"Ein frohes Neues"" Predigt über Johannes 1, 29-34 von Katharina Wiefel-Jenner
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"Ein frohes Neues"" Predigt über Johannes 1, 29-34 von Katharina Wiefel-Jenner

Ein frohes Neues!
  
  Johannes 1, 29-34
  Am nächsten Tag sieht Johannes, dass Jesus zu ihm kommt, und spricht: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt! Dieser ist's, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der vor mir gewesen ist, denn er war eher als ich. Und ich kannte ihn nicht. Aber damit er Israel offenbart werde, darum bin ich gekommen zu taufen mit Wasser. Und Johannes bezeugte und sprach: Ich sah, dass der Geist herabfuhr wie eine Taube vom Himmel und blieb auf ihm. Und ich kannte ihn nicht. Aber der mich sandte zu taufen mit Wasser, der sprach zu mir: Auf wen du siehst den Geist herabfahren und auf ihm bleiben, der ist's, der mit dem Heiligen Geist tauft. Und ich habe es gesehen und bezeugt: Dieser ist Gottes Sohn.
  
  
  Ihr Lieben,
  
  fast stehen wir noch mit einem Bein im alten Jahr. Mit seinen zwei Wochen ist das neue Jahr so frisch, dass man noch täglich hört: "Ein frohes Neues".
  
  Wie das „gute Neue“ wohl in den kommenden 50 Wochen aussehen mag? Am Ende des vergangenen Jahres wagten die Mutigen zwar schon einen Blick auf das Kommende - doch ohne große Euphorie. Wer sich äußerte, war verhalten, skeptisch, sorgenvoll. Kaum einer erwartete eine frohe Kunde. Zu groß ist die Müdigkeit, zu heftig waren die Krisen der letzten Zeit, zu inkompetent sind die Krisenmanager. Nur unverbesserliche Optimisten erwarten Aufbruch und sehen neue Ufer. Es gibt nur wenig Hoffnung, aber überreichliche Mengen an Pflichten und jede Menge Lasten. Lasten, die diese Generation schultern soll und unsere Kinder und Kindeskinder. Könnte man das nur abschütteln! Seit Jahren ziehen wir diese Lasten hinter uns her. In jedem Jahr kommt ein bisschen dazu. Mit jeder Krise wird offenbar, dass wir nicht den Hauch einer Chance haben.
  
  Ein frohes Neues – aber das Alte ist nicht vergangen, denn wir stehen noch immer mit einem Bein im Alten.
  Und was wäre, wenn da jemand käme und sagte: „Da, seht hin! Da ist jemand, der wird all die Lasten übernehmen!“? Was wäre, wenn da jemand stünde und sagte: „Schaut, hier kommt er. Der da kommt, übernimmt alle Schulden. Er macht den einzig richtigen Schuldenschnitt und wir hätten alle gewonnen!“? Was wäre, wenn jemand aufstünde und sagt: „Schaut, das ist er, der alles auf sich nimmt und dann wird endlich Friede herrschen, dann wird das Leben endlich leicht!“?
  Was wäre, wenn? Würden wir überhaupt zuhören? Nähmen wir das überhaupt ernst? Vielleicht gäbe es eine Meldung in den Medien, nicht auszuschließen, dass sich Diskussionsforen im Internet darüber austauschten oder ein Wikipedia-Artikel geschrieben würde. Nach zwei Tagen ginge es wie gehabt weiter, oder auch schon früher. Es könnte ja sein, dass sich schnell eine andere Krise oder Sensationsmeldung in den Vordergrund schiebt.
  
  Das Alte ist noch nicht vergangen, denn wir stehen noch immer mit einem Bein im Alten. Doch wo haben wir denn unsere Ohren, worauf richten sich denn unsere Blicke? Da ist tatsächlich jemand, der uns genau das zuruft. „Seht, hört!“, so ruft er, „da ist der, der alle Lasten auf sich nimmt!“  Der so ruft, heißt Johannes. Auch er steht noch mit einem Bein im Alten. Er bleibt auf der Schwelle stehen. Er ist der Letzte, der vom Kommenden schon eine Ahnung hat, obwohl er noch nichts wissen konnte. Er ist der letzte wirkliche Prophet. Johannes hörte und sah und wusste, was Gott damit meint. Er öffnet die Tür vom Alten Testament und schaut mit uns mitten hinein in das Evangelium von Jesus Christus. Johannes der Täufer, von Gott auf die Schwelle gestellt, damit die, die hören können, aufwachen. Damit sie ihre Augen öffnen und nicht den rechten Moment verpassen, um aufzubrechen.
  Damals, als Jesus anfing, hat Johannes begonnen uns das zuzurufen: Seht, da ist er, der alle Lasten auf sich nimmt. „Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!“  Die, die ihn damals hörten, werden ihn kaum verstanden haben. Nicht nur, weil sie noch ganz im Alten steckten – mit beiden Beinen und auch mit Kopf und Herz. Wie sollten sie es auch verstehen, wenn Johannes vom Lamm Gottes spricht und mit seinem Finger auf den Mann Jesus zeigt? Verstehen dürfen erst wir es, denn wir stehen nur noch mit einem Bein im Alten. Für uns sagt es Johannes: „Da ist er – das ist das Lamm, das die Sünde der Welt trägt“. Das Lamm, zart, zerbrechlich, schutzbedürftig, rein. Die Alten damals hätten das mit dem Lamm vielleicht besser als wir verstehen können. Die kannten noch den Betrieb im Tempel von Jerusalem und wussten, wozu die Lämmer gebraucht wurden. Sie kannten die Lämmer als Opfertiere, deren Tod den Dreck bereinigte, der die Gläubigen von dem abhält, so zu sein, wie Gott sie gemeint hat. Die Lämmer sind Opfertiere, das heißt sie werden sterben, damit die leben können, für die sie geopfert werden. Dieser Jesus ist so zart, so zerbrechlich, so rein wie ein Lamm. Das war wahrscheinlich dann aber zu viel für die damals. Sie kannten Opferlämmer, aber wie sollten sie das verstehen? Und wie sollten sie begreifen, dass dieser Jesus die Sünde der Welt trägt? All die Lasten, all die Krisen, all das Elend, das von Generation zu Generation immer neue Mühen fordert und einfach nicht aufhört – das nimmt Jesus im Auftrag Gottes auf sich – konnten sie das verstehen? Wie sollten sie begreifen, dass auf Jesu Schulter all das abgeladen werden wird. Nein, die damals konnten es nicht verstehen, was Johannes da ruft.
  Es ist ja auch vor allem für uns gesagt, für uns, die wir nur noch mit einem Bein im Alten stehen und mit Kopf und Herz schon der ersehnten Zukunft entgegen gehen. Zu uns spricht er, weil wir vielleicht endlich diejenigen sind, die begreifen, dass das ganze Elend nicht nur unser Elend ist. Die vielleicht endlich sehen, dass die Gewalt, mit der Menschen aufeinander losgehen, auch Gott trifft. Die vergewaltigten Frauen in Indien, die verschleppten Kinder in China, die Kriegsopfer in Syrien schmerzen Gott. Wir kennen zwar keine Opferlämmer mehr, aber umso mehr Gewaltopfer und jede Menge Schulden. Auf der Schwelle vom Alten zum Neuen spricht Johannes zu uns, denn als Prophet kennt er das ganze Elend, die täglichen Gewaltopfer, die nicht enden wollende Verschuldung, diesen ganzen Dreck aus Lügen und Betrug. Auf der Schwelle sieht er, dass wir es erfassen können, dass Gott ein Ende damit machen will, ein endgültiges Ende. Ein Ende, das mit Jesus beginnt und so wunderbar sein wird, wie ein weißes, zartes, reines Lamm.
  
  Können wir Johannes verstehen? Eigentlich sagt er auch das, was wir in diesen Tagen sonst hören: „Ein frohes Neues“. Allerdings meint Johannes nicht nur dieses Jahr oder die nächsten 50 Wochen. Er meint unser Leben. Seht, ein frohes Neues wird kommen, ein frohes neues Leben. All die Sehnsucht, dass die Gewalt aufhört, Kinder unbeschadet neben Löwen und Landminen spielen, keine Frau mehr vergewaltigt wird, jedes Unrecht unmöglich ist – das wird kommen. Das Lamm hat die Last übernommen und trägt dieses ganze Elend von Schuld, Gewalt und Schulden weg. Das Lamm, Gott selbst, macht es und am Ende ist alles gut.
  Johannes steht auf der Schwelle zum Neuen, wir haben die Schwelle schon überschritten. Johannes sagt zu uns: „Seht dort! Mit ihm wird alles neu!“
  Wir haben doch den Hauch einer Chance. Mehr als das - ein frohes Neues!
  Amen.