3Ist doch offenbar geworden, dass ihr ein Brief Christi seid durch unsern Dienst, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf fleischerne Tafeln der Herzen. 4Solches Vertrauen aber haben wir durch Christus zu Gott. 5Nicht, dass wir tüchtig sind von uns selber, uns etwas zuzurechnen als von uns selber; sondern dass wir tüchtig sind, ist von Gott, 6der uns auch tüchtig gemacht hat zu Dienern des neuen Bundes, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.
Ein Araber und ein Andalusier hauen ab. Weg von ihrem alten Don aus Spanien, raus aus dem Corral. Hinein in die wilden Steppen aus Gras und Busch, Erde und Sand, Hitze und Tornado. Mit ihresgleichen gehören der Araber und der Andalusier in den Prärien von Nordamerika zum Ursprung der Mustangherden. Gefangenschaftsflüchtling. So nennt man ein Lebewesen, das in einer ihm fremden Natur der menschlichen Obhut verloren gegangen ist. Und dann fürderhin frei und wild in seiner neuen Welt lebt und heimisch wird. Der Heilige Geist ist ein Gefangenschaftsflüchtling. Eingesperrt von Menschen in die Grenzen ihres Geistes, und ihnen darob verloren gehend. Er bewegt sich frei in einer neuen Welt und kauert da, wo es ihm gefällt, zieht andere zu eng Gezäumte mit sich in ein neues Leben.
Der Heilige Geist ist ein Gefangenschaftsflüchtling, ersichtlich zum Beispiel am in die Ecke gedrängten Paulus. Was lag da an? Einige Korinther wollten, dass er ihnen ein Schreiben vorweise, in welchem er von außen, von Dritten empfohlen würde. Was sollte er darunter verstehen? War das als Angriff gegen ihn und sein Wirken in Korinth zu verstehen? Aus purer Freude am Stress machen. Oder aus Trotz, weil er den Weltstädtern eine Spur zu selbstherrlich aufgetreten ist. Oder meinten die in Korinth: So, wie der drauf ist, so weitgereist und fähig, so was hat er eh. Oder die Anfrage um Empfehlung war Teil einer Prozedur – so wie es damals halt üblich war und deshalb zu befolgen. Auch wenn der Betroffene in der Sache über jeden Zweifel erhaben und das deshalb als lästig empfinden musste. Was muss, das muss! Clevere Korinther; wenn man als Christ in Korinth die Forderung unterließ, hätte ja sein können, dass man dafür zur Rechenschaft gezogen würde. Paulus war unschlüssig, dachte hin und her, vor und zurück. Fand dann eine Antwort, verlieh seiner Empfindung im Text, wenn überhaupt, nur indirekt Ausdruck. Was auch immer ihm das Ansinnen bedeutete, er hat darauf wie folgt entgegnet. Eine Empfehlung von außen, von einem Dritten? Gerne, ein Heimspiel für mich. Gott selbst empfiehlt mich! Sein unter Euch wirksamer Geist! Der ist doch allein durch mich zu euch nach Korinth gekommen. Jeder andere Dritte, jedes andere außerhalb ist im Vergleich mit Gott natürlich ein Abstieg. Was für ein Befreiungsschlag! Diese Ansage wird erst mal gewirkt haben, egal welche Absicht die Fragenden verfolgten.
Der Heilige Geist weckt also Gottes Bedeutung im Menschen, setzt dessen Kopf und Herz in Bewegung, bewusst und unbewusst. Bei Paulus hat das immer wieder gut geklappt. Wie steht es damit bei uns? Da muss man als Mensch leider zugeben: Wir fühlen uns sehr gerne bedeutsam. Denn das schmeichelt sehr, um so mehr, wenn Mensch sich ungeliebt oder unverstanden fühlt. Deshalb werden wir ab und an leider stille Besserwisser. Oder mehr noch: Wir werden laut und machen gerne selber und ganz allein die Ansagen. Als Ansager oder Besserwisser stehen wir in einer Gefahr: Nämlich das, was wir uns da denken, unsere eigene Bedeutung, für das einzig wahre zu halten. Wir übergehen die Bedeutung des Heiligen Geistes, was das Bedeuten angeht. Für uns Menschen heißt dieser Vorrang nämlich: Es ist alles andere als von vornherein klar, ob wir einen Text richtig verstehen. Oder welche Bedeutung wir mit einem von uns gemachten Text ausdrücken. Beides ist also erst durch die Vorsprache des Heiligen Geistes zu entdecken und zu finden. Angesichts von Besserwissern und Ansagern ist die gute Nachricht: Der Heilige Geist spricht tatsächlich erfolgreich vor in uns Menschen! Ruft Gottes Bedeutung in uns auf, selbst wenn wir keinen blassen Dunst haben.
Paulus beschreibt im Korintherbrief, was bei dessen Mitteilung vor sich geht. Er erwähnt Tinte. Das würde heißen, dass der Geist eine dunkle Flüssigkeit einem Stoff aufträgt, der diese wie ein Papyrus oder Pergament aufsaugt und an Ort und Stelle zu Buchstaben und Text eintrocknen lässt. Paulus nennt auch Steintafeln. Das wiederum hieße, dass der Heilige Geist Hammer und Meißel zur Hand nähme, damit Splitter herausklopfte, so dass sich Folgen von Buchstaben in den Stein eingrüben. Statt einer Textfläche das Material für Buchstaben anzulagern, entsteht der Text hier, indem vom Untergrund etwas entfernt wird. Merkwürdig. Vielleicht hat Paulus damit ausdrücken wollen: Die Bedeutung von Worten und Texten gibt sich doch so, dass Menschen beim Reden und Hören den Worten eine gewisse Bedeutung absprechen und sie damit eingrenzen. Und das wäre wie ein Einritzen und das entfernte Material wegwischen. Das Auftragen von Tinte auf Papier wiederum entspricht dann dem Anlagern und Erweitern von Bedeutung. Das ist das eine, was Paulus ausdrücken wollte. In diesem Bibelvers steckt noch mehr. Paulus nennt weiter das Wort Herz als Untergrund und das Wort Geist als den Stoff, der Sprachzeichen im Fortgang erzeugt. Die Buchstaben sind dann so etwas wie der Untergrund und die Textfläche, die wiederum Gottes Geist zum Formulieren nutzt. Des Geistes Text- und Zeichenfluss steckt also dann in der Bedeutung, die durch die Folge von Buchstaben und Schriftzeichen in Hirn und Herz beim Mensch entsteht.
Bedeutung in Wort und Text, die verhält sich wie ein Gefangenschaftsflüchtling. Wenn sie entsteht, geht es zu wie beim Spiel Teekesselchen. Die Bedeutung eines Wortes kommt da ja durch Auftragen und Hinzufügen in Bewegung. Auch wenn sie einen Ursprung und Grundbestand besitzt, der eine bestimmte Bedeutung ausgegrenzt und entfernt wie Splitter aus einer Steintafel. Nehmen wir zum Beispiel das Wort Bund aus unserem Korinthertext. Das bedeutet so etwas wie ein Zusammenschluss, das ist der Ursprung und Grundbestand. Und der ist erweitert worden und tut sich zusammen mit einer handlichen Anzahl Grünzeug wie Schnittlauch nämlich, oder mit Werkstoffen wie Dachlatte oder Jeansstoff, oder mit Personen oder Parteien unter einem Vertrag. In der Bibel ist bedeutet das Wort einen Zusammenschluss, in dem eine Seite sich sogar dann an den Bund hält und das ihre tut, wenn die andere Seite ihn bricht, indem sie dagegen verstößt oder das ihre unterlässt.
Ursprung und Grundbaustein verhindern, dass die Bedeutung in alle möglichen Richtungen wabert und verdreht. Das wäre nämlich möglich und geschieht auch so. Haben sie schon mal das Buch Alice im Wunderland gelesen? Da spielt der Autor genau dieses Zerfließen und Verdrehen von Bedeutung durch. Ein Beispiel: Im Buch spielt eine Herzkönigin mit. Und ausstaffiert wie sie ist, scheint sie tatsächlich eine zu sein. Jedoch: „Kopf ab.“, ist einer der Sätze, die sie am liebsten und häufigsten ausspricht. In Wirklichkeit verhält sich also äußerst herzlos dominant und gewaltvoll. Ok, ein Beispiel aus der Welt der Phantasie, jetzt eines aus der Welt von heute: Unter denen, die dominant auftreten, indem sie ein Punisher T-Shirt tragen, sind bestimmt viele, die sich in Wahrheit eher verzweifelt oder beschämt fühlen und das verbergen vor sich oder den Mitmenschen. Wie gesagt, die Bedeutung eines Wortes kann also in Fluss kommen, besitzt jedoch einen Ursprung und Grundbestand. Und der verhindert, dass die Bedeutung in alle möglichen Richtungen wabert und verdünnisiert, unkenntlich bis zum Auflösen.
Was heißt das nun für das Texten des Heiligen Geistes? Gottes Geist kritzelt. Oder gräbt ein, ritzt ein, graviert. Wenn er textet, trägt er also eine Bedeutung auf und hinzu für uns. Oder er entfernt eine gewisse Bedeutung aus Worten und Sätzen und setzt damit eine Grenze. Nach dem Motto: So etwas kann das Wort in keinem Fall bedeuten. Gravur und Kritzeln, das kennen wir. Viele Menschen verfassen Botschaften, die ihnen am Herz liegen, gerne bündig kurz und knackig. Ich will Sex mit Frau B! Eingeritzt in die Schreibfläche eines Schülertischs im Klassenzimmer von Azubis aus dem Bereich Energie. Oder: Herr L. = @. Auf den Wänden des eines Schul WCs geht es noch ganz anders zu. An einem anderen dunklen Ort, im Wald: in der Rinde einer Buche eine Herzform, darin J+C und eine Jahreszahl. Graffiti auf Waggons der Deutschen Bahn. Kritzeleien, mal ärgerlich, mal lustig, mal nur ein Fall von Sachbeschädigung oder total egal, mal anziehend, die Sinne bannend. Schon die Römer kritzelten und gravierten, erwiesen aus Asche und Ruinen von Pompeij, oder den Katakomben von Rom. Tattoos, Emojis. Ein Zeichenbild von Banksy, gesprüht in die Poren eines Betonbaus. Ein Kupferstich von Dürer.
Gottes Geist kritzelt und graviert mit im Leben, sagt Paulus. Das Wort INRI wurde in diesem Geist am Kreuz eingraviert. Und was als Spott und Hohn gemeint war, ist reine Wahrheit geworden. Jesus wurde auf dem Holzkreuz angelagert. Ist von einem Opfer ohne Gesicht zum Haupt voll Blut und Wunden, zu dem Held und Retter geworden. Der Heilige Geist textet Menschen still oder laut Gottes Bedeutung ins Gemüt. Bahnt und spurt sich buchstäblich in Kopf und Herz. Auf immer und ewig verbunden. Das geschieht zuerst frei von Sprache, stumm, ohne Laute oder Buchstaben. Auch wenn manches Alphabet der Welt so aussieht, als gäben seine Schriftzeichen gerade dies wieder: Dass Nerven sich in Hirn und Körper samt Herz bahnen und in alle Himmelsrichtungen verknüpft sind. Und das stimmt auch in der Totale. Sieht man von außen aufs nackte Gehirn, dann zeigt sich: Seine Oberfläche weist sehr viele Kerben auf, deren Anordnungen sich ändern und doch dabei irgendwie wiederholen.
Der Geist graviert und kritzelt Menschen Gottes Bedeutung in und auf Herz und Hirn, Zunge und Hand, Ohr und Auge. Nimmt Bedeutung weg, streicht sie aus dem Hirn, wenn sie dem Ursprung und Grundbestand widerspricht, die da gezogenen Grenzen übertritt. Er erweitert und eröffnet neue Bedeutung, wenn das Leben es so will, wenn Gott die Welt so vorsieht. Auch und gerade dann, wenn Menschen keinen blassen Dunst haben. Oder wenn sie mit aller Gewalt in ihrem alten Verständnis hängen bleiben. Gottes Geist macht Menschen und Texte lebendig statt sie zu töten. Denn er ist ein Gefangenschaftsflüchtling. Von Menschen immer wieder eingesperrt in die Grenzen ihres Geistes, darob ihnen verloren gehend. Gottes Geist bewegt sich frei in der neuen Welt und kauert da, wo es ihm gefällt. Öffnet dort den zu eng gezäumten Menschengeist samt Seele. Nimmt Ahnungslose und Ungeliebte, Besserwisser und Ansager mit, so dass ihre neue Welt ihnen heimisch und bedeutsam wird. Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Die Predigt ist nur für das Internet geschrieben. Bestimmte Menschen hatte ich wie fast immer keine vor Augen. Meine KollegInnen und IT und ET Azubis dürften bei mir als Berufsschullehrer zwangsläufig mitschwingen. Ohren versuchte ich zu haben für die stumme Stimme, die einem Menschen in mir entsprechen mag, und die zu erhören mir in meiner Verfallenheit an Welt ohne Himmel leider immer wieder schwerfällt.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die Analogie zwischen der Entwicklung von Bedeutung und den Schreibdetails (Tinte und Papyrus, Steintafel mit Hammer und Meißel), die Paulus im Korinthertext zum Predigtsonntag verwendet.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Der Gefangenschaftsflüchtling als ein Wesen, das es dank fremder Hilfe oder eigener Einsicht schafft, seiner Begrenztheit, sei sie selbstgewählt oder aufgezwungen, zu entkommen, um in seiner gewonnenen Freiheit, die schön und neu ist, leider auch an Gefahren, heimisch zu werden.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Zuerst meinen Dank der sehr freundlichen, auch visuell en detail und in der Texttotale strukturiert arbeitenden, entgegen- und zuvorkommenden Kommunikation der Gegenleserin. Sie formulierte Kritik und Vorschläge so, dass ich dazu auf eigene Ideen gekommen bin ohne das Ihre zu kopieren. Auf ihren Hinweis fokussierte ich auf Semantik und eliminierte alles Explizite zur Sprachpragmatik, fand zu meinem Schreibziel nach wenigen Runden im Orbit. Nach ihrer ersten Rückmeldung habe ich die Schreibdetails im Korintherbrief (siehe oben unter 2.) genauer gelesen, verstanden und genutzt, zum Kritzeln kam Gravieren, nach der zweiten Mail geliebte Ideen sowie den Text insgesamt verkürzt.