Ein Kollektiv von Begabten
Verschieden sind die Gadengaben, die Charismen, der Geist aber ist derselbe.
Verschieden sind die Dienste, aber der Herr ist derselbe.
Verschieden sind die Wirkkräfte, die Energien, aber es ist derselbe Gott, der alles in allen bewirkt.
Einem jeden wird das Aufscheinen des Geistes gegeben zum Zusammenwirken.
Dem einen ist gegeben durch den Geist das Wort der Weisheit, dem Anderen das Wort der Erkenntnis gemäß demselben Geist;
einem anderen Glaube in demselben Geist; einem anderen Gnadengaben zu Heilungen in dem einen Geist;
einem anderen die Wirkkräfte, die Energien zu Krafttaten; einem anderen prophetische Rede; einem anderen die Unterscheidung der Geister; einem anderen Arten von Zungenrede; einem anderen das Dolmetschen der Zungenrede.
Alles das bewirkt der eine und derselbe Geist, der jedem das eigene zuteilt, wie er will.
Pfingsten bedeutet: jeder und jede von uns ist begabt, ist sogar hochbegabt, nämlich vom Höchsten begabt worden, mit Gaben beschenkt, ausgestattet, ausgerüstet. Paulus lobt unsere Verschiedenheit – dreimal setzt er ein mit: verschieden sind – die Charismen, die Dienste, die Energien. Dreimal aber fügt er auch hinzu, was bei all dieser Verschiedenheit dasselbe, derselbe ist: derselbe Geist, derselbe Herr, derselbe Gott. Ihm geht es um das Gemeinsame in all unseren Verschiedenheiten, um das Gemeinsame aber gerade in unseren Verschiedenheiten. Selbstverständlich hält Paulus nichts von der faschistischen Parole: Du bist nichts, dein Volk oder in unserem Fall: deine Gemeinde, ist alles – denn was wäre schon zu erwarten, zu erhoffen von einem Volk, das aus lauter Nichtsen besteht? Er hält aber auch nichts vom bürgerlichen Kult der ganz einzigartigen Persönlichkeit, des an seiner eigenen Vervollkommnung ständig feilenden und modellierenden Individuums, des schöpferischen, also kreativen Genies, des in einem fort originellen Originals – denn was wäre das für eine Gemeinde, die aus lauter hervorragenden, aus allem und allen hervor ragenden Einzelnen besteht, die dermaßen von ihrer eigenen Einmaligkeit überzeugt und begeistert sind, dass sie schlechterdings nichts mit anderen zusammen, gemeinsam sein und machen können? Paulus will uns nicht gleichmachen, schon gar nicht gleichschalten, aber uns kollektivieren, sozialisieren, also bündnis- und gemeinschaftsfähig machen, das will er schon. Christentum ohne Gemeinschaft, ohne Gemeinde, nur im Inneren, im Herzen, in der Seele, das kann er sich nicht denken, denn Christsein, das bedeutet für ihn: ein Glied zu sein am Leib Christi, also Teil eines lebendigen Organismus, eines Kollektivs.
Es trifft sich, dass Paulus eine solche Gemeinschaft von Verschiedenen auch in Gott selbst erkennt, denn in seinem Dreiklang vom selben Geist, selben Herrn, selben Gott klingt schon die spätere Trinitätslehre von der Gemeinschaft aus Geist, Sohn und Vater an, um die es nächsten Sonntag gehen wird. Die Lehre von der Dreifaltigkeit Gottes soll uns daran hindern, einfältig von Gott zu reden und zu denken, simpel, eindimensional, fundamentalistisch. Dieser Gott ist nicht erst in der Gemeinschaft und Bundesgenossenschaft mit uns, sondern schon in sich selbst ein soziales Wesen. Paulus zeigt diese Gemeinschaft von Verschiedenen in Gott selbst an den verschiedenen Wirkungen Gottes. Zwar lässt sich von diesem Gott insgesamt sagen, dass er barmherzig und gnädig, geduldig und von großer Güte und Treue ist, aber die Auswirkung dieser Gnade, die Gnadengaben, Charismen sind Geistesgaben: verschiedene Charismen, aber derselbe Geist; der Sohn ist zugleich der Herr der Kirche, der Gemeinde, nämlich Dienstherr, der uns Dienstaufträge erteilt: verschiedene Dienste, aber derselbe Herr; doch die Charismen blieben womöglich ungenützt, die verschiedenen Dienste ungetan, wenn nicht Gott, der Vater mit seiner Energie auch uns energisch und kräftig, der Schöpfer auch die Geschöpfe schöpferisch, kreativ macht: verschiedene Wirkkräfte, aber derselbe Gott, der alles in allen bewirkt. Die Gemeinschaft der Verschiedenen macht die Gemeinde zum Ebenbild Gottes – schon im ersten Buch, im ersten Kapitel der Bibel wird deutlich, dass Einzelmenschen nicht Ebenbild Gottes sein können, sondern erst die Gemeinschaft von Mann und Frau, also von Verschiedenen, und damit überhaupt die Gemeinschaft von Mensch und Mitmensch: Gott schuf den Menschen zu seinem Bild, zum Bilde Gottes schuf er ihn und schuf sie als Mann und Frau.
Jeder und jede ist begabt, vom Geist Gottes mit Gaben bedacht – und merkt das auch, behauptet Paulus, denn das leuchtet ihm oder ihr einfach auf und ein, wenn wir es nicht in falscher Bescheidenheit – und in diesem Zusammenhang ist jede Bescheidenheit falsch, weil sie Gottes Gnade boykottiert – verdrängen oder verleugnen: Einem jeden, einer jeden wird das Aufscheinen des Geistes gegeben, sagt Paulus, aber nicht, damit wir uns privat an diesem Glanz ergötzen, diese Geistesgabe gar vergötzen, sondern: zum Zusammenwirken mit anderen, zum Kollektivieren, Sozialisieren dieser Gabe.
Es ist ganz gut, uns das gesagt sein zu lassen, denn das Pfingstfest ist nicht dazu da, dass wir alle Jahre wieder neidisch werden auf die Fülle des Geistes und der Kraft in der Urgemeinde – sei es die in Jerusalem mit ihren begeisterten Feuerköpfen, von denen wir gestern hörten, sei es heute die in Korinth. Die scheint in der Tat äußerst geistreich gewesen zu sein – im Guten wie im Fragwürdigen, Problematischen. Es ist nicht ganz deutlich, jedenfalls mir nicht, ob Paulus hier das aufzählt, was ihm an Geistes- und Gnadengaben aus der Gemeinde in Korinth bekannt ist, oder ob er programmatisch zusammenstellt, was zum Zusammenwirken einer jeden Gemeinde, also auch unserer, gehört. Deutlich aber ist, wie genau er differenziert, mit wie viel einzelnen Beiträgern zum Gesamt der Gemeinde er rechnet. Ganz offensichtlich hat er nicht eine Gemeinde vor Augen, in der die Pfarrer alles in allem können und tun: Worte der Weisheit reden, aber auch und davon unterschieden Worte der Erkenntnis; die festen Glauben haben, aber auch die Fähigkeit, Menschen zu heilen; die überhaupt gewaltige Krafttaten tun, womöglich Wunder wirken; die nicht nur die Schrift auslegen, sondern selbst prophetisch reden, Gottes Wort also aufdeckend kritisch und verheißungsvoll ermutigend zuspitzen können auf die Situation; die überdies auch dazu fähig sind, im Stimmengewirr unserer Tage Gottes Geist von ganz anderen Geistern zu unterscheiden; dass Pfarrer sich gelegentlich in seltsamen Sprachen und Zungen ausdrücken, soll ja vorkommen, und so wäre es sicher wünschenswert, wenn sie auch die Gabe hätten, dieses Zungenreden zu dolmetschen.
Paulus rechnet nicht mit einem solchen Monopol, sondern mit einem Kollektiv. Menschen, die nicht nur durch ihre Lebenserfahrung, sondern auch durch göttliche Inspiration befähigt sind, Worte der Weisheit zu sagen, also Worte, die uns anderen zum guten und gelingenden Leben verhelfen, müssen nicht dieselben sein, die Worte der Erkenntnis beisteuern, uns in biblischen und politischen Zusammenhängen Einblicke und Durchblicke ermöglichen. Selbst der Glaube, den wir irgendwie bei allen Gemeindemitgliedern als gegeben voraussetzen, ist für Paulus eine besondere Geistesgabe einiger, die allen zugutekommen soll. Wer also fähig ist, Gott und Jesus mit ganzem Herzen, ohne Zwiespalt und Zweifel zu vertrauen, soll sich nicht erheben und entrüsten über den Unglauben oder Kleinglauben anderer, sondern für sie mitglauben, sie im Glauben mittragen. Wieder andere haben die Fähigkeit, Menschen zu heilen, die an Leib und Seele krank sind, haben diese Begabung vielleicht zu ihrem Beruf gemacht oder sind einfach so, durch ihre Art, heilsam für Leidende, aufrichtend für Gekrümmte. Und dann gibt es auch noch welche, die so energisch, so energiegeladen sind, dass sie vielleicht nicht immerzu Wunder wirken, obwohl das wünschenswert wäre, die aber doch Dynamik bewirken in allzu statischen, in stockenden Verhältnissen. Das können, müssen aber nicht dieselben sein, die prophetisch reden, in verschiedenen Situationen erkennen und ausdrücken können, was nach Gottes Willen jetzt dran ist. Auch die müssen nicht außerdem noch diejenigen sein, die fähig sind, die Geister zu unterscheiden, in dem Vielerlei geistiger Strömungen, die uns beeinflussen, hin- und hertreiben, Orientierung zu gewinnen und zu geben. Ob es nun geradezu in jeder Gemeinde auch diejenigen geben muss und soll, die voller Begeisterung, aber für andere unverständlich reden und agieren, davon scheint auch Paulus, wenn man den ganzen Brief liest, nicht so ganz überzeugt zu sein. Hier aber sieht er auch in diesem Zungenreden eine gute Gabe Gottes, und es kann ja in der Tat sein, dass allzu grauen, braven, sterilen, müden und langweiligen Gemeinden durch Verrückt- und Verwegenheiten aufgeholfen wird, jedenfalls dann, wenn es wiederum andere gibt, und darauf legt Paulus immer wieder Wert, die der Geist dazu befähigt, solche vielleicht etwas expressionistische, vielleicht dadaistische Äußerungen für uns andere verständlich zu machen, zu dolmetschen. Alles das, diese ganze Vielfalt, sagt Paulus, bewirkt der eine und derselbe Geist, der jedem, jeder das – ihm oder ihr – eigene zuteilt, wie er will. Es kann also durchaus eine Gabe des Geistes sein, wenn es allerlei Eigenartige, allerlei Eigenartiges gibt in der Gemeinde, der Gemeinschaft der Verschiedenen. Aber Pfingsten bedeutet nicht nur, dass jeder und jede begabt ist. Sondern dass all diese Begabten zusammenkommen, zusammenwirken, die Einzelnen sich nicht isolieren und abgrenzen, sondern gerade aus und von ihrer Vereinzelung befreit werden. Mit Worten des Dichters Peter Rühmkorf:
Vom Einzelnen ins Tausendste,
von was nur dir die Seele anrührt
und die Zunge bewegt bis, absolutja,
wenn´s das öfter gäb, wär schon gut:
jeder und jede eine halbe Schraubenwindung weiter,
kleine paar Meter mehr,
Leerzeilen weniger,
Lux drauf,
Atü dazu,
also ein fortwährend weiterwirkendes und am Ende schon gar
keinen kompositionstechnisch regelrechten Schluss mehr ab-
sehen lassendes ununterbrochenes Anschieben und Fürsprechen und
Zulegen und Forttreiben und Beistehen und Eingreifen und
Ausschreiten
bis – nein, nicht wie Ihr denkt jetzt –
aber bis vielleicht nach zwanzig fünfundzwanzig Jahren
wieder mal ein paar völlig aus der Form geratene
Einzelhandelsspezialisten vor euch hintreten
und euch fragen: Herr Sowieso, Frau Sowieso,
wir sind ja nur so wenige, was können wir bloß tun?
Ihr aber sagt
– Na, was sagt Ihr? –
Mehr werden![1]
Amen.
Vorschläge zum Gottesdienst:
Begrüßung mit Sacharja 4,6
1. Lied: 14,2-5
Psalm 118,24-29
Gebet
1. Lesung: Num 11,11-12.14-17.24-30
Da die Epistel Predigttext ist, ist hier Platz für die AT-Lesung; nach dem Vorschlag des Perikopenrevisionsentwurfs der EKD ist die Num 11; die kollektive Geistbegabung – einschließlich des Segenswunsches in v29 – passt besser zum Predigttext als Gen 11
2. Lied: 135,1.4.5 oder 293
2. Lesung: Johannes 20,19-23
Auch das ein Vorschlag aus dem Revisionsentwurf: das Schlüsselamt, in Mt 16 Petrus gegeben, wird kollektiviert, was gut zum Predigttext passt
3. Lied: 241,1.5.7.8 oder 133,1-4
Predigt
4. Lied: 328,2-5 oder 133,5-7
Abkündigungen
5. Lied: 268
Gebet, Vaterunser
6. Lied: 14,6
Segen
[1] Peter Rühmkorf, Vom Einzelnen ins Tausendste, in: ders., Einmalig wie wir alle, Reinbek 1989, S.68f.