Ein etwas anderes Liebeslied… zu singen bei einem Becher Wein… - Predigt zu Jesaja 5, 1-7 von Sven Evers
5, 1-7

Jakob liebt es, auf dem Markt herum zu schlendern.

Das Stimmengewirr, das ihm jedes Mal erscheint wie ein einziger großer Klangteppich voller Leben.

Die vielen Farben, die Gerüche, die Klänge, das so bunte Leben - wie schön, ein Teil davon zu sein. Wie schön, hier einfach einzutauchen und sich treiben zu lassen. Und neben den vielen Buden und Wagen, an denen es die außergewöhnlichsten Dinge zu kaufen gibt, die vielen Darbietungen von Gauklern und Artisten, von Liedermachern und….

Das ist doch dieser Jesaja da hinten an der Ecke, denkt Jakob. Dem war er schon mal begegnet. Ein ausgemergelter Mann mit einem Blick, in dem so viel Wissen und so viel Wahrheit und auch so viel Leben liegt, dass Jakob auf Anhieb fasziniert war. Jakob drängelt sich durch die Menge und hört gerade noch die Ankündigung eines Liedes

Ein Lied von meinem Freund will ich Euch singen. Es ist das Lied von meinem Freund und seinem Weinberg.

Jakob kennt Weinberge. Er hat sie von klein auf besucht, gemeinsam mit seinem Vater.

Draußen vor der Stadt. Sanft auf Hügeln gelegen, der Sonne zugewandt, wachsen dort die schönsten Trauben. Süß und saftig.

Und sie schimmern in der Sonne. Und es perlt im Becher, wenn sie nach der Lese gekeltert werden und die Winzer probieren, ob sie gelungen sind oder nicht.

Kritisch lassen sie dann den Saft im Becher kreisen, riechen, schmecken, schlürfen mit der Zunge und schauen konzentriert drein. Und wenn dann mit einem zufriedenen Nicken der Becher weiter gereicht wird, dann ist die Freude groß, und Jakob ließ sich gerne anstecken von dieser Freude und schmeckte auch von dem frischen Saft.

Ja er weiß, wie viel Arbeit in einem Becher Wein steckt. Die Trauben, die einzeln gelesen werden an Weinstöcken, die immer wieder beschnitten werden müssen und gewässert und vom Ungeziefer befreit und und und… Da gehört viel Arbeit zu und viel Geduld und ganz viel Liebe.

Und er weiß, wie kostbar so ein Weinberg ist - mit Mauern gesichert, dieser kostbare Besitz, in dessen gelungener Ernte das Leben liegt und das Überleben derer, die daran arbeiten - während Missernten ganze Familien in Hunger und Not stürzen können.

 

Die erste Strophe

Mein Freund hatte einen Weinberg

auf einem fruchtbaren Hügel.

Er grub ihn um, entfernte die Steine

und bepflanzte ihn mit den besten Weinstöcken.

Mittendrin baute er einen Wachturm.

Auch eine Kelter zum Pressen der Trauben hob er aus.

Dann wartete er auf eine gute Traubenernte.

aber der Weinberg brachte nur schlechte Beeren hervor.

 

Jakob glaubt, sich verhört zu haben. Schlechte Beeren? Was ist denn das für ein Liebeslied? Was ist denn das für ein Reim, den der Prophet da macht? Was sind das für Klänge und für Worte, die sich da auf einmal in seinen Vortrag schleichen? Jakob ist in Gedanken noch bei fruchtigem Wein, bei sich im Becher spiegelndem Sonnenlicht, bei Tanz und Fröhlichkeit, wie er sie von den Weinfesten kennt, die im Herbst gefeiert werden. Und nun das?

 

Die zweite Strophe

Jetzt urteilt selbst,

ihr Einwohner von Jerusalem und ihr Leute von Juda!

Wer ist im Recht - ich oder mein Weinberg?

Habe ich irgendetwas vergessen?

Was hätte ich für meinen Weinberg noch tun sollen?

Ich konnte doch erwarten, dass er gute Trauben trägt.

Warum hat er nur schlechte Beeren hervorgebracht?

 

Jakob schaut sich um. Die Menschen um ihn herum schauen ähnlich empört drein wie er selbst. Es ist nur ein Lied - aber dieser Jesaja versteht es, Menschen zu berühren und mit hineinzunehmen in das Geschehen, das muss er ihm lassen. Als ginge es um sie selber schauen die Menschen, und auch Jakob ist ganz außer sich. Was für ein Weinberg! Natürlich hat der Besitzer alles getan - das weiß er aus den Erzählungen derer, die selber Weinberge haben und aus den vielen Besuchen dort. So viel Arbeit, so viel Mühe, so viel Zeit und so viel Geld steckt da drin. Alles hat der Weinbergbesitzer getan, alles hat er geopfert, alles hat er auf eine Karte gesetzt - und dann so etwas! Wenn es irgendeinen Sinn machen würde, Weinberge zu verurteilen: Natürlich ist der Weinberg im Unrecht und natürlich ist der Freund im Recht. Wie groß muss die Enttäuschung sein, wenn nach so viel Einsatz und Mühe nur schlechte Beeren übrigens bleiben. Wie groß muss die Wut sein, wenn all die Arbeit umsonst ist und die Liebe, die darinnen steckt und das Bemühen, das den Weinberg behandelt hat fast als wäre er nicht nur ein Garten mit einer Mauer drumherum, sondern ein guter und geliebter Freund, dessen Liebe und Frucht man doch erwarten darf nach allem, was man für ihn getan. Ich würde… denkt Jakob … ich würde….

 

Die dritte Strophe

Ich will euch sagen,

was ich mit meinem Weinberg tun werde:

Die Hecke um ihn herum werde ich entfernen

und seine Schutzmauer niederreißen.

Dann werden die Tiere ihn kahl fressen und zertrampeln.

Ich werde ihn völlig verwildern lassen:

Die Reben werden nicht mehr beschnitten

und der Boden nicht mehr gehackt.

Dornen und Disteln werden ihn überwuchern.

Den Wolken werde ich verbieten,

ihn mit Regen zu bewässern.

 

Ja, genau das würde ich auch tun, denkt Jakob wütend und stampft geradezu mit dem Fuß auf. Was für ein Weinberg! Was für eine Unverschämtheit. Alles, wirklich alles hat man für ihn getan - und dann so was! Da ist es ja wohl verständlich, dass der Besitzer wütend wird?! Dass er zornig und außer sich Mauern ein und Hecken ausreißt. Hat er doch nicht anders verdient, der Garten mit diesen unnützen Trauben…!

 

Jakob kennt das irgendwie.

Als Kind war es ihm mit seinem Lieblingsspielzeug mal ähnlich ergangen. Er hatte sich alle Mühe geben, es zu verstehen, doch es wollte und wollte nicht funktionieren - bis er es dann wütend in die Ecke warf. Wobei… war es nur Wut, überlegt Jakob? War es nicht eine Mischung aus Wut und aus Trotz und aus Enttäuschung und aus …. Liebe? War nicht vielleicht mancher Wutausbruch des Vaters, der ihm im Nachhinein Leid getan hatte, auch nichts anderes als Enttäuschung darüber, dass er mit seiner Liebe bei Jakob ja durchaus nicht immer das erreichte, was er sich vielleicht erhoffte? Und hatte er selber das nicht auch schon erlebt, dass Wut und Enttäuschung gerade da am größten waren, wo auch die Liebe am größten ist? Wo mir der oder die Andere eben nicht egal ist…? Könnte es am Ende sein…. dass dieses Lied gar nicht nur von Weinbergen, sondern von ganz anderem….

 

Die vierte Strophe

Wer ist dieser Weinberg?

Der Weinberg des Herrn Zebaoth,

das sind die Bewohner von Israel.

Die Leute von Juda,

sie sind sein Lieblingsgarten.

Der Herr wartete auf Rechtsspruch,

doch seht her, da war Rechtsbruch.

Er wartete auf Gerechtigkeit,

doch hört nur, wie der Rechtlose schreit.

 

Jakob hatte es ja gerade geahnt. Manche um ihn herum wohl auch. Betreten schauen sie drein und stellen fest, dass sie in ihrer Wut über den Weinberg gerade sich selber das Urteil gesprochen haben. Ihr seid es - funkelt der Prophet die Menge aus klaren Augen an! Ihr seid es, die Gott, der Herr, geliebt hat von ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all seiner Kraft! Aus der Gefangenschaft in die Freiheit hat er euch geführt. Das Land hat er euch gegeben und Frieden und Brot und sein gutes Wort und alles, was ihr zum Leben braucht. Und was tut Ihr? Schaut, wie ihr seine Liebe mit Füßen tretet! Schaut, wie ihr umgeht mit euren Mitmenschen - eure Schwestern und Brüder. Schimpft nicht über den Weinberg, der schlechte Früchte gibt. Weinberge können nicht hören! Seht die Tränen der enttäuschten Liebe eures Gottes und schaut in Eure eigenen Gesichter. Der Weinberg Gottes, sein Lieblingsgarten - Ihr seid es. Und was habt Ihr daraus gemacht!

 

Jakob steht stumm. Die Menschen stehen stumm.  Sie schauen zu Boden. Wütend manche und kopfschüttelnd. Betreten und betroffen andere. Langsam dreht Jakob sich um und geht davon. Fühlt den Blick des Propheten auf sich. Hört nicht mehr das Stimmengewirr um sich herum - nimmt sie nur noch verschwommen wahr: die Geräusche und die Farben und die Gerüche… Ein merkwürdiges Lied auf den Lippen. Ein Lied, das ihm so schnell nicht aus dem Kopf gehen wird.

Epilog - oder: Die letzte Strophe

Die letzte Strophe gibt es nicht.

Jedenfalls nicht im Jesajabuch.

Wie würde das Lied weiter gehen?

Wie würde Jakob es weiter erzählen?
Wie ich?

Wie Gott?

Wie kann ich die Rede von Wut und Zerstörung aus Enttäuschung über nicht erwiderte Liebe mit meinem Bild von Gott zusammen denken?

Andererseits: Laufe ich nicht Gefahr, Liebe zu Beliebigkeit verkommen zu lassen, wenn ich angesichts meines und unseres Handelns Menschen und auch Gott gegenüber nicht auch von Enttäuschung, von Wut, von Gericht spreche?

Und wieder: Wir sind heute hier.

Weil Zerstörung und eingerissene Mauern und zertrampelte Gärten eben nicht das letzte sind.

Weil Gott immer wieder neu anfängt, immer wieder neu pflanzt und pflegt und hegt.

Trotz allem, was wir sind.

Wie gerne würde ich mich darüber mit Jakob austauschen. Ich bin sicher wir hätten einander so vieles zu erzählen und so vieles zu fragen…. am liebsten bei einem guten Becher Wein …

 

Amen.

 

 

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Dr. Sven Evers

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
„Meine“ Landgemeinde – Menschen aus dem Dorf, alt und jung; Konfirmandinnen, die so mittelmäßig gerne kommen; manche Erwachsene, die kommen, weil zu Corona-Zeiten außer Gottesdiensten nichts stattfindet; Stammgäste – überwiegend geübte Predigthörer*innen, für die allerdings manch interne Diskussion um die Textzusammenstellung zu diesem Sonntag (Jes 5 gg. Mk 12) und die damit gegebene Thematik möglichen Anti-Judaismus überhaupt keine Rolle spielt.

2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Jakob – in früheren Predigten der „kleine Jakob“ ist mir schon lange lieb, um mich und die Hörer*innen in die Welt der alten Propheten mit hinein zu nehmen. Sich im Eintauchen in die Geschichte selber neu zu verstehen – von der Geschichte verstehen lassen gewissermaßen – das finde ich immer wieder reizvoll. Von daher auch relativ wenig Übertragung nach dem Motto „Was uns das ganze heute sagen will“. Ich vertraue auf das Verstehen, das sich im Mit-Gehen ereignet.

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
„Der Zorn Gottes ist das Brennen seiner Liebe“ – so oder so ähnlich hat es Karl Barth gesagt. Ich mag das nicht mit vollziehen. Andererseits: Das Handeln der Menschen – und auch meines – hat Konsequenzen, ist nicht egal. Das immer wieder zu betonen und den „lieben Gott“ nicht zum Deppen zu machen, der nicht „lieb“, sondern beliebig ist – darüber werde ich sicher weiter nachdenken. Und die Hörer*innen vielleicht ja auch.

4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Ich danke meiner Coachin Beate Schmidtgen ganz herzlich für das tolle Feedback!! Ich habe nicht jede ihrer Anregungen aufgenommen. Vor allem aber die Idee, den kleinen Jakob ein paar Jahre älter werden zu lassen und so ganz neue Identifikationsmöglichkeiten für Hörende zu schaffen, habe ich gerne aufgenommen. Nicht nur dafür ganz herzlichen Dank!

Perikope
28.02.2021
5, 1-7