Zornig im Wald.
Bevor der Tag richtig heiß wird, habe ich mich auf den Weg gemacht. Mein Ziel ist der kühle Wald. Noch schnell ein bisschen Sport, bevor die Hitze kommt. Vor meinem Aufbruch eine Tasse Kaffee und ein schneller Blick in die aktuelle Tageszeitung. Das Titelbild zeigt brennende Bäume. Darüber steht: Höchste Waldbrandgefahr.
Oben im Wald treffe ich dann auf zwei rauchende Frauen. Die beiden sind vertieft in ihr Gespräch und aschen automatisch die verbrannten Teile ihrer Zigaretten auf den ausgetrockneten Waldboden.
Was ist denn hier los? Hinter mir ist eine dritte Frau aufgetaucht und baut sich jetzt vor den Raucherinnen auf. Ob diese nicht wüssten, dass man im Wald nicht rauchen soll. Erwischt! Eine versucht noch, etwas zur Ehrenrettung zu stammeln. Bloß, es nützt nichts. Die unbekannte Frau ist schon wieder auf dem Rückweg, sagt laut etwas von „unverantwortlich“ und „so dumm kann kein Mensch sein“ und schüttelt dabei energisch mit dem Kopf. Als sie an mir vorbeigeht, ruft sie, ich bin eigentlich nicht so, aber ich kann auch anders.
Ich bin eigentlich nicht so.
Mit mehr Wucht hätte der Tag nicht beginnen können. Meine Sympathie gehört der zornigen Frau, die so schön geschimpft hat, morgens im Wald. Ich mag den Wald. Schon immer und die aktuelle und anhaltende Trockenheit macht mir Sorgen. Schwer nur zu ertragen die großen Schneisen, die die letzten Dürrejahre in ihn hineingefressen haben. Die Bilder von brennenden Wäldern überall auf der Welt machen es nicht besser. Es gibt eigentlich nur noch drei Jahreszeiten, schreibt einer auf Twitter: Winter, Frühling, Feuer. Das Lachen bleibt mir im Hals stecken.
Und jetzt diese Frau, im morgendlichen Wald, die das ausspricht, was ich denke. Klar hätte sie das netter sagen können, freundlichere Worte wählen können, ruhiger im Auftreten sein können. Aber wozu?
Ich bin beeindruckt: Der offen zur Schau getragenen Achtlosigkeit der Menschen kann man nicht mit Gleichmut begegnen. Und wenn die Vernunft gehört werden soll, dann wird sie laut sein müssen. Zornig werden müssen. Vielleicht sind die Vernünftigen einfach zu leise. Nicht nur in unserer Zeit.
Ich danke dir, HERR, dass du zornig gewesen bist.
Das sind Worte des Propheten Jesaja ben Amoz. Er hat in seinem Leben einige Krisen und Katastrophen erlebt. Hat sie auch alle kommentiert und immer wieder gewarnt. Mal freundlich und leise, mal zornig und laut. Aber nichts hat sich verändert. Jetzt hat er darüber sogar ein Lied geschrieben und singt eine Einladung zum Handeln: Stellt euch vor, wie es sein wird, wenn wir jetzt was ändern.
Und zum Handeln gibt es allen Grund. Die Zeiten sind schlecht: Es droht Unheil aus der Richtung des Großreichs Assyrien, die Menschen machen sich Sorgen: um Haus und Hof, um Hab und Gut, um das Leben selbst. Das Volk steckt fest im Würgegriff des Schicksals.
Aber Jesaja glaubt fest daran, dass die Geschichte trotzdem gut ausgeht. Dass sich das Blatt wendet und es doch einen Ausweg aus dem ganzen Schlamassel gibt. Genau davon handelt sein Lied.
Danken für den Zorn?
Und zu dieser Handlung gehört auch der Dank für Gottes Zorn. Wenn ich bete, danke ich Gott für alles, was er für mich und meine Lieben getan hat. Ich bitte um Schutz und Bewahrung, hoffe auf einen milden Verlauf und darauf, dass mein Tagwerk gelingen möge, bete für Frieden und selbstverständlich habe ich Gott auch schon gedankt, aber noch nie für seinen Zorn. Jesaja ben Amoz schon.
Es gibt eine Geschichte im Neuen Testament, die alle vier Evangelisten beschreiben: Der zornige Jesus im Tempel stößt wütend Tische um. Anfang dreißig randaliert der Gottessohn im Heiligtum, weil er es nicht erträgt, wie die Menschen mit dem Tempel, dem Wohnzimmer Gottes, umgehen. Wessen Tisch durch die Luft fliegt, darf sich getrost provoziert fühlen.
Und Jesus? Der ist verärgert, enttäuscht, wütend über die Uneinsichtigkeit. Ihn ärgert die Unbeweglichkeit, mit der Teile des Volkes auf die altbekannte Botschaft reagieren.
Nicht nach der eigenen Verantwortung und Schuld fragen?
Möglichst immer einen Schuldigen parat haben, der die Prügel kassiert?
Von Nächstenliebe faseln, aber die syrische Familie für den Bus zahlen lassen?
Vor all diesen Problemen steht Gott, zuckt die Schultern und merkt, wie der Zorn in ihm wächst. Was hat er nicht alles versucht. Am Ende hat er sogar mal einen Regenborgen in die Welt gepflanzt, als Zeichen seines guten Willens. Aber auch das geriet bald wieder in Vergessenheit. Dabei ist es nicht seine Schuld, dass Wälder oder Häuser brennen. Er ist nicht schuld an den Kriegen auf dieser Welt und er holzt auch nicht den Regenwald ab. Er ist zornig, weil die Menschen es besser wissen könnten. Verdienen Geld mit Spekulationen auf Grundnahrungsmittel und bauen lieber Sprit statt Getreide auf den Feldern an. Verplempern Trinkwasser in Gartenpools oder aschen gedankenlos auf staubtrockenen Waldboden.
Da soll man nicht zornig werden?
Für Jesaja, den singenden Propheten, ist Gottes Zorn Ausdruck seiner Liebe. Eine Art Wachrütteln, wie ein umgestoßener Tisch im Tempel oder ein lauter Anschiss morgens früh im Wald.
Jesaja ben Amoz ist Realist. Selbstverständlich singt er darüber, dass Gott zornig sein kann. Sein Lied ist keine Schnulze. Sein Lied beschreibt eine andere Seite Gottes. Sein Lied kennt einen Gott, der auch anders kann.
Und Jesaja schreibt ein Lied
Jesus wütet, Gott zürnt und Jesaja singt mit geliehener Hoffnung darüber, dass es besser werden kann.
Dass sich was ändert.
Dass die Vernunft zurückkehrt und sich durchsetzt.
Dass Menschen einsichtig sind und Fehler korrigieren wollen und bei sich selbst damit anfangen.
Und wenn Menschen im dritten Hitzesommer nacheinander achtlos in den Wald aschen, darf man trotzdem die Hoffnung nicht fahren lassen.
Dann darf man auch mal aus der Haut fahren und schimpfen.
Und dabei an Gott denken, der auch zornig werden kann.
Und der eigentlich gar nicht so ist, aber eben auch anders kann.
AMEN.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Am 14. Sonntag nach Trinitatis sind die großen Ferien vorbei und der Sommer klingt aus. Das Freibad hat noch geöffnet, ein großes Volksfest steht endlich wieder vor der Tür. Die, die an diesem Tag kommen, bilden die Kerngemeinde ab. Ein paar Tourist*innen setzen bunte Farbsprenkler in das ansonsten überwiegend beige Grundrauchen. Es wird ein typischer Sonntag sein, Mitte September.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Der Wald brennt. In Europa, Amerika und Asien. Zeitgleich laufen Menschen durch die Welt und aschen auf den staubtrockenen Boden. Ich begreife das nicht und spüre Wut, Zorn. Irgendwann muss sich doch was ändern.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Jesaja singt mit geliehener Hoffnung. Er zapft Gott an, der ist ein Hoffnungsspeicher.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Konzentration und Kürzung.