Ein Festtag gegen alle aufkommende Wehmut - Predigt zu Joh 1,15-18 von Thomas Volk
1,15-18

Ein Festtag gegen alle aufkommende Wehmut - Predigt zu Joh 1,15-18 von Thomas Volk

Liebe Mitchristinnen und Mitchristen,

wenn der 6. Januar - wie in diesem Jahr - auf einen Donnerstag fällt, hat man nach Weihnachten und dem Jahreswechsel noch einmal ein ganzes Wochenende vor sich. Das klingt richtig gut. Wie geht es Ihnen mit dieser Aussicht? Freuen Sie auf die vielen Möglichkeiten, die sich anbieten? Weihnachten nachklingen lassen. Ausspannen. Jemanden besuchen. In aller Ruhe mit jemandem telefonieren oder skypen. Das Buch doch noch zu Ende lesen. Oder etwas in aller Ruhe erledigen, was Sie schon lange auf Ihrer To-Do-Liste hatten.
Oder merken Sie in diesen ersten Tagen bereits, wie das neue Jahr schon seine Schatten voraus wirft? Wie die Idylle der Feiertage von Tag zu Tag mehr verblasst? Wie der Alltag mit jedem Aufstehen näherkommt und wie manche dunkle Wolken, die in den vergangenen zwei Wochen wie weggezogen waren, mit einem Mal wieder näher kommen?
Für alle, die spüren, dass man das kommende Wochenende doch nicht mehr so unbeschwert genießen kann, ist der heutige Epiphaniastag genau das richtige Fest. Epiphanias heißt „Erscheinung.“ Aufleuchten der „Herrlichkeit Gottes“. Nicht nur ein letztes Mal heute, an dem Tag, an dem die drei Weisen zur Krippe kommen. Dieser Tag will uns gewiss machen: Gottes Herrlichkeit verschwindet eben nicht aus unserem Leben wie die Weihnachtsdeko aus dem Wohnzimmer. Gottes Herrlichkeit bleibt. Auch nach den Festtagen. Bleibt im kommenden Alltag. Bleibt bei allen Veränderungen. Bleibt auch, wenn dunkle Wolken aufziehen. Und das heutige Schriftwort, das Sie gleich hören werden, setzt sogar noch einen drauf. Es behauptet: Gottes Herrlichkeit ist nicht nur unser ständiger Begleiter. Sie ist uns bereits voraus. Sie wartet auf uns, wenn wir in diesem Jahr wieder unterwegs sind.

Hören Sie aus dem Johannesevangelium, aus dem 1. Kapitel, die folgenden Verse:

15 Johannes trat als sein Zeuge auf.
Er rief: „Diesen habe ich gemeint, als ich sagte:
›Nach mir kommt einer, der mir immer schon voraus ist.
Denn lange vor mir war er schon da.‹“

16 Aus seinem Reichtum hat er uns beschenkt -
mit überreicher Gnade.

17 Durch Mose hat Gott uns das Gesetz gegeben.‘
Durch Jesus Christus sind die Gnade und die Wahrheit
zu uns gekommen.

18 Kein Mensch hat Gott jemals gesehen.
Nur der eine, der Mensch geworden ist,
selbst Gott ist und an der Seite des Vaters sitzt –
der hat uns über ihn Auskunft gegeben.

Das Johannesevangelium hat im 1. Kapitel so gar nichts von den uns bekannten Weihnachtserzählungen. Es lässt dafür schon bald Johannes den Täufer auftreten und die neue Übersetzung der Basis Bibel lässt ihn etwas Erstaunliches sagen. Christus ist ihm, Johannes, „immer schon voraus“ (V. 15) gewesen. Worin? In der Frage, was man von Gott erwarten darf.

Johannes der Täufer hat den Menschen einen strengen Gott vor Augen geführt, der möchte, dass die Menschen Buße tun. Johannes hat gemeint, dass die Menschen durch Reue und Umkehr Gott wirklich näher kommen könnten. Dazu hat er Gott mit sehr menschlichen Zügen umschrieben. Johannes stellt sich Gott wie jemanden vor, der richtig wütend und zornig werden kann, wenn jemand wieder hinter seinen Möglichkeiten zurückgeblieben ist. Auch wenn manche Menschen hin und wieder eine deutliche Ansprache brauchen, so bewirken Drohungen bei der Mehrheit das genaue Gegenteil. Wenn jemand auch nach dem zehnten Mal zurechtgewiesen wurde, weil er wieder diese eine Aufgabe nicht geschafft hat, wird er es beim elften Mal sehr wahrscheinlich auch nicht schaffen. Johannes hat übersehen, dass durch alle harten Zurechtweisungen noch mehr Mut und Vertrauen abgegraben werden.
Und heute, nachdem sich Menschen fast 2.000 Jahre mit dem Neuen Testament befasst haben, ist eigentlich allen klar, dass der Sinn von Religion ein ganz anderer ist, nämlich: den Menschen alle möglichen Ängste zu nehmen. Die Menschen haben schon genügend zu tragen und man muss ihnen nicht auch noch einen strengen Gott vor Augen führen, der sich wie ein cholerischer Vorgesetzter benimmt und ständig auf dem Rücken seines Personals herumtanzt.

Jesus dagegen wollte auch, dass die Menschen umkehren und neue Wege in ihrem Leben erproben. Aber das Johannesevangelium sagt selbst: „Durch Jesus Christus ist die „Gnade“ zu uns gekommen“ (vgl. V. 17). Und die ist an Weihnachten sichtbar aufgeleuchtet. Im Stall von Bethlehem. Aber nicht nur damals und nur dort. Sie geht an jedem Morgen neu auf. Sie erwartet uns regelrecht jeden Tag aufs Neue. Sie leuchtet die nächste Etappe unseres Lebensweges aus. Und sie ist bereits da, wenn wir einen stürmischen Tag oder eine mühevolle Zeit hinter uns haben.
Der Epiphaniastag macht noch einmal klar: „Gottes Herrlichkeit“ ist niemand anderes als Christus. Christus, das „Licht der Welt“ (vgl. Johannes 8,12) gibt wenige Tage nach Neujahr sozusagen noch einmal den Startschuss in das neue Jahr: „Komm, mach dich auf. In dein neues Kalenderjahr. Mit aller Vorfreude. Mit aller Verletzlichkeit. Mit allem, was dir Angst macht. Geh los, auch wenn du manches heute noch nicht abschätzen kannst.“ Christus begleitet dich nicht nur auf deinen Wegen. Es ist dir immer schon voraus. Wie wenn du am Ufer eines Flusses stehst, in ein Boot einsteigst und flussabwärts fährst. Wo auch immer du an Land gehst, wo auch immer deine Lebensreise dich in diesem Jahr hinführt, erwartet dich bereits dort Christus. In der Sprache von Epiphanias: Der „Stern von Bethlehem“ geht dir, wie bei den Weisen, immer voraus. Jesus, der „Morgenstern“, wird immer wieder neu in deinem Herzen aufgehen und dir Mut machen, auch neue und ungewohnte Wege einzuschlagen, weil sein Licht dich an vielen Orten erwartet. Christus, als „Sonne der Gerechtigkeit“, schenkt dir Achtung und Würde, auch wenn du in den Augen anderer vielleicht nicht „top“ bist. So gesehen ist Epiphanias ein richtig trotziges Fest, das uns mutig machen möchte auch manchem Sturm entgegenzutreten.
Und wenn Sie zu den Menschen wie ich gehören, die nicht zu den mutigsten zählen und immer sichtbare Zeichen oder Hinweise brauchen, die auch in den kommenden Tagen und Wochen gewiss machen, dass Christus wirklich immer schon voraus ist und auf uns wartet, dann habe ich eine Idee für Sie. Ich lasse gerade nach diesen trüben und nebligen Wochen im November und Dezember meinen Herrnhuter Stern bis zum 2. Februar an meinem Fenster hängen, bis man das Licht draußen wieder „messen“ kann, weil es deutlich länger hell bleibt. Vielleicht lasse ich ihn auch so lange am Fenster, bis ich so viel Zuversicht geschöpft habe, dass Christus als Licht der Welt auch wirklich da ist, mich immer wieder erwartet und ich den Stern als Erinnerungszeichen nicht mehr brauche.

Und wenn Sie in diesen Tagen bereits alles wieder abhängen und einpacken, dann bekommen Sie eine Erinnerung mit in das neue Jahr. Der heutige Abschnitt sagt es indirekt mit diesem kleinen Satz: „Aus seinem Reichtum hat er uns beschenkt mit überreicher Gnade“ (V. 16). Das ist ein guter Hinwies, vor allem dann, wenn man die „Herrlichkeit Gottes“ gerade so gar nicht spürt oder wenn man kein Licht am Ende des Tunnels sieht. Ich frage mich dann immer: „Hast du schon vergessen? Wie oft bist du von Christus schon beschenkt worden? Als du diese eine lange Durststrecke doch geschafft hast. Als du diese eine Sache, die einfach nicht gut lief, doch einfach so stehen lassen konntest. Oder als ich gemerkt habe, dass doch eine neue Türe aufgegangen ist, als die eine vertraute für immer zu war. Und Christus hat mich dahinter bereits erwartet.“
Und wenn sie zu Weihnachten oder zum neuen Jahr einen lieben Brief mit der ganz aktuellen Weihnachtsbriefmarke der Post bekamen, haben Sie an diesem Jahreswechsel noch einen zusätzlichen Hinweis erhalten. Der leise und behutsam wirkende Engel in goldenem Gewand und einem Reif im Haar trägt in der rechten Hand eine weiße Lilie, ein Symbol, das Menschen früher als Zeichen für Gottes Gnade gedeutet haben. Diese Weihnachtsbriefmarke ist nur eines von vielen Zeichen, das deutlich macht: Gottes Gnade begleitet dich. Und sie wird dich auch im neuen Jahr beschenken. Gottes Gnade steht immer für Neubeginn, für Bewältigung von Furcht und Sorge, für Aufbrechenkönnen in ungewisse Zeiten, für mutiges Losgehen.

Auf alle Fälle ist Epiphanias ein widerspenstiges Fest gegen alle Wehmut, dass etwas im Leben vorbei sein könnte oder nie wiederkommt. Es gibt auch in diesem neuen Jahr viel zu entdecken und zu verstehen. Mein Herrnhuter Stern erinnert mich noch eine Zeitlang daran. Oder vielleicht auch manche Kerze, die vielleicht das ganze Jahr über stehen bleibt, bis sie endgültig abgebrannt ist. Oder vielleicht etwas Anderes von Weihnachten, das daran erinnert: Christus, als Licht der Welt, ist längst alle Wege vorausgegangen und wartet auf Sie und mich. Vielleicht im Frühjahr auf einer Parkbank. Im Arztzimmer. Bei einem guten Gespräch. Auf der neuen Stelle. Beim Umzug in die neue Wohnung. In einem ermutigenden Gottesdienst. Oder … . Wir werden es dann schon merken.

Und die Weite Gottes, die alle Zeit umfängt, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pfarrer Thomas Volk: 

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich habe vor allem die Menschen vor Augen, die nach „zwei Wochen Weihnachtspause“ bald wieder in ihren Alltag hinaus müssen. Ich habe die Predigt für alle geschrieben, die merken, dass manches Belastende vom alten Jahr von Tag zu Tag wieder näher kommt und alle Zuversicht - auch die, die man von Weihnachten geschöpft hat - wieder abgräbt.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Mich hat beflügelt und inspiriert, dass es im Leben doch nicht darum gehen kann, dass wir immer dann, wenn Unangenehmes auf uns zukommt oder manches Belastende auftaucht, wir in einen „Verzagtheits-Modus“ umschalten. Der christliche Glaube ist doch kein „Schönwetter-Glaube“ oder der „Zuckerguss“ über unserem ohnehin abgesicherten Leben. Unser Glaube macht doch Mut, schenkt Zuversicht und lässt sich nicht von schlechten Aussichten blenden.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die Übersetzung der Basis Bibel aus Johannes 1,15, dass Christus uns „immer schon voraus“ ist (Johannes 1,15). Eine geniale Umschreibung. Das nehme ich mit ins neue Jahr. Christus ist mir voraus. Er erwartet mich an bestimmten Wegmarkierungen. Und ich höre ihn schon sagen: „Junge, stress dich bloß nicht. Wir kriegen das schon hin!“

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Das Coaching war richtig gut. Ich hatte in meinem ersten Entwurf die Tendenz, dass ich die drohenden Schatten doch zu sehr ausmale. Meine Absicht, das neue Jahr trotzig-mutig anzugehen, wäre dabei vielleicht untergegangen. Und es lohnt sich bei einem Thema zu bleiben. Ich habe versucht, bei diesem „Voraussein“ zu bleiben und nicht auf andere Themen wie „Licht“ oder „Stern“ abzuschweifen.

Perikope
Datum 06.01.2022
Bibelbuch: Johannes
Kapitel / Verse: 1,15-18