In einem Boot Mt 4,22-27 von Barbara Eberhardt
4,22-27

In einem Boot

Und alsbald drängte Jesus die Jünger,
in das Boot zu steigen
und vor ihm ans andere Ufer zu fahren.

Wir sitzen in einem Boot.
Haben Ruder in der Hand.
Eine trägt den Gemeindebrief aus.
Einer spielt im Posaunenchor.
Eine schließt die Kirche morgens auf und abends wieder zu.
Einer besucht den Gottesdienst.
Eine betet mit ihrem Kind vor dem Schlafengehen.
Verschiedene Ruder.
Aber wir rudern gemeinsam.
Auch wenn der Wind uns hart entgegenbläst.
Über 200.000 Kirchenaustritte im Jahr.
Sparmaßnahmen der Landeskirche.
Zweifel.
Wir rudern weiter.
Gegen die Wellen.
Gegen den Sturm.
Wir sitzen in einem Boot.

Jesus hat uns dazu gebracht.
Er hat uns vorausgeschickt ans andere Ufer.
Noch eine kleine Weile,
bis wir ihn dort sehen werden.
Es kommt einem endlos vor,
wenn die müden Knochen schmerzen,
wenn die Tage werden wie Ruderschläge:
eins – zwei – drei – vier.
Hart gegen den Wind.
Das andere Ufer ist weit, so weit,
und wer weiß, ob wir nicht untergehen.

Ich stöhne.
Mach ein bisschen Pause,
sagt der neben mir.
Und die vor mir reicht mir ein Stück Brot.
Ich weiß nicht, wo die Reise hingeht
und wie fern das andere Ufer ist.
Aber das Brot gibt Kraft.
Die Pause macht Mut.
Und egal, was kommt:
Wir sind zusammen.
Wir sitzen in einem Boot.
Schaukelnd auf den Wellen.
Jesus hat uns geschickt.

Stürmische Zeit

Der Wind bläst stürmisch im Moment, finde ich. Was sich da an politischer Großwetterlage zusammenbraut, das verursacht ein mulmiges Gefühl in meinem Magen. Ich weiß nicht, wohin unser Boot steuert. Am anderen Ufer, auf der anderen Seite des Atlantiks ist ein neuer Präsident. Er macht die Gesundheitsreform seines Vorgängers rückgängig, lässt Öl-Pipelines durch das Gebiet der amerikanischen Ureinwohner bauen. Und wenn ihm die Zahlen der Zuschauerinnen und Zuschauer bei seiner Vereidigung zu niedrig scheinen, lässt er „alternative Fakten“ präsentieren. Ist er sich dessen bewusst, was er tut? Wohin steuert er?

Auch in Deutschland tost die Brandung. Viele Ängste kommen hoch. Angst vor Attentaten, Angst vor einem neuen Rechtsradikalismus, Angst vor digitaler Überwachung, Angst überhaupt vor der Zukunft, weil alles so unübersichtlich scheint. Wohin steuern wir?

Das Boot aber war schon weit vom Land entfernt
und kam in Not durch die Wellen;
denn der Wind stand ihm entgegen.

Jesus kommt

Aber in der vierten Nachtwache
kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meer.
Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen,
erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst!,
und schrien vor Furcht.
Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach:
Seid getrost, ich bin's; fürchtet euch nicht!

Jesus kommt.
Mitten im Sturm.
Über die aufschäumenden Wellen
von Donald Trump und Pegida
kommt er und spricht: Fürchtet euch nicht!
Seid getrost und unverzagt.
Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen,
aber meine Gnade soll nicht von dir weichen.
In der Welt habt ihr Angst;
aber seid getrost,
ich habe die Welt überwunden.
Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes.
Jesus kommt, mitten im Sturm,
und spricht zu uns.

Petrus stellt Jesus auf die Probe

Einer, Petrus, zweifelt.
Und er will es wissen
Er stellt Jesus auf die Probe.
Petrus aber antwortete ihm und sprach:
Herr, bist du es, so befiehl mir,
zu dir zu kommen auf dem Wasser.
Herr, bist du es,
bist du wirklich der Sohn Gottes,
so gib mir einen Beweis.
Herr, bist du es,
so gib mir Kraft, Berge zu versetzen.
Herr, bist du es,
so mache mich heute noch gesund.
Herr, bist du es,
so lass den Club am nächsten Wochenende gewinnen.
Herr, bist du es,
so lass mich diese Schulaufgabe mit einer Drei bestehen.
Herr, bist du es,
so lass mich auf dem Wasser gehen.

Warum auf dem Wasser gehen?

Es gibt eine Geschichte über einen, der auf dem Wasser geht. Sie kommt angeblich aus dem Zen-Buddhismus. Ein junger Mönch lebt in einem Kloster mit vielen anderen Mönchen zusammen. Aber das reicht ihm nicht. Er will mehr. So geht er weg aus dem Kloster, fährt mit der Fähre über den Fluss und zieht sich auf einen Berg zurück in die Einsamkeit. Dort lebt er 25 Jahre, versunken in Meditation. Schließlich steht er auf, streckt sich wie nach einem langen Schlaf und geht den Berg hinunter zum Fluss. Ohne zu zögern, setzt er dort seinen Fuß auf die Wasseroberfläche und schreitet über das Wasser auf das Kloster zu, das er vor 25 Jahren verlassen hat. Am anderen Ufer waschen zwei Mönche gerade ihre Wäsche. Sie sehen den alten Mann kommen. Der eine Mönch fragt den anderen: „Wer ist das?“ Der andere sagt: „Das muss der Mann sein, der 25 Jahre in einer Höhle meditiert hat. Nun schau ihn dir an! Jetzt kann er auf dem Wasser laufen!“ "Das hätte er sich sparen können!" sagt da der erste. "Die Fähre kostet doch nur 50 Cent."

Wozu will man eigentlich auf dem Wasser laufen?
Wozu will Petrus auf dem Wasser laufen?
Die Fähre kostet doch nur 50 Cent.

Jesus hat Petrus tatsächlich auf dem Wasser laufen lassen.
Ein paar Schritte.
Dann war es vorbei.
Jesus musste Petrus herausziehen,
wie einen schweren Fisch.
Jesus aber streckte sogleich die Hand aus
und ergriff ihn und sprach zu ihm:
Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?
Ich bin doch geradewegs auf dich zugekommen.
Ich hab dir doch gesagt, wer ich bin.
Wenn du nur noch eine Minute auf deinem Platz geblieben wärst,
dann wäre ich neben dir gesessen,
neben dir und den anderen
und diese ganze Sache da auf dem Wasser
hätten wir gar nicht gebraucht.
Wozu willst du auf dem Wasser gehen?

Alle in einem Boot

Und sie stiegen in das Boot und der Wind legte sich.
Gemeinsam sitzen wir im Boot.
Jesus ist dabei.
Der Sturm geht vorüber.
Die Sonne geht auf
und wir hängen die nassen Kleider zum Trocknen
über die Bootswand,
legen die Ruder beiseite und lassen uns etwas treiben.
Wir genießen die Zeit zusammen.
Singen ein Lied
von einem Schiff, das sich Gemeinde nennt.
Wir packen Essen aus:
Bratwürste im Brotteig und Spinattaschen
und Schnittchen.

Danach nehmen wir die Ruder wieder zur Hand.
Die Gemeindebriefe.
Die Posaunen.
Die Kirchenschlüssel.
Die Gesangbücher.
Das Heft mit den Kindergebeten.
Es gibt viel zu tun.
Wir rudern weiter.
Gegen die Wellen.
Und wenn es sein muss gegen den Sturm.
Wir sitzen in einem Boot.  
Jesus ist mit uns.
Hier ist unser Platz.

Amen.

Predigtlied: Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt (EG 589, Ausgabe für Bayern und Thüringen)


Die Predigt wurde inspiriert durch die Predigt „Why Did You Doubt?“ von Barbara Brown Taylor (in: dies., Bread of Angels, Cambridge / Boston, Massachusetts 1997, S. 119-122). Ihr ist auch die Geschichte über den Mönch, der über das Wasser läuft, entnommen.

 

Perikope
29.01.2017
4,22-27