Ein Wiedererwachen des Glaubens - Predigt zu 1. Könige 19,1-8 von Martin Schmid
19,1-8

Ein Wiedererwachen des Glaubens - Predigt zu 1. Könige 19,1-8 von Martin Schmid

Ein Wiedererwachen des Glaubens

Und Ahab sagte Isebel alles, was Elia getan hatte und wie er alle Propheten Baals mit dem Schwert getötet hatte. Da sandte Isebel einen Boten an Elia und ließ ihm sagen: Bist du Elia, so bin ich Isebel! Die Götter sollen mir dies und das antun, wenn ich nicht morgen um diese Zeit dir tue, wie du ihnen getan hast! Da fürchtete er sich, machte sich auf und ging fort, sein Leben zu retten. Als er nach Beerseba in Juda kam, ließ er seinen Diener dort; er selbst aber ging in die Wüste, eine Tagereise weit, und als er hingekommen war, setzte er sich unter einen Ginsterstrauch. Da wünscht er sich den Tod und sprach: Es ist genug! So nimm nun, Herr, mein Leben hin, denn ich bin nicht besser als meine Väter. Dann legte er sich unter dem Ginsterstrauche schlafen. Auf einmal aber berührte ihn ein Engel und sprach zu ihm: Steh auf und iss! Als er sich umschaute, siehe, da fand sich zu seinen Häupten ein geröstetes Brot nebst einem Krug mit Wasser. Da aß er und trank und legte sich wieder schlafen. Und der Engel des Herrn kam zum zweitenmal, berührte ihn und sprach: Steh auf und iss! Sonst ist der Weg für dich zu weit. Da stand er auf, aß und trank und wanderte dann kraft dieser Speise vierzig Tage und vierzig Nächte bis an den Gottesberg Horeb.  (Übers. Zürcher Bibel)

Liebe Gemeinde,
müsste das nicht schön sein, wenn der Glaube, also unser Glaube, aus seinem Schlummer erwachen könnte, wenn er also die Augen aufschlagen, eine Kräftigung erfahren und sich auf einen Weg machen könnte, der ihn Gott näherbringt! Die Bibel erzählt, wie so etwas schon geschehen ist. Und sie erzählt es deshalb, weil es sich wiederholen kann. Ich will versuchen, es nachzuerzählen.

Es fängt allerdings nicht besonders gut an für den Glauben. Weil es für ihn auf einmal keinen Platz mehr gab im Land. Das lag an dem Herrscherpaar Ahab und Isebel. Die hatten sich drangemacht, den Glauben zu vertreiben. Aber es lag auch am Propheten Elia, der den Glauben eigentlich stärken wollte. An den Opferstätten auf dem Berg Karmel war viel Blut geflossen. Nicht das Blut von Tieren, sondern von Menschen, Priestern des Gottes Baal. Das sah nach einem großen Erfolg für Elia aus. Aber der Stärkung des Glaubens diente es nicht. Denn noch nie ist es dem Glauben bekommen, wenn er ein Bündnis mit der Gewalt einging. Die Erfolge, die er schon errungen hat in sogenannten Glaubenskriegen und bei Versuchen, sich äußerer Macht zu bedienen, fielen dem Glauben stets zuletzt auf die Füße. – Mühsam, Stein auf Stein, hatte Elia dort droben zunächst einen zerbrochenen Altar wiedererbaut und hatte zu Gott gebetet. Gott hatte ihn erhört. Am Ende hatte er sein Bemühen noch krönen wollen durch einen Triumph über die Feinde des Glaubens. Aber es gibt kaum einmal Siege, die nicht zugleich Niederlagen wären; das ist so bei militärischen Siegen und ist erst recht so bei Siegen auf dem Feld des Glaubens.
Nun lief Elia um sein Leben.
Übrigens wurden auch wirtschaftliche, gesellschaftliche, ganz und gar unblutige Erfolge dem Glauben schon zur Belastung. Selbst Kirchen, Gemeindezentren, Begegnungsstätten, Kindergärten, Pfarrhäuser, selbst die ganzen schönen Immobilien des Glaubenslebens haben den Glauben schon eingeengt. Auch öffentlicher Einfluss und Akzeptanz, oft mühsam erworben, haben dem Glauben nicht immer genützt, sondern haben ihm bisweilen den Vorwurf der Anpassung eingetragen. Für Elia folgte jedenfalls gleich auf seinen großen Erfolg ein böser Absturz. „Ich werde dich mit deinen eigenen Waffen schlagen“, ließ ihm die Königin Isebel ausrichten. „Genau das, was du meinen Leuten angetan hast, werde ich dir antun, gleich morgen.“

So wurde Elia zum Flüchtling und der Glaube mit ihm. Wohin sollte er fliehen? Elia wählte die Wüste, von wo der Glaube einst gekommen war. Alles ließ er zurück, sogar seinen Diener; er wollte sich von niemand mehr helfen lassen. Elia schien zu spüren, dass jede Hilfe ihm schaden musste, die nicht aus dem Glauben selbst kam. Dort, tief in der Wüste, eine Tagereise weit, sank Elia unter einem Ginsterstrauch nieder. Nur den verbliebenen Rest seines Glaubens hatte er bei sich. Dieser Rest war nicht groß. Da ging es Elia wie manchen von uns. Nun legte er seinen Glauben neben sich ab; man kann das bekanntlich, seinen Glauben ablegen. Es waren ihm nicht nur die Mühen zu viel geworden und die Ängste der Flucht, nun schien ihm auch sein Glaube eine Last geworden zu sein. War der nicht auch schon früher, in den Zeiten der Väter, eine Last gewesen?  „Ich habe genug; zum Leben reicht es ohnehin nicht.“ Aber zum Sterben reichte es auch nicht, obwohl er seinen Gott darum bat. So schlief Elia unter dem Ginsterstrauch, zusammengekauert unter dem kümmerlichen Schatten, den der Strauch schenkte. Und ebenso schlief auch sein Glaube.

Vielerorts schlummert der Glaube. Unsere Kirche, so scheint es, ist ein bisschen müde geworden. Eingerollt und schlummernd kann man Reste des Glaubens hierzulande auch noch finden im Schatten von Musik und Dichtung, Baukunst und Malerei. Auch schlummert er in ein paar persönlichen Erinnerungen, in Photos von Tauffeiern und Konfirmationen. Er ruht in Gewohnheiten, die ihn noch festhalten, in Feiern und Festen, die ihn noch konservieren. In Zeiten, die sonnig und gut sind, lässt man den Glauben ruhen; man braucht ihn ja nicht. Aber auch schlechte Zeiten, in denen Kälte und Gewalt herrschen, setzen dem Glauben bisweilen so zu, dass er ermattet.

Nein, es fing damals nicht gut an für den Glauben. Und leicht könnte man denken, dies sei jetzt sogar schon sein Ende. Wir jedenfalls könnten so etwas befürchten, weil uns doch immer öfter die Angst beschleicht, dass es überhaupt mit dem Glauben zu Ende geht und dass sein Schlummern gewissermaßen der vorletzte Schritt sei. Aber bei Elia ist es anders gekommen. Elia kam hervor aus dem Schatten des Ginsterstrauchs, und sein Glaube war wie neu geboren. Der schlug im mütterlichen Schatten dieses Strauches die Augen auf und erwachte. Der Schlaf des Glaubens wurde zum Heilschlaf. Etwas Schönes ist das, ein ausgeschlafener Glaube. Da gibt es noch viel zu erzählen. Und soviel lässt sich jetzt schon sagen: Es kam deshalb zu einer Wiederbelebung des Glaubens, weil dieser beatmet wurde!

Gott hat Boten geschickt. Und sie gaben Elia das Gottesgeschenk zurück, das ihm Isebel zu rauben drohte. Die Königin Isebel hatte sich – nun auch durch die Worte ihres Boten - vor Elia in einer Art und Weise aufgebaut, die ihm dem Atem verschlug: „Bist du Elia, so bin ich Isebel.“ Da bekam Elia keine Luft mehr. Er floh. Erschöpft und immer noch atemlos kroch er am Ende unter den Ginsterstrauch, um seine Seele auszuhauchen. Gottes Boten ließen ihn wieder zu Atem kommen.
In Elias hebräischer Muttersprache wird übrigens für „Seele“ ein Wort verwendet, das zunächst einmal „Kehle“ bedeutet. Und über die Kehle, nämlich über den Atem, kehrte das Leben zu ihm zurück. Aufatmend konnte er sich schließlich wieder erheben und mit ihm sein Glaube.

Der erste Bote, dessen Gott sich bediente, war dieser Ginsterstrauch. Dass Gott überhaupt noch Boten hat, muss für Elia eine Überraschung gewesen sein. Hatte er doch geglaubt, er sei der einzige Bote, der Gott noch geblieben war, der letzte seiner Diener. Auch später, bis hin zur heutigen Zeit, wo die Gotteshäuser sich leeren, meinte man oft, es herrsche ein Mangel an Zeichen und Boten von Gott. Man sollte aber Gott nicht unterschätzen. Gott ist nicht nur schwach -  was Elia noch lernen musste - , Gott ist auch stark. Und seine Stärke besteht nicht nur darin, dass er bisweilen Feuer vom Himmel fallen lässt, seine besondere Stärke ist es, dass er Boten sendet.

Nun scheint der Ginsterstrauch auf den ersten Blick als Gottesbote nicht besonders geeignet. Der Wüstenginster ist keine Rose, er wirkt weder jung noch morgenschön. Der Ginster ist auch kein Mandelbaum, dessen Blütenzweige den Betrachter entzücken. Seine Zweige sind 2 – 3 m hoch und fast blattlos. Sie geben ein bisschen Schatten. Im Frühling zeigt der Strauch weiße, purpurgestreifte Blüten. Früchte liefert er nicht. In Hungerzeiten haben Menschen schon versucht, sich von seiner Wurzel zu ernähren. Im übrigen kann er verwendet werden als Brennholz. Wie kann ein Strauch von so bescheidenem Nutzen dann aber ein Bote sein?  Dadurch, dass er so tief wurzelt. Der Pfahl seiner Wurzel reicht bis dort hinab, wo auch in der Wüste der Boden noch feucht ist. Im Falle Elias handelte es sich freilich weniger um eine Befeuchtung als um eine Beatmung. Und der Pfahl der Ginsterwurzel wies dazu die Richtung. Denn der Glaube kommt an seinen Wurzeln wieder zu Atem und also eher in der Tiefe als in der Höhe, eher im Rückgang auf tragende Schichten als im Erstürmen von Gipfeln. Elia hatte das erfahren. Und wir werden‘s uns auch sagen lassen.

Auch den nächsten Boten, den Gott zu Elia sandte, hätte man nicht ohne weiteres für einen solchen gehalten. Manche meinen, es sei ein viehtreibender Nomade gewesen oder die mit Mitleid begabte Frau eines solchen Wanderhirten. Die Schrift allerdings sagt, es war ein Bote, ein Engel. Und Elia fühlte sich angerührt und angesprochen. Er öffnete die Augen und sah vor sich ein geröstetes Brot und einen Krug mit Wasser. Er hörte, wie er aufgefordert wurde: „Steh auf und iss!“ Darauf aß er und trank, schloss aber wieder die Augen und legte sich schlafen. Denn auch einem Propheten hilft es wenig, gekräftigt zu werden, solange sein Glaube sich noch im Schlummer-Modus befindet. Uns, die wir keine Propheten sind, hilft das erst recht nicht. Es fehlt uns ja nicht an Essen und Trinken. Und die Einrichtungen sind in jüngster Zeit wie Pilze aus dem Boden geschossen, die uns unterstützen wollen, unsere Kraft zu erhalten oder sie gegebenenfalls wieder zu erlangen. Fast atemlos mühen sich die Leute in Studios und Centern. Um wirklich weiter zu kommen, braucht’s aber mehr als die Bereitschaft, sich zu schinden. Vielleicht könnte man sagen: es braucht eine Beatmung.

Und Gott sandte zu Elia noch einen Boten, für mich ist das schon der dritte. Er sah dem zweiten sehr ähnlich. Noch einmal fand sich Elia angerührt und angesprochen und noch einmal fiel sein Blick auf die köstlichen Lebensmittel, geröstetes Brot und Wasser im Krug. Doch beim zweiten Mal war nun auch sein Glaube wieder erwacht. Auch sein Glaube schlug die Augen auf. Er sah das Brot und sah im Brot ein Zeichen vom Himmel. Er sah den Krug und erkannte im Wasser das Geschenk einer uns Menschen umsorgenden Güte. Er sah die Schritte des Hirten und sah darin die Spur eines Engels. Er könnte den Schatten gesehen haben, den der Ginsterstrauch in den Wüstensand warf, und könnte sich daran gefreut haben und ebenso auch am Anblick der kleinen weißen Blüten des Ginsters. Staunend könnte er gesehen haben, wie die Sonne am Morgen über den Horizont heraufkam und wie der Wind den Sand in Wirbeln aufwehte. Die Augen des Glaubens könnten auch jenes Volk wieder erspäht haben, das einst durch diese Wüste gezogen war, vierzig Jahre lang, unter der Führung von Mose. Und die Augen des Glaubens könnten gesehen haben, wie Gottes Volk bewahrt worden ist, wie Gott den hungernden, dürstenden Wanderern einst nicht nur mit Wasser, Brot und Wachtelspeise geholfen hatte, sondern auch mit Geleit und Weisung für ihren Weg. - Gottes Wind blies dem wiedererwachten Glauben ins Gesicht, manchmal scharf und manchmal als ein sanftes Fächeln. So kam der Glaube Elias wieder zu Atem. Und Elia stand auf und ging, im Glauben gestärkt, vierzig Tage und vierzig Nächte bis zu dem Gottesberg Horeb.

Es gibt die Sitte in Israel, dass bei der häuslichen Feier am Sederabend, zu Beginn des Passafestes, ein zusätzlicher Becher für Elia aufgestellt und mit Wein gefüllt wird. Wir sollten auf unsere Art auch einen Platz frei halten für Elia. Wir sollten ihn einladen, ihn und seinen Glauben. Damit unser Glaube dadurch belebt wird oder, wie man vielleicht besser sagen sollte, beatmet. Amen.