Ein Leben lang lernen - Predigt zum 1.Thessalonicherbrief 4,1-8 von Karl Friedrich Ulrichs
4,1-8

Unser neunjähriger Johann lernt seit drei Jahren Trompete. Ich wünsche mir das, denn ich brauche einen musikalischen Partner zu Hause. Trompete lernen ist eine schwierige Sache. Ich selbst weiß das noch allzu gut.
Da muss zunächst überhaupt ein Ton von den Lippen und aus dem Blech kommen. Das kann der Lehrer vormachen, Johann und alle anderen Trompetenschüler versuchen es selbst, bis aus dem Geräusch ein Ton wird. Und klingen soll der Ton. Dann sollen es verschiedene Töne sein, verschieden hoch, verschieden lang. Da gibt es viele Regeln. Und nicht zu laut soll es sein, sondern kultiviert. Dann kommen die Melodien, Lieder oder andere Werke, die nicht alle in gleicher Manier gespielt werden können. Auch dafür gibt es Vorschriften.
Gut lernt man das alles, wenn man Freude daran hat – schon am ersten vollkommenen Ton, der einen schönen Anfang hat und hinten nicht abgebissen wird.
Freude schon an der ersten kleinen Melodie, perfekt in ihrer Weise.
Freude am ersten Duett. Freude daran, im Ensemble die eigene Stimme alleine richtig gespielt zu haben.
Trompete lernen ist eine schwierige Sache und doch ein Weg von einer Perfektion zur anderen. Am Klang arbeiten wir, bis er genau so ist, wie wir ihn uns vorstellen – dann ist es perfekt.
Am kleinen Stückchen arbeiten wir, bis wir unfallfrei durchkommen – dann ist es perfekt. Oft erleben wir: Wir haben unser Stück schon einmal geschafft und dann geht es beim nächsten Mal doch wieder schief.

Trompete lernen ist eine schwierige Sache und du brauchst dazu jemanden, der dir sagt, wie es klingt. Und der dir zeigt, wie es klingen kann.
Trompete lernen ist eine schwierige Sache und du schaffst es, wenn du dir etwas sagen und zeigen lässt. Bedenke: Der, der dir das sagt und zeigt, sagt und zeigt viel von sich. Die Regeln, die er dir sagt, sind durch ihn hindurchgegangen als seine Weise, mit denen er musizieren kann, mit denen er seinen Klang und seine Melodie vervollkommnet hat und weiter vervollkommnet.

Weiter, liebe Brüder, bitten und ermahnen wir euch in dem Herrn Jesus - da ihr von uns empfangen habt, wie ihr leben sollt, um Gott zu gefallen, was ihr ja auch tut -, dass ihr darin immer vollkommener werdet. (1.Thess 4,1)

So leben, dass wir Gott gefallen, ist eine schwierige Sache. Paulus schreibt dazu einen Brief an seine „lieben Brüder“ in Thessaloniki. Er schreibt so, dass ich denke: Der wäre auch ein guter Trompetenlehrer: freundlich mit den Thessalonichern. Er motiviert sie.
So leben, dass wir Gott gefallen, ist eine schwierige Sache – und ihr schafft das. Ja, schaut auf das, was euch da gelingt! Gott sieht es gerne, dass du nicht stiehlst. Und du hast bei der letzten Steuererklärung nach kurzem Zögern dann doch alle Honorare angegeben und versteuert. Das ist doch schon etwas!
In den turbulenten Fragen der Liebe doch daran denken, möglichst wenig Menschen möglichst wenig zu verletzen, das ist auch schon etwas. Bei Paulus klingt das so:

Denn ihr wisst, welche Gebote wir euch gegeben haben durch den Herrn Jesus. Denn das ist der Wille Gottes, eure Heiligung, dass ihr meidet die Unzucht  und ein jeder von euch seine eigene Frau zu gewinnen suche in Heiligkeit und Ehrerbietung, nicht in gieriger Lust wie die Heiden, die von Gott nichts wissen.

Niemand gehe zu weit und übervorteile seinen Bruder im Handel; denn der Herr ist ein Richter über das alles, wie wir euch schon früher gesagt und bezeugt haben. (1.Thess 4,2-6)

Gott will, dass wir bei ihm bleiben in allem, was wir tun. Sogar in den beiden besonders intimen Angelegenheiten: Geld und Liebe. Gerade da also, wo die Gefahr der Scham und der Beschämung besonders hoch ist. Wir Menschen sollen Gott ohne Scham gegenübertreten, auch wenn sich Adam vor Scham seinerzeit einen Lendenschurz umtat. Und weil wir bei Geld und Liebe einander so oft und so sehr verletzen, müssen diese Verletzungen geklärt werden. Dazu gibt Gott den Richter.
Ein Richter ist, bei Lichte betrachtet, eine erfreuliche Erscheinung. Der Richter steht für die Gerechtigkeit. Und manchmal ist es eben so, dass ich mir mit Recht etwas anhören muss, was nicht recht, nicht rechtens war. In der Gestalt des Richters ist Gott mir nahe, wenn ich mich mit meinen Gedanken und Taten von ihm entfernt habe.

Vor einigen Tagen sprachen wir im Kreis einiger Vikare und Vikarinnen im Predigerseminar über einen biblischen Text, der auch einen Anspruch Gottes auf unser Leben erhob. Die Vikarinnen und Vikare wiesen das für sich zurück. Hier werde ja so getan, als könnte man sich mit guten Werken die Nähe Gottes, das Heil erwerben. Das müsse man mit Luther und seiner Bestreitung von „Werkgerechtigkeit“ doch ablehnen. Denken Sie das auch gerade zu unseren Zeilen von Paulus? So sollen wir leben, dass wir „Gott gefallen“. Ich muss aber nicht Gott gefallen – ich möchte Gott gefallen. So, wie ich meiner Frau gefallen möchte. Und deshalb möchte ich sie (und ihn) nicht enttäuschen oder ärgern oder ignorieren oder hintergehen – möglichst. Sie ist nicht meine Frau geworden, weil ich sie nicht missachte. Umgekehrt ist es: Weil sie meine Frau ist, darum achte ich sie – möglichst ausnahmslos. Weil Gott mir nahe ist wie niemand sonst, darum achte ich auf sein Wort.

Denn Gott hat uns nicht berufen zur Unreinheit, sondern zur Heiligung. Wer das nun verachtet, der verachtet nicht Menschen, sondern Gott, der seinen Heiligen Geist in euch gibt. (1.Thess 4,7f)

Gott hat uns berufen. Gott denkt sich etwas, wenn er an uns denkt. Gott denkt sich uns: Er kann sich uns vorstellen als Leute, die heilig sind bei ihm. Als Menschen, die ihm verpflichtet sind, ihm wohlgefällig.
Ach Gott, das kann ich mir nun gar nicht vorstellen: ich Gott wohlgefällig. Gott denkt mich als einen Menschen nach seinem Willen. Und dieser Gedanke Gottes ist wirklicher als meine Lebenswirklichkeit, tatsächlicher als meine ernüchternden Erfahrungen mit mir selbst. Ich bin in Wahrheit der, den sich Gott denkt: nicht unrein, sondern heilig. Ich brauche den Gottesgedanken über mich nur nachzuvollziehen und endlich sein, der ich in Gottes Gedanken bin.

Dazu investiert Gott in uns – den heiligen Geist nämlich. Der Heilige Geist sagt uns nichts Neues, sondern erinnert uns daran, was uns gesagt ist (Micha 6,8). Wir wissen, welche Gebote Paulus und die anderen biblischen Akteure uns gegeben haben. Er erinnert uns zugleich daran, was uns da schon geglückt ist und was nicht und was jetzt zu tun und zu lassen ist.

Trompete lernen ist eine schwierige Sache und bist du erst einmal angefangen, hört es nie auf. Du bist nach fünf Jahren nicht fertig damit. Es hört nicht auf, du hörst da immer wieder einen Klang, der anders ist als in deinem Herzen. Du hörst da immer wieder eine Notenreihe, mit der du so nicht zu den anderen passt, zu langsam bist, zu leise, zu sonst etwas. Du bist nach fünfzehn Jahren nicht fertig damit. Es hört nicht auf, du hörst immer wieder das, was nicht perfekt ist, weil du eine Ahnung von dem hast, was perfekt wäre. Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht „Tut Buße“ usw., hat er gewollt, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sei, hat einmal jemand aufgestellt und angeschlagen.
Glauben lernen ist eine schwierige Sache und bist du erst einmal angefangen, hört es nie auf. Es hört nicht auf, du hörst da immer wieder einen Klang, der anders ist als in deinem Herzen, einen Gedanken, eine Tat anders als in deinem Herzen, anders, als unser Herr und Meister es von uns hören und sehen möchte. Immer wieder und immer noch ist da etwas zu vervollkommnen. Das entmutigt mich nicht. Im Gegenteil: Gottes Gebot ermutigt mich. Gott traut es mir zu, dass ich so lebe, dass ich ihm gefalle. Schöneres und Gültigeres weiß ich über mein Leben nicht zu sagen: Gott zu gefallen. So zu leben, könnte mir gefallen.
Amen.

Perikope