Dies ist die Nacht, die die Toten befreit – Predigt zu Jesaja 26,13f.19 von Katharina Wiefel-Jenner
26,13f.19

Dies ist die Nacht, die die Toten befreit – Predigt zu Jesaja 26,13f.19 von Katharina Wiefel-Jenner

Frohlockt, ihr Lieben!
Frohlockt! Dies ist die Nacht, die die Toten befreit. Dies ist die Nacht, in der die Lebenden aufatmen können. Dies ist die Nacht des Jubels. Frohlockt! Jubelt!
Unsere Mütter und Väter haben sich nach dieser Nacht ausgestreckt. Sie haben gehofft und gebetet, dass Gott eines Nachts alles verändern wird. Sie haben sich danach gesehnt, dass sie es erleben würden. Sie haben sich gegenseitig erzählt, wie es geschehen würde. Sie haben besungen, was noch nicht erschienen ist. Dies ist die Nacht!

Vor allen anderen kannten unsere Mütter und Väter die Melodie dieser Nacht. Eine leichte Melodie. Pulsierend, mitreißend, himmelwärts. Ein Tanz.

Vor allen anderen kannten sie die Melodie dieser Nacht. Als sie sie zum ersten Mal gesungen hatten, erinnerten sie sich an ihre Mütter und Väter. Sie stimmten mit ihnen zusammen in Mirjams Lied ein. Sie waren mit ihren Herzen dabei, als sich die Flut des Meeres teilte. Sie zogen mit ihnen durch die Nacht, um trockenen Fußes ans andere Ufer zu gelangen. Sie jubelten mit ihren Müttern und Vätern, weil Gott ihnen in der Nacht der Befreiung die Fesseln der Sklaverei abgenommen hat. Sie jubelten mit ihnen, weil Gottes Barmherzigkeit über die Grausamkeit gesiegt hat. Sie jubelten mit ihnen, weil sie dem sicheren Tod entronnen waren.

Vor allen anderen kannten unsere Mütter und Väter die Melodie dieser Nacht. Mit fester Stimme hatten sie sie eins ums andere Mal wiederholt, bis sie ihnen unverlierbar geworden war – und drohte Gefahr, dann kam die Erinnerung an die Melodie dieser Nacht als Klang der Freiheit auf ihre Lippen.

Vor allen anderen kannten unsere Mütter und Väter die Melodie dieser Nacht, denn sie hatten ihren Glauben nicht verraten. Sie hatten ihre Seele nicht verkauft und bewahrten in ihren Herzen den jubelnden Klang. Ihre Nächte waren dunkel und ihre Tage erdenschwer, aber sie waren treuer als alle anderen. Ferne Herrscher bestimmten über sie. Unrecht war normal. Gerechte Urteile wurden das letzte Mal gesprochen, als sie kleine Kinder waren. Ihre Häuser gehörten ihnen nicht mehr und ihre Arbeit galt nichts. Aber sie kannten das jubelnde Lied für diese Nacht und erinnerten sich: Gott rettet. Gott befreit. Gottes Barmherzigkeit besiegt die Grausamkeit. Die folternden Mächtigen wird man vergessen. Ihre Namen sterben mit ihnen. Niemand wird sich ihrer erinnern, nicht einmal ihre Grausamkeit wird ihnen dazu verhelfen, dass ihre Namen bleiben. Die Folterknechte und ihre Hintermänner an den Schreibtischen werden sich nur im Augenblick ihres Sadismus freuen können. Gott wird sie am Ende dem Vergessen überlassen und der Tod, den sie gebracht haben, wird ihnen gelten. Ihre Opfer aber werden leben.

Ja, frohlockt! Unsere Mütter und Väter haben nicht aufgehört, sich dieser Nacht entgegenzustrecken. Sie haben nicht aufgehört, sie herbei zu singen, herbei zu beten, herbei zu hoffen. Dies ist die Nacht der Gerechtigkeit. Dies ist die Nacht, in der Gott den Opfern des Todes das Leben zurückgibt. Nun singen wir in dieser Nacht. Auf die Melodie unserer Mütter und Väter singen wir das neue Lied darüber, wie Gott in dieser Nacht die Toten befreit. Ja, frohlockt!

Licht hat die Dunkelheit des Todes vertrieben. Gott hat den Tau vom Himmel gegossen. Die Wolken sind aufgebrochen. Und Licht leuchtet in der Finsternis auf – es ist zart und doch nicht zu überwältigen. Vor dem einen Lichttropfen, den Gott in die Finsternis geschickt hat, weicht das Dunkel und die Finsternis kann das Licht nicht verschlingen. Es ist nicht mehr vollkommen finster. So wie Tautropfen sich in der Nacht auf die ausgetrocknete Erde legen und am Ende der Nacht der Tau das dürre Land gesättigt hat, so leuchtet am Ende unserer Nacht Gottes Licht. Es leuchtet so hell wie die Sonne.

Ja, frohlockt! Dies ist die Nacht, in der Christus die Toten befreit. Christus ist das Licht, zart und doch nicht zu überwältigen. Die Wolken sind aufgebrochen und haben das helle Leben über die toten Gräber ausgeschüttet. Christus ist der Tau, den Gott vom Himmel gießt. Am Ende der Nacht ist er die Sonne, unter der das Leben blüht. Die Toten werden nicht tot bleiben. Ihre Namen sind in Gottes Herzen eingeschrieben. Sie werden nach der Melodie dieser Nacht tanzen und singen. Der Tod hat keine Macht mehr. Er kann die Melodie nicht verbieten, er kann den Klang der Freude nicht verschlucken, er kann das Leben nicht länger verschlingen. Das Licht ist stärker als die Finsternis, der Tau stärker als die Dürre, die Liebe ist stärker als der Tod, Gott ist stärker als die Feinde des Lebens.

Dies ist die Nacht, nach der sich unserer Mütter und Väter ausgestreckt haben. Dies ist die Nacht, in der das Lied unserer Mütter und Väter neu angestimmt wird. So frohlockt! Dies ist die Nacht, die die Toten befreit. Dies ist die Nacht, in der die Lebenden aufatmen können. Dies ist die Nacht des Jubels. Christus lebt und wir sollen auch leben. Christus ist auferstanden von den Toten. Er ist wahrhaftig auferstanden. Halleluja!
Amen.

Perikope
Datum 15.04.2017
Kapitel / Verse: 26,13f.19