Ein Generationenvertrag mit fünf Fragen an die Eltern - Predigt zu Lukas 2, 41-52 von Heinz Behrends
2, 41-52

Lernen durch Wiederholen

Jedes Jahr gehen Maria und Josef mit ihrem Sohn auf dem Pilgerweg nach Jerusalem.

Gut, wenn Du als Kind mit Traditionen, mit Wiederholungen groß wirst. Religion einüben durch Wiederholung. 7 Tage nach der Geburt ist das Kind bei den Eltern, so lange wie Gott gebraucht hat, die Welt zu erschaffen. Am 8. Tag gehen die Eltern nach Jerusalem in den Tempel. Geben das Kind symbolisch Gott zurück, Vater und Mutter empfangen es ein zweites Mal aus Gottes Hand. „Das ist mein Kind. Sorgt für ihn.“ Ein Junge wird dazu noch am 8. Tag beschnitten. Nun gehörst du sichtbar zum Volk Gottes. „Und seine Eltern gingen alle Jahre nach Jerusalem zum Passahfest.“ Auch als Jesus 12 ist, gehen sie.

Mit 12 wird ein Junge erwachsen. Der religiöse Brauch ist überliefert seit Moses Zeiten, er nimmt ihn aus der engen Welt Nazareths, aus der Lehmhütte mit Dachterrasse, aus der Werkstatt des Zimmermanns heraus. Bewegen, um sich die andere Welt zu erschließen. Jedes Jahr hört und sieht er die zentralen Geschichten des Glaubens.

„Ihr Enkelkind ist aber interessiert“, sagt die Küsterin, „die war ja so aufmerksam im Gottesdienst. Wie alt ist sie?“ – „Sie ist 4. Wanda geht sehr gerne in den Gottesdienst“, sagt die Großmutter. „Sonntägliches Training sozusagen“, schmunzelt die Küsterin. „Wenn sie uns besucht, will sie immer mit. Die vielen Statuen der Maria und das Altarbild. Es gibt hier so viel zu sehen“.

Ja heute, da hat sie in der erste Reihe gesessen und während der Predigt geflüstert: „Wer ist das, die da unten am Kreuz kniet, Großmama“? „Das ist Maria Magdalena, die hat Jesus besonders lieb“. Warum hat sie ihn so lieb? – „Viele Leute haben schlecht über sie geredet, sie hatte keinen Mann und keine Kinder, aber Jesus hat sie lieb.“ –„Und deshalb hatte sie Jesus besonders lieb“, antwortet erleichtert Wanda. „Genau“.  Und Wanda buckt sich wieder an.

 

Eigene Wege entdecken und fragen

Jesus buckt sich nicht an seine Mutter, als sie den Heimweg nach dem Fest antreten. Er bleibt allein in Jerusalem zurück. Sie merken es erst am Abend, als sie die Zelte zur Rast aufschlagen. Sie wähnen ihn bei den Verwandten. Die Gemeinschaft der Verwandten und Bekannten ist so groß, dass man sein Kind den ganzen Tag unterwegs aus den Augen lassen kann, ohne sich zu sorgen. Großfamilie entlastet. Ein ganzes Dorf erzieht ein Kind, heißt es in afrikanischer Tradition. Zurück in Jerusalem suchen sie ihn drei Tage. Im Tempel haben sie ihn nicht vermutet. Er ist ja noch ein Kind. Denkste. Er erklärt, warum er im Tempel geblieben ist, aber seine Eltern verstehen das nicht. „Ich muss sein in dem, was meines Vaters ist“, sagt er. Klingt rätselhaft für sie. Jesus löst sich ab. Und sie können ihn auch nicht verstehen. Sie sind noch zu sehr beschäftigt mit dem Schmerz, dass er nun ohne sie auskommt. „Mein Sohn, warum hast du uns das  angetan?“ Die Mutter ist noch ganz bei sich.  Sie finden ihn mitten unter den Lehrern wie er zuhört und fragt.

Zuhören und fragen. So wird ein Kind groß. Aus dem Zuhören kommen die Fragen. Aus dem Sehen, dem Beobachten. Warum steigen die Blasen im Wasser hoch? Kommt der tote Vogel im Garten in den Himmel? Im Tempel waren offensichtlich kluge Lehrer.  „Papa, wo ist Gott“, fragt Wanda. „Gott, der ist überall“. „Wenn ich jetzt in die Hände klatsche, tue ich dann Gott weh?“ – „Nein, Gott ist nicht in der Luft, er ist bei dir, in deinem Herzen, in deinem Kopf“.- „Wie kann denn Gott in meinen Kopf kommen?“ – „Wenn ich dir Geschichten von ihm erzähle, dann kommt er in deinen Kopf und in dein Herz“.

Wir wundern uns über die Fragen unserer Kinder. Klug, überraschend. Noch viel mehr wunderten sich die Schriftgelehrten über Jesus, über sein Wissen, über die Fragen und Einsichten. Offensichtlich argumentiert er schon. Sie wundern sich über seinen Verstand. Lehrer hören dem Kind zu. Den Eltern wird er immer fremder. „Sie verstanden die Worte nicht, die er sagte“, heißt es erneut.  Eltern allein reichen nicht, du brauchst Lehrer, die dir zeigen, was sie lieben. Zuhören, fragen und selber gehört werden.  Emil kann Gedichte aufsagen, das glaubt man gar nicht. „Woher kannst du so viele Gedichte“? fragt ihn sein Patenonkel. „Die habe ich von meinem Lehrer gelernt. In jeder Deutschstunde muss einer von uns ein Gedicht aufsagen oder vorlesen. „Dann sag doch mal eins“. Und schon antwortet er. „Feuer“ von James Krüss „Hörst du, wie die Flammen flüstern, knicken, knacken, krachen, knistern“, er kann alle Verse aufsagen. Sein Vater hat es mit ihm vor dem Kaminfeuer geübt. „Boah, Klasse“.

Aufwachsen in einem Zuhause

Ja, und dann ist die Pilgerreise der Familie nach Jerusalem vorüber. Sie gehen heim nach Nazareth, zurück in den Alltag, in die Werkstatt.

Und Jesus hört auf seine Eltern. Er respektiert sie, der Heranwachsende. Und seine Eltern sind klug. Das Kind einen eigenen Weg gehen lassen, aber sich Respekt verschaffen. Wachsam sein. „Und seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen.“ Noch einmal geschieht, was nach dem Wunder der Geburt geschah. Die Mutter bewahrt, was geschehen ist und bewegt es in ihrem Herzen. Die Kindheitsgeschichte schließt mit „Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.“ Ein Wachsen ist das. Lukas erzählt die Geschichte, wie es nach der Geburt weitergeht. Gott ist Mensch geboren. Er liefert sich dem menschlichen Leben aus. Er ist Kind wie du. Er ist Jugendlicher wie du es warst. Seine Eltern haben ihn gut erzogen. Sie haben ihm die Weisungen Gottes bei gebracht und viel erzählt: Die Geschichten von Abraham und Jakob, von Mose und David. Er hat die Psalmen gelernt.

Und sie haben ihm einen festen Rahmen gegeben, ihm gezeigt, dass man an den Grenzen groß wird. Er musste, bis er 20 war, um 10 Uhr abends zu Hause. Weil seine Mutter morgens um ½ 5 zur Arbeit aufstand und nicht nachts auf ihren Sohn warten konnte. Heilende Grenzen setzen. Die Auseinandersetzung gerade mit dem Pubertierenden nicht scheuen. Das kostet Kraft. Er wäre gerne länger bei Freunden geblieben, aber er liebte seine Mutter.

Maria und Josef  haben ihren Sohn in die Welt der Religion eingeführt und ihm Bildung ermöglicht. Bildung braucht Religion. Lernen durch zuhören und fragen. Leben in Verbundenheit. So wird der Glaube weitergegeben über Generationen.

Brückenbauer sein

Über die Brücke der Alten schreitet der Blick für die Endlichkeit des Lebens, dass wir nicht für einen Nutzen leben, dass ein Mensch abdanken kann. Über die Brücke der Eltern, derer die väterlich oder mütterlich leben: Dass wir einander nicht besitzen, die inneren Erfahrungen ernst nehmen, bleiben, wenn jemand scheitert. Das geben wir weiter, wenn wir erzählen und Kopf und Herzen bilden. So wird ein Mensch groß. Lukas ist der einzige, der uns diese kostbare Geschichte vom 12jährigen Jesus erzählt. Er erzählt die Geschichte, wie es nach der Geburt weitergeht. Gott ist Mensch geboren. Er liefert sich dem menschlichen Leben aus. Er ist Kind wie du. Er ist Jugendlicher wie du es warst. Seine Eltern haben ihn gut erzogen. Sie haben ihm Religion beigebracht.

Wir werden eine heilige Groß-Familie, heilig, weil wir zu Gott gehören, werden seine Gemeinde, die Leben lebt und weiterträgt. Gemeinsam wachsen wir an Weisheit, Alter und Gnade mit Emil und mit Wanda.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Superintendent i.R. Heinz Behrends

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich habe eine Gemeinde vor Augen, die an lebensnaher Auslegung interessiert ist. Des-halb wähle ich eine einfache Sprache. Nach 9 Monaten Erfahrungen mit der Pandemie ist die Verunsicherung nicht gewichen. Welche Zukunft haben unsere Kinder vor sich. Welche Lasten legen wir auf ihre Schultern und Herzen. Sie brauchen Räume zum Ent-wickeln und liebevolle, kritische Begleitung, um ihre Zukunft zu bewältigen.

2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Das Thema des Textes ist ein existentielles. Der Text  ist konkret, eine sehr gute Erzäh-lung mit Sache und mit Beziehungen.  Ich habe 12 Enkelkinder und bin umgeben von ihren Fragen, ihrer Neugier, ihrer Lust am Leben. Jedes Kind ist selbst bei denselben Eltern ein besonderer Charakter. Sie suchen Nähe und wollen losgelassen werden.

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Mit den Fragen der Kinder klüger und weiser zu werden.

4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?

Das Coaching war hervorragend. Alle Anregungen und Kritiken konnte ich aufnehmen, sie waren überzeugend. Die Frage, die Aktualisierung in den Erzählverlauf aufnehmen oder dem anschließen. Die Predigt als Homilie verfassen oder unterbricht das Zitieren der einzelnen Verse den Fluss der Predigt.
Die Predigt wurde von mir Anfang November eingereicht, so dass wir viel Zeit hatten zum Ge-spräch.
Als Rundfunkpfarrer weiß ich jedes Lektorat oder Coaching sehr zu schätzen.

Perikope
03.01.2021
2, 41-52