Ritus auch einige biblische Hoffnungsvisionen wach, vor allem die des Propheten Ezechiel.
Nun spricht Jesus an diesem großen Tag des Festes die Dürstenden an. Er lädt sie ein: „Wenn einer dürstet, komme er zu mir und trinke, der Glaubende an mich“ (Joh 7,37-38). Nicht zum Tempel lädt er ein, sondern zu sich selbst und zum Glauben an ihn. Er in seiner Person verkörpert das, was die Menschen im Tempel suchen. Es geht nicht um den Durst nach Trinkwasser, sondern um einen tieferen Durst. Es geht um die Sehnsucht, die die Menschen in ihrem Inneren bewegt. Letztlich handelt es sich um den Durst nach Gott und dem von ihm geschenkten unvergänglichen Leben.
Im Johannesevangelium versteht Jesus seine gesamte Sendung in der Welt unter diesem Vorzeichen, das Leben heißt: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10). „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich“ (Joh 14,6). Nur in der Beziehung zu Jesus wird für Menschen Gott als Vater erfahrbar und zugänglich. Jesus offenbart, dass das Leben eine Beziehungswirklichkeit ist. Das wahre Leben kann man nur in der Beziehung zu Jesus erfahren. Er nimmt den Durst der Menschen nach dem Leben wahr und kann ihn stillen. In diesem Sinn spricht er auch mit der Samariterin am Jakobsbrunnen. Er sagt ihr:
„Wer von diesem Wasser trinkt, wird wieder Durst bekommen;
wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde,
wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zur sprudelnden Quelle werden, deren Wasser ewiges Leben schenkt“ (Joh 4,13-14).
Jesus offenbart sich der Samaritanerin als Geber, der ihren tieferen Durst stillen kann. Auffällig ist die Art und Weise, wie seine Gabe wirksam wird. Denn das Wasser, das Jesus schenkt, wird zur Quelle werden, deren Wasser ewiges Leben schenkt. Jesus kann bewirken, dass dem Menschen die Quelle des Lebens geschenkt und dass diese Quelle im Menschen selbst wirksam wird. Auch am Laubhüttenfest begründet Jesus seine Zusage, nämlich dass der Dürstende bei ihm trinken kann, mit dem Hinweis auf die Quelle. Dabei bezieht er sich auf die Schrift folgendermaßen:
„Wie gesagt hat die Schrift:
Ströme werden aus seinem Innersten fließen von lebendigem Wasser“ (Joh 7,38).
An welche Schriftstelle Jesus denkt, ist nicht eindeutig, da kein Zitat aus der Schrift wortgetreu verwendet wird. Sinngemäß kommen mehrere Schriftstellen in Frage, sowohl jene im Zusammenhang mit der Wasserspende durch Mose in der Wüste, wo das Wasser aus dem Felsen fließt (Ex 17,1-7; Num 20,2-11; Ps 78,15-16; Jes 48,21), als auch die Stellen, die von der endzeitlichen Wasserspende aus dem Tempel sprechen (Ez 47,1-12; Joel 4,18; Sach 14,8). So prophezeit der Prophet Ezechiel, dass aus dem Tempel in Jerusalem einst eine Quelle entspringen wird. Diese wird nach Osten hinabfließen und zu einem Strom, der Leben und Heilung bringt, werden. An Ufern dieses Stromes werden fruchtbare Bäume wachsen. Ihre Blätter werden den Menschen als Medizin dienen. Das Wasser des Stromes wird auch das Wasser des Toten Meeres heilen. Demzufolge werden in ihm erneut Fische leben können. So wird das Tote Meer wieder „lebendig“ (Ez 47,1-12). Im Unterschied zu diesen alttestamentlichen Stellen fällt in den Worten Jesu auf, dass das Wasser weder aus dem Felsen noch aus dem Tempel, sondern aus dem Innersten seiner Person fließt.
Das Johannesevangelium erklärt weiter, dass lebendiges Wasser ein Sinnbild für den Geist ist. Es geht um den Geist Jesu, der auch der Geist Gottes bzw. der Heilige Geist ist. Diesen können auch die an Jesus Glaubenden empfangen. Der Evangelist weist in diesem Zusammenhang jedoch darauf hin, dass das Empfangen des Geistes noch etwas voraussetzt, nämlich die Verherrlichung Jesu.
In der Stunde seiner Verherrlichung, in der Todesstunde, erlebt Jesus, der Geber des lebendigen Wassers, zuerst selber den Durst: „Mich dürstet“ (Joh 19,28). Er nimmt bis zuletzt das zutiefst menschliche Leidensgeschick auf sich, sieht es jedoch als Bestandteil seiner Sendung. Dann folgt sein letztes Wort: „Es ist vollendet“ (Joh 19,30). Er neigt das Haupt und übergibt den Geist. Hier geht es nicht nur um die Beschreibung des Sterbens Jesu, sondern auch um die Vollendung seiner Sendung und seiner Verherrlichung. Es wird hervorgehoben, dass sein Geist, die Quelle des lebendigen Wassers, von nun an für alle, die an ihn glauben, zugänglich ist. Ebenso wird auch durch den Lanzenstich und das Herauskommen von Blut und Wasser aus der Seite Jesu nicht nur die Tatsache des Todes Jesu bestätigt, sondern kommt auch zum Ausdruck, dass der Tod Jesu zur Quelle des Heils wird. Die Dürstenden können bei ihm die Quelle des Lebens finden.
Liebe Glaubende, wie sprechen uns diese Worte und Verheißungen Jesu an? Gehören auch wir zu den Dürstenden? Erfahren auch wir, dass man sogar an einem Fest Durst, nämlich einen tieferen Durst nach Leben, Beziehung und Geborgenheit und letztlich den Durst nach Gott verspüren kann? Die Wegweisung und die Einladung Jesu gelten auch uns. Unser Durst nach Leben kann nur in einer Beziehung gestillt werden, nämlich in Beziehung zu Jesus. Denn er schenkt uns die Quelle des Lebens, seinen unsterblichen und lebendig machenden Geist. Nehmen wir in Dankbarkeit die Einladung Jesu an und geben wir in uns den Raum für seinen Geist, für die sprudelnde Quelle des Lebens.
Perikope