Sören Kierkegaard erzählt eine Clownsgeschichte.
Eine Geschichte über das richtige und das falsche Zuhören.
Und die Geschichte geht so:
Ein Reisezirkus in Dänemark gerät in Brand. Der Direktor schickt daraufhin den Clown, der schon zur Vorstellung umgezogen ist, in das benachbarte Dorf, um Hilfe zu holen, da die Gefahr besteht, dass über die abgeernteten und ausgetrockneten Felder das Feuer auch auf das Dorf übergreifen wird. Der Clown eilt in das Dorf und bittet die Bewohner, sie mögen schnellstens zu dem brennenden Zirkus kommen und löschen helfen. Aber die Dörfler halten das Geschrei des Clowns lediglich für einen gelungenen Werbetrick, um sie möglichst zahlreich in die Vorstellung zu locken; sie applaudieren und halten sich die Bäuche vor Lachen. Dem Clown ist gar nicht zum Lachen zumute. Er möchte weinen und er versucht vergebens den Dörflern klarzumachen, dass dies keine Verstellung sei und auch kein Trick ist, sondern bitterer Ernst. Sein Flehen steigert das Gelächter nur und man ist sich einig: Dieser Clown spielt seine Rolle wirklich gut! Dann geschieht, was geschehen muss: Das Feuer greift tatsächlich auf das Dorf über und jede Hilfe kommt zu spät, so dass Dorf und Zirkus gleichermaßen verbrennen. (Gleichnis von Søren Kierkegaard, zitiert nach Ratzinger, Joseph: Einführung in das Christentum, München, 1990/1968, S. 17).
Richtiges Zuhören wird unterbewertet.
Dabei wäre es so gut, genau hinzuhören.
Nicht nur auf das, was man hören will.
Denn Zuhören ist ein Akt der Zärtlichkeit.
Jemand schenkt dem, der redet, seine Zeit.
Lässt sich auf dessen Geschichte ein.
Sitzt oder steht da und hört zu.
Echtes Zuhören wird völlig unterschätzt, denn „echtes Zuhören ist ein Geschenk“, sagt Bernhard Pörsken, Professor für Medienwissenschaft in Tübingen. (Die Zeit vom 11. August 2016, Nr.34, S. 50). Und er sagt: Es ist leicht, einen Menschen zum Schweigen zu bringen, aber niemals kann man einen Menschen zum Zuhören zwingen.
Zuhören. Ach gäbe es doch mehr Menschen, die Zuhören möchten.
Die darauf hören, was der andere sagt.
Nicht überhören oder weghören, sondern erst hin- und dann zuhören.
Und der Tübinger Professor erzählt von einem Menschen, der erst genau hingehört und dann ganz genau zugehört hat. Er erzählt von Pater Klaus Mertes, dem Mann, der Anfang des Jahrzehnts den Missbrauchsskandal am Canisius-Kolleg, einem katholischen Gymnasium in Berlin, aufgedeckt hat, weil er zugehört hat.
Lange schon gab es Gerüchte. Aber niemand hatte hingehört.
Vielleicht wollte das auch keiner hören, was die ehemaligen Schüler zu erzählen hatten.
Denn wer zuhört, wer wirklich zuhört, der „ändert die kommunikativen Spielregeln und setzt Dinge in Bewegung.“ So wie der Pater.
Der hört erst hin, dann zu und dann entschuldigt er sich.
Schließlich schreibt der Gottesmann 600 Briefe an ehemalige Schüler und bittet um Vergebung und verspricht, weiterhin zu zuhören.
Tatsächlich: Zuhören ist eine Form der Zärtlichkeit.
Sie nimmt das Gegenüber ernst.
Wer zuhört, nimmt sich nicht wichtig.
Wer zuhört, nimmt sich zurück und lässt dem anderen Raum.
Wer zuhört, tritt zurück und macht dem anderen Platz.
Seiner Geschichte, mit allen Höhen und Tiefen.
Der zuhörende Pater setzt eine Lawine in Gang.
Aber nicht alle wollen hören, was der Pater gehört hat.
Er erlebt Anfeindungen. Auch das ist nicht neu.
Manches Gehörte erzeugt Abwehr.
Zuhören stellt in Frage.
Nicht nur sich selbst auch das System in dem man lebt.
Das ist unbequem.
Lieber alles totschweigen.
Besser alles weg reden.
Natürlich: Zuhören ist Beziehungsarbeit.
Zuhören ist ein Akt echter Begegnung.
Letztlich, so sagt es der Psychologe Erich Fromm: Letztlich ist Zuhören sogar eine Form von Liebe.
Zweifellos: Zuhören ist eine Form der Zärtlichkeit.
Aber Zuhören ist schwer.
Auch weil die Stimmen in dir auch laut sind.
Mal überschwänglich und mutig, mal leise und scheu.
Das liegt auch an der Tagesform.
Und an deinem Programm.
Soviel stürzt im Laufe eines Tages auf dich ein: Mails, Telefon, Fahrstuhlmusik.
Wenn du da durch willst, musst du zumachen.
Mit Kopfhörer in den Bus, in die Bahn oder aufs Rad! Macht ihr euer Ding ohne mich!
Das immerwährende Geschnatter nervt und es ist anstrengend.
Niemand kann und will immer zuhören.
Es ist wohl auch gar nicht vorgesehen, wenn nicht mal ein Arzt im Durchschnitt länger als 23 Sekunden wartet, bis er dich im Erstgespräch zum ersten Mal unterbricht.
Zeit ist Geld und draußen warten noch viele andere.
Der andere Feind des Zuhörens ist die Ignoranz.
Was mir nicht passt, wird nicht gehört.
Weil es nicht in mein Bild passt.
Schon Jesaja wusste das.
Nicht alle, die hören können, tun das auch.
Oder anders gesagt:
Herr, wer hat schon unserer Botschaft Glauben geschenkt?
Das ist wie verstockt.
Was ich nicht hören will, das höre ich auch nicht.
Das gilt für die Gegner von Pater Mertens genauso wie für unsere Kinder, die ihr Zimmer nicht aufräumen, trotz Ermahnung mit dem Essen spielen, oder im Schwimmbad vom Beckenrand springen, obwohl wir es schon dreimal verboten haben.
Manchmal denke ich dann, die stehen sich selbst im Weg.
Und dann denke ich, wie oft ich mir selber im Weg stehe.
Wie schwer es mir fällt zu zuhören.
Dinge, die anderen wichtig sind, aber mich nicht interessieren.
Unangenehme Dinge!
Manchmal auch Kritik.
Zuhören hilft zur Veränderung.
Gott hört zu. Soviel ist klar.
Er kann ja gar nicht anders.
Dietrich Bonhoeffer sagt:
Es ist Gottes Liebe zu uns, dass er uns auch sein Ohr leiht.
Und es gibt viele Menschen, fährt er fort, die ebenfalls ein Ohr suchen, das ihnen zuhört. Aber auch unter Christenmenschen ist ein solches nicht immer leicht zu finden, weil die eben auch gerne reden, wo es besser wäre zu zuhören.
„Wer aber seinem Bruder, seiner Schwester nicht mehr zuhören kann, der wird auch bald Gott nicht mehr zuhören, sondern er wird auch vor Gott immer nur reden.“ (Gemeinsames Leben/Das Gebetbuch der Bibel, DBW Band 5, Seite 82f.)
So beginnt der Tod des geistlichen Lebens, das Ende des Glaubens.
Denn der Glaube kommt aus dem Hören.
Am Ende überlebt „nur das geistliche Geschwätz, die pfäffische Herablassung, die in frommen Worten erstickt.“
Wer nicht lange und geduldig zuhören kann, der wird am Anderen immer vorbeireden und es selbst schließlich gar nicht mehr merken.
Wer also denkt seine Zeit sei zu knapp, zu kostbar, zu besonders, als dass er oder sie dem Anderen Zuhören könnte, der wird „nie wirklich Zeit haben für Gott und seine Geschwister, sondern nur immer für sich selbst, für seine eigenen Worte und Pläne.“
Wer also keine Zeit zum Zuhören hat, macht Gott und seinen Nächsten zum Clown, den keiner ernst nimmt.
Und das wäre nicht nur gefährlich, das wäre auch äußerst bedauerlich.
Amen.