"Er - mitten unter uns" - Predigt über Johannes 1, 19-23 von Stefan Knobloch
1,19
Er – mitten unter uns
In diesem Jahr gewährt uns der Kalender zwischen dem 4. Advent und dem Weihnachtsfest kaum eine Zäsur. Am 23. Dezember der 4. Advent, und einen Tag später der Heilige Abend. Das macht es dem 4. Advent nicht leicht, nicht einfach mit dem Weihnachtsfest zu verfließen und seine Eigenständigkeit zu verlieren. Und wenn dann das Evangelium – wie wir meinen könnten – noch mit einer merkwürdigen Episode des Johannes des Täufers am Jordan kommt, der sich von einer Abgesandtengruppe aus Jerusalem fragen lassen muss, was er da eigentlich am Jordan tue, wer er sei – dann wird das nicht unbedingt unser offenes Ohr finden. Unsere Gedanken sind möglicherweise woanders: bei den Geschenken, die wir besorgt haben, bei der Weihnachtsgans, ob sie auch wirklich gelingen wird, beim häuslichen Frieden, ob er die Weihnachtstage überdauert und dergleichen.
Und dahinein nun ein paar Minuten – Johannes der Täufer. Es war offensichtlich nicht unbegründet, warum sich Johannes von einer Abgesandtengruppe fragen lassen muss, was es mit ihm auf sich habe. Er hatte die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, die Aufmerksamkeit großer Menschenmassen auf sich gezogen, die in ihm auf kollektiv-fiebrige Weise so etwas wie den Messias erblickte. Oder die zumindest nicht ausschloss, dass er der Messias, der in der Endzeit erwartete Gesandte Gottes, sei. Diese Möglichkeit fieberte auch in der Frage an Johannes: Wer bist du? Eine Frage, die nicht bedeutete, bitte zeig uns deinen Ausweis. Ach, du bist der Johannes. Nein, das wussten sie ohnehin. Ihre Frage zielte auf seine Rolle. Und es ist nicht herauszuhören, ob sie sich über seine Rolle schon längst ein Bild gemacht hatten, ob sie ihn gar für einen Scharlatan hielten. Wer bist du? Man hat den Eindruck, Johannes rang um die richtige Wortwahl, denn seine Antwort sollte nicht einfach wie eine Verneinung klingen. Aha, der bist du also nicht. Und schon hätten sie ihm den Rücken kehren können. Nein, er wollte mit seiner Antwort eine Spannung aufbauen, die seiner Situation entsprach. Er wog ab und sagte: Was immer ihr denken mögt, der vom Herrn gesandte Messias bin ich nicht.
Ja, was aber dann? Wie muss man dich einordnen? Es war eine allgemein geteilte Erwartung, dass vor dem Messias der Prophet Elija als endzeitlicher Prophet erscheinen werde. Er war, ohne zu sterben, in den Himmel entrückt worden. Bist du Elija? Nein, bin ich nicht. Sie haken nach: Der Prophet? Bist du der Prophet? Sie meinten den Propheten, den Mose angekündigt hatte: „Einen Propheten wie mich wird dir der Herr, dein Gott, aus deiner Mitte, unter deinen Brüdern erstehen lassen“ (Dtn 18,15). Erinnern wir uns, dass in der so genannten Verklärung des Herrn Mose und Elija die Begleitpersonen der Szene waren, ein Hinweis darauf, dass mit Jesus wirklich der Messias gekommen war (vgl. Mt 17,3). Nicht also hier in Johannes. Der Prophet? Nein, bin ich nicht. Sie dringen weiter in ihn. Wenn unsere Fragen schon nicht zum Ziel führen, dann sag du uns doch, was du über dich sagen kannst. Ich bin eine Stimme in der Wüste, die ruft: Bereitet dem Herrn den Weg!
Sie wussten sofort, dass er sich auf eine Stelle bei Jesaja bezogen hatte. Also, so hörten sie heraus, war Johannes doch in einem endzeitlichen Horizont zu sehen. Hier fassten einige Pharisäer aus der Gesandtengruppe nach: Du taufst, obwohl du nicht der Messias, nicht Elija, nicht der Prophet bist? Es klang wie ein Vorwurf. Denn es blieb ihnen gar keine andere Möglichkeit, als seine Tauftätigkeit endzeitlich-messianisch zu deuten. Du taufst, und dann bist du das alles nicht? Die Antwort des Johannes führt einen unerwarteten Schritt weiter: Ich taufe, ja, ich taufe mit Wasser, aber – und hier verlässt Johannes die Ebene der Taufe – mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt! Er fügt noch eine Demutsformel an, die besagt, von welch anderem Format der ist, den sie nicht kennen.
Es ist merkwürdig: Dieser Satz wurde in Betanien gesprochen. Und plötzlich steht er in aller Aktualität mitten hier im Raum: Mitten unter euch, sagen wir, mitten unter uns steht der, den wir nicht kennen! Und das einen Tag vor Weihnachten! Will uns das Evangelium das Fest verderben? Nein, es will uns zu dem hinführen, der in Betlehem geboren wurde, der in unglaublicher Wachsamkeit gegenüber Gott und den Menschen gelebt hat, der hingerichtet wurde und einen schrecklichen Tod starb. Es will uns zu ihm als Lebendem hinführen.
Es geht in unserem Glauben nicht darum, aus der Bibel ein paar Daten des Lebens Jesu zu kennen. Es geht um etwas ganz anderes, es geht um viel mehr, auch an diesem Weihnachtsfest wieder. Es geht darum, seiner Gegenwart, seiner Präsenz als Lebender, als von Gottes Liebe zu uns Erfüllter, gewiss zu sein. Seiner Gegenwart, die wir nicht mit Händen greifen, ja, die wir nicht begreifen können, die aber ihren sichtbaren Anfang in seiner Menschwerdung genommen hat, die in seinem Tod eine auf Dauer gestellte neue Gestalt gewonnen hat. Auf sie sollen wir glaubend bauen und vertrauen, sie trägt unser Leben. Er ist der zugleich Transzendente und unserer Welt bleibend Immanente. Das Neue Testament wagt von ihm zu sagen: In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir (vgl. Apg 17,28).
Der Blick auf den Neugeborenen soll uns an die Wahrheit seiner Gegenwart hier und heute, an die Wahrheit seiner Gegenwart in unserem Leben heranführen. Was Johannes der Täufer in Betanien beklagte, das soll sich an uns nicht wiederholen: Mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt. Wir sollen die Blindheit überwinden, den nicht zu kennen, der mitten unter uns ist.
In diesem Jahr gewährt uns der Kalender zwischen dem 4. Advent und dem Weihnachtsfest kaum eine Zäsur. Am 23. Dezember der 4. Advent, und einen Tag später der Heilige Abend. Das macht es dem 4. Advent nicht leicht, nicht einfach mit dem Weihnachtsfest zu verfließen und seine Eigenständigkeit zu verlieren. Und wenn dann das Evangelium – wie wir meinen könnten – noch mit einer merkwürdigen Episode des Johannes des Täufers am Jordan kommt, der sich von einer Abgesandtengruppe aus Jerusalem fragen lassen muss, was er da eigentlich am Jordan tue, wer er sei – dann wird das nicht unbedingt unser offenes Ohr finden. Unsere Gedanken sind möglicherweise woanders: bei den Geschenken, die wir besorgt haben, bei der Weihnachtsgans, ob sie auch wirklich gelingen wird, beim häuslichen Frieden, ob er die Weihnachtstage überdauert und dergleichen.
Und dahinein nun ein paar Minuten – Johannes der Täufer. Es war offensichtlich nicht unbegründet, warum sich Johannes von einer Abgesandtengruppe fragen lassen muss, was es mit ihm auf sich habe. Er hatte die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, die Aufmerksamkeit großer Menschenmassen auf sich gezogen, die in ihm auf kollektiv-fiebrige Weise so etwas wie den Messias erblickte. Oder die zumindest nicht ausschloss, dass er der Messias, der in der Endzeit erwartete Gesandte Gottes, sei. Diese Möglichkeit fieberte auch in der Frage an Johannes: Wer bist du? Eine Frage, die nicht bedeutete, bitte zeig uns deinen Ausweis. Ach, du bist der Johannes. Nein, das wussten sie ohnehin. Ihre Frage zielte auf seine Rolle. Und es ist nicht herauszuhören, ob sie sich über seine Rolle schon längst ein Bild gemacht hatten, ob sie ihn gar für einen Scharlatan hielten. Wer bist du? Man hat den Eindruck, Johannes rang um die richtige Wortwahl, denn seine Antwort sollte nicht einfach wie eine Verneinung klingen. Aha, der bist du also nicht. Und schon hätten sie ihm den Rücken kehren können. Nein, er wollte mit seiner Antwort eine Spannung aufbauen, die seiner Situation entsprach. Er wog ab und sagte: Was immer ihr denken mögt, der vom Herrn gesandte Messias bin ich nicht.
Ja, was aber dann? Wie muss man dich einordnen? Es war eine allgemein geteilte Erwartung, dass vor dem Messias der Prophet Elija als endzeitlicher Prophet erscheinen werde. Er war, ohne zu sterben, in den Himmel entrückt worden. Bist du Elija? Nein, bin ich nicht. Sie haken nach: Der Prophet? Bist du der Prophet? Sie meinten den Propheten, den Mose angekündigt hatte: „Einen Propheten wie mich wird dir der Herr, dein Gott, aus deiner Mitte, unter deinen Brüdern erstehen lassen“ (Dtn 18,15). Erinnern wir uns, dass in der so genannten Verklärung des Herrn Mose und Elija die Begleitpersonen der Szene waren, ein Hinweis darauf, dass mit Jesus wirklich der Messias gekommen war (vgl. Mt 17,3). Nicht also hier in Johannes. Der Prophet? Nein, bin ich nicht. Sie dringen weiter in ihn. Wenn unsere Fragen schon nicht zum Ziel führen, dann sag du uns doch, was du über dich sagen kannst. Ich bin eine Stimme in der Wüste, die ruft: Bereitet dem Herrn den Weg!
Sie wussten sofort, dass er sich auf eine Stelle bei Jesaja bezogen hatte. Also, so hörten sie heraus, war Johannes doch in einem endzeitlichen Horizont zu sehen. Hier fassten einige Pharisäer aus der Gesandtengruppe nach: Du taufst, obwohl du nicht der Messias, nicht Elija, nicht der Prophet bist? Es klang wie ein Vorwurf. Denn es blieb ihnen gar keine andere Möglichkeit, als seine Tauftätigkeit endzeitlich-messianisch zu deuten. Du taufst, und dann bist du das alles nicht? Die Antwort des Johannes führt einen unerwarteten Schritt weiter: Ich taufe, ja, ich taufe mit Wasser, aber – und hier verlässt Johannes die Ebene der Taufe – mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt! Er fügt noch eine Demutsformel an, die besagt, von welch anderem Format der ist, den sie nicht kennen.
Es ist merkwürdig: Dieser Satz wurde in Betanien gesprochen. Und plötzlich steht er in aller Aktualität mitten hier im Raum: Mitten unter euch, sagen wir, mitten unter uns steht der, den wir nicht kennen! Und das einen Tag vor Weihnachten! Will uns das Evangelium das Fest verderben? Nein, es will uns zu dem hinführen, der in Betlehem geboren wurde, der in unglaublicher Wachsamkeit gegenüber Gott und den Menschen gelebt hat, der hingerichtet wurde und einen schrecklichen Tod starb. Es will uns zu ihm als Lebendem hinführen.
Es geht in unserem Glauben nicht darum, aus der Bibel ein paar Daten des Lebens Jesu zu kennen. Es geht um etwas ganz anderes, es geht um viel mehr, auch an diesem Weihnachtsfest wieder. Es geht darum, seiner Gegenwart, seiner Präsenz als Lebender, als von Gottes Liebe zu uns Erfüllter, gewiss zu sein. Seiner Gegenwart, die wir nicht mit Händen greifen, ja, die wir nicht begreifen können, die aber ihren sichtbaren Anfang in seiner Menschwerdung genommen hat, die in seinem Tod eine auf Dauer gestellte neue Gestalt gewonnen hat. Auf sie sollen wir glaubend bauen und vertrauen, sie trägt unser Leben. Er ist der zugleich Transzendente und unserer Welt bleibend Immanente. Das Neue Testament wagt von ihm zu sagen: In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir (vgl. Apg 17,28).
Der Blick auf den Neugeborenen soll uns an die Wahrheit seiner Gegenwart hier und heute, an die Wahrheit seiner Gegenwart in unserem Leben heranführen. Was Johannes der Täufer in Betanien beklagte, das soll sich an uns nicht wiederholen: Mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt. Wir sollen die Blindheit überwinden, den nicht zu kennen, der mitten unter uns ist.
Perikope