Erwachsen Kind sein - Predigt zu Galater 4,4-7 von Jochen Cornelius-Bundschuh
4,4-7

Erwachsen Kind sein - Predigt zu Galater 4,4-7 von Jochen Cornelius-Bundschuh

Erwachsen Kindsein

Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen. Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater! So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.

„Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes in eure Herzen gesandt, der da ruft: Abba, lieber Vater!“

Weihnachten feiern wir die Geburt Gottes als Kind im Stall. Und wir feiern, dass wir auch als Erwachsene vor Gott nicht Knechte und Mägde sind, sondern Kinder, Geschwister und Erben.

I

Warum ist das ein Grund zum Feiern? Was macht den Unterschied zwischen Knecht oder Magd - und Kind? Was ist daran so schön: dass wir als Erwachsene vor Gott Kinder sind?

Paulus fasst das Wesentliche in einer Geste knapp zusammen: Kindsein heißt rufen können: „Abba, lieber Vater!“

Die ersten Worte: Mama, Papa können Unterschiedliches ausdrücken. Die Freude des Wiedersehens wie die Angst vor dem Alleinsein: „Geh nicht, Papa, Lass mich nicht allein im Kindergarten!“ Den Schmerz nach dem Hinfallen und die Wut, etwas zu wollen und nicht zu können. Den Schrecken, wenn etwas herunter gefallen und kaputt gegangen ist. Die Erleichterung nach einem bösen Traum: „Gut, dass du da bist, Mama! Darf ich zu dir ins Bett?“

II

Wir feiern an Weihnachten, dass wir auch als Erwachsene vor Gott Kinder sein können. Dass wir zu Gott wie zu einer Mutter und zu einem Vater rufen können. Und dass wir uns darauf verlassen können: Gott wird helfen, trösten, mitspielen, verzeihen.

Aber Kindsein ist kein Kinderspiel! Als Kind nicht und als Erwachsener schon gar nicht. Kindsein heißt: regelmäßig an die eigenen Grenzen zu stoßen, das eigene Leben nicht in der Hand zu haben, nicht autark zu sein. Kindsein heißt: du bist auf andere angewiesen! Und wenn die keine Zeit haben oder besseres zu tun? Oder wenn die dich spüren lassen, wie klein, dumm oder schwach du bist? Wenn die dich gar missbrauchen? Wenn die arm sind und du deshalb keine Chance hast? Dann ist es vorbei mit der Romantik der Kindheit!

Viele Kinder erleben das bei uns. Noch mehr erleben es da, wo Krieg herrscht und Gewalt. Die Flüchtlingslager in Jordanien, im Libanon und in der Türkei sind voller syrischer Kinder – dem Schicksal ausgeliefert, geopfert auf dem Altar der Ideologien und der Machtkämpfe der Erwachsenen. Sie können sich nicht wehren, sie werden benutzt, manchmal sogar als Soldaten. In vielen Ländern kratzen Familien ihr letztes Geld zusammen und setzen ihre Kinder allein in ein Flugzeug nach Europa oder Nord- oder Südamerika. Sie wollen sie schützen, weil sie erleben, dass die Kinder am gefährdetsten sind und doch zugleich unsere Zukunft.

Kindsein ist kein Kinderspiel! Warum ist es trotzdem für Erwachsene erstrebenswert vor Kind zu sein, nicht Knecht oder Magd? Welche Verheißungen stecken darin, dass ich auch erwachsen wie ein Kind zu Gott rufen kann?

III

„Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen.“

Jesus wird als Kind geboren. Er ruft „Mama“ und „Papa“, streitet sich, wird geliebt und gehasst. Er stirbt unter dem Gesetz, damit wir leben. „Damit wir die Kindschaft empfingen“, auch als erwachsene Menschen.

Wie sieht diese erwachsene Kindschaft aus?

IV

Sie begrenzt und stärkt meine Verantwortung. Nicht in dem Sinn, dass ich sage, das geht mich nichts an, dafür ist Gott verantwortlich. Sondern indem sie mich erinnert, dass ich all mein Tun und Lassen, mein Reden und Schweigen nicht alleine verantworte, sondern im Leib Christi.

Ich weiß um meine Grenzen; ich bin Mensch, nicht Gott, nicht Christus. Ich kann Fehler zugeben und Schwächen. Denn auch wenn ich schuldig werde: Ich bin und bleibe Gottes Kind! „Wer schuldig ist auf Erden, verhüll nicht mehr sein Haupt, er soll gerettet werden, wenn er dem Kinde glaubt.“

Ich muss mich nicht um jeden Preis durchsetzen. Die andere könnte auch Recht haben. Wenn die Logik meines Berufs ein bestimmtes Verhalten vorschreibt, bleibt ein Vorbehalt: Ich bin ein Kind Gottes und meine Geschwister auch. Haben wir das schon bedacht? Gibt es vielleicht doch noch einen anderen Weg.

Auch im Erwachsenenleben zählt nicht nur die Leistung. Gelingendes Leben ist mehr als: „Wenn du das tust, erhältst du dafür das.“ So wird kein Kind groß und stark und fröhlich und strahlend. „Wir sind bestimmt zu leuchten, wie es die Kinder tun“, soll der gerade verstorbene Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela gesagt haben. Kinder strahlen Mut und Hoffnung aus, weil wir ihnen und sie sich etwas zutrauen. Gott traut uns etwas zu, auch als Erwachsenen. Seine Herrlichkeit spiegelt sich in unserem Tun und Lassen, in unserem Reden und Schweigen.

V

Die erwachsene Kindschaft erweitert meine Handlungsmöglichkeiten. Was können wir schon tun für Frieden in Syrien? Da sind die Politiker zuständig. Und wenn die nichts tun können; was sollen wir dann machen? Wir können doch nicht alle Flüchtlinge aufnehmen!

Vielleicht doch: einfach die Türen weiter aufmachen und uns Zeit nehmen für die Menschen. Die Flüchtlingslager in Deutschland füllen sich wieder. Die Menschen warten auf unser „Willkommen“! Auf Kinder, die mit ihnen spielen. Auf Erwachsene, die mit ihnen reden und sie fragen: Was habt ihr erlebt? Kennen Sie die nächste Unterkunft für Flüchtlinge? Lassen Sie sich dorthin einladen!

VI

Erwachsen Kindsein heißt aus der Fülle leben, die Gott schenkt, und sie teilen.

Kinder werden, wenn sie erwachsen sind, zu Erben. Gottes erwachsene Kinder erben das Leben in Fülle. Brot und Wein: Brot, das, was jede und jeder unbedingt zum Leben braucht, und Wein, das, was das Herz erfreut: Gemeinschaft, Vertrauen, Hoffnung. Als Erwachsene kämpfen wir immer mit der Knappheit. „Es ist nie genug da“, sagt der Markt: „Da gibt es eine, die besser ist als du. Da gibt es einen, der anerkannter ist als du. Der kriegt den Posten, wenn du dich nicht anstrengst. Pass auf, fahr die Ellenbogen aus, kämpfe um Anerkennung, Macht und Geld.“ Gott sagt: „Du bist mein Kind und Erbe! Es ist genug da, genug für dich und für die anderen! Genieß‘ es!“

Erwachsene Kinder Gottes leben aus der Fülle. Und erleben wie kleine Kinder, dass Teilen stark macht, dass es Vertrauen stärkt und neue Hoffnung schenkt. Viele Einzelne und Gemeinden unterstützen zurzeit die Hilfsorganisationen, aber auch unsere Geschwisterkirchen in Jordanien, im Libanon und in der Türkei, die den Menschen in Syrien helfen. Was ist das für eine Erfahrung als Erwachsener mal wieder mit der „Brot für die Welt–Büchse“ über den Weihnachtsmarkt zu laufen, so wie damals im Konfirmandenunterricht. Zu sammeln und zu hören und zu reden: „Das nützt ja doch nichts!“ „Kommt das auch an?“ „Da müsste man doch einmarschieren!“ Dann wie ein Kind Gottes Zutrauen auszustrahlen und Hoffnung zu stärken: „Wissen Sie, die Schneller Schulen bauen eine Notschule im Flüchtlingslager auf: Kinder sind unsere Zukunft!“ Und Erwachsene, die auf Gott als ihre Mutter und ihren Vater vertrauen.

VII

Erwachsen Kindsein. Wir kämpfen nicht allein, wir leben aus der Fülle, die Gott uns und seiner Welt schenkt. Wir balancieren an Gottes- und Menschen-Hand durchs Leben, so wie Kinder über den gefällten Baum im Winterwald. Eine neue Gemeinschaft wächst, in der wir als Geschwister leben, als Brüder und Schwestern Jesu, als Söhne und Töchter Gottes, die rufen: „Abba, lieber Vater!“