„Eins aber ist not: Mehr Maria sein…“ - Predigt zu Lukas 10,38-42 von Martina Janßen
10,38-42

I.

Morgen ist der große Gottesdienst. Wir wollen einladende Kirche sein. Das macht Freude, aber auch Mühe. Stühle aufstellen, alles noch einmal durchgehen: Schnittchen, Kaffee, Dekoration. Es ist 19.00 Uhr. Zwei Stunden Dienstbesprechung liegen hinter mir. Jetzt noch schnell die Predigt schreiben. Welcher Text war noch mal dran? Ich bin müde, meine Gedanken schweifen ab. Kriegt Frau B. das wirklich mit der neuen Kaffeemaschine hin? Haben wir alle Reserviert-Schilder angebracht? Ach, einen Kuchen muss ich ja auch noch backen… Ich sitze vor meinem Laptop. Worum geht es noch mal inhaltlich im Gottesdienst morgen? Mein Kopf ist leer. Vielleicht einfach eine Predigt aus dem Internet rausziehen?
Es gibt Tage, da erschlägt mich das Praktische, das Sich-Kümmern und Sich-Sorgen. Da bin ich nur noch Marta – und wünsche mir nichts mehr als Maria zu sein! Aber so leicht ist das nicht. Was würden die anderen denken, wenn ich das Servierten-Falten und das Kuchenbacken ihnen überlassen und sagen würde: „Ich lese lieber in der Bibel und denke über Gottes Wort nach.“? Und das als Frau. Männliche Kollegen haben es da vielleicht leichter… Wer versteht mich da schon?

II.
Als sie aber weiterzogen, kam er in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf. Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu. Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihm zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll! Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist Not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.

Eine tolle Geschichte – gerade für eine gestresste und von den praktischen Herausforderungen des Lebens erschlagene Pastorin! Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden. (Lk 10,42) Jesus hat ein Herz für Maria und das, was sie tut: Hören auf das Wort! Endlich einer, der mich versteht! Denken und Hören statt Backen und Stühle-Rücken. Endlich fühle ich mich als Theologin ernst genommen! Danke, Lukas, danke, Jesus! Jetzt konzentriere ich mich ganz auf die Theologie - das ist ja auch das wirklich wichtige und „der gute Teil“ - und lass die anderen Marta sein.
Obwohl - ganz wohl ist mir dabei auch nicht. Denn ich freue mich ja auch, wenn ich nach dem Gottesdienst einen Kaffee bekomme und in ein saftiges Stück Kuchen beißen kann. Und ich weiß, dass das nicht mir allein so geht. Der Mensch lebt nicht vom Wort allein, er braucht auch Brot und saftigen Kuchen. Ganz so einfach ist es wohl doch nicht. Ohne die Martas wäre es doch alles recht trocken und auch Maria bliebe hungrig.

III.
Maria und Martha, die ungleichen Schwestern. Wie oft hat man sie gegeneinander ausgespielt! Marta steht in der Tradition für die vita activa, das aktive, tätige Leben. Nicht umsonst ist sie Schutzheilige der Kellner und Hausfrauen. Maria dagegen symbolisiert die vita contemplativa, die mystische Schau, das Hände in den Schoß legen und die Gedanken in die Höhe heben. Da kann sich der vergeistigte Theologe mit vielleicht zwei linken Händen wiederfinden. Maria und Marta – das sind zwei unterschiedliche Arten zu arbeiten und zu leben. Wie gut könnten sich die beiden ungleichen Schwestern gegenseitig stützen und ergänzen. Was könnte ihnen nicht alles zusammen gelingen, wenn sie an einem Strang ziehen würden. Doch oft gibt es Streit und Konkurrenz zwischen den beiden Schwestern. Wie oft werden Denken und Tun gegeneinander ausgespielt. Wer ist wertvoller? Der Meister in der Werkstatt oder der frisch gebackene Master aus der Uni? Da gibt es Ressentiments auf beiden Seiten. Was ist besser? An Autos schrauben oder Texte weben? Brötchen backen oder Worte drechseln? Beton mischen oder an Reden feilen? Auf was und wen kommt es an? Hand oder Kopf? Handwerker oder Wortwerker? Blaumann oder Gelehrtentalar? Maria oder Marta?
Das ist die falsche Frage. Nur zusammen sind die beiden Schwestern stark, können sich Bälle zuspielen und unschlagbar sein. Meister und Master – wie schön wäre es, wenn beide sich gegenseitig wertschätzen und achten würden, wenn es ein Gleichgewicht gäbe und das Gefühl: Unterschiedliche Gaben, ein Geist!
Und doch - oft zieht Marta den Kürzeren. Man merkt das nicht zuletzt an der Bezahlung. Das ist nicht neu, das war schon in der Geschichte unserer Kirche so. Das theologische Denken und Verwalten der Sakramente – und damit der Stand der Kleriker – waren bis zur Reformation viel höher angesehen als die tätige Arbeit der Hausfrau und des Handwerkers. Dabei hat doch beides seinen Wert, wie Luther klarstellt. „Wenn du die geringe Hausmagd fragst, warum sie das Haus kehrt, die Schüssel wasche, die Kühe melke, so kann sie sagen: Ich weiß, dass meine Arbeit Gott gefällt.“ Das ist doch was. Die Arbeit der Hausmagd, Martas Arbeit, ist nicht nur nützlich, nötig und wertvoll, sondern gottgefällig und nichts weniger als Gottesdienst. Wenn das keine Wertschätzung ist! Soweit so gut. Aber ist das, was Maria tut, nicht doch mehr wert? Sagt Jesus nicht selbst, dass Maria, die Hörerin mit den Händen im Schoß, den guten Teil erwählt hat?

IV.
Wer so denkt, hat zu wenig nachgedacht - und Lukas nicht genau genug gelesen. Lukas geht es nicht um die Polarisierung zwischen Hören und Tun. Es geht ihm schon gar nicht um das Abwerten des tätigen Dienstes, ganz im Gegenteil: Wie in kaum einem anderen Evangelium spielt bei ihm die Diakonie, der tätige Dienst für andere, eine große Rolle. Für Lukas ist das Hören nicht vom Tun zu trennen. Allein die Geschichte vom barmherzigen Samariter, die Lukas direkt vor der Geschichte von Maria und Marta erzählt, zeigt das. Da sieht man, wie das Hören auf Gottes Wort in die Tat umgesetzt wird. Und doch - wird denn in unserer Geschichte Marta nicht ermahnt, weil sie so ganz auf ihre Hausarbeit sieht und darin aufgeht? Ergreift Jesus nicht Partei für Maria, die die Hände in den Schoß legt und die Ohren spitzt, wenn Jesus redet? Schon, aber Marta wird nicht ermahnt, weil sie hauswirtschaftet, sondern weil sie dem eine so hohe Bedeutung beimisst. Das ist ein entscheidender Unterschied! Zurückgewiesen wird nicht, dass Marta sich nach Hausfrauen Art um das leibliche Wohl von Jesus kümmert, zurückgewiesen wird ihre übertriebene Betriebsamkeit. „Marta machte sich viel zu schaffen.“ Zu viel zu schaffen. Eine solche übermäßige Sorge soll nicht sein, denn sie kann den Blick auf das verstellen, worauf es ankommt: Das Hören auf das Wort. Maria setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu. (Lk 10,39b) Das könnte Marta von ihrer Schwester Maria lernen.

V.
Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe! (Lk 10,41b) Ich kann aber auch Marta verstehen. Ich will doch auch, dass alles gelingt. Ich will doch auch Kuchen und dass die Technik funktioniert und die Stehtische nicht im Weg stehen! Und das ist gut so. Aber manchmal habe ich in unserer Kirche das Gefühl, dass Maria immer weniger Raum und Recht hat. Wie oft erschöpfen wir uns in Betriebsamkeit und vergessen, was eigentlich wichtig ist und worauf es wirklich ankommt – sei es beim Festgottesdienst oder bei der Hochzeitsvorbereitung. Im Hamsterrad drehen wir uns nur tagein, tagaus um das Praktische, um Verwaltung und Organisation. Ein bisschen leiden wir vielleicht schon am „Marta-Syndrom“, einer übertriebenen Betriebsamkeit.
Marta aber machte sich viel zu schaffen. (Lk 10,40a) Zuviel Aktionismus kann blind machen und den Blick auf das verstellen, was auch wichtig ist. Müssen wir uns immer so sorgen, ob die Handzettel auf Hochglanzniveau und perfekt gestaltet sind, die Power-Point-Präsentation optimal ins Licht gesetzt ist und die Häppchen raffiniert genug aussehen? Wenn ich immer mit den neusten Trends mithalten will, fehlt mir manchmal die Zeit zum Innehalten.
Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe! (Lk 10,41b)
Immer wenn ich mich zu sehr um all die praktischen Dinge sorge, gerät etwas aus dem Gleichgewicht. Kirche lebt nicht von Perfektion und Organisation allein. Denn wenn ich alles perfekt managen, planen und ausführen würde, wenn ich rund um die Uhr arbeiten und mit einem Großevent nach dem anderen in der Zeitung stehen würde, und hätte Gottes Wort nicht, wäre ich nichts. Es braucht Gottes Wort.
Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden. (Lk 10,42)
Wie wäre es, von Maria zu lernen? Weniger ist manchmal mehr. Wie wäre es mit weniger Schaffen, Sorge und Stress und mehr Stille und Staunen? Weniger Management und mehr Meditation? Weniger Hetzen und mehr Hören? Etwas weniger Marta und mehr Maria sein: Mehr Raum und Zeit für Gottes Wort.

ich nehme mir zeit
eine halbe stunde zeit
eine halbe stunde
der stille zu gott

dem die stunden
gehören
die halben
und die ganzen

den versuch ich
zu hören
ihn versuch ich
anzurufen

fast reut mich
die zeit
ich halt sie nicht aus

dein übermaß an ewigkeit
macht
die zeit mir
lang


(Rudolf Bohren, in: Verstehen durch Stille. Loccum-Brevier, 22003, S. 29)
Amen

 

Perikope
26.02.2017
10,38-42