Der Predigttext für den 17. Sonntag nach Trinitatis steht Röm 10,9-18:
„Denn wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet. Denn wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und wenn man mit dem Munde bekennt, so wird man gerettet. Denn die Schrift spricht (Jes 28,16): »Wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden.« Es ist hier kein Unterschied zwischen Juden und Griechen; es ist über alle derselbe Herr, reich für alle, die ihn anrufen. Denn »wer den Namen des Herrn anrufen wird, soll gerettet werden« (Joel 3,5). Wie sollen sie aber den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger? Wie sollen sie aber predigen, wenn sie nicht gesandt werden? Wie denn geschrieben steht (Jes 52,7): »Wie lieblich sind die Füße der Freudenboten, die das Gute verkündigen!« Aber nicht alle sind dem Evangelium gehorsam. Denn Jesaja spricht (Jes 53,1): »Herr, wer glaubt unserm Predigen?« So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi. Ich frage aber: Haben sie es nicht gehört? Doch, es ist ja »in alle Lande ausgegangen ihr Schall und ihr Wort bis an die Enden der Welt« (Ps 19,5).“
Liebe Schwestern und Brüder,
eine Sehnsucht nach Einfachheit überfällt viele Menschen einmal im Jahr, besonders in den Ferien. Sie möchten ihrem komplizierten Alltag entfliehen und ein einfaches Leben verbringen. Ein ruhiger Blick von der Terrasse auf den roten Sonnenball, der hinter den Bergen im Westen untergeht. Ein Becher mit einem schlichten Rosé, ein Stück Käse und ein paar Scheiben Baguette, dazu schwarze Oliven. Nach Einbruch der Dunkelheit zwei Bienenwachskerzen auf dem Tisch, der Wechsel zwischen Stille und unaufgeregtem Gespräch mit Freunden. In der Ferne zirpende Grillen und das Gekreisch einer Katze, die mit einer armen Maus ihr Spiel treibt.
Wenn diese Szene irgendwo im Süden angesiedelt ist, in einem abgelegenen Bauernhof der Provence oder in einem Fischerdorf auf Sizilien, geht nach Sonnenuntergang der Sternenhimmel auf. Ohne Straßenlaternen und anderes Licht zeigen sich Sternenbilder und Sternschnuppen. Galaxien, die in den Städten wegen des Gegenlichts der Zivilisation längst verschwunden sind. Es macht sich eine unaufgeregte Stimmung von Gelassenheit breit. Sie lässt jeden Urlauber vergessen, dass sein Alltag zuhause wieder bestimmt sein wird von Dutzenden täglicher Emails, drängenden Terminen, fälligen Papieren, zu erledigenden Aufgaben, von verpassten Straßenbahnen und nicht eingehaltenen Fristen, von Fälligkeiten, Zeitdruck und Aktenordnern mit dem Aufdruck: EILT SEHR!
Im Urlaub fällt das Korsett des Alltags in sich zusammen, die bindenden Knoten der Routine lösen sich auf. Und sobald die Urlauber diese Ruhe zulassen und nicht wegwischen, lockern sich im Innern die selbstangelegten Fesseln, welche die Menschen in Routinen und Zwängen gefangen halten. Urlaub stellt solche Zwänge in Frage. Dann ist der Urlaub bestimmt von Leichtigkeit und Ruhe, von Offenheit und Heiterkeit, von einer gelungenen Mischung aus ungezwungener Anstrengung und befreitem Loslassen. Jeder Urlaub weiß, dass diese Gelassenheit drei Wochen nach der Rückfahrt wieder verschwunden sein wird. Aber trotzdem: Möglich ist es, gelassen und ausgeglichen zu leben.
Findet sich dieser Übergang von Zwang und Routine zu Gelassenheit und Offenheit auch im Glauben? Ja, auf jeden Fall. Diese Bewegung schwingt mit im Predigttext aus dem Römerbrief. Wenn wir diese Passage in Gelassenheit ernst nehmen, so wird sofort sichtbar: Glauben ist ein Gespräch, ein Spiel von Fragen und Antworten. Glauben ist keine Belehrung, keine erzwungene Besserwisserei, keine penetrante Bevormundung, keine klerikale Bürokratie. Glaube ist Freude, Einladung, Freiheit und Gespräch. Paulus nimmt seine Briefpartner ernst. Im Pingpong der Fragen und Antworten nimmt er sie ernst.
Und ein zweites: Im Grunde sagt Paulus theologisch nicht viel. Konzentriert euch auf den Glauben. Das reicht. Und der Glaube braucht die Predigt, die Verkündigung des Evangeliums. Glaube und Predigt, das ist alles. Mehr braucht es nicht für das Christentum, ein einfaches geistliches Abendessen – wie Baguette und Rotwein im Urlaub.
Jeder kann sich wiederfinden in diesem einfachen, entscheidenden Wort: „Denn wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht.“
Zuerst einmal rutscht der Glaube vom Kopf ins Herz. Er trifft die innersten, wichtigsten Überzeugungen eines Menschen. Andere verlieren sich grübelnd in komplizierten Gebäuden der Dogmatik oder in aufwendigen Vorleistungen. Sie meinen, diese täglich erfüllen zu müssen wie die fünftausend Schritte, die ihnen das Fitnessarmband vorschreibt. Andere versuchen es mit regelmäßiger Meditation, mit innerer Erleuchtung und anderem. All das hat seinen eigenen guten Sinn: Fitness, bürgerschaftliches Engagement, Hilfe für andere, Leistungen, die eine Karriere begründen. Aber all das verblasst für die Gerechtigkeit Gottes. Dafür, sagt Paulus, sind Vorleistungen nicht wichtig. Im Herzen finden Gott und die beunruhigte Seele auf eine andere Weise zueinander. Von Gott aus gesehen heißt das Gnade. Vom Menschen aus gesehen Glaube.
Weil der Glaube nichts mit Vorleistungen zu tun hat, wirkt er auf den ersten Blick wie eine weltfremde Haltung. Auf den zweiten Blick beeinflusst der Glaube im Herzen das Weltverhältnis des nervösen, überlasteten Alltagsmenschen enorm. Der Glaube relativiert die Welt. Fitness, Leistung, Erfolg, Karriere, all das sind erstrebenswerte Ziele. Wer aber nur noch darauf blickt, der macht aus erstrebenswerten Zielen nichts anderes als Götzen. Der Glaube nun hilft dabei, die Götzen wieder vom Thron zu holen. Sie werden wieder der Welt eingeordnet. Denn vor Gott besteht niemand durch seine Leistung. Vor Gott besteht jeder nur durch die Gnade Gottes.
Nun kann jemand einwenden: Ich habe mit allem Bemühen versucht, zu glauben. Aber ich komme nicht in diesen Zustand des Herzens, den ich mir erhofft habe. Manchmal gelingt es mir, dann glaube ich. Aber dann verfliegt dieser Zustand wieder. Er geht mir im Alltag verloren. Manchmal machen sich Zweifel breit. Manchmal bin ich vom Gegenteil dessen überzeugt, was ich in der Bibel lese.
Ich bin überzeugt, dass das ganz menschlich ist. Vorlieben, Abneigungen, Liebe, Freundschaft - all das entwickelt sich. Glaube ist kein Zustand, in den man hineinspringt und dann immer darin verharrt. Glaube ist nicht von einem Tag auf den anderen da und verschwindet danach nicht mehr.
Glaube ist wie alle Eigenschaften, Haltungen und Charakterzüge in Bewegung. Er ist Prozessen des Wachstums und des Schrumpfens ausgesetzt. Niemand muss sich darüber beunruhigen. Der Glaube, von dem Paulus spricht, entwickelt sich langsam. Er schrumpft manchmal sogar ein klein wenig, aber irgendwann bleibt er für länger.
Niemand muss sich beunruhigen, wenn er nicht jeden Morgen mit dem Gedanken an Gott aufwacht. Glaube ist den Bewegungen menschlichen Lebens ausgesetzt, eingebunden in Prozesse des Reifens, des Erwachsenwerdens und des Alterns.
Glaube gehört zum Leben wie die Liebe, die Hoffnung, aber auch wie die Verzweiflung und die Traurigkeit, die jeden von uns gelegentlich befällt. Ewig, nachhaltig und dauerhaft ist demgegenüber allein die Gnade Gottes.
Die Innenseite des Glaubens, die im Herzen des Menschen verborgen ist, besitzt auch eine Außenseite. Es genügt nicht, den Glauben im Herzen zu tragen. Paulus fordert die Gemeindeglieder in Rom auf, sich zu ihrem Glauben zu bekennen. Wer Gott im Herzen trägt, der kann auch öffentlich sagen: Dieser Gott hat mich überzeugt. In der Gegenwart trifft das auf eine verbreitete Scheu, die eigenen Glaubensüberzeugungen anzusprechen und mit Freunden oder Kollegen zu teilen. Das gilt nicht nur für Christen, sondern auch für Menschen anderer Religionen. Man hält seine Überzeugungen zurück, um keine Konflikte zu provozieren, keinen Streit auszulösen. Auch, um sich selbst nicht rechtfertigen zu müssen. Ich bin überzeugt, dass das für alle Religionen keine gute Entwicklung ist. Ich glaube, dass der Satz „Religion ist reine Privatsache“ letzten Endes nicht stimmt.
Sicher, wenn der Glaube in die Herzen von Menschen dringen soll, dann ist das eine Angelegenheit, die jeder mit sich selbst abmachen muss, ohne Zwang und Druck von außen. Aber christlicher Glaube ist auf Gemeinschaft, Gemeinde und Verbreitung ausgelegt. Darum fordert der Glaube im Inneren auch das Bekenntnis nach außen: An diesen Jesus Christus glaube ich. Von diesem Gott der Bibel bin ich überzeugt. In jedem Gottesdienst legt die Gemeinde solch ein Bekenntnis ab, indem sie das Apostolische Glaubensbekenntnis spricht. Der Liturg leitet das Glaubensbekenntnis häufig mit einer Formel ein: „Wir bekennen unseren Glauben gemeinsam mit der ganzen Christenheit (…).“
Paulus kannte noch keine Ost- und Westkirche, keine verschiedenen Konfessionen. Für ihn war die „Ökumene“, die weltweite Kirche, auf den Mittelmeerraum, das römische Imperium, beschränkt. Dort hat er in der heutigen Türkei und in Griechenland Gemeinden gegründet. Der Gemeinde in Rom, der Hauptstadt des Imperiums, hat er seinen längsten und theologisch gehaltvollsten Brief gewidmet.
In den Fragen und Antworten der Predigtpassage schwingt neben dem Nachdenken über den Glauben die heftige Auseinandersetzung zwischen Juden- und Heidenchristen mit. Für die einen war das Christentum nur eine Variante des Judentums. Die Tora, das jüdische Gesetz, galt weiter, und wer in die Gemeinde eintreten wollte, musste sich beschneiden lassen. Es war streng verboten, Götzenopferfleisch aus heidnischen Tempeln zu essen. Das galt als Gotteslästerung.
Die anderen verstanden das Christentum als etwas Eigenständiges und etwas Neues. Beschneidung war keine Pflicht, und der Genuss von Götzenopferfleisch war gestattet, solange damit niemand magische Vorstellungen verband. Paulus neigte der zweiten Variante des Christentums zu, auch wenn er die Judenchristen nicht ausschließen wollte. Gottes Gnade schließt niemanden aus, sie reicht für alle. Es ist hier nicht möglich, den gesamten Gedankengang zu entfalten, den Paulus im zweiten Drittel des Römerbriefs zu diesem Thema entwickelt.
Ich nehme hier nur den Gedanken des Einfachen heraus. Glaube soll zu Herzen gehen und einfach sein. Einfach heißt im Übrigen nicht dumm oder ohne Verstand.
Der Glaube kommt nicht aus dem Befolgen von Regeln. Paulus sagt: Glaube kommt vor allem aus dem Hören, aus dem genauen Hinhören – ja worauf eigentlich?
Hören auf die Predigt im Gottesdienst? Das wäre zu einfach.
Hören auf Gottes Wort? Aus den vielen Stimmen, Geräuschen und Meinungen, die jeder im Laufe eines Tages hört, ist das manchmal schwierig zu unterscheiden, welche Stimme zu wem gehört und vor allem, was sie bei den Hörern erreichen will. Hören ist grundsätzlich eine lebenswichtige Eigenschaft, die jeden Menschen mit all dem bekannt macht, was in der Welt an Stimmen verbreitet ist: guten und bösen, zornigen und liebenden. Die Welt ist ein Stimmengewirr. Geräusche und Stimmen prasseln von allen Seiten auf die Zuhörer ein, bis sie gar nicht mehr richtig unterscheiden können, was sie wichtig nehmen sollen und was nicht.
Glaube, der zu Herzen gehen soll, benötigt darum gelegentlich die Stille des zurückgezogenen Gebets. Der Beter wird sich dessen bewusst, was er selbst an Stimmen in seinem Herzen trägt. Er wird sich auch dessen bewusst, was Gott von ihm will. Der dänische Philosoph SørenKierkegaard hat das Gebet deshalb gar nicht als ein Medium des Sprechens, sondern als ein Medium des Zuhörens verstanden. Wer betet, dem gelingt es zuzuhören, was Gott dem Beter sagen will. Stille blendet die Geräusche der Welt aus und konzentriert das Gebet auf den Dialog zwischen Gott und Mensch.
Glaube, der zu Herzen gehen soll, ist nicht beschränkt auf das Verhältnis zwischen Gott und dem Beter. Darüber hinaus braucht er die Gemeinschaft der Gemeinde, und deswegen braucht es den Gottesdienst, mit gemeinsamem Singen, den Lesungen der Bibel und auch mit einer Predigt, die einen Bibeltext wie heute das zehnte Kapitel des Römerbriefs auslegt. Predigt ist so zu verstehen wie die Briefpassage des Paulus, die einem virtuellen Gespräch gleichkommt. Eine Predigt versucht wie der Brief des Paulus, ein Gespräch über den Glauben zu führen.
Sie ist der Versuch, die Aufmerksamkeit auf den Gott zu lenken, der sich dem Volk Israel und dann der Christenheit in Gnade zugewandt hat und weiter zuwendet. Der Glaube im Herzen gilt dem Jesus Christus, in dem Gott Mensch geworden ist. Ganz einfach.
Und der Friede Gottes, welcher den Menschen tiefer als über die Vernunft, nämlich im Herzen ergreift, bewahre eure Gedanken und Gefühle, euer Leben in Jesus Christus. Amen.