Entgegnung auf ein stilles Zwiegespräch oder das aufhellende Menetekel - Predigt zu Lukas 7, 36-50 von Markus Kreis
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Liebe Gemeinde,
Belsazar bescherte Babylon ein böses Bubenstück, biblisch besehen: Er feierte ein rauschendes Fest mit seinesgleichen, also seinem Führungszirkel. Es ging um ein Charity Dinner der besonderen Art. Denn er verwendete Gefäße, die sein Vater Nebukadnezar im Jahwetempel von Jerusalem erbeutet hatte. Eigentlich ein Frevel, doch die Juden, und damit ihre Gottheit, die erschienen ihm besiegt und wehrlos.
Plötzlich zeigte sich der Festgesellschaft, wie von Geisterhand geschrieben, ein Text an der Wand des Festsaales. Belsazar ließ seine Schriftgelehrten herbeirufen. Die erwiesen sich aber als ausgesprochen unfähig, den Text zu entziffern. Auf den Tipp eines Mitfeiernden  hin wurde der in Ketten gelegte Prophet Daniel herbeigeführt. Er las: „Mene mene tekel u-pharsin”, und deutete dies als Untergangsprophezeiung des Reiches: Gezählt, gewogen, verteilt! Noch in der gleichen Nacht wurde Belsazar von seinen Genossen erschlagen.
Indem Belsazars Genossen Daniels Deutung gefolgt sind, haben sie mehr oder weniger bewusst eingestanden: Wir Babylonier haben zwar Jerusalem und den Tempel samt Gottheit erobert - und doch herrscht der Jerusalemer Gott über uns, über unsere Götter. Sonst könnte er sich nicht so unmittelbar mitten unter uns bemerkbar machen. Und gegen diesen Gott haben wir uns vergangen! Wir dachten, wir kennen die Regeln und bestimmen das Spiel. Dabei sind wir nur armselige Eisenzeitsoldaten, die auf dem Schlachtfeld fremden Händen unterliegen. 
Vielleicht erscheint das rückständig und altertümlich: nur wegen fragwürdiger Zeichen an einer Wand einen Menschen seines Amtes zu entledigen. Das gleiche Schauspiel gibt’s heute, in Frankfurt, New York, Tokio. Die Wand ist nicht aus Stein, sondern eine elektronische Anzeigetafel, die Zeichen zeigen sich als Buchstaben und Ziffern, und letztere erweisen sich mindestens als Zahlen als fragwürdig und auslegungsbedürftig in ihrem Zusammenhang. Deswegen gibt’s fünf Minuten vor der Tagesschau auch einen Daniel, der uns erklären will, um was es gerade so geht. Vor kurzem jedenfalls wurde wegen der Zahlen auf der Anzeigetafel ein Herr Löscher von einem Unternehmen als Chef gelöscht.
Ein aufhellendes Menetekel kann Dunkles bedeuten. Deshalb hat es das Wort zu einer Redensart gebracht. Ein Menetekel kann aber auch wortwörtlich und konsequent aufhellen, also nicht Dunkles bedeuten, sondern Lichtes, nichts Beunruhigendes, sondern Erfreuliches. Hören wir dazu unseren Predigttext:
36Es bat ihn aber einer der Pharisäer, bei ihm zu essen. Und er ging hinein in das Haus des Pharisäers und setzte sich zu Tisch. 37 Und siehe, eine Frau war in der Stadt, die war eine Sünderin. Als die vernahm, dass er zu Tisch saß im Haus des Pharisäers, brachte sie ein Glas mit Salböl38 und trat von hinten zu seinen Füßen, weinte und fing an, seine Füße mit Tränen zu benetzen und mit den Haaren ihres Hauptes zu trocknen, und küsste seine Füße und salbte sie mit Salböl. 39 Als aber das der Pharisäer sah, der ihn eingeladen hatte, sprach er bei sich selbst und sagte: Wenn dieser ein Prophet wäre, so wüsste er, wer und was für eine Frau das ist, die ihn anrührt; denn sie ist eine Sünderin.40 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Simon, ich habe dir etwas zu sagen. Er aber sprach: Meister, sag es! 41 Ein Gläubiger hatte zwei Schuldner. Einer war fünfhundert Silbergroschen schuldig, der andere fünfzig. 42 Da sie aber nicht bezahlen konnten, schenkte er's beiden. Wer von ihnen wird ihn am meisten lieben?43 Sie antwortete und sprach: Ich denke, der, dem er am meisten geschenkt hat. Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geurteilt. 44 Und er wandte sich zu der Frau und sprach zu Simon: Siehst du diese Frau? Ich bin in dein Haus gekommen; du hast mir kein Wasser für meine Füße gegeben; diese aber hat meine Füße mit Tränen benetzt und mit ihren Haaren getrocknet.45 Du hast mir keinen Kuss gegeben; diese aber hat, seit ich hereingekommen bin, nicht abgelassen, meine Füße zu küssen. 46 Du hast mein Haupt nicht mit Öl gesalbt; sie aber hat meine Füße mit Salböl gesalbt. 47 Deshalb sage ich dir: Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel Liebe gezeigt; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig. 48 Und er sprach zu ihr: Dir sind deine Sünden vergeben.49 Da fingen die an, die mit zu Tisch saßen, und sprachen bei sich selbst: Wer ist dieser, der auch die Sünden vergibt?50 Er aber sprach zu der Frau: Dein Glaube hat dir geholfen; geh hin in Frieden!
Ein Mahl mit Menetekel: Jesus. Jesus ist Gottes Wort in Person, das eine Wort Gottes. Jesus ist das Fleisch gewordene wahrhaft aufhellende Menetekel, und umgekehrt: Als Fleisch gewordenes Menetekel ist er zugleich wahrhaft aufhellender Text für uns geworden: in der Heiligen Schrift der Bibel.
Ein Mahl mit Menetekel: Jesus. Ein echtes, wahrhaftiges Charity Dinner. Jesus ist das aufhellende Menetekel, das nicht Dunkles bedeutet, sondern Lichtes, nichts Beunruhigendes, sondern Erfreuliches. Denn Jesus ist Gottes Liebe in Person. Deswegen: ein echtes, wahrhaftiges Charity Dinner. Auch wenn aus der Festtafel eher ein Runder Tisch wird. Schließlich wird mehr von den Gesprächen zu Tisch erzählt als von den einzelnen Gerichten.
Die Liebe liegt zu Tisch, das heißt hier vor allem das eine, nämlich: die Vergebung lagert sich an diesem Ort, an diesem Wort. Das ersieht sich schon ohne große Worte aus dem Umgang der Sünderin, den Jesus sich gefallen lässt. Beim Propheten Amos hat das von der Wort Gottes Seite noch anders geklungen: „Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Versammlungen nicht riechen 22 Und wenn ihr mir auch Brandopfer und Speisopfer opfert, so habe ich kein Gefallen daran und mag auch eure fetten Dankopfer nicht ansehen. 23 Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören!“
Der äußere Gottesdienst, das zudringliche Verhalten der Frau, das macht bei dieser Feier dem Jesus offenbar alles recht. Wer sich mit dem Wort Gottes auskennt, der mag schon ahnen, wieso und weshalb: Dem äußeren Gottesdienst der Frau geht ein innerer Gottesdienst einher.
Das Wort Gottesdienst bekommt hier einen zweifachen Sinn. Nicht nur, dass sie dem Wort Gottes dient mit ihren Haaren und Ölen, das ist klar. Sondern sie lässt sich den Dienst des Wortes Gottes angedeihen und gefallen: das ist der wahre innere Gottesdienst.
Welchen Dienst lässt das Wort Gottes der Frau, welchen Dienst lässt das Wort Gottes uns Menschen jeder Zeit angedeihen? Kurz gesagt: Stille Zwiegespräche bekommen eine Entgegnung, ein aufhellendes Menetekel nämlich, Gottes liebevolles und vergebendes Wort, in der Person Jesu.
Auch das ist in unserem Predigtext beschrieben. Der Gastgeber, der Pharisäer Simon, der spricht bei sich, der führt ein Selbstgespräch, eine stille Zwiesprache, den eigentlich niemand hören kann. Und doch reagiert Jesus darauf, entgegnet lauthals den stummen Gedanken des Pharisäers. Und erzählt die Geschichte von den Schuldnern mit den ungleichen Rückständen und samt Zahlungsausgleich.
Das ist der wahre innere Gottesdienst: Ein Mensch lässt seine stillen Zwiegespräche nicht auf sich sitzen. Ein Mensch lässt seinen stummen Gedanken etwas entgegnen, ein aufhellendes Menetekel nämlich, Gottes liebe- und vergebungsvolles Wort in der Person Jesu.
Auch die so genannte Sünderin wird solche inneren Zwiegespräche gekannt und geführt haben. Und mehr. Da ist die Tatsache, dass sie sich Jesus einfach so an den Hals und zu den Füßen wirft. Und das, ohne ihn vorher persönlich gekannt, geschweige denn gesprochen zu haben. Das zeigt doch eines: Sie hat sich von Gottes Wort etwas sagen lassen. Einfach so vom Hörensagen her.
Laut Bibelbericht ist klar: Persönlich kann sie Jesus nicht gekannt haben, aber von irgendwoher muss sie von ihm gewusst haben, von seinen Wundertaten gehört und von seinen verwunderten Redehörern etwas erfahren haben. Da geht es ihr nicht anders als uns. Einfach so, vom Hörensagen her, hat sie sich von Jesus etwas auf ihre stillen Zwiegespräche sagen lassen. Sie hat aufs Hörensagen in Jesus Gottes Wort erkannt: seine Vergebung aus Liebe. Und so hat es ein Ende mit ihren stummen Zwiegesprächen, der inneren Zerrissenheit, all den Konflikten in Kopf und Körper, denn Jesus gibt ihr mit: Geh hin in Frieden!
Im Vergleich zu Belsazars Gastmahl nimmt sie so am ehesten die Rolle des Propheten Daniel ein. Wie weiland er, so hat sie die Zeichen der Zeit erkannt. Und richtig zu deuten gewusst: Gottes Wort ist in Fleisch, Tinte und Klang ein wahrhaft aufhellendes, liebevolles und vergebendes Menetekel für meine Zwiegespräche. Und wie Daniel macht sie nicht nur im Himmelreich, sondern auch auf dem Erdreich Karriere: Daniel im babylonischen Staat, die Sünderin im der Kirchenstaat.
Und was ist mit Simon dem Pharisäer? Jesus gibt ihm nicht ausdrücklich Frieden mit auf den Weg. Kein Wunder, das wäre auch überflüssig. Denn Simon hat seinen Frieden mit sich schon längst gefunden. Sein stummes Zwiegespräch im Bibeltext zeigt, dass er nicht mit sich, sondern mit Jesus, dem Wort Gottes, im Unfrieden liegt.
Die Heilige Schrift behält bei sich, wie es damit am Ende der Geschichte bestellt ist. Ist Simon weiterhin mit Jesus uneins? Oder hat er auf das Schuldnergleichnis hin seinen Frieden mit Jesus, also mit Gottes Wort gemacht?
Traut Simon seinem eigenen Urteil zu diesem Gleichnis? Oder hat er es nur theoretisch gefällt? Besser gesagt: nachgeplappert wie ein Papagei, weil er sich nicht anders aus der Lage zu retten wusste. Und keinen offensichtlichen Unsinn äußern wollte - obwohl ihm ein Widerspruch auf der Zunge lag. Oder steht er auch emotional hinter seinem Urteil: Dankbarer ist der, welcher mehr Vergebung geschenkt bekommt.
Vielleicht versteht Simon Jesu Entgegnung als Anfang einer Gegnerschaft. Und nicht als Gottes Wort, das von Gegnerschaft enthebt. Dann rückt er sich damit in die Nähe Belsazars. Zwar achtet Simon strengstens die Gebote, geschweige denn, dass er Kultgerätschaften zweckentfremdet und zu Gelagen missbraucht.
Und doch hat er etwas mit ihm gemein: Er glaubt, die Regeln zu kennen und vermeint so, das Spiel zu bestimmen. Und er ahnt noch nicht einmal, dass Gott das Spiel und seine Regeln fortentwickeln muss, weil die Menschen laufend die Regeln umwidmen oder gar missbrauchen. Ansonsten verlöre das Spiel seinen ursprünglich guten Sinn und Zweck.
Ja, jeder Mensch glaubt gerne, die Welt und ihre Regeln zu kennen und zu beherrschen. Und verliert dabei aus den Augen, dass jeder Mensch die Regeln mal mehr oder weniger, mal heimlich, mal offen missbraucht. Und so die Welt laufend umgestaltet. Deshalb muss Gott die Wirklichkeit durch seine Schöpferkraft verändern und umformen. Und das heißt eben auch: die Regeln folgerichtig weiter zu entwickeln, zu ändern, umzuformen.
Nicht, dass es Gott und seinem Wort noch so ergeht wie uns, den sogenannten westlichen Staaten. Wir bilden uns - nicht ganz zu Unrecht - soviel ein auf unsere Verfassungen und Gesetze ein. Doch das technisch Machbare und Verwirklichte, die Cyberspionage, die bringt uns als staatliche Gesetzgeber und -vertreter in Widerspruch: nämlich zu den von uns erlassenen Gesetzen und Verfassungen. Irgendwie wird es da eine Anpassung geben müssen, sonst wird der Widerspruch gefährlich.
Wie wird die Anpassung aussehen? Die Technik muss sich erweitern, oder die Regeln müssen fortentwickelt werden. Oder beides zugleich, rechtliche Realität und technische Wirklichkeit müssen zusammen folgerichtig weiter entwickelt werden. Wie dem auch sei, Gottes Wort kennt keinen Widerspruch, Gott hat das mit seinem Wort im Griff: Sein Wort erhellt dunkle Zeichen zu klar erfreulichen Informationen. 
So mag es gut sein: Simon der Pharisäer hat die Entgegnung Jesu auf sein stummes Zwiegespräch als das Ende der Gegnerschaft verstanden. So mag es gut sein, dass er dem vergebenden Menetekel folgt. So mag es gut sein, dass er dem einen Wort zuhört und gehorcht, das Frieden stiftet mit Gott, mit dem eigenen Leben, und mit dem Leben der Mitmenschen. So mag es gut sein, dass jeder von uns auf seine stillen Zwiegespräche Gottes Liebe und Vergebung finden wird. Amen.
Perikope
11.08.2013
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