Ein Selbstgespräch wird unterbrochen
oder: Jesus als Seelsorger
Einer aus der Menge sprach zu ihm: Lehrer, sag meinem Bruder, er solle das Erbe mit mir teilen.
Er sprach zu ihm: Mensch, wer hat mich zum Richter oder Erbteiler über euch eingesetzt?
Er sprach aber zu ihnen: seht zu und hütet euch vor aller Habsucht. Denn niemand, auch wenn er Überfluss hat, hat sein Leben aus seinem Besitz.
Er sprach ein Gleichnis zu ihnen und sagte: das Land eines reichen Menschen hatte gut getragen.
Und er dachte bei sich und sprach: was soll ich tun? Ich habe keinen Platz, um meine Früchte zu sammeln.
Und er sprach: das werde ich tun: ich werde meine Speicher abreißen und größere bauen, und da will ich all mein Getreide und meine Güter sammeln.
Und ich werde zu meiner Seele sprechen: Seele, du hast viele Güter für viele Jahre bereitliegen. Ruh dich aus, iss, trink, sei fröhlich.
Gott aber sprach zu ihm: du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern. Was du da bereitgelegt hast – wem wird es gehören?
So geht es dem, der Schätze sammelt und ist nicht reich bei Gott.
Es hat keinen Sinn, Jesus zu sagen, was er sagen soll, was er anderen sagen soll. Zwei Kapitel vor unserem Text besucht Jesus zwei Schwestern, und die eine baut sich vor ihm auf: sage doch meiner Schwester ... Hier sind es zwei Brüder, die ebenfalls nicht sehr einträchtig beieinander wohnen: Sage doch meinem Bruder. Jesus reagiert gereizt: Mensch, wer hat mich zum Richter über euch eingesetzt? Nicht die Schroffheit dieser Frage ist verstörend, sondern ihr Inhalt, denn wir glauben und hoffen ja tatsächlich, Gott habe seinen Sohn zum Richter über uns eingesetzt, und verbinden damit die Hoffnung, dass der menschgewordene Sohn Gottes, der unsere Unmenschlichkeit am eigenen Leibe erlitten hat, ein menschlicher, ein gnädiger Richter sein wird: einer, der die verkehrte und verrückte Welt zu Recht bringt.
Doch gerade darum lässt er sich nicht einspannen, nicht vor unseren Karren zwingen, nicht instrumentalisieren. Wer sehr genau weiß, was Jesus sagen müsste, was er anderen sagen sollte – und wir kennen ja alle Fürbittengebete, in denen sogar sein Vater, Gott, dazu aufgefordert wird, anderen etwas klar zu machen, was uns längst klar ist –, ist begreiflicherweise nicht mehr sehr neugierig darauf, was er wirklich sagt. Wer die eigene Partei christlich nennt, rechnet nicht ernsthaft damit, Jesus könnte zu ihren Kritikern gehören, könnte gegen sie Partei ergreifen.
Jesus sagt lieber selbst und mit eigenen Worten, was er zu sagen hat, das tut er auch in unserer Geschichte, und es ist unsere Hoffnung, dass er das auch hier und heute tut. Kein Mensch geht ja in die Kirche, um die mehr oder weniger klugen, mehr oder weniger gut begründeten Ansichten eines Pfarrers zu hören, sondern wir hoffen darauf, in den alten Worten der Schrift die lebendige Stimme des Auferstandenen, unseres Zeitgenossen, aktuell zu hören. Und so hören wir in der aktuellen Situation der Weltwirtschaft Jesu Warnung vor Habsucht. Seht zu! Hütet euch! Das klingt alarmiert und alarmierend, klingt nicht wie die auf- und abgeklärte Weisheit eines weltfremden, weltflüchtigen Asketen. Jesus kennt unsere Gefährdung durch die Wirksamkeit einer gewaltigen Macht, eines Gegengotts, und schlägt Alarm. Martin Luther hat in seinem Großen Katechismus das, was uns in unserem Leben das wichtigste ist, als Gott definiert: ein Gott heißt das, dazu man sich versehen soll alles Guten und Zuflucht haben in allen Nöten. Es ist mancher, der meint, er habe Gott und alles genug, wenn er Geld und Gut hat, verlässt und brüstet sich darauf so steif und sicher, dass er auf niemanden etwas gibt. Der hat auch einen Gott, der heißt Mammon, das ist Geld und Gut, darauf er all sein Herz setzt. Das ist, befand Luther schon vor fast 500 Jahren, der am meisten verbreitete Gott. Nun ist nicht sicher, ob Habgier tatsächlich – Banken oder VW hin oder her – die Ursache der jetzigen Lage ist; ob nicht von Gier redet, wer von Kapitalismus nicht sprechen will, von einem Wirtschaftssystem, dessen Motor das Streben nach Mehr ist. Schließlich ist ja der Versuch, die Wirtschaft nach politisch gesellschaftlichen Zielen zu lenken, geradezu lächerlich gescheitert, was gerade in diesem Jahr, erst gestern wieder, ausführlich gefeiert wird, auch wenn wir inzwischen schmerzlich zu spüren bekommen, wohin der Verzicht auf solche Lenkung führt. Aber die moralische Empörung über Banken und Banker ist etwas billig, denn sie könnten das, was sie irrtümlich ihre Produkte nennen, ja nicht verkaufen, wenn nicht auch wir anderen den Glauben an die wundersame und arbeitslose Geldvermehrung teilten. Credo und Kredit, das hängt zusammen.
Doch Jesus redet nicht moralisch, warnt nicht vor Habgier, weil sie hässlich ist, ethisch und ästhetisch hässlich, sondern redet als Seelsorger: niemand hat Leben, wirklich lebendiges Leben, und das heißt biblisch immer gemeinsames Leben, Zusammenleben mit anderen, aus seinem Besitz. Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden an seiner Seele. Und er erzählt eine Geschichte, in der „Seele“ das Hauptwort ist, der springende Punkt.
Das Land eines reichen Mannes hat gut getragen – das ist biblisch Inbegriff von Segen. Doch der reiche Mann ist nicht reich an Beziehungen zu anderen Menschen, sondern einsam, redet mangels anderer Gesprächspartner mit sich selbst, fragt sich: was soll ich tun?, und antwortet sich: das will ich tun. Auch wenn gute Ernte im Wortsinn naturwüchsig klingt, nur mit natürlichen Dingen wird es nicht zugegangen sein, auch mit gesellschaftlichen: er hat sie ja nicht allein eingebracht, da werden andere mit-, werden für ihn gearbeitet haben. Es geht also in dieser Geschichte auch um das, was lange nach Jesus ein anderer großer Sohn seines Volkes den Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung genannt hat. Das zeigt sich auch daran, dass er nicht nur von Getreide, sondern auch von Gütern redet, von Handelsgütern, von Waren. Darum braucht er auch neue, größere Scheunen, damit er es sich leisten kann, erst dann zu verkaufen, wenn ein für ihn günstiger Preis zu erzielen ist. Dann wird er, so kündigt er im Selbstgespräch ein weiteres Selbstgespräch an, zu seiner Seele sagen: liebe Seele, du hast viele Güter für viel Jahre; gönne dir Ruhe, iss, trink, sei fröhlich. Nun ist auch biblisch nichts einzuwenden gegen die Selbstaufforderung zu essen, zu trinken, fröhlich zu sein, schon gar nicht am Entedankfest. Am Ende der großen Liste, Prediger 3, was alles seine Zeit hat, heißt es: da merkte ich, dass es nichts Besseres gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben. Denn ein Mensch, der isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinen Mühen, das ist eine Gabe Gottes. Und so ließe sich das Gespräch mit der eigenen Seele auch anders denken, etwa wie der Anfang von Psalm 103: Lobe den HERRN, meine Seele, und was in mir ist seinen heiligen Namen; lobe den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat. Hier aber sind es die privat angeeigneten Güter, die dem reichen Mann geradezu eschatologische ewige Ruhe verheißen – seine Seele hat und soll vergessen, was der HERR ihr Gutes getan hat. Das aber gelingt nicht, denn der Vergessene und Verdrängte meldet sich nun selbst zu Wort, und das Gespräch hört auf, ein Selbstgespräch zu sein.
Du Narr, sagt Gott, und diese Wort hat in der Bibel eine ganz andere Bedeutung als im heutigen Deutsch, eine ernstere. Auch wer das, was im Rheinland und anderen fernen Ländern als Narr und als närrisches Treiben gilt, nicht so umwerfend komisch findet wie offenbar die Beteiligten, hört doch in diesem Wort eher etwas Drolliges, Harmlose, weiß vielleicht auch, dass in Shakespeares Stücken und wohl auch in der Wirklichkeit die Hofnarren Leute sind, die listig hinterlistig maskiert den Thronenden die Wahrheit sagten, und wird jedenfalls denen die Sympathie nicht versagen, die in etwas, erstrecht: die in jemanden vernarrt sind.
Anders in der Bibel. Die Narren, die Toren sind diejenigen, die in ihrem Herzen sagen: es ist kein Gott, und entsprechend töricht handeln. Das gilt in der Bibel nicht als besonders nüchtern aufgeklärt, sondern als ignorant, weil ein wichtiger Aspekt aller Wirklichkeit ignoriert, verdrängt wird: unrealistisch, illusionär, dumm. Karl Barth hat darum in seiner Dogmatik von der menschlichen Dummheit als einer Grundform der Sünde gesprochen.
Statt himmlischer Ruhe im ewigen Licht kündigt Gott eine finstere Nacht an und greift dabei das Wort Seele auf: in dieser Nacht wird man deine Seele von dir fordern. Er macht damit den reichen Mann darauf aufmerksam, dass wir alle sterben müssen und den Zeitpunkt unseres Todes nicht kennen, um so aus dem dummen Mann einen klugen zu machen. Er sagt freilich nicht, wer ihm die Seele abfordern wird: ob er selbst das tun wird oder ob die Ausgebeuteten ihn ausschalten werden, um das Private zu sozialisieren. Jedenfalls bringt er andere Interessenten ins Spiel, deutet in Frageform einen Besitzerwechsel an: was du da bereitgelegt hast – wem wird es gehören?
Jesus kommentiert seine Geschichte: so ist es mit dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich bei Gott. Er stellt dem Reichtum des Privatiers einen anderen Reichtum gegenüber, und wir merken, er hat uns nicht nur eine Mahn- und Warngeschichte gegen die Habsucht erzählt, sondern ein Gleichnis vom Reich Gottes, einer Welt, in der Glück, Lebensfülle, ein reiches Leben nicht am Besitz, am Haben hängt. Und wenn es dem Gleichniserzähler Jesus einmal gelungen ist, uns die Augen zu öffnen, entdecken wir überall in unserem Leben solche Gleichnisse. Vieles, das Meiste dessen, was uns glücklich macht, was uns am meisten glücklich macht, ist nicht unser Besitz, gehört niemandem.
An diesem kleinen Seelsorgekurs Jesu wird deutlich, es ist ein bürgerliches Vorurteil, unsere Seele sei nur unser Inneres und gerade darum die Domäne Gottes, während Ökonomie, Recht und Politik ihre eigenen Gesetze hätten, frei disponierbar. Es war der große Berliner Theologe und Historiker Adolf Harnack, der das Evangelium auf die Formel brachte: Gott und die Seele, die Seele und ihr Gott. Darum konnte er mit dem sogenannten Alten Testament gar nichts anfangen, hielt es für eine Torheit der Kirche, daran festzuhalten. Biblisch aber ist die Seele der ganze Mensch, auch seine zweite Natur, die er um sich schafft, die ihn dann aber wie die erste auch regiert und prägt. Gott fordert mit seinem Richten wie mit seinem Befreien diese ganze Seele, indem er die Frage stellt: für wen ist der Ertrag? Wem fällt er zu?
Dass Erntedank mit Ertrag und damit mit den Fragen von Besitz und Aneignung zu tun hat, liegt auf der Hand, ist aber beim jüdischen Erntedankfest, dem Laubhüttenfest, das vor einer Woche begann und heute zuende geht, deutlicher sinnlich spürbar: das jüdische Volk wohnt, jedenfalls dort wo das klimatisch geht, eine Woche lang in Hütten, erinnert so an die Zeit der Wüstenwanderung, aber auch – es sind ja Laubhütten, es gibt Erntesträuße – an die Gabe des Landes, erinnert also gerade im Augenblick der Ernte, des Erfolgs daran, dass das, was wir für Besitz halten, eine Gabe ist, eine Leihgabe. Lobe den HERRN, meine Seele, und was in mir ist seinen heiligen Namen; lobe den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.
Amen.
Liedvorschläge
Als erstes Lied mit Aufnahme des Wochen- bzw. Tagesspruchs aus Psalm 147: EG 512,1-4;
zwischen den Lesungen: 494,3-6;
nach Evangelium und Credo: 303,1-5 oder 363,4;
nach der Predigt: 83,4-5 oder 317,5 oder 404,3+6;
zwischen Abkündigungen und Gebet: 449,3-6 oder 325,1.2.5.6 oder 304,1-5;
Schlussstrophe zwischen Gebet und Segen: 512,6 oder 449,10 oder 388,6.