Die Zweigroschenpredigt – Predigt zu Markus 12,41-44 von Jürgen Kaiser
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Die Zweigroschenpredigt – Predigt zu Markus 12,41-44 von Jürgen Kaiser

Für einen Pfarrer / eine Pfarrerin und zwei Älteste

Pfr.: Liebe Gemeinde,
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Art. 1 des Grundgesetzes. Bevor die Würde des Menschen aber geachtet und geschützt werden kann, muss sie erst entdeckt werden. Denn die Würde ist nichts, was man dem Menschen ansähe, wie die Farbe der Haut oder der Haare. Sie ist ziemlich unscheinbar. Darum muss sie sichtbar gemacht werden.
Um Würde zu entdecken, stellt Jesus sich neben den Opferstock im Tempel. Er beobachtet die Menschen, er untersucht, wie viel sie dort hineingeben. (Die Entdeckung der Würde hat erstaunlicherweise etwas mit Geld zu tun.) Er sieht viele Reiche, die viel Geld geben, und er sieht eine Witwe, die dort nur zwei Groschen hineinlegt. Und dann hält er seinen Jüngern eine Zweigroschenpredigt: „Amen ich sage euch….“
Und der Jesus, der hat Augen
und die trägt er im Gesicht
und die Witwe, die hat Würde
doch die Würde sieht man nicht.

Herr A: Entschuldigen Sie bitte, es ist normalerweise nicht meine Art, die Predigt zu unterbrechen. Doch bevor Ihre Predigt zum plakativen Plagiat mutiert, wollte ich sagen, dass ich mich freue, dass Sie auch mal über das Geld predigen. Ich darf mich kurz vorstellen: Mein Name ist A, ich gehöre dem Gemeindekirchenrat an und arbeite im Finanzausschuss mit, wo wir viel über das Geld reden.
Allerdings komme ich mir dort wie in der Schmuddelecke der Gemeinde vor. Über die Nächstenliebe und das Helfen, über tolle soziale Projekte reden alle gern. Aber wie das Geld reinkommen soll, das man dazu braucht, darüber redet man nicht gern. Denn eines ist doch mal klar: Auch in der Kirche fällt das Geld nicht vom Himmel. Was die Kollekte im Opferstock betrifft, von der Sie geredet haben, hätte ich nämlich einen Vorschlag zu machen.

Pfr.: Ich verstehe Sie gut, Herr A. Sie leisten einen wichtigen Beitrag für unsere Gemeinde, fühlen sich aber nicht genug gewürdigt. Ich verspreche Ihnen: Wir laden auch Sie wieder zu unserem Dankeschönabend für die Ehrenamtlichen ein.
Können wir Ihre Vorschläge nächste Woche im Finanzausschuss beraten?

Herr A: Wie immer: Wenn es spannend wird, vertagen wir es in den Finanzausschuss.

Frau B: Also wenn man heute mitdiskutieren darf, dann will ich mich auch einschalten. Ich bin Frau B., ich bin zwar nicht im Finanzausschuss, aber ich arbeite auch im Gemeindekirchenrat mit und muss, wenn ich Dienst habe, den Leuten am Ausgang die Büchse hinhalten. Ich finde das ja interessant, dass Jesus sich da hinsetzt und genau guckt, was die Leute da reinwerfen. Wenn ich da hinten die Büchse halte, gebe ich mir große Mühe, nicht hinzusehen. Wir wollen nämlich nicht den Eindruck vermitteln, als würden wir kontrollieren wollen, was der Einzelne gibt. Niemand soll befürchten müssen, einen tadelnden Blick zu bekommen, wenn er nur zwei Groschen reinlegt.

Herr A: Liebe Frau B, Sie haben es ja richtig erkannt: Jesus schaut hin! Er registriert sehr wohl, dass die Reichen viel geben und die Armen weniger. Das ist bei uns nicht anders und wir sollten es zur Kenntnis nehmen.
Mein Vorschlag wäre deshalb, dass wir uns auf die konzentrieren, die genug Geld haben. Wenn wir gezielt an die Reichen herantreten, werden wir unsere Einnahmesituation viel effizienter verbessern als wenn wir weiterhin blind alle abkassieren.
Was nicht viel bringt, ist dieses Kleingeldsammeln im Gottesdienst. Aber es macht viel Arbeit. Die Ältesten müssen in den Gottesdienst kommen, am Ausgang die Büchsen halten, dann das viele Kleingeld zählen. Es muss jemand zur Bank bringen, es muss an die Landeskirche überwiesen werden. Wie viele Menschen sind damit beschäftigt, die 47,23 € vom Sonntag zu sammeln, zu zählen, zu buchen und zu überweisen? Ein enormer personeller Aufwand für nur geringe Einnahmen. Die Kirche muss effizienter werden.
Deshalb hier mein Vorschlag: Wir sammeln keine Kollekte mehr, wir verzichten auf all das Kleingeld und treten mit gezielten Kampagnen an die Vermögenden heran. Damit entlasten wir gleichzeitig die, die ohnehin kaum genug zum Leben haben. Die sollen bitte ihr Geld behalten. Ehrlich gesagt habe ich immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich sehe, wie manche älteren Leute ihre Kollekte einwerfen und ich weiß doch genau, dass bei denen ihre kleine Rente hinten und vorne nicht reicht. Wir können doch die nicht bitten, für Hilfsbedürftige zu spenden, die selbst hilfsbedürftig sind. Das macht keinen Sinn!

Pfr.: Die arme Witwe im Tempel hat übrigens nicht für andere ihr Geld gegeben, sondern für den Tempel. Das Geld, das dort in großen Sammelkästen eingelegt wurde, war für die Unterhaltung des Gebäudes bestimmt.[1] Das Geld bekamen notleidende Steine, nicht notleidende Menschen. Jesus scheint keine Einwände gehabt zu haben, dass die arme Witwe ihr letztes Geld für die Schönheit des Tempels gibt.

Herr A: Wie der „Peterspfennig“ zur Zeit der Reformation. Gilt jetzt doch wieder: „Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt“? Wird zum 500. Reformationsjubiläum auch der Tetzel wieder gewürdigt?

Pfr.: Die Seele der Witwe springt erst einmal nicht in den Himmel, sondern macht auf Erden Sprünge, zu den anderen hin. Jesus hat ja nicht Gott auf diese Frau aufmerksam gemacht, sondern er hat sie seinen Jüngern gezeigt. Gott kennt die Frau, er weiß um ihren Glauben. Aber wir müssen Augen für ihren Glauben bekommen. Wir haben ja nur Augen für die großen Sachen. Doch manchmal kann man an zwei Groschen eine reiche Seele erkennen.

Herr A: Also, dass diese arme Frau nicht für soziale Projekte sondern für die Gebäudeunterhaltung spendet, macht die Sache ja nicht besser. Ich bleibe dabei: Lasst uns das Kleingeldsammeln in der Kirche abschaffen! Finanziell gesehen bringt das ohnehin nichts.

Frau B: Nein, da bin ich nicht für! Wir haben schon immer Kollekte gesammelt und das soll so bleiben. Auch die Armen wollen die Möglichkeit haben, etwas zu geben, selbst wenn es nur Kleingeld ist.
Ich erinnere mich an eine ältere Frau in der Gemeinde – sie ist mittlerweile verstorben - der haben wir aus unserem Diakonat regelmäßig was gegeben. Doch dann haben wir erfahren, dass sie dieses Geld gar nicht für sich selbst braucht. Für ihren eigenen Lebensunterhalt reichte die kleine Rente. Sie nahm unser Geld, um es ihren Enkeln und Urenkeln zu schenken. Wir haben dann diskutiert, ob wir ihr unter diesen Umständen die Zuwendung von der Gemeinde weiter gewähren sollen. Einige waren dagegen. Aber wir haben weiter gezahlt, denn wir haben uns gedacht: Auch das gehört zu einem würdigen Leben, dass man den Enkeln etwas gibt.

Pfr.: Ihr habt dieser Frau ihre Würde gelassen. Anderen etwas geben zu können, andere einladen, bewirten oder beschenken zu können, das gehört auch zur Würde eines Menschen. Wer immer nur nimmt, verliert seine Würde und wird sich irgendwann selbst nicht mehr leiden können. Jesus hat die Würde der armen Witwe entdeckt. Obwohl sie selbst nichts hat, gibt sie.

Herr A: Was ist eigentlich mit der Würde der Reichen? Haben die keine Würde?

Pfr.: Herr A, Sie sind heute hartnäckig!

Herr A: Ihr redet immer nur von der Würde der armen Frau. Vergesst nicht, dass die Kirche vor allem vom Geld der Reichen lebt. Die tragen erheblich zum Kirchensteueraufkommen bei. Die Armen zahlen gar keine Kirchensteuer.

Frau B: Gerade deshalb müssen sie die Möglichkeit haben, auch etwas zu geben – und seien es auch nur zwei Groschen.

Pfr.: Frau B, warum hat die arme Witwe ihr letztes Geld für die Unterhaltung des Tempels gegeben? Was glauben Sie?

Frau B: Ich glaube, sie will Gott etwas zurückgeben. Die Armen haben zwar ein schwereres Leben als die Reichen. Aber vielleicht sind die Armen dankbarer. Die Reichen glauben, dass sie Anspruch auf ein gutes Leben haben; sie denken, dass sie es sich verdient haben. Die Armen können das nicht denken. Daher fällt es ihnen leichter zu glauben, dass ihr Leben ein Geschenk ist. Und wer von Gott beschenkt wurde, will Gott auch etwas zurückgeben.

Herr A: Ach Frau B, das klingt sehr sozialromantisch! Es gibt auch genug dankbare Reiche und genug undankbare Arme.

Frau B: Ja, das ist sicher so. Trotzdem bin ich dagegen, das Sammeln der Kollekte einzustellen.

Pfr.: Ich auch. Zwei zu eins, Herr A.

Herr A: Wir haben doch hier keine Sitzung der Finanzkommission.

Pfr.: Sie waren dagegen, Ihren Antrag zu vertagen. Jetzt haben wir abgestimmt.

Frau B: Ich sammele am Ausgang. Und Sie zählen heute! Damit Sie nicht so viel Kleingeld zählen müssen, können Sie ja einen Schein reinlegen. Ich werde das genau beobachten.

Pfr.: Das, liebe Gemeinde, das war unsere Zweigroschenpredigt.
 Und der Jesus, der hat Augen
  und die trägt er im Gesicht
  und die Witwe, die hat Würde
  und die Würde ist im Licht.
Amen.

 

[1] So nach F.-W. Marquardt, Lasset uns mit Jesus ziehen, 202. Nach J. Gnilka, EKK II/2, 176, waren die Gelder für die Brandopfer bestimmt.