Ein Schnurtelefon?! - Predigt zu Joh 16,5-16 von Felix Stütz
16,5-15

Ein Schnurtelefon?! - Predigt zu Joh 16,5-16 von Felix Stütz

Ein Schnurtelefon?!

Holst du mir eine Schnur und die beiden Jogurtbecher aus der Küche, frage ich ihn. Etwas irritiert schaut er mich noch an. Die Fragezeichen in den Kinderaugen des 3-Jährigen kann ich sehen. Aber etwas Faszination ist da auch. Ein Telefon ohne Strom? Das soll’s geben?
Flott haben wir alles zusammengetragen, was wir benötigen, und basteln unser eigenes Telefon. Ich schneide die Löcher in den Boden der beiden Jogurtbecher und gemeinsam fädeln wir die Schnur durch. Abschließend noch einen Knoten in beide Enden. Zack, fertig ist das Wunderding.

Endlich wieder Gemeinschaft mit Jesus

Der Auferstandene war mitten unter den Jüngerinnen und Jüngern. Er aß und trank mit ihnen, sie lachten zusammen. Sie erlebten Gemeinschaft. Dass sie das nochmal erleben würden, war nach der grausamen Kreuzigung kaum zu glauben für die Freundinnen und Freunde Jesu. Aber es war Wirklichkeit. Sie durften nochmal das Brot teilen, nochmal seine Stimme hören. Fürchtet euch nicht, sagte er. Der, dem sie so sehr vertraut, den sie ins Herz geschlossen hatten, für den sie alles stehen und liegen gelassen hatten, dieser Jesus, er war wieder unter ihnen. Jeder Happen Brot schmeckte besser in seiner Gemeinschaft und für so manche Zankerei innerhalb der Gruppe fand man schneller eine Lösung. Was er vom Reich Gottes gepredigt hatte, das schien nun auf einmal zum Greifen nah.

Verstehen wir uns so?

„Und jetzt los. Lass uns telefonieren. Da muss Spannung auf die Schnur, am besten gehst du in einen anderen Raum, dann können wir telefonieren.“ Der kleine Racker geht zögernd einige Schritte und schaut in den Jogurtbecher. Aber verstehen wir uns dann noch, fragt er mich?
„Ja klar, aber dafür musst du gehen. Schau mal, ich geh hier in das eine Ende vom Wohnzimmer und du gehst dort in den Flur.“

Jesus geht

Jesus geht. Ein zweites Mal geht er. Es muss so sein, denn sonst kommt der Tröster nicht, sagt er. Die Gemeinschaft geht scheinbar wieder zu Ende. Sie muss es sogar. Ziemlich verdattert und verdutzt schauen sie ihn an. Was soll das jetzt? „Wir haben doch alles? Wir sind doch zusammen? Endlich verstehen wir so viel. Du lehrst uns und wir verstehen.“
Aber auch diese Zeit neigt sich dem Ende zu. Jesus will gehen. Schon wieder. Zum Vater. Er geht zu Gott, der ihn gesandt hat.

Weg ist er

Genau das feiern wir an Himmelfahrt. Jeden Sonntag bekennen wir das im Glaubensbekenntnis: „Er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters.“ Jesus ist gegangen.
Und nicht selten bleibt dieses Gefühl: Weg ist er. Und ich bin immer noch hier. Ja, Jesus ist nicht mehr tot. „Er ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden.“ Dieser Ruf hallt seit Ostern noch nach. Aber was bringt mir das, wenn Jesus schon wieder weg ist. Was bringt mir das? Manchmal möchte ich ihm das entgegenschleudern. Ich stecke ja immer noch hier fest. Ich darf mir noch immer tagtäglich Nachrichten von Krieg, Leid, Not und Hunger anhören. Zwischen Pausenbrot für die Kinder schmieren und dem ersten Termin in der Arbeit bleibt selten Zeit zum Innehalten. Ja, was bringt mir das im Hier und Jetzt? Von Ostern bleibt am Ende doch nur das Liedblatt, das beim Aufräumen dann weggeschmissen wird.

Das Schnurtlefonat

Ich stehe nun also mit dem Jogurtbecher am Ohr an der Wand. Mein kleiner Telefonpartner platziert sich mit dem Jogurtbecher im Flur. Verstehst du mich, frage ich ihn durch das Schnurtelefon. JAA, schreit er. Aber er nimmt natürlich nicht das Schnurtelefon, sondern legt es zur Seite, um mir seine freudige Botschaft mitzuteilen. Nimm es nochmal und sag mir auch etwas, rufe ich zurück. „Hallo, hallo.“ Wir verstehen uns, auch wenn es eingangs noch etwas einfache Sprache ist, die wir da hin- und hersenden. Von Mal zu Mal wird es länger und wir unterhalten uns. Es geht um die Burg mit den Stapelsteinen, die Zimtschnecken für das Kaffeetrinken und den nächsten Ausflug.

Der Tröster wird kommen?!?

Es ist nicht leicht, Jesus zu verstehen. Dieser Mann, der in Gleichnissen sprach und für Wunderheilungen Sand und Spucke in die Augen von Menschen drückte. Dieser Mann ist ein Geheimnis und das, was er tut, allemal. Und dennoch zeigte sich, dass die Jüngerinnen und Jünger ihm vertrauen können. Jesus geht zum Vater, aber weder unvorbereitet noch einfach so holterdipolter.
Der Tröster wird kommen, er ist das Band der Liebe von Vater und Sohn. Der Tröster wird kommen. Er wird Gemeinschaft trotz der Distanz ermöglichen. Dieser Tröster wird mitten unter uns sein, wie Jesus.
Dennoch fällt es nicht leicht, die Distanz auszuhalten, das Gehen Jesu hinzunehmen. Da stehe ich nun als Glaubender, als Zweifelnder, als Bittender und Betender. Was ich in der Hand halten kann? Mein Jogurtbecher ist vielleicht die Bibel, das Gesangbuch oder so. Oder ist es die Gemeinschaft der Glaubenden? Die Gruppe, die manchmal so unheilig heilig ist? Mein Jogurtbecher kommt mir zunächst einmal albern vor. Ist das alles, was ich im Griff habe, woran ich mich festhalten kann?
Auch ich stehe noch etwas verdutzt da. Und so stehe ich hier mit der Verheißung, dass der Tröster kommen wird. Aber ich stehe noch immer in dieser Welt. Ich kann ihm vertrauen, das hat sich erwiesen. Hat er das also wirklich gesagt: Der Tröster wird kommen? Der Tröster wird kommen? Der Tröster wird kommen! Ja, ich glaube, der Tröster wird kommen.

Wäre es doch einfacher, wenn Jesus hier wäre

Ich stehe noch immer hier in dieser Welt. Die Wäsche macht sich noch immer nicht von selber. Es gibt weiterhin all das Schwere und Böse in dieser Welt. Die Angst, doch alleine zu sein, packt mich hin und wieder. Beziehungen bleiben ein Wagnis. All das Menschliche bleibt bestehen und die Unmenschlichkeit bestimmt nicht selten mein Handeln. Scheitern, Fallen, existenzielle Fragen, Wut, Trauer, Verzweiflung und Unmut. All das bleibt bestehen. Ich stehe immer noch hier. Wäre es doch einfacher, wenn Jesus hier wäre.
Aber der Tröster wird kommen.

Hierhin wird der Tröster kommen

Das klingt vielleicht pathetisch. Hier in dieser Welt stehend, manchmal alleine, manchmal wütend, manchmal lachend und mutig, manchmal hoffend, öfter mal zweifelnd, nicht selten voller Glauben und Mut und dennoch auch mit Sorgen und Stress und wenig Schlaf. Hierhin wird der Tröster kommen. Pfingsten, das steht noch aus. Bis dahin trägt mich das Wort Jesu: Der Tröster wird kommen. Darauf vertraue ich. Er geht zum Vater. Er lebt in Gemeinschaft mit Gott und nimmt uns mit hinein. Nicht nur der Auferstandene, auch wir sollen verwandelt werden.

Vielleicht ist es gut, dass ich noch hier stehe. Hier in dieser Welt. Wer sonst stünde hier, wo ich bin? Und den Tröster, den brauche ich hier. Es trifft sich ganz gut, wenn mich hier Worte des Glaubens erreichen. Hier in meinem Leben brauche ich Mut und Trotzkraft. Dann kann ich jedem „Was bringt’s mir?“ einen vertrauensvollen Widerspruch entgegenschleudern. Hoffnung und Freude bringt’s mir. Genau das brauche ich doch. Das Bedrückende wird nicht erdrückend und die Angst nimmt nicht überhand. Wir sind ja schon einen Weg zusammen gegangen, wie die Jüngerinnen und Jünger mit Jesus. Ich kann Jesus vertrauen. Der Tröster wird kommen. Und den brauch ich hier. Schließlich wird Gottes Geist mich beflügeln, die Kraft Gottes wird mich erfassen, die Liebe Gottes wird mich nicht loslassen, die Gerechtigkeit Gottes wird mich bewegen. Jesus verspricht Gemeinschaft und die Verheißung des Gottessohnes wird mich tragen.
Ich habe euch noch viel zu sagen, sagt Jesus. Na, da bin ich dann mal gespannt, was mich noch erreicht.

Schnurtelefon

„Soll ich dir erklären, wie es funktioniert?“, frage ich nach einem ausgiebigen Telefonat mit dem 3-Jährigen. Er düst allerdings schon wieder weiter. Dass es funktioniert ist wohl wichtiger, als die Art und Weise, wie es funktioniert. Es funktioniert halt und das ist wunderbar.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Felix Stütz: 

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Die Predigt wurde ausgearbeitet vor dem Hintergrund einer Gemeinde, die auch Familien und Menschen mit Kindern umfasst. Möglicherweise gibt es junge Familien, die den Gottesdienst besuchen und direkt an das genannte Beispiel anknüpfen können. Im Hintergrund stand eine persönliche Erfahrung im Gottesdienst der EKD-Auslandsgemeinde in Stockholm.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Bei der Predigtvorbereitung hat mich das Wechselspiel von Entzogenheit und Nähe inspiriert. Jesus verheißt den Tröster, ermöglicht weiterhin eine Beziehung mit den Jünger:innen bis heute und ist dennoch nicht unmittelbar ‚greifbar‘. Es funktioniert eben, darauf ist Verlass und gleichzeitig ist es ein Wagnis.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Erwachsen Glauben bedeutet mitunter, Jesus gehen zu lassen. Jesus bereitet seine Jünger:innen vor, er kümmert sich um sie. Aber Jesus geht. Erwachsen Glauben steht vor der Herausforderung Jesus auch ein zweites Mal gehen zu lassen. Mit diesem Gefühl der Einsamkeit, Verlassenheit, der Leere und dem Schmerz muss Glaube umgehen, der als Gewissheit nur auf die gemeinsame Geschichte und dem darin erwachsenen Vertrauen anknüpfen kann.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Der Predigtcoach wies mich nochmal auf das Wechselspiel von Entzogenheit und Nähe hin, das ich implizit die ganze Zeit bearbeitet habe. Der Tröster wird oft genannt, aber es gibt weniger eine direkte Manifestation des Trösters als die Gewissheit, dass der Tröster die Gegenwart Christi vermitteln wird.

Perikope
Datum 12.05.2024
Bibelbuch: Johannes
Kapitel / Verse: 16,5-15