Eine Büttenrede am Faschingssonntag vom närrischen Propheten Amos – Predigt zu 5,21-24 von Axel Denecke
5,21-24

1. Das klingt fast wie eine Büttenrede am Faschingssonntag, was der als Prophet verkleidete Narr Amos da vor fast 2800 Jahren seiner Gemeinde damals und uns heute um die Ohren haut.. Wirklich wie geeignet für diesen Sonntag, auch wenn  die schlauen liturgischen Perikopenbastler der Kirche dies so wohl nicht im Sinn hatten.

Ich muss am Anfang –damit es für alle, die den Amos nicht so genau kennen, verständlich wird – kurz auf das merkwürdige Leben des verrückten „Propheten“ Amos selbst blicken. Er ist der älteste der sog. „Schriftpropheten“ des AT, hat so um 750 v. Chr. gelebt. Viel wissen wir von ihm nicht, doch so viel –und da ist sehr wichtig – wissen wir:  Er war ein einfacher Mann vom Lande., Maulbeerbaumzüchter, der eigentlich mit Gott und Kirche (also Synagoge damals) wenig im Sinn – salopp gesagt: am Hut – hatte. Kein studierter Gelehrter.  Er wollte eigentlich  nur in Ruhe seine Maulbeerbäume pflanzen und die Früchte ernten. Doch dann kam auf einmal der Ruf Gottes an ihn, er sollte in der damaligen Metropole Bethel, wo das Zentralheilgtum war und der strenge König Jerobeam sein Wesen trieb, gegen das Treiben im Tempel. Gegen das flotte und verschwenderische  Leben des König und sämtlicher Priesterschaft weissagen, ihnen allen also die Leviten lesen. Er sträubte sich natürlich zunächst: „Kann ich gar nicht. Bin doch nur ein einfacher Viehhirt und ziehe Maulbeerfeigen, damit hab ich genug zu tun. Bin ein Mann vom lande, ganz ungebildet. Was soll ich in Bethel, wie soll ich dem König und dem Oberpriester Amazja, da standhalten?“ Also im Grunde war der gute Amos ein No-Men, ein Nichts, ein dahergelaufener Narr, der auf einmal in die große Arena treten und  allen die Leviten lesen soll. Wie auch andere Propheten (z. B. der Jeremia) sträubt er sich zunächst dagegen und will nicht. Und doch soll er dann, muss er dann, kann nicht anders. denn Gott ist für ihn so bedrängend, dass er sich dem nicht mehr entziehen kann.

Und so tritt er auf, dieser Narr, dieser Prophet, dieser närrische Prophet, dieser prophetische Narr und hält seine Reden, immer darauf vertrauend, der Geist Gottes spricht aus ihm. „Ihr fetten Basanskühe“, so nennt er z.B. die edlen Damen bei Hofe. Und weiter: „Wehe  den Sorglosen in Zion…, den Vornehmen…, den  Herren des Hauses Israel…, die ihr auf Elfenbeinbetten liegt, ausgestreckt auf euren Lagern…, die da trinken den feinsten Wein…, aber sich nicht kümmern um den Schaden Josephs. Darum schwört nun der Herr bei sich selbst: Sie alle  sollen voran in die Verbannung wandern, und es vergeht  der Jubel derer, die auf den Lagern sich strecken“. Ha, wenn das keine närrische Büttenrede ist. Ich könnte fast das ganze Amos-Buch vorlesen, ist ist voll von diesen Narreteien. Amos, kann, will, darf nicht anders.

2. Und so ist auch unser heutige Predigttext zu verstehen. Im Namen  Gottes sagt er. „Ich; euer Gott, hasse eure Feste und mag nicht riechen Feiertage. Hinweg von mir  mit dem Geplärr  deiner Lieder. Das  Spiel deiner Harfen mag ich nicht hören“. Also, das ist stark. Da feiern die frommen Israeliten im zentralen Heiligtum in Bethel (also vergleichbar etwa mit dem Kölner Dom oder dem Hamburger Michel) einer feierlichen Gottesdienst, liturgisch einwandfrei, pompös in allen Lagen, große Prozessionen, große Brandopfer /von Tieren und Feldfrüchten), alles korrekt, wie es der liturgische  Anstand empfiehlt, der Oberpriester Amazja gibt auch noch seinen Segen dazu – und dann das. Gott wendet sich ab, nein nicht nur das, er spuckt es aus „Ich mag das nicht riechen – es stinkt gen Himmel“. All das sagt der närrische Amos im Auftrag Gottes.

Ich will jetzt nicht allzu sehr spekulieren, wie das damals vor 2800 Jahren auf die Leute wirkte, obwohl es da durchaus Hinweise gibt, 2 Kapitel später. Amos soll aus Bethel verbannt werden. „In Bethel darfst du nicht mehr prophezeien. Denn das ist ein Königsheiligtum und eine Reichstempel“. Jawoll, musste mal gesagt werden, damit die Ordnung wieder stimmt. Damals!

Doch für uns  heute? Ich stelle mir vor, da kommt ein unbekannter kleiner Mann aus der Lüneburger Heide daher gelaufen,  sieht dreckig aus, weil er gerade sein Schafherde noch geweidet hat und vom schmutzigen, lehmverkrusteten  Felde kommt, stellt sich einfach so hin und  verunglimpft in einem Atemzug sämtliche ehrfürchtige  Gottesdienste in Domen, Kathedralen, Kirchen und Kapellen  – und das auch noch im Namen Gottes. Alles nur Heuchelei, was ihr da treibt. Das ist schon starker Tobak, nicht einmal als Büttenrede am Faschingssonntag zu ertragen. Die seriösen Karnevalswächter würden Ihr Veto einlegen. Das geht zu weit, ist gegen die guten Sitten und blasphemisch noch dazu. ---  Doch so hat‘s aber der Amos nun mal gemacht, steht auch so in der Bibel da wird nichts zurück genommen. Es steht da und die biblischen Väter fanden es wohl sogar gut, dass es da so steht, sonst hätte sie es ja durch die Zensur weg retuschieren lassen.

 

3. Wie sollen wir heute bloß damit umgehen?

a.

Wir können natürlich sagen: Ach, ist ja nur eine verrückte Büttenrede am Faschingssonntag. Da ist vieles erlaubt.  Bisschen verunglückt zwar. Aber wir sind tolerant, soll er doch seine wilden  Ergüsse auf uns loslassen. Wir lachen einfach darüber und lassen es abtropfen von uns. So können wir reagieren und der normale Alltag kommt wieder. Aschermittwoch ist ja alles vorbei.

b.

Wir können natürlich auch sagen: Das darf er nicht, das geht dann doch zu weit. Was bildet der Kerl sich denn ein? Ja, wer ist der eigentlich? So was gehört sich nicht, muss verboten werden, auch wenn es in d er Bibel steht. Da steht ja sowieso auch viel Gestrüpp in der Bibel (hat schon der große Karl Barth gesagt, auch Luther, wenn er von strohernen Episteln spricht) , muss man nicht alles glauben und ernst nehmen. Weg also damit, in den Müll – und wir haben wieder Ruhe und  können unsere Gottesdienste liturgische korrekt feiern in unseren schönen Kirchen. Nun ja.

c.

Wir können aber auch sagen; Ja, natürlich, der Amos übertreibt hier, muss er vielleicht auch, damit er gehört wird. Aber vielleicht hat er doch nicht so ganz unrecht,. Vielleicht sollten wir uns fragen, wo unser Gottesdienste und und unser ganzer  christlichen Glaube insgesamt wirklich dem Willen Gottes entspricht, wo wir zwar fromme Gottesdienst feiern, aber im Grunde nur uns selbst feiern, wo wir „Gott; Gott“ sagen, aber im Grunde nur uns selbst meinen,  nur unsere eigene Frömmigkeit und Wohlanständigkeit. Also b wir nicht mehr Gott diesen, sondern nur unserem eigenen  Selbst, uns nur noch um uns selbst drehen, wo  unsere Kirche nur sich selbst feiert wird ( das Reformationsjubiläum im vergangenen Jahr ist ein gutes, oder besser: schlechtes Beispiel dafür)und nicht mehr „für andere“ da ist, wie es einst Dietrich Bonhoeffer sagte. „Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist … Eine Kirche, die nur um ihre Selbsterhaltung  kämpft,  als wäre sie ein Selbstzweck, ist unfähig, Träger des versöhnenden  und erlösenden Wortes  für die Menschen zu sein“. Oh ja, Bonhoeffer, wohl auch so ein närrischer Prophet, prophetischer Narr. Ich denke da auch an seine ganz späte Büttenrede aus dem Gefängnis kurz vor seinem Tode. „Um meinen Anfang mit der „Kirche für andere“ zu machen, muss die Kirche alles Eigentum den Notleidenden schenken. Die Pfarrer müssen ausschließlich  von den freiwilligen Gaben der Gemeinde leben, eventuell einen weltliche Beruf ausüben“. Also, wenn das keine verrückte Narrenrede ist, sehe ich mich um, was aus der Kirche nach dem 2. Weltkrieg bis heute geworden ist, sehe ich mich selbst an, ich gehöre ja auch zum priesterliche Establishment der Kirche, der Volkskirche, der – nun ja – immer kleiner  werden Halb-Volkskirche..

Ich höre auf, es weiter zu beschrieben. Ich selbst neige schon dazu, mit Bonhoeffer und Amos, den beiden Obernarren, die dritte Variante  zu bevorzugen, auch wenn ich mich dabei für manche selbst zum Narren mache.

4. Doch am Ende nun. Doch was bietet Amos (und im Übrigen auch Bonhoeffer) nach diesem geharnischten Rundumschlag in der „Bütt“ schließlich  nun an Positiven und Konstruktiven an?

„Es ströme aber wie Wasser das Recht und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach“. Das klingt etwas gestelzt und ist es auf dem ersten Blick auch: Denn „Recht und Gerechtigkeit“ (im Hebräischen ‚mischpat we zedaka‘) sind ethische Schlagworte einer intakten Beziehung des Menschen   zu Gott und zu den Mitmenschen. „Recht und Gerechtigkeit“ garantiert zunächst Gott selbst, seine Bundestreue zu den Menschen, die nicht zuschanden wird, auch wenn wir Menschen Unrecht  tun und ungerecht handeln. Gott bleibt gerecht zu uns, d.h. richtet uns immer wieder auf und hält seine Bundestreue. Das ist das besondere Recht Gottes.

Daran haben wir uns also zunächst zu halten, dass er es zunächst tut, ganz ohne uns, aber ganz für uns. Und dann haben wir als Zweites die Möglichkeit, dem versuchsweise nachzueifern – also nachzufolgen, nachzulaufen, meinetwegen auch nachzuhinken und nachzustolpern. Werden wir also im leben nie ganz hinkriegen „Recht und Gerechtigkeit“ gegen jedermann zu üben, werden immer wieder scheitern und uns in den Domen und  Kathedralen und selbstgemachten Heiligtümern selbst feiern. So sind wir nun mal.

Aber: Wir können uns daran erinnern, wo wir herkommen, was der Ausgangspunkt unseres Glaubens war und ist. Gottes Recht und Gerechtigkeit, mit denen er uns für sich gewonnen hat. Und wir können uns auch nach vorn strecken „nicht dass wir es schon ergriffen hätten, wir jagen ihm aber nach“ (Phil 3,12), dass „Gottes Recht und Gerechtigkeit“ wirklich unter uns zu wirken beginnen, dass sie „strömen wie ein nie versiegender Bach.“ Ja, ich gebe zu, es ist vorerst nur ein Bach, noch kein großer Fluss, noch kein Ozean. Aber dass der kleine Bach von Recht und Gerechtigkeit weiter fließt, nicht versiegt, das ist schon sehr viel Und  vielleicht mündet er dereinst doch in einen großen Fluss, im Weltenmeer. Vielleicht.

Halte ich jetzt selbst eine Narrenrede? Bin ich im verrückten  Karnevalsmodus, wenn ich das glaube? Ich weiß nicht. Es kann ja sein, dass das Ende dieser verrückten Büttenrede des Amos, also seine positive moralische Forderung am Ende, der Höhepunkt seiner ganzen Narretei ist, dass also die Vision von „Recht und Gerechtigkeit“ unter uns allen der verrückten Büttenrede die Krone aufsetzt. Helmut Schmidt hat ja als nüchterner Hanseat und  Realist einmal unmissverständlich gesagt: „Wer Visionen hat, der soll zum Arzt gehen“. Ja, Amos müsste ob seiner Vision zum Arzt gehen, Bonhoeffer sicher auch. Und dazwischen, vor ca. 2000 Jahren gab es ja noch einen, der solche Visionen hatte, sie weiter sagte und als dummer Narr in den Augen der priesterlichen Oberhirten scheiterte. Wir wären also in bester Gesellschaft

Es bleibt also an diesem Karnevalssonntag dabei: „Gottes Gottes und Gottes Gerechtigkeit“ gelten zunächst für uns alle, ganz bestimmt, darauf steht unser Glaube.  Es ist der „Grund, auf den wir uns gründen“. Das gilt zunächst, es gilt unverrückbar. Und nun sind wir dran. In der Kirche, in den Domen, Kathedralen, Kapellen, all überall, in der Lüneburger Heide bei den Schafherden, im bayrischen Hochgebirge, wo die Gemsen springen, noch springen sie, all überall. Mit unserer kleiner Kraft angetrieben von Gottes großer Kraft, daran zu arbeiten, dass „Recht und Gerechtigkeit“ für alle Menschen, auf der ganzen Erde, zunächst aber ganz konkret für den Mann  und die Frau neben uns, sich ausbreiten, wie ein „nie versiegender Bach“ ja dass der kleine Bach einst gar zum großen Fluss wird. Vom Weltenmeer will ich ja gar nicht sprechen, so verrückt bin ich auch wieder nicht: Ich Narr im Namen Christi. Hoffentlich  bin ich einer und bleib auch einer bis zu meinem Ende.

Perikope
11.02.2018
5,21-24