Ein Stern für den Norden – Predigt zu Matthäus 4,12-17 von Nico Szameitat
4,12-17

Sie kann sich noch gut an damals erinnern. Was für ein Trubel da in Bethlehem. Und das auch noch kurz nach der Geburt. Am eindrücklichsten waren diese drei reichgekleideten Männer gewesen, die eines Tages kamen und wertvolle, aber doch seltsame Geschenke brachten. Maria hatte gar nicht gewusst, was sie ihnen anbieten sollte. Die Drei hatten von einem Stern gesprochen, dem sie gefolgt waren. Einem großen leuchtenden Stern.
Maria musste damals lächeln. Ihr Stern lag in ihrem Arm: Ihr Sohn, ihr Augenstern.
Doch das alles war schon lange her. Jesus war ein guter Junge. Eigentlich hatten Josef und sie gehofft, dass er den elterlichen Betrieb übernehmen würde. Dann wäre er Zimmermann geworden, hier in Nazareth. Oder irgendwo hier in der Gegend. Galiläa ist doch groß und schön.
Aber nein, eines Tages brach er auf. Er musste ja in das ach so schöne und feine Südreich mit der Hauptstadt Jerusalem. Maria hörte, dass er sich einem gewissen Johannes angeschlossen hatte. Der hatte ihn angeblich im Jordan untergetaucht und dann lief Jesus ihm hinterher. Und dann hatte sie gehört, dass dieser Johannes nun verhaftet worden war: wegen aufrührerischem Verhalten. Darauf stand die Todesstrafe.
Und dann stand er heute Morgen auf einmal wieder vor ihr: Ihr Sohn, ihr Augenstern.
„Ich hole nur meine Sachen“, sagte er.
Und dann war er wieder weg. Maria könnte heulen.

Da nun Jesus hörte, dass Johannes gefangen gesetzt worden war, zog er sich nach Galiläa zurück. Und er verließ Nazareth, kam und wohnte in Kapernaum, das am Galiläischen Meer liegt im Gebiet von Sebulon und Naftali, auf dass erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten Jesaja, der da spricht: »Das Land Sebulon und das Land Naftali, das Land am Meer, das Land jenseits des Jordans, das Galiläa der Heiden, das Volk, das in Finsternis saß, hat ein großes Licht gesehen; und denen, die saßen im Land und Schatten des Todes, ist ein Licht aufgegangen.« Seit der Zeit fing Jesus an zu predigen und zu sagen: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!
(Mt 4,12-17, Lutherbibel 2017)

Jesus ist noch jung. Und er fängt gerade erst an, wie jeder junge Mensch.
Die erste Rebellion gegen die Eltern. Was ich beruflich mache – keine Ahnung! Bestimmt nicht, was ihr macht. Und ich bleibe bestimmt nicht in Nazareth oder Duisburg!
Und dann die Idole, die Vorbilder: Ich werde auch Model oder Sängerin, ich werde Täufer. Und dann kommt die erste Enttäuschung.
Sarah und Pietro trennen sich, das Supermodel hat Bulimie, und Johannes muss in den Knast.
Und dann heißt es, wirklich, endlich einen eigenen Weg zu finden.

Im Osten geht die Sonne auf, im Süden nimmt sie ihren Lauf, im Westen wird sie untergehen, im Norden ist sie nie zu sehen.
Alle Welt, alle Himmelsrichtungen stehen ihm offen, und er geht ausgerechnet nach Norden. Warum nur?
Habt Ihr schon gehört von Sebulon und Naphtali?
Sebulon und Naphtali: Zwei Söhne Israels. Zwei von Zwölfen.
Als in ferner Zeit die Zwölf in das Land Israel kamen, und jeder sein Gebiet erhielt, bekamen Sebulon und Naphtali ihr Land im Norden.
Schön gelegen, so zwischen Mittelmeer und See Genezareth, ein wenig im Gebirge.
Leider wohnten da schon Leute. Ärger, Streit, immer wieder.
Wer war hier zuhause und wer waren die Ausländer?
Und dann kam der Krieg. Kaum eine Gegend wurde so sehr gebeutelt wurde wie Sebulon und Naphtali. Unter fremder Besatzung. Rebellen gegen Regierungstruppen. Viele wurden vertrieben, andere flohen. Frauen wurden vergewaltigt, Männer ermordet.
Das war nun schon lange her. Doch der Ruf blieb. Irgendwie waren diese Gebiete die ungeliebten Stiefkinder Gottes. Der Norden, das friedlose, dunkle Land.

Jesus überschreitet die Grenze. Er zeigt in die Finsternis und macht sie hell. Weil er in die Finsternis, in den Norden geht. Bewusst oder unbewusst erfüllt er dabei die Prophezeiung Jesajas.
Und dann fängt er an und hält seine erste Predigt:
„Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.“
Es sind wortwörtlich dieselben Worte wie bei Johannes. Jesus muss seinen Weg erst finden. Er muss seine Botschaft erst entdecken.
„Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“
„Kehrt um, denn Gottes Reich ist da.“
„Kommt raus aus euren Sackgassen, ich bin hier, das Licht der Welt.“
„Geht hin zu allen Völkern. Tauft sie und erzählt ihnen alles, was ich euch beigebracht habe.“
Das Licht, das er in den Norden gebracht hat, sollen die Jünger weitertragen in alle Welt.

Mitten in der Kathedrale von Canterbury sieht man auf dem Boden einen Stern, nicht weit vom Taufbecken entfernt. Es ist nicht irgendein Stern. Es ist eine Kompassrose, deren Strahlen in alle Himmelsrichtungen zeigen. Mit der Taufe fängt es an, wie bei Jesus.
Geht in alle Welt! Verlasst Eure Sackgassen und selbstgemauerten Kämmerlein. Oder zumindest: Schaut über den Tellerrand!
Schaut nach Sebulon, nach Naphtali und Aleppo, wo es dunkel ist!
Ihr müsst ja nicht persönlich dahin, aber vergesst die dunklen Orte nicht.
Haltet die Hoffnung wach auf den Frieden.
Erzählt von dem Licht.
Wer, wenn nicht wir Christen sollten von der Hoffnung erzählen?
Erzählt, was euch in dunklen Tagen trägt.
Er ist der Stern, wir sind (nur) die Strahlen.
Von ihm bekommen wir Licht und Kraft.
Amen.

 

Perikope
08.01.2017
4,12-17