Doping für Christenmenschen - Predigt über Matthäus 28,16-20 von Hans Uwe Hüllweg
28,16-20

Doping für Christenmenschen - Predigt über Matthäus 28,16-20 von Hans Uwe Hüllweg

Doping für Christenmenschen

Die Reedersgattin holt aus und schleudert die Sektflasche in Richtung Bug; sie zerschellt am Stahl des Schiffes. Die Verantwortlichen atmen auf: Jetzt kann eigentlich nichts mehr schiefgehen: Das Schiff ist getauft. Die „Christliche Seefahrt“ hält an ihren Traditionen fest. Da schwimmt nun ein modernes Containerschiff, mit allen technischen Neuheiten, nach höchsten Sicherheitsstandards ausgerüstet. Es trägt fortan den Namen „München“ und verkehrt auf der Nordatlantikroute von Bremerhaven nach Savannah in den USA.

Nur wenige Jahre später geht es in einem schrecklichen Sturm unter; vergeblich die tagelange Suchaktion, keiner wird gerettet, nichts vom Schiff wird wiedergefunden außer ein paar unbenutzten Rettungsinseln, einer Notfunkbake und Trümmerteilen eines Rettungsbootes - eine furchtbare Katastrophe, so geschehen 1978.

Dass wir Flugzeuge, Schiffe und manches andere zu taufen pflegen, das ist irgendwie ein selbstverständlicher Brauch. Man macht es halt so seit Menschengedenken. Und doch weiß jeder oder könnte es eigentlich wissen, dass die Taufe Unglücke, Abstürze, Zusammenstöße, also Leid und Tod nicht verhindern kann.

Ob dessen ungeachtet viele Menschen heute insgeheim auch noch so denken? Ob die Taufe nicht vielleicht doch eine Art übernatürlichen Schutz verleiht gegen alles Böse, das uns passieren kann? Von vielen Eltern wird die Taufe ihrer neugeborenen Kinder trotz aller Säkularisierung der Gesellschaft gewünscht. Auch Eltern, die sonst nicht weiter erkennbar kirchlich interessiert oder gar engagiert sind, lassen ihre Kinder taufen. Kürzlich haben wir hier an der Algarve ein Kind getauft, dessen Eltern aus der Kirche ausgetreten sind, aber nachdrücklich diese Taufe gewünscht haben. Weil zwei christliche Paten gefunden wurden, war das dann möglich.

Ich vermute, dass Sie alle, unsere Gottesdienstbesucher und –besucherinnen heute Abend hier in der Kapelle auf den Klippen, getauft sind. Grund genug, sich wieder einmal an den Ursprung der Taufe und damit auch an ihre Bedeutung erinnern zu lassen.

Jesus selbst trägt, wie wir gehört haben, seinen Jüngern auf, Menschen zu taufen. Aber bevor er das tut, spricht er einen befremdlich klingenden Satz:

„Mir ist gegeben alle Gewalt...“

So hat die urchristliche Gemeinde ihren Herrn verstanden, so hat sie ihn geglaubt und gepredigt, und das gegen allen Augenschein. „Mir ist gegeben alle Gewalt“, das durfte eigentlich nur der Kaiser in Rom sagen. „Mir ist gegeben alle Gewalt“ - das stand so oder ähnlich über kaiserlichen Verlautbarungen und Erlassen. So wie es später in Preußen hieß: „Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen, verordnen dieses oder jenes…“

  „Mir ist gegeben alle Gewalt“ im Munde Jesu - das bestreitet dem Kaiser in Rom seine Macht, ihm und allen anderen kleinen und großen Mächtigen auf der Erde, auch den Wilhelms „von Gottes Gnaden“ und Möchtegernpotentaten, den Diktatoren und Gotteskriegern.

Darum, weil sonst niemand Macht über die Christen hat, als Jesus Christus allein, weil sie sich darum auch nicht einschüchtern lassen müssen von dem selbstherrlichen und gottlosen Augustus ebenso wenig wie von allen anderen selbsternannten Herren dieser Welt, darum bekommen sie in der Taufe seinen Stempel aufgedrückt.

Das rückt die menschlichen Machtverhältnisse zurecht, das schiebt dem unausrottbaren Streben des Menschen nach eigner Macht über sich selbst und über seinesgleichen einen Riegel vor.

„Darum geht hin in alle Welt...“ Es ist eine großartige Ermutigung zum Aufbruch, weil sie mit der Entmachtung der Mächte einhergeht. Wenn Jesus Christus allein die Macht hat, steht der Kaiser nackt da.

Das ist ein gewaltiger Start ins Christenleben! Von der „Gewalt“, dem Machtpotential Jesu Christi zu hören, die sich freilich nicht auf Waffen gründet, sondern auf die Menschenliebe Gottes!

„Darum geht hin in alle Welt und machet zu Jüngern alle Völker!“ Start einer Bewegung: „gehet“, „machet“, „taufet“, „lehret“ - Worte, die allesamt ein Tun ausdrücken. Kein Wort von frommem Brauchtum, kein Missverständnis im Blick auf eine Unfallverhütung, keine Zusicherung, dass den Getauften kein Leid widerfahren werde. Unglücke geschehen, Flugzeuge stürzen ab, Schiffe gehen unter – Gott sei’s geklagt! - und manchmal geschehen bedauerlicherweise auch Unfälle im Kinderzimmer und auf der Straße, und sie treffen Getaufte und Ungetaufte. Die Taufe kann eben keine Unfallversicherung Gottes sein. Sondern sie ist etwas ganz anderes, eben der Start einer Bewegung zu Gott und den Menschen, oder noch besser: der Bewegung Gottes zu uns.

„Machet zu Jüngern alle Völker...“, so heißt es bei Matthäus. Das Wort „Jünger“ ist heute aus der Mode gekommen. Man gebraucht es allenfalls noch als leise ironische Bezeichnung von Hobbies wie etwa der „Petrijünger“. Es bedeutet eigentlich „Schüler“ und bezeichnet das besondere Vertrauensverhältnis der Schüler zu ihrem Meister. Ihm, dem Menschen Jesus, ein Mensch wie du und ich, aber auch wieder anders, weil der Sohn Gottes, vertrauen die Jünger, von ihm lernen sie, er gibt ihnen Leben.

Das war kein besonders geschütztes Leben - im Gegenteil. Das Leben Jesu selbst war riskant und gefährlich: In der Wüste setzten ihm Hunger, Durst und stechende Sonne zu; feindlich gesonnene Menschen trachteten ihm nach dem Leben; die wankelmütige Zuneigung der Menge setzte ihn matt; der Teufel ver­suchte ihn; manche vermeintliche Anhänger erwarteten Unmögliches von ihm und wandten sich dann ab; Petrus verleugnete, Judas verriet ihn. Wir wissen, wo das hinführte: ans Kreuz von Golgatha.

Vor einem wagnisreichen, lebensgefährlichen Leben schützte auch ihn seine Taufe nicht und schützt uns unsere Taufe nicht. Und für manche Menschen in der Kirchengeschichte war die Taufe der Startschuss zu einem unsicheren, niederlagengesäumten und sogar gewaltsam beendeten Lebenslauf. In jedem Falle und trotz und alledem aber ist die Taufe Einzug in das Kraftfeld Gottes.

Vielleicht kann uns die anfangs erwähnte Praxis der Schiffstaufen doch noch als ein Bild dienen. Auch sie ist ja Startschuss zu einer nicht ungefährlichen Fahrt über die Meere, durch ruhige Gewässer, zu fernen Küsten und fremden Häfen, aber auch über Untiefen, durch drohende Klippen und heftige Stürme. Und eine Schiffstaufe ist ferner, mal abgesehen von dem Brimborium darum herum, schlicht die Indienststellung eines Verkehrsmittels.

So muss doch wohl auch die Taufe im Sinne unseres biblischen Textes zu verstehen sein: Indienststellung durch Gott! Nicht zufällig häufen sich, wie schon gesagt, Worte mit Aufforderungscharakter: „Gehet... machet... taufet... lehret...“ Räkelt euch nicht in einem christlichen Lehnsessel, bleibt nicht sitzen auf einem religiösen Kissen, sondern setzt euch in Bewegung!

Manch einer mag jetzt tief Luft holen. Das alles lässt sich sicherlich gut von der Kanzel herab sagen; aber wie schwer es tatsächlich ist! Weil unsere Lebenserfahrungen eine andere Sprache sprechen: Wer sich bewegt, muss aus dem Haus; wer sich bewegt, gerät in Wind und Wetter; wer sich bewegt, kann stürzen. Ohnmachtserfahrungen kennzeichnen unser Christsein:

- Die Gesellschaft entchristlicht sich immer mehr.

- Die Völker, die sich nicht haben zu Jüngern machen lassen, wachsen statistisch viel schneller als die Christen.

- Die Bibel ist für viele ein fremdes Buch geworden.

- Viele wissen nicht mehr, warum wir Weihnachten, Ostern und Pfingsten feiern

- In Deutschland werden nur noch ungefähr 25 % aller Neugeborenen katholisch oder evangelisch getauft.

Aber dies war ja, bei genauerem Hinsehen, auch schon die Situation der Urchristen. Doch hätten sie damals die Flinte ins Korn geworfen, gäbe es uns heute als Christen nicht. Weil sie diese Worte Jesu als Missionsbefehl verstanden haben, darum gingen sie tatsächlich und buchstäblich in alle Welt und standen mit ihren Worten, ihrem Helfen, ihrem ganzen Leben für Jesus Christus ein, der sie in das Kraftfeld Gottes gezogen hatte. Darum ließen sie sich von ihm in Dienst stellen.

Und das gilt auch noch heute, das ist keineswegs verfallen. Wir Getauften leben im Kraftfeld Gottes, der uns in seinen Dienst nimmt. Mission heißt Fortbewegung auf dem Wege Gottes, der mit meiner Taufe begonnen hat.

Hier sind, was die Taufkinder heute betrifft, zu allererst Eltern und Paten gefragt, wie sie ihre Kindern sozusagen stellvertretend die Menschenliebe Gottes spüren lassen, wie sie das Kraftfeld Gottes in tägliches Leben, in Erziehung umsetzen wollen. Aber auch alle anderen Getauften sind immer wieder gefragt, wo wir uns immer von neuem von Jesus Christus und für Jesus Christus in Bewegung setzen lassen.

„Ich bin bei euch“, sagt Jesus zum Schluss, weil er weiß, wie leicht seine Jünger immer wieder ermatten, wie sie von Rückschlägen geschüttelt und von Müdigkeit gelähmt werden. Und das alles sicherlich nicht immer nur aus Bequemlichkeit oder gar Boshaftigkeit, sondern auch gerade dann, wenn sie voller guten Willens die Bewegung Gottes mitmachen möchten. „Ich bin bei euch“ - das ist das Vitamin, das uns die Müdigkeit verscheuchen, das uns kräftigen und aus Rückschlägen neue Antriebe machen will. So eine gute Art „Doping“ für Christenmenschen.

„Ich bin bei euch alle Tage“, sagt Jesus –

- überall bis an die Enden der Erde, wo ihr auch seid;

- immer, solange ihr lebt, bis an euer Ende;

- und solange die Erde steht, nämlich bis an das Ende der Welt.

Amen.