Liebe Gemeinde,
manche biblischen Geschichten sind wie ein alter Film. Man hat ihn ‚gefühlt‘ schon hundertmal gesehen, aber wenn ich mitbekomme, dass er auf irgendeinem Sender spätabends nochmal läuft dann, versuche ich, wach zu bleiben, um mich in die schöne alte Geschichte zu versenken.
Ich freue mich an den alten Erinnerungen. Da ist Philippus, ein Missionar und Diakon. Er verkündigt das Wort Gottes und setzt sich ein für die Armen in der Gemeinde. Und er muss wohl ein Sonderbeauftragter Gottes gewesen sein, denn der schickt ihn spontan in Situationen, wo seine Hilfe gebraucht wird.
Auf diese Weise kommt er an die Straße von Jerusalem nach Gaza, dort soll ein Wagen vorbeikommen, an den soll er sich halten. Mehr sagt sein Auftrag nicht aus. Da ist also Eigeninitiative gefragt. Und Philippus hatte zuvor schon Mut bewiesen. Und den braucht er auch jetzt, denn es begegnet ihm eine hochgestellte Persönlichkeit. Ein enger Mitarbeiter der Königin von Äthiopien. Er war der Herr über ihren ganzen Schatz. Diese hochgestellte Persönlichkeit kam nach Jerusalem, um Gott anzubeten. Wörtlich heißt das: „um niederzuknien“. Ein Repräsentant eines fremden Landes, will sich dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs unterordnen.
Kein Grund für Verwunderung: Zwischen Äthiopien und Israel bestanden deutliche Verbindungslinien. Stammte die Königin, der der Kämmerer diente, wirklich von König David ab, der Jerusalem gründete? Oder sind auf andere Weise Menschen nach Äthiopien gekommen, die an den Gott der zehn Gebote glaubten? Bis in die heutige Zeit finden sich Spuren des Judentums in diesem alten, stolzen afrikanischen Land. Und in mehreren Wellen hat der Staat Israel die Äthiopier, die sich als Juden empfanden mit Flugzeugen heimgeholt.
Ob Philippus von solchen alten Verbindungen eine Ahnung hatte, wissen wir nicht. Jedenfalls war Philippus mit Hilfe des Heiligen Geistes zur rechten Zeit am rechten Ort. Und er stellt dort einem richtigen Menschen die richtige Frage:1 „Verstehst Du auch, was Du da liest?“
Was versteht der Kämmerer nicht an den Worten des Propheten Jesaja? Dass ein Schaf ruhig zur Schlachtbank geht, und sich schweigend das Fell über die Ohren ziehen lässt? Oder dass am Ende doch alles gut wird, und dieses Schaf, das sein irdisches Leben verliert, mit himmlischem Leben belohnt wird?
Nein, das erscheint dem Äthiopier gar nicht so unwahrscheinlich. Er will viel lieber wissen, wem diese Prophezeiung gilt. Deshalb ist er dankbar für die Frage des Philippus. Er sieht sie nicht als Anmaßung, sondern als Angebot.
Philippus deutet den von Jesaja beschriebenen Gottesknecht als den Sohn Gottes, also auf Jesus Christus. In Jesus Christus laufen alle Linien zusammen, er hat sich selbst als Lamm Gottes gesehen, das sein Leben geben muss für andere. Und er hat sich als guter Hirte empfunden, der sein eigenes Leben riskiert, um keines dieser Schafe zu verlieren, die ihm anvertraut wurden.
Der Äthiopier saugt die Worte auf wie ein Schwamm. Er ist begeistert von der Erzählkunst des Philippus und spontan will er die Taufe empfangen, von der ihm Philippus erzählt haben muss.
Reicht die Begeisterung aus, um dieses Sakrament zu empfangen? Oder muss nach einem Glaubensbekenntnis gefragt werden? Neure Forschung ist da sehr offen und stellt den Wunsch nach Gemeinschaft mit dem Stifter des Glaubens über die Übereinstimmung mit den Inhalten der Überlieferung.
Nein, es hindert nichts an seiner Taufe, und doch bin ich überzeugt, dass dieser Kämmerer aus Äthiopien diesen einen Satz sein Leben lang im Herzen getragen hat: „Ich glaube, dass Jesus Christus Gottes Sohn ist.“
Nun versenke ich mich wieder in meinen alten Film am späten Abend und sehe förmlich vor dem inneren Auge, wie der hochgestellte Mann sich abermals erniedrigt, wie zuvor schon am Tempel in Jerusalem, nun aber an einem Tümpel auf dem Weg nach Gaza.
Er kniet nieder in der Wasserstelle, bis sich die Fluten über seinem Kopf schließen. Er wird untergetaucht, er wird getauft. Alles, was ihn belastet, wird von ihm abgewaschen. All der Schmutz, mit dem sich ein Mann in seiner Position befleckt haben wird, löst sich von seinem Körper, und damit wird auch seine Seele gereinigt. Und er kann gewiss sein: das, wovon der Kämmerer nun reingewaschen wurde, ist von Jesus Christus schon aufgenommen worden, als er sich bei seiner eigenen Taufe wieder aus den Fluten des Jordans erhob.
Und dann ging ihm wieder durch den Kopf, was er zuvor gelesen hatte, bevor Philippus in gefragt hatte. Und nun verstand er, was er da las: 4 Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. 5 Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt. 6 Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg. Aber der HERR warf unser aller Sünde auf ihn. 7 Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf. (Jes 53)
Ich bitte dich, von wem redet der Prophet das, von sich selber oder von jemand anderem? (Apg 8,34)
Die Frage des Kämmerers ist bis heute nicht geklärt. Aber wer glaubt, dass Jesus Christus sein Leben für uns gegeben hat, damit wir befreit leben können, der fühlt in seinem Herzen, dass die Vision des Jesaja durch Leben, Sterben und Auferstehung Jesu Christi Wirklichkeit geworden ist.
Der Betrachter des abendlichen Films sieht den nachdenkenden Kämmerer aus Äthiopien, mehr lässt die Szene nicht erkennen. Philippus ist nicht mehr zu sehen. Der Herr hat ihn an einen anderen Ort versetzt, dort erfüllt er nun die Aufgaben seines Herrn. Wenn so etwas in der Bibel steht, dann fragen sich alle: „Wie kann so was gehen?“ Wenn ich in einer alten Raumschiff-Enterprise-Folge sehe, wie Bord-Ingenieur Scotty den Vulkanier Mr. Spock auf einen neu entdeckten Planeten beamt, dann zweifle ich nicht, dass das bald möglich sein wird. Denn in Fragen der Kommunikation sind wir ja längs weiter als diese Raumschiff-Besatzung aus den 70er Jahren. Also wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis wir das blitzschnelle Transferieren eines Körpers beherrschen.
Aber was bringt uns das? Vielleicht hat sich Philippus einfach nur beeilt, um von der Straße nach Gaza zu seinem neuen Ziel in Aschdod zu kommen. Die 25 Kilometer Luftlinie könnte er mit seinem missionarischen Elan alsbald bewältigt haben.
Der aufmerksame Film-Betrachter erkennt nun, dass sich die Gesichtszüge des Kämmerers zusehends aufhellen. Ja, er wird fröhlich. Ganz anders als er losgefahren ist. Um das wirklich zu würdigen, reicht nicht der Blick auf den alten Film, der vor dem inneren Auge läuft, sondern es ist das Hören auf die alten Sprachen notwendig.
Der Geist spricht zu Philippus: Steh auf und geh nach Süden auf die Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt und öde ist.
Zwei Dinge fallen auf. Erstens, die Straße ist öde. Da ist nichts los. In den alten Sprachen erinnert das Wort für öde an eine Wüste. Wüst und öde, war die Welt vor der Schöpfung. Also war da überhaupt nichts. Ziemlich traurig, also.
Zweitens das Ziel der Straße: Gaza. Heute ist so eine Reise kaum noch möglich. Eine bekannte Internet-Navigation sagt zu jeglicher Reise von Jerusalem nach Gaza: „Die Route von "Jerusalem, Israel" nach "Gaza" konnte nicht berechnet werden.“2 Die Grenzen sind zu allen Seiten dicht, und die politischen Gründe dafür sind offenkundig.
Damals hatte man beim Ortsnamen Gaza sicher andere Assoziationen. Beim Dienstauftrag an Philippus werden Jerusalem und Gaza in einem Atemzug genannt. Bei der Reise des Kämmerers ebenso. Das ist aber nur in der griechischen und der lateinischen Version erkennbar.
Bei Luther steht: „ein Kämmerer und Mächtiger am Hof der Kandake, der Königin von Äthiopien, ihr Schatzmeister, war nach Jerusalem gekommen,“
Statt des Wortes Schatzmeister steht im Lateinischen: „qui erat super omnes gazas eius“, „der war über allen ihren Schätzen“. Auch im Griechischen wird man in gleicher Weise an die Stadt Gaza erinnert, wenn es um einen Schatz geht. Das wäre heute so, als führe man auf der Straße von Leipzig nach Dresden, um in der Mitte des Weges, in der Stadt Oschatz, einen Schatz zu suchen. Heute mag das dort gelingen. Aber damals wurde die Straße von Jerusalem nach Gaza als öde beschrieben. Der Kämmerer musste diese Straße zurückfahren, und über Gaza hinaus zu seinen Schätzen, die er in Äthiopien hüten musste. Sicher erschien ihm diese Aufgabe nun genauso öde, wie die Straße, die durch die Wüste Judäas führt. In der Zusammenballung dieser Worte in der Ursprache wird das ganz deutlich. Die Schätze der Königin machen den Kämmerer nicht mehr glücklich, sie sind öde für ihn. Selbst wenn für ihn etwas abfällt, das bringt ihm nichts. Das ist einfach nur Wüste, als er nach Hause aufbricht.
Als er aber im Tümpel getauft wurde, und Philippus schon längst bei anderen Aufgaben war, da wird von diesem Kämmerer gesagt: „Er zog aber seine Straße fröhlich.“ (Apg 8,39) Es war dieselbe Straße: die Straße, die öde war. Die zog er nun weiter, und er war nun dabei fröhlich.
Seine Taufe hat ihn verwandelt. Dieses Bad im Wasser des Tümpels war für ihn viel mehr als das Niederknieen am Tempel. Er war gekommen, um den Gott anzubeten, den die Vorfahren seiner Königin kennen gelernt hatten. Doch nun hat er erfahren, dass der Sohn dieses Gottes sein Leben verwandelt.
Sein vermeintlich reiches Leben, das aber doch nur öde war, wie die Reise nach Hause, das hat sich nun verändert. Er ist fröhlich geworden.
Es ist fast so, als hätte jemand für den alten Film einen neuen Schluss geschrieben. Leider gibt es keinen zweiten Teil von diesem Film. Wir wissen nicht, wie der Kämmerer sein Leben verändert hat. Aber wir können uns von seiner Fröhlichkeit anstecken lassen.
Seine Beschäftigung mit den Fragen des Glaubens hat ihn dazu geführt einen Gast aufzunehmen, der sich nicht scheute zu fragen: „verstehst Du auch, was Du da liest?“. Und als er begann zu verstehen, da wollte er ganz in diese Welt des Glaubens eintauchen. Er tauchte unter im Wasser der Taufe und er tauchte wieder auf und war ein fröhlicher Mensch. Auf diesem Weg der Fröhlichkeit dürfen wir ihm folgen und uns anstecken lassen von seiner Begeisterung.
So wollen wir uns vom Geist führen lassen wie Philippus, dass dieser Geist uns fröhlich mache, wie den Kämmerer aus Äthiopien. Amen.
Anmerkungen:
1: Elberfelder Bibel mit Erklärungen. 5. Aufl. 2013 zu Apg 8,34.
2: www.google.de/maps/dir/Jerusalem,+Israel/Gaza/ (22.6.2018)