Erinnere uns an den Anfang…. - Predigt zu Sprüche 8,22-36 von Kathrin Nothacker
8,22-36

Erinnern wir uns an den Anfang. Ganz am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Zuerst war die Erde wüst und leer und finster. Dann kam Gottes Geist, schwebte über den Wassern, wie es heißt, und es wurde Licht. Und nach und nach wurde es immer heller und geordneter und lebendiger. Licht, Wasser, Pflanzen, Tiere. Und am Ende, Krone der Schöpfung, der Mensch. Geschaffen als Mann und Frau, Ebenbild Gottes.

„Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.“

Erinnere uns an den Anfang. Am Anfang als Leben begann, sprachst du zu uns: Ihr seid willkommen, hast uns an die Hand genommen. Erinnere uns an den Anfang, an Ursprung und Werden, Vergehen, damit wir das Leben verstehen, damit wir klug werden.

Klug und weise werden, wenn wir uns an den Anfang erinnern, davon redet auch das Bibelwort aus dem Buch der Sprüche, über das wir heute nachdenken sollen. Es redet von der Weisheit und von Gottes Schöpfung. Und erinnert uns an den Anfang.

Der Herr hat mich schon gehabt im Anfang seiner Wege, ehe er etwas schuf, von Anbeginn her. Ich bin eingesetzt von Ewigkeit her, im Anfang, ehe die Erde war. Als die Tiefe noch nicht war, ward ich geboren, als die Quellen noch nicht waren, die von Wasser fließen. Ehe denn die Berge eingesenkt waren, vor den Hügeln ward ich geboren, als er die Erde noch nicht gemacht hatte noch die Fluren darauf noch die Schollen des Erdbodens. Als er die Himmel bereitete, war ich da, als er den Kreis zog über der Tiefe, als er die Wolken droben mächtig machte, als er stark machte die Quellen der Tiefe, als er dem Meer seine Grenze setzte und den Wassern, dass sie nicht überschreiten seinen Befehl; als er die Grundfesten der Erde legte, da war ich beständig bei ihm; ich war seine Lust täglich und spielte vor ihm allezeit; ich spielte auf seinem Erdkreis und hatte meine Lust an den Menschenkindern.

So hört nun auf mich, meine Söhne! Wohl denen, die meine Wege einhalten! Hört die Zucht und werdet weise und schlagt sie nicht in den Wind! Wohl dem Menschen, der mir gehorcht, dass er wache an meiner Tür täglich, dass er hüte die Pfosten meiner Tore!

Wer mich findet, der findet das Leben und erlangt Wohlgefallen vom Herrn. Wer aber mich verfehlt, zerstört sein Leben; alle, die mich hassen, lieben den Tod.

Wir wissen nicht genau, wer hier spricht. Jedenfalls erinnert uns die Stimme an den Anfang. Wenige Zeilen davor sagt die Stimme: „Ich, die Weisheit wohne bei der Klugheit.“ Es ist wohl die Stimme der Weisheit, der Klugheit, der Erkenntnis. Eine Stimme, die den Menschen hilft, klug zu werden. Das Gute im Blick zu halten und das Falsche zu meiden.

Und diese Stimme der Weisheit erzählt, dass sie dabei war, ganz am Anfang, als Gott Himmel und Erde erschuf. Sie war da, bevor die Erde und alles Lebendige auf ihr geschaffen wurden. Frau Weisheit, Frau Klugheit, vielleicht so etwas wie ein weibliches Gegenüber Gottes, vielleicht auch sein Kind, seine Spielgefährtin, Quelle seiner Inspiration und Kreativität.

Auf ungewöhnliche Art und Weise wird hier vom Schöpfungshandeln Gottes gesprochen. Fast so, als wirkte die Weisheit als eigenständige Größe bei der Schöpfung Gottes mit. „Ich war beständig bei ihm; ich war seine Lust täglich und spielte vor ihm allezeit.“ Und sie sagt weiter: „Ich spielte auf seinem Erdkreis und hatte meine Lust an den Menschenkindern.“ Das erinnert uns an Kinder, die vertieft in ein Rollen-Spiel oder ins Sandburg-Bauen sind. Und alles um sich herum vergessen und nur bei sich und den Mitspielenden sind. Und glücklich dabei sind. Und im Reinen mit sich und ihrer Umwelt.

Man hat viel darüber nachgedacht und spekuliert, wer da spricht und wie man sich diese Weisheit, die ganz am Anfang dabei gewesen sein will, vorstellen kann. Am Ende ist das aber auch nicht so wichtig.

Das Wesentliche ist, dass ein Loblied gesungen wird auf Gottes wunderbare Schöpfung. Und dass es klug und weise und lebensnotwendig und lebensrettend ist, diese wunderbare Schöpfung Gottes und seinen Plan für diese Welt zu beachten. Denn am Ende geht es um Leben und Tod. „Wer mich findet, der findet das Leben“. Und: „Wer mich verfehlt, zerstört sein Leben“.

Liebe Gemeinde, wenn wir uns an den Anfang erinnern und daran, dass Gott diese Erde gut und schön geschaffen hat, dann löst das in vielen von uns erst einmal Staunen und Dankbarkeit aus. Es ist doch jedesmal aufs Neue faszinierend, wenn nach einem langen Winter der Frühling ins Land einzieht: Wiesen grün werden, Bäume blühen in weißer und rosaroter Pracht, Blumen aus der Erde kommen und die ersten Bienen fliegen und die Tage länger und heller und wärmer werden. Mir erscheint das jedenfalls gar nicht banal und auch gar nicht selbstverständlich. Es tut einfach nur gut und erfüllt mich mit großer Dankbarkeit, dass uns diese Erde geschenkt wurde. Und dass der Kreislauf von Werden und Vergehen, der Ablauf der Jahreszeiten so verlässlich ist.

Anderes erfüllt mich auch mit Dankbarkeit. Es ist nicht nur Staunen und Dankbarkeit über die Schöpfung, die Natur um uns herum. Es ist auch Dankbarkeit über vieles, was mir im Lauf meines Lebens widerfahren ist. Meine Generation gehört zu der Generation, die nie einen Krieg oder eine Diktatur erlebt hat. Die nichts anderes kennt als Frieden und Wohlstand. Wir haben Zugang zu Bildung gehabt und können diesen auch unseren Kindern geben. Wir haben genug zu essen und zu trinken, wir haben niemals gehungert und können in jeden noch so entlegenen Winkel dieser Welt reisen mit unseren europäischen Reisepässen, die – das habe ich neulich gelesen – zu den wertvollsten Pässen auf der ganzen Welt gehören.

Wenn ich dankbar auf den Abschnitt in der Weltgeschichte blicke, in dem ich leben darf, dann gehört auch das europäische Friedensprojekt seit Ende des Zweiten Weltkrieges erwähnt. In zwei Wochen sind Europawahlen und das Interesse an Europa ist so schwach wie nie zuvor. Menschen verbinden nichts mehr mit Europa, sie sind gleichgültig geworden und schimpfen meist nur noch über irgendwelche Verordnungen, die „denen in Brüssel“ mal wieder eingefallen sind. Das ist sehr traurig.

Denn Europa ist mehr als „Brüssel“. Europa ist ein großartiges und einzigartiges Friedens- und Versöhnungsprojekt. Wir leben auf diesem Kontinent schon so lange in Frieden und Wohlstand wie niemals zuvor. Und gehören zu den ganz Privilegierten auf dieser Erdkugel. Und das war wohlgemerkt nicht immer so. Dieser Kontinent ging auch schon unter in Blut, Schweiß und Tränen. Und manche unter uns haben daran noch ganz konkrete Erinnerungen, keine guten!

Das Friedensprojekt Europa gehört für mich auch zum Schöpfungs- und Versöhnungshandeln unseres Gottes. Und dazu, dass sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten die Weisheit unter den Menschen immer wieder vor der Dummheit durchgesetzt hat. Es ist wichtig, dass wir das stark machen. Und dass wir weiterhin von Menschen und Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft geleitet sind, die weise sind und verständig; die den Frieden im Sinn haben, die Gerechtigkeit in den Mittelpunkt ihres Tuns stellen, die den Minderheiten und den Flüchtenden Schutz und Recht geben, die dazu beitragen, dass Menschen sich kennen und verstehen und versöhnen. Und eben nicht durch populistische Zuspitzungen Menschen gegeneinander aufbringen. „So hört nun auf mich, meine Söhne und Töchter. Wohl denen, die meine Wege einhalten!“

Liebe Schwestern und Brüder, wir leben in einer Welt, in der die Weisheit verdrängt wird und die Torheit immer lauter schreit. Das ist nichts Neues. Offensichtlich gab es das auch schon vor 2000 Jahren. Sonst gäbe es dieses Bibelwort nicht. Wir leben in einer Zeit und einer Welt, in der die Erkenntnis, dass wir Menschen nicht alles uns selbst und unserem eigenen Tun, unserer eigenen Leistung verdanken, nicht mehr oft vorhanden ist. Wir reden viel lieber von dem, was Menschen alles tun können, was sie alles entwickeln können, was noch mehr konsumiert werden kann, wo Leistung noch effektiver werden kann.

Es sind die Kinder und Jugendlichen, die uns mit ihren Demonstrationen „Fridays for Future“ darauf hinweisen, dass es ein „Zu Spät“ geben könnte. Und dass wir viel zu lange schon auf Kosten der Natur und auf Kosten von Menschen in anderen Ecken dieser Welt leben. Der Klimawandel muss uns etwas angehen! Unsere Erde, von der wir Christinnen und Christen sagen, Gott habe sie gut und schön geschaffen, ist in Gefahr. Und auch dieses besondere und einzigartige Friedensprojekt Europa ist in Gefahr. Es droht auseinanderzubrechen und in einzelne nationalistische Interessen und Egoismen zu zerfallen.

Und das sollte uns bei aller Dankbarkeit über das, was uns geschenkt ist, Sorge bereiten und uns aufrütteln. Nichts anderes ruft uns die Stimme der Weisheit aus der Bibel zu. Und sagt, es geht um Leben und Tod.

„So hört nun auf mich, meine Söhne und Töchter! Wohl denen, die meine Wege einhalten! Hört die Zucht und werdet weise und schlagt sie nicht in den Wind! Wohl dem Menschen, der mir gehorcht, dass er wache an meiner Tür täglich, dass er hüte die Pfosten meiner Tore! Wer mich findet, der findet das Leben und erlangt Wohlgefallen vom Herrn. Wer aber mich verfehlt, zerstört sein Leben; alle, die mich hassen, lieben den Tod.“

Nehmen wir uns das zu Herzen an diesem schönen Maisonntag: Es gibt viel Grund zum Staunen und zur Dankbarkeit über das, was uns von Gott geschenkt ist: eine wunderbare Natur, Leben in Frieden und Freiheit, genug zu essen und zu trinken, immer noch genug Luft zum Atmen. Ein Leben in Wohlstand, Freiheit zum Denken und Freiheit zum Glauben. Und auch Menschen um uns herum, die es gut mit uns meinen. Das ist alles viel Grund zum Staunen und zu Dankbarkeit und gar nicht selbstverständlich.

Aber Gott hat uns auch einen Verstand gegeben, dass wir die Zerbrechlichkeit von all diesem Guten sehen und wahrnehmen. Und uns, wo wir auch sind und wie wir es können, für den Erhalt all dessen einsetzen. Und das können wir nicht immer aus uns selbst heraus. Manchmal sind wir mutlos und ängstlich. Deshalb ist es gut, dass Gott uns in diesem Einsatz zur Seite steht. Er geht selbst mit uns durch diese Welt. Dafür steht Jesus, den er in diese Welt geschickt hat, der diese Welt erlebt und erlitten hat. Der auch den Tod besiegt hat, der sich immer wieder anschickt, der Meister zu sein.

Ostern liegt erst drei Sonntage zurück. Es ist der Osterjubel, der uns die Kraft geben soll, uns einzusetzen für all das, was Gott gut geschaffen hat. Und dass wir diese Welt nicht den zerstörerischen Kräften überlassen. Lasst uns einstimmen in den Osterjubel, dass der Tod verschlungen ist in den Sieg. Und dann das Nötige tun, dass das Leben siegt – genau dort, wo uns Gott hingestellt hat. Amen.

Perikope
12.05.2019
8,22-36